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Denis Johnson
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Already Dead
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Produktdetails
- Verlag: Picador
- ISBN-13: 9780330371148
- Artikelnr.: 11448191
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Eine halluzinatorische Reise: Denis Johnsons Roman "Schon tot" / Von Paul Ingendaay
Ein Autohändler bei John Updike, ein Immobilienmakler bei Richard Ford, die hibbeligen Intellektuellen eines Philip Roth oder die geduckten Schweigekünstler Raymond Carvers: Das ist die buntscheckige Mittelklasse, aus der die amerikanische Literatur ihre Helden nimmt. Nichts geschieht in diesen Büchern, so denkt man, was nicht auch hessischen oder nordrhein-westfälischen Lesern geschehen könnte, nur der Schauplatz ist ein anderer. Darin liegt freilich ein Unterschied ums Ganze; denn immer wieder gelingt es den amerikanischen Realisten, die Normalität ihres riesigen Landes ins Ungeglättet-Symbolische zu
Eine halluzinatorische Reise: Denis Johnsons Roman "Schon tot" / Von Paul Ingendaay
Ein Autohändler bei John Updike, ein Immobilienmakler bei Richard Ford, die hibbeligen Intellektuellen eines Philip Roth oder die geduckten Schweigekünstler Raymond Carvers: Das ist die buntscheckige Mittelklasse, aus der die amerikanische Literatur ihre Helden nimmt. Nichts geschieht in diesen Büchern, so denkt man, was nicht auch hessischen oder nordrhein-westfälischen Lesern geschehen könnte, nur der Schauplatz ist ein anderer. Darin liegt freilich ein Unterschied ums Ganze; denn immer wieder gelingt es den amerikanischen Realisten, die Normalität ihres riesigen Landes ins Ungeglättet-Symbolische zu
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verzaubern und aufregende, jedenfalls völlig unhessische Geschichten zu erzählen.
Das gilt erst recht für den viel kleineren Trupp der Visionäre, ganz an die Landschaft, die Atmosphäre, an die Besessenheit ihrer Figuren hingegebene Schreiber, die zwischen Wirklichkeit und Wahn keine Wand dulden und ihre Leser auf Höllentrips von der Kraft mythischer Erzählungen mitnehmen. Sicherlich ist Cormac McCarthy mit Büchern wie "Verlorene" oder "Die Abendröte des Westens" ihr herausragender Vertreter. Und den 1949 in München geborenen, in Idaho lebenden Denis Johnson wird man nach seinem jetzt auf deutsch erschienenen Roman "Schon tot" (Already Dead) ebenfalls dazurechnen müssen. Mit seiner Galerie einsamer, gestrandeter Figuren, die sich auf dem schmalen Grat zwischen Verrücktheit und Weisheit vorantasten, hat der Autor zwar wohl nicht "religiöse Kunst vom Range der Gemälde eines Bosch oder Bruegel" geschaffen, wie der Erzähler Tobias Wolff im Klappentext etwas hochtönend bemerkt. Aber doch einen Roman von außergewöhnlicher Intensität.
Der Untertitel des 1997 erschienenen Originals lautet "A California Gothic". Eine "Schauergeschichte aus Kalifornien" verheißt im englischen Sprachraum weniger billigen Grusel als das Fortspinnen einer lebendigen literarischen Tradition, die von Horace Walpole über Poe bis zu Henry James anthologiereife Werke hervorgebracht hat. Dem Schauder des Übersinnlichen fügt Johnson noch eine handfeste Kriminalstory hinzu, die aus Hollywoods "Schwarzer Serie" stammen könnte.
Nelson Fairchild jr., Porsche-Fahrer, Marihuana-Pflanzer und Müßiggänger im kalifornischen Norden, fischt nachts einen Mann aus dem Teich, der sich das Leben nehmen will. Dieser Carl Van Ness hat nichts dagegen, seine bereits weggeworfene Existenz in Fairchilds Dienst zu stellen: Er erklärt sich bereit, dessen Frau zu ermorden, die von Fairchild senior zur Erbin riesiger Waldbestände eingesetzt wurde, und notfalls für seine Tat zu sterben, damit der Ehemann hinter seinem makellosen Alibi unentdeckt bleiben kann. Doch der Plan geht nicht auf, und Schritt um Schritt erkennt man, wie er sich gegen den Drahtzieher wendet. Denn der schattenhafte Van Ness paktiert mit der Frau, die er am Ende heiraten wird, ermordet Fairchilds Vater und Bruder Billy und macht den Auftraggeber seinerseits zum Gejagten.
