als "Dialektik der Aufklärung": Die gewonnene Entzauberung und Befreiung bedrohe diese mit neuerlicher Furchterregung, autoritärer Dogmatik und instrumenteller Vernunft.
Von solchen Gegenmythen, wie auch Foucault sie unter den Leitbegriffen von Macht und Disziplinierung beschwört, will der Literaturwissenschaftler Jürgen Jacobs nichts wissen. Viel lieber geht er mit Ernst Cassirer von einer komplexen, aber spannungsvollen Einheit aus, deren "Aporien" er exemplarisch, auf dem sicheren Pfad der Induktion, erkundet. In sieben Fallstudien, die bis auf eine noch unpubliziert sind, wägt Jacobs die zugleich erhellenden wie verbrennenden Wirkungen des Aufklärungsfeuers nüchtern gegeneinander ab. Verbunden sind die separaten Aufsätze oder Vorträge durch die Einsicht, daß Aufklärung stets ein Kompromiß im Zeichen des Pragmatischen bleibt: eine Vermittlung zwischen kritischer Theorie und verhältnismäßiger Praxis, räsonierender Privatgesinnung und öffentlicher Verantwortung, liberaler Kühnheit und politischer Korrektheit. Nirgends beansprucht diese These neu zu sein, was ihre Überzeugungskraft indes nicht schmälert. Für Jacobs zählt allein, aus welchen Beispielen sie sich ableiten läßt.
In Religionsfragen liegen die Aporien auf der Hand. Der Konflikt zwischen Vernunft und Offenbarung, den Christian Wolff noch krampfhaft auszusöhnen sucht, erscheint schon eine Generation später fast unlösbar. Moralische Grundsätze lassen sich zwar auch philosophisch begründen, Dogmen von der Erbsünde oder den ewigen Höllenstrafen ist mit einer natürlichen Vernunftreligion aber nicht beizukommen. Entsprechend unsicher lavieren viele zwischen den Fronten, selbst für den selten verlegenen Lessing verhält sich "neumodische Theologie gegen die Orthodoxie" wie "Mistjauche gegen unreines Wasser".
Gelegentlich wird der Ton noch eifriger und lauter, was die klug taktierende Gegenaufklärung sogleich mit dem Vorwurf eines neuen Fanatismus quittiert. Wie rasch man in solch kämpferischen Zeiten zur Aburteilung neigte, zeigt Jacobs am Fall Wieland. Durch seine Vorbehalte gegenüber der "epidemischen Zweifelsucht", zumal in Fragen der Religion, seine Einwände gegen die "französische Modephilosophie" oder seinen Kampf gegen die Schwärmerei geriet er für manche in eine konservative Ecke.
Weniger offensichtlich als in Glaubensdingen präsentieren sich die Aporien in der Kunst. Die gering geschätzte Anakreontik beschreibt Jacobs als eine Protestbewegung gegen moralischen Pietismus, wolffianische Triebfeindschaft und Gelehrtenpedanterie. Doch die Metakritik, die diese Emanzipation ihrerseits als Flucht in Illusion und Idylle erweist, folgt auf dem Fuße. Das verhindert wiederum nicht, daß sich an die anakreontische Mode eine Welle rousseauistischer Zivilisationskritik anschließt, der Jacobs anhand populärer Darstellungen edler Wilder nachgeht. Nicht minder kontrovers sind die Verhältnisse in der Dichtungstheorie. Hier zeichnet er den Streit zwischen der Regelpoetik Gottscheds, dem Sensualismus Dubos' und der Genieästhetik seit Shaftesbury nach. Statt auf Lösungen ist wiederum alles auf eine Konkurrenz der Perspektiven gestimmt.
Uneinigkeit herrscht also, wohin man in diesem niemals langweiligen Zeitalter schaut. Am radikalsten begegnet uns dieser von Jacobs in den Blick gerückte Geist des Widerspruchs in Wezels "Belphegor". Gnadenlos prallt im philosophischen Thesenroman satirisch aufeinander, was nicht zusammengehört. Doch Jacobs läßt sich von all diesen zwiespältigen Feuern nicht erfassen, die prasselnden Funken seiner streitbaren Gegenstände springen nicht auf ihn über. Vorsichtig und umsichtig schreitet er als Historiker voran, klar und gediegen in der Darstellung, wenn auch ziemlich unbekümmert um jüngere Forschungsbeiträge. Vielfältig und belehrend ist sein Buch, ohne zu verblüffen.
ALEXANDER KOSENINA
Jürgen Jacobs: "Aporien der Aufklärung". Studien zur Geistes- und Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Francke Verlag, Tübingen und Basel 2001. 178 S., br., 24,-
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