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Sinnliche Präsenz und Genauigkeit zeichnen dieses Buch aus, ein deutliches Bild von der condition hamaine in unserem Land zu einer bestimmten Zeit. Das sollte nicht dazu verleiten, 1947 als -historisches Dokument- zu lesen, sondern als das, was es ist: ein Roman von Rang.
Produktdetails
- Rotbuch Bibliothek
- Verlag: Rotbuch Verlag
- Seitenzahl: 160
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 286g
- ISBN-13: 9783880224971
- ISBN-10: 3880224978
- Artikelnr.: 23977189
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Der Stolz der Gladiolen
Ans Licht gezerrt: Annemarie Wietigs Roman "1947"
Wenn Verwalter literarischer Nachlässe alte, unveröffentlichte Manuskripte berühmter Autoren publizieren, dann steht dahinter entweder ein literarisches oder ein materielles Interesse oder beides. Wenn so Heinrich Bölls erster, von ihm selbst nicht veröffentlichter Roman besichtigt werden kann, dann ist das in doppeltem Wortsinn verdienstvoll: weil es ja Leser gibt, die gern über des großen Autors Anfänge Bescheid wüßten und nebenbei auch noch einiges erfahren über seine eigene Einschätzung.
Aber was, wenn eine achtzigjährige Dame, die seit drei Jahrzehnten nichts Literarisches mehr veröffentlicht hat (und zuvor drei Kinderbücher
Ans Licht gezerrt: Annemarie Wietigs Roman "1947"
Wenn Verwalter literarischer Nachlässe alte, unveröffentlichte Manuskripte berühmter Autoren publizieren, dann steht dahinter entweder ein literarisches oder ein materielles Interesse oder beides. Wenn so Heinrich Bölls erster, von ihm selbst nicht veröffentlichter Roman besichtigt werden kann, dann ist das in doppeltem Wortsinn verdienstvoll: weil es ja Leser gibt, die gern über des großen Autors Anfänge Bescheid wüßten und nebenbei auch noch einiges erfahren über seine eigene Einschätzung.
Aber was, wenn eine achtzigjährige Dame, die seit drei Jahrzehnten nichts Literarisches mehr veröffentlicht hat (und zuvor drei Kinderbücher
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und einen Roman), nun ein 43 Jahre altes Manuskript an die Öffentlichkeit bringen und mit dem Nachwort eines Schriftstellers versehen läßt, der "einen Roman von Rang" verheißt? Welche Maßstäbe gelten? Historistische oder aktuelle? Literarische wohl in jedem Falle.
Jochen Schimmang stellt diesen "Roman von Rang" ohne zu zögern an die Seite von Wolfgang Koeppens "Tauben im Gras" von 1951. Weil Annemarie Wietigs Manuskript mit dem Titel "1947" ebenfalls von "Deutschland in Trümmern, vom Schwarzmarkt und von Kriminalität, von Gewinnern und Verlierern" handelt und "mit der gleichen avancierten literarischen Technik arbeitete": der Montage, dem Kaleidoskop, einer "Folge von Sequenzen", "die verschiedene Motive immer wieder aufnehmen".
Was so formal behauptet wird, läßt sich faktisch nicht belegen. Während Koeppen mehrere deutlich in verschiedenen Milieus spielende Erzählstränge, die stets aufeinander bezogen sind und einander gegenseitig erhellen, kunstvoll ineinander verzopft, zerschneidet Wietig ihre Handlungsstränge bloß und ordnet sie ohne erkennbare Struktur hintereinander an - von Schnitt und Gegenschnitt, von sich jeweils zu neuen Erkenntnissen ordnenden kaleidoskopischen Bildern ist da nichts zu spüren. Und wenn im zweiten Teil der Text die Handlung aus der Großstadt aufs Land zu den bösen Bauern führt, bleiben einige der angeschnittenen Handlungsfäden aus den Stadtpassagen in der Luft hängen, werden weder aufgenommen noch aufgelöst.
Die Handlung spielt in diesem Falle keine große Rolle: unterschiedliche Paargeschichten werden erzählt, Flüchtlingsschicksale eingerührt, eine Gangstergeschichte wird klischiert - überhaupt finde ich nur wenig von jener "sinnlichen Präsenz und Genauigkeit", die Schimmang annonciert; statt dessen herrscht das Klischee in dieser Programm-Prosa, die einem Koeppen nur nach- und der Zeit hinterhergeschrieben ist: "Immer dichtere Dunkelheit blüht schwarz auf im Park. Himmel und weißer Mond werden zerstückelt von schwarzem Zackenlaub."