Bei den Krimiautoren der dreißiger und vierziger Jahre wäre diese Geschichte auf 180 Seiten abgehandelt. In "Schon tot" sind es über sechshundert. Johnson hat keinen Krimi geschrieben, sondern eine lange, halluzinatorische Reise in die nordkalifornische Finsternis, bei der das Verbrechen wie nebenbei mitläuft: Jeden Augenblick kann es hereinstürzen und scheint doch nur der leise Schlußakkord eines unendlich viel rätselhafteren Lebens zu sein, als Haß, Dummheit oder Geldgier zu erklären vermöchten. Denn alle Figuren, man kann es kaum anders sagen, suchen ihr Seelenheil, und ihre Münder quillen davon über.
Da wir in Kalifornien sind, braucht es dazu nicht immer die Bibel; ein Strauß von alternativen Heilsangeboten samt deren Schamanen steht zur Verfügung, Séancen und Seelenwanderung, New-Age-Philosophie und tibetanischer Buddhismus, zu schweigen von Räucherstäbchen und Bio-Nahrung.
Für europäische Leser ist es nicht ohne Komik, wenn sich Leute, bevor sie die Pistole laden, Zitate aus dem "Zarathustra" oder Hesses "Demian" unter die Nase halten. Im Mendocino County dagegen, dem Grenzland der großen Expansion, sind Althippies und verzottelte Mystiker ebenso zu Hause wie Waffenfetischismus und selbstgezogene Drogen. Gläubigkeit als solche ist bei Johnson allerdings eine ernste Angelegenheit. Sein Buch ist mit Fäden christlicher Metaphorik durchwirkt, und während landläufige Gegenwartsliteratur die Abwesenheit Gottes stillschweigend voraussetzt, sieht Johnsons Roman selbst im glimmenden Licht der Porno-Läden die "Fenster von Kathedralen", spricht von Zypressen, "die aussehen, als würden sie knien und beten", und erkennt in den Zügen Nelson Fairchilds gar "das Gesicht des nackten Sünders". Das alles hat weder mit Frömmelei noch Dogmatismus zu tun. Es macht den Abstand der Figuren zu einem gelungenen Leben nur schmerzlicher und gibt ihnen eine Dignität, die ihnen schon im nächsten Augenblick abhanden kommen kann wie ein Plastikfeuerzeug.
Worum geht es in moderner Literatur, wenn nicht um die fortdauernde Präzisierung des Unglücklichseins?
Denis Johnson hat mehrere Jahre als Lehrer in einem staatlichen Gefängnis in Arizona gearbeitet, darf also als geprüfter Kenner gesellschaftlicher Randzonen gelten. Nichts Kokettes oder sozialtherapeutisch Bemühtes haftet seinem beeindruckenden Erzählband "Jesus' Sohn" an, der 1995 bei Suhrkamp nur als Taschenbuch erschien und folglich unbeachtet blieb. Darin bevölkern Arbeitslose, Junkies und Drifter locker verbundene Episoden, die "das große Elend eines Menschenlebens auf dieser Erde" in surreale, wie aus dem Rahmen gestürzte Bilder fassen.
Dieses Personal einer kränkelnden Welt, das geradezu teilnahmsvoll in den Blick genommen wird, beherrscht auch den Roman "Schon tot": Barmädchen, Hippiefrauen, Tramper und Ortlose, deren weltlicher Besitz in einen Reisesack paßt. Nur daß die kleine Form zum epischen Panorama wächst und sich die grandios geschilderte Pazifikküste zwischen Gualala Point und Mendocino in eine Seelenlandschaft voller gewundener Kurven, dampfender Nebel und sturzbachartiger Regenfälle verwandelt, in der die Figuren wie kurz vor der Apokalypse herumtappen. Selbst in ruhigen Momenten lockt die Szenerie Gedanken hervor, die nach einer Elegie auf den eigenen Tod klingen: "Hier, an den sanfter geneigten Hängen, konnten sich auch große Bäume halten - ein paar uralte Redwoods sogar, an die siebzig Meter hoch und gut zehn Meter im Umfang, die schon an dieser Stelle standen, als Julius Caesar geboren wurde. Mir war, als befände ich mich unter einem Gewölbe urwüchsiger Monumente, errichtet von einem ausgestorbenen Volk. Niemand betet sie mehr an; allein geben sie sich ihren endlosen Meditationen hin, sterben unbemerkt, betten sich krachend zur Ruhe. Dann das Verrotten und Verwesen, bis zuletzt nur noch ein Zeichen bleibt, nicht Erde, sondern ein stiller rotbrauner Laib."
Bettina Abarbanell und Fritz Mergel haben Johnsons Ton, der zwischen schneller Umgangssprache und getragenen Prosa-Arien changiert, meisterhaft ins Deutsche übersetzt. Wie glücklich ihre Funde sind, zeigt erst der Blick ins Original.
Ganz bei sich sind die Übersetzer in den Schilderungen scheinbarer Randfiguren, die mit zunehmender Dauer den Atemrhythmus des Romans bestimmen. Zwei gedungene Killer sind dem zeitweiligen Ich-Erzähler Nelson Fairchild auf der Spur, rücken näher, verpassen ihr Opfer mehrmals und finden es schließlich: ein Spuk auf Highways und Rastplätzen, aber ebenso eine burleske Pantomime. Oder der einsame Rachefeldzug von Fairchilds Partner Clarence, der mit einem morbiden Grillfeuer an den Mauern eines buddhistischen Klosters endet: Soviel gelassene Komik mitten im schaurigen Geschehen traut man kaum einem anderen Autor zu.
Johnson stellt die Gewalt nicht aus, sondern choreographiert sie im Sinne seines Themas. Im bewußtlos abgespulten Leben ist man "schon tot", während die Suche nach Erkenntnis, wie auch die raffinierte Schachtelung des Romans beweist, über das biologische Ende hinausführen kann. Wie sehr Johnson dabei mit dem Glauben an Seelenwanderung und überhaupt mit dem Okkultismus der Westküste sympathisiert, mag offenbleiben; man muß ja auch nicht an die griechischen Götter glauben, um Homer zu lesen.
Eine traditionelle Auflösung des Kriminalfalls, der im Spätsommer 1990 spielt, liefert der Roman nicht. Officer Navarro, ein streunender Provinzpolizist, findet über ein Jahr nach den Ereignissen, die fünf Menschen und einen Hund das Leben kosten, einen Stapel Papier mit Fairchilds Tagebuch: Monologe eines reuigen Skeptikers, die auf den letzten Zeilen mit Blut geschrieben sind. Ein paar Wörter davon lassen sich entziffern, der Rest aber ist unleserlich. Navarro hütet seinen Schatz und quittiert den Dienst. Die Euphorie zwischen Haben und Nichthaben könnte durchaus die des Lesers sein.
In einer Nachbemerkung trägt Johnson seine Dankesschuld ab, darunter an das New-Age-Brevier "A Course in Miracles", für das der Autor sogar eine Bestelladresse angibt. Manches aus diesem Buch, sagt Johnson, kehre in verzerrter Form in den Romandialogen wieder, und das scheint nun leider der Wahrheit zu entsprechen. Besonders Yvonne, ein hochattraktives Medium, das im Ruf steht, eine Hexe zu sein, mutet uns insgesamt zuviel seminarreife Mystik zu.
Auch die wortreichen Briefe, mit denen der leicht derangierte Einsiedler Billy Fairchild die örtliche Polizei vor den Gefahren der Radarüberwachung warnt, hat der Autor entschieden zu großzügig in den Text gesetzt. Man liest dann ein bißchen darüber hinweg, dreht die Lautstärke herunter wie beim Küchenradio. Verrutschte Proportionen in einem ansonsten packenden Buch.
Die entscheidende Vorlage für die Handlung des Romans, wie Johnson gleichfalls offenlegt, entstammt dem Gedicht "Poème noire" von Bill Knott. Die deutsche Ausgabe druckt die schmucklose Ballade, die den Kriminalplot um eine ausgelöschte Familie auf zwei Seiten heruntererzählt, im Anhang ab. Es handelt sich dabei um das Äquivalent einer Drehbuchskizze, die mit dem fertigen Roman ein paar Bausteine der Handlung teilt, weiter nichts. In keinem Fall hat Johnsons (genehmigte) kreative Aneignung die harsche Tirade verdient, die eine für ihre Mittelmäßigkeit berüchtigte Kritikerin der "New York Times" auf den Autor losließ.
Denis Johnson mag seinen Roman nicht von allen Schlacken befreit und die Aufnahmebereitschaft des Lesers, zumal des europäischen, für nordkalifornische Esoterik ein wenig überschätzt haben. Doch "Schon tot" ist ein Buch von Feuer und Schwefel, so leuchtend und kühn, wie man es aus Amerika vielleicht einmal im Jahr zu bekommen hofft.
Denis Johnson: "Schon tot". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bettina Abarbanell und Fritz Mergel. Alexander Fest Verlag, Berlin 2000. 633 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das gilt erst recht für den viel kleineren Trupp der Visionäre, ganz an die Landschaft, die Atmosphäre, an die Besessenheit ihrer Figuren hingegebene Schreiber, die zwischen Wirklichkeit und Wahn keine Wand dulden und ihre Leser auf Höllentrips von der Kraft mythischer Erzählungen mitnehmen. Sicherlich ist Cormac McCarthy mit Büchern wie "Verlorene" oder "Die Abendröte des Westens" ihr herausragender Vertreter. Und den 1949 in München geborenen, in Idaho lebenden Denis Johnson wird man nach seinem jetzt auf deutsch erschienenen Roman "Schon tot" (Already Dead) ebenfalls dazurechnen müssen. Mit seiner Galerie einsamer, gestrandeter Figuren, die sich auf dem schmalen Grat zwischen Verrücktheit und Weisheit vorantasten, hat der Autor zwar wohl nicht "religiöse Kunst vom Range der Gemälde eines Bosch oder Bruegel" geschaffen, wie der Erzähler Tobias Wolff im Klappentext etwas hochtönend bemerkt. Aber doch einen Roman von außergewöhnlicher Intensität.
Der Untertitel des 1997 erschienenen Originals lautet "A California Gothic". Eine "Schauergeschichte aus Kalifornien" verheißt im englischen Sprachraum weniger billigen Grusel als das Fortspinnen einer lebendigen literarischen Tradition, die von Horace Walpole über Poe bis zu Henry James anthologiereife Werke hervorgebracht hat. Dem Schauder des Übersinnlichen fügt Johnson noch eine handfeste Kriminalstory hinzu, die aus Hollywoods "Schwarzer Serie" stammen könnte.
Nelson Fairchild jr., Porsche-Fahrer, Marihuana-Pflanzer und Müßiggänger im kalifornischen Norden, fischt nachts einen Mann aus dem Teich, der sich das Leben nehmen will. Dieser Carl Van Ness hat nichts dagegen, seine bereits weggeworfene Existenz in Fairchilds Dienst zu stellen: Er erklärt sich bereit, dessen Frau zu ermorden, die von Fairchild senior zur Erbin riesiger Waldbestände eingesetzt wurde, und notfalls für seine Tat zu sterben, damit der Ehemann hinter seinem makellosen Alibi unentdeckt bleiben kann. Doch der Plan geht nicht auf, und Schritt um Schritt erkennt man, wie er sich gegen den Drahtzieher wendet. Denn der schattenhafte Van Ness paktiert mit der Frau, die er am Ende heiraten wird, ermordet Fairchilds Vater und Bruder Billy und macht den Auftraggeber seinerseits zum Gejagten.
Bei den Krimiautoren der dreißiger und vierziger Jahre wäre diese Geschichte auf 180 Seiten abgehandelt. In "Schon tot" sind es über sechshundert. Johnson hat keinen Krimi geschrieben, sondern eine lange, halluzinatorische Reise in die nordkalifornische Finsternis, bei der das Verbrechen wie nebenbei mitläuft: Jeden Augenblick kann es hereinstürzen und scheint doch nur der leise Schlußakkord eines unendlich viel rätselhafteren Lebens zu sein, als Haß, Dummheit oder Geldgier zu erklären vermöchten. Denn alle Figuren, man kann es kaum anders sagen, suchen ihr Seelenheil, und ihre Münder quillen davon über.
Da wir in Kalifornien sind, braucht es dazu nicht immer die Bibel; ein Strauß von alternativen Heilsangeboten samt deren Schamanen steht zur Verfügung, Séancen und Seelenwanderung, New-Age-Philosophie und tibetanischer Buddhismus, zu schweigen von Räucherstäbchen und Bio-Nahrung.
Für europäische Leser ist es nicht ohne Komik, wenn sich Leute, bevor sie die Pistole laden, Zitate aus dem "Zarathustra" oder Hesses "Demian" unter die Nase halten. Im Mendocino County dagegen, dem Grenzland der großen Expansion, sind Althippies und verzottelte Mystiker ebenso zu Hause wie Waffenfetischismus und selbstgezogene Drogen. Gläubigkeit als solche ist bei Johnson allerdings eine ernste Angelegenheit. Sein Buch ist mit Fäden christlicher Metaphorik durchwirkt, und während landläufige Gegenwartsliteratur die Abwesenheit Gottes stillschweigend voraussetzt, sieht Johnsons Roman selbst im glimmenden Licht der Porno-Läden die "Fenster von Kathedralen", spricht von Zypressen, "die aussehen, als würden sie knien und beten", und erkennt in den Zügen Nelson Fairchilds gar "das Gesicht des nackten Sünders". Das alles hat weder mit Frömmelei noch Dogmatismus zu tun. Es macht den Abstand der Figuren zu einem gelungenen Leben nur schmerzlicher und gibt ihnen eine Dignität, die ihnen schon im nächsten Augenblick abhanden kommen kann wie ein Plastikfeuerzeug.
Worum geht es in moderner Literatur, wenn nicht um die fortdauernde Präzisierung des Unglücklichseins?
Denis Johnson hat mehrere Jahre als Lehrer in einem staatlichen Gefängnis in Arizona gearbeitet, darf also als geprüfter Kenner gesellschaftlicher Randzonen gelten. Nichts Kokettes oder sozialtherapeutisch Bemühtes haftet seinem beeindruckenden Erzählband "Jesus' Sohn" an, der 1995 bei Suhrkamp nur als Taschenbuch erschien und folglich unbeachtet blieb. Darin bevölkern Arbeitslose, Junkies und Drifter locker verbundene Episoden, die "das große Elend eines Menschenlebens auf dieser Erde" in surreale, wie aus dem Rahmen gestürzte Bilder fassen.
Dieses Personal einer kränkelnden Welt, das geradezu teilnahmsvoll in den Blick genommen wird, beherrscht auch den Roman "Schon tot": Barmädchen, Hippiefrauen, Tramper und Ortlose, deren weltlicher Besitz in einen Reisesack paßt. Nur daß die kleine Form zum epischen Panorama wächst und sich die grandios geschilderte Pazifikküste zwischen Gualala Point und Mendocino in eine Seelenlandschaft voller gewundener Kurven, dampfender Nebel und sturzbachartiger Regenfälle verwandelt, in der die Figuren wie kurz vor der Apokalypse herumtappen. Selbst in ruhigen Momenten lockt die Szenerie Gedanken hervor, die nach einer Elegie auf den eigenen Tod klingen: "Hier, an den sanfter geneigten Hängen, konnten sich auch große Bäume halten - ein paar uralte Redwoods sogar, an die siebzig Meter hoch und gut zehn Meter im Umfang, die schon an dieser Stelle standen, als Julius Caesar geboren wurde. Mir war, als befände ich mich unter einem Gewölbe urwüchsiger Monumente, errichtet von einem ausgestorbenen Volk. Niemand betet sie mehr an; allein geben sie sich ihren endlosen Meditationen hin, sterben unbemerkt, betten sich krachend zur Ruhe. Dann das Verrotten und Verwesen, bis zuletzt nur noch ein Zeichen bleibt, nicht Erde, sondern ein stiller rotbrauner Laib."
Bettina Abarbanell und Fritz Mergel haben Johnsons Ton, der zwischen schneller Umgangssprache und getragenen Prosa-Arien changiert, meisterhaft ins Deutsche übersetzt. Wie glücklich ihre Funde sind, zeigt erst der Blick ins Original.
Ganz bei sich sind die Übersetzer in den Schilderungen scheinbarer Randfiguren, die mit zunehmender Dauer den Atemrhythmus des Romans bestimmen. Zwei gedungene Killer sind dem zeitweiligen Ich-Erzähler Nelson Fairchild auf der Spur, rücken näher, verpassen ihr Opfer mehrmals und finden es schließlich: ein Spuk auf Highways und Rastplätzen, aber ebenso eine burleske Pantomime. Oder der einsame Rachefeldzug von Fairchilds Partner Clarence, der mit einem morbiden Grillfeuer an den Mauern eines buddhistischen Klosters endet: Soviel gelassene Komik mitten im schaurigen Geschehen traut man kaum einem anderen Autor zu.
Johnson stellt die Gewalt nicht aus, sondern choreographiert sie im Sinne seines Themas. Im bewußtlos abgespulten Leben ist man "schon tot", während die Suche nach Erkenntnis, wie auch die raffinierte Schachtelung des Romans beweist, über das biologische Ende hinausführen kann. Wie sehr Johnson dabei mit dem Glauben an Seelenwanderung und überhaupt mit dem Okkultismus der Westküste sympathisiert, mag offenbleiben; man muß ja auch nicht an die griechischen Götter glauben, um Homer zu lesen.
Eine traditionelle Auflösung des Kriminalfalls, der im Spätsommer 1990 spielt, liefert der Roman nicht. Officer Navarro, ein streunender Provinzpolizist, findet über ein Jahr nach den Ereignissen, die fünf Menschen und einen Hund das Leben kosten, einen Stapel Papier mit Fairchilds Tagebuch: Monologe eines reuigen Skeptikers, die auf den letzten Zeilen mit Blut geschrieben sind. Ein paar Wörter davon lassen sich entziffern, der Rest aber ist unleserlich. Navarro hütet seinen Schatz und quittiert den Dienst. Die Euphorie zwischen Haben und Nichthaben könnte durchaus die des Lesers sein.
In einer Nachbemerkung trägt Johnson seine Dankesschuld ab, darunter an das New-Age-Brevier "A Course in Miracles", für das der Autor sogar eine Bestelladresse angibt. Manches aus diesem Buch, sagt Johnson, kehre in verzerrter Form in den Romandialogen wieder, und das scheint nun leider der Wahrheit zu entsprechen. Besonders Yvonne, ein hochattraktives Medium, das im Ruf steht, eine Hexe zu sein, mutet uns insgesamt zuviel seminarreife Mystik zu.
Auch die wortreichen Briefe, mit denen der leicht derangierte Einsiedler Billy Fairchild die örtliche Polizei vor den Gefahren der Radarüberwachung warnt, hat der Autor entschieden zu großzügig in den Text gesetzt. Man liest dann ein bißchen darüber hinweg, dreht die Lautstärke herunter wie beim Küchenradio. Verrutschte Proportionen in einem ansonsten packenden Buch.
Die entscheidende Vorlage für die Handlung des Romans, wie Johnson gleichfalls offenlegt, entstammt dem Gedicht "Poème noire" von Bill Knott. Die deutsche Ausgabe druckt die schmucklose Ballade, die den Kriminalplot um eine ausgelöschte Familie auf zwei Seiten heruntererzählt, im Anhang ab. Es handelt sich dabei um das Äquivalent einer Drehbuchskizze, die mit dem fertigen Roman ein paar Bausteine der Handlung teilt, weiter nichts. In keinem Fall hat Johnsons (genehmigte) kreative Aneignung die harsche Tirade verdient, die eine für ihre Mittelmäßigkeit berüchtigte Kritikerin der "New York Times" auf den Autor losließ.
Denis Johnson mag seinen Roman nicht von allen Schlacken befreit und die Aufnahmebereitschaft des Lesers, zumal des europäischen, für nordkalifornische Esoterik ein wenig überschätzt haben. Doch "Schon tot" ist ein Buch von Feuer und Schwefel, so leuchtend und kühn, wie man es aus Amerika vielleicht einmal im Jahr zu bekommen hofft.
Denis Johnson: "Schon tot". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bettina Abarbanell und Fritz Mergel. Alexander Fest Verlag, Berlin 2000. 633 S., geb., 49,80 DM.
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