Oder: "Das auf seine Zwecklosigkeit brennend stolze Heer der Dahlien, der Gladiolen, der Lilien, das in den Gärten dicht gedrängt aufgestellt ist, blickt den Angekommenen mit erhabener Blindheit entgegen. Um die Georginen zu machen, schnitt sich der Künstler eine Rüsche aus zartem essentiellen Gewebe in Feuerrot und formte sie zu einem einfältig unnützen Ball. Sommerzauber."
Eher wohl literarischer Budenzauber. Jedenfalls ein, leider ausgegrabener, Text, der in der Zerrissenheit seiner auf 145 Seiten untergebrachten 207 Erzähl-Segmente sich beliebig fortsetzen (oder auch kürzen) ließe. Die Zerschneidekunst dieses Textes kaschiert in Wirklichkeit nur seine völlige Belanglosigkeit. Wenn man sich die Mühe machte, die jeweils zueinander gehörigen Puzzle-Teile zu einem Erzählstrang zusammenzufügen (wie man das bei Koeppen machen könnte, ohne daß die Handlungsverläufe ihre stoffliche Qualität verlören), kämen absolut trivial und banal erzählte Geschichten heraus.
Dieser Text ist nicht ohne Grund so lange unpubliziert geblieben. Daß Ernst Schnabel seinerzeit Ausschnitte aus diesem Manuskript im NWDR gesendet hat, kann daran nichts ändern. Die Art, wie Schnabels damals gegenüber der Autorin geäußerte Befürchtung, sie "werde in Deutschland keinen Verlag dafür finden", hier mitgeteilt wird, insinuiert, dieses Manuskript habe wohl wegen seiner avancierten Qualität keine Chance gehabt. Solche Simulation zeugt entweder von literarischer oder von historischer Unempfindlichkeit. Und rechnet mit einem unaufmerksamen Leser. HEINZ LUDWIG ARNOLD
Annemarie Wietig: "1947". Rotbuch Verlag, Hamburg 1996. 160 Seiten, geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jochen Schimmang stellt diesen "Roman von Rang" ohne zu zögern an die Seite von Wolfgang Koeppens "Tauben im Gras" von 1951. Weil Annemarie Wietigs Manuskript mit dem Titel "1947" ebenfalls von "Deutschland in Trümmern, vom Schwarzmarkt und von Kriminalität, von Gewinnern und Verlierern" handelt und "mit der gleichen avancierten literarischen Technik arbeitete": der Montage, dem Kaleidoskop, einer "Folge von Sequenzen", "die verschiedene Motive immer wieder aufnehmen".
Was so formal behauptet wird, läßt sich faktisch nicht belegen. Während Koeppen mehrere deutlich in verschiedenen Milieus spielende Erzählstränge, die stets aufeinander bezogen sind und einander gegenseitig erhellen, kunstvoll ineinander verzopft, zerschneidet Wietig ihre Handlungsstränge bloß und ordnet sie ohne erkennbare Struktur hintereinander an - von Schnitt und Gegenschnitt, von sich jeweils zu neuen Erkenntnissen ordnenden kaleidoskopischen Bildern ist da nichts zu spüren. Und wenn im zweiten Teil der Text die Handlung aus der Großstadt aufs Land zu den bösen Bauern führt, bleiben einige der angeschnittenen Handlungsfäden aus den Stadtpassagen in der Luft hängen, werden weder aufgenommen noch aufgelöst.
Die Handlung spielt in diesem Falle keine große Rolle: unterschiedliche Paargeschichten werden erzählt, Flüchtlingsschicksale eingerührt, eine Gangstergeschichte wird klischiert - überhaupt finde ich nur wenig von jener "sinnlichen Präsenz und Genauigkeit", die Schimmang annonciert; statt dessen herrscht das Klischee in dieser Programm-Prosa, die einem Koeppen nur nach- und der Zeit hinterhergeschrieben ist: "Immer dichtere Dunkelheit blüht schwarz auf im Park. Himmel und weißer Mond werden zerstückelt von schwarzem Zackenlaub."
Oder: "Das auf seine Zwecklosigkeit brennend stolze Heer der Dahlien, der Gladiolen, der Lilien, das in den Gärten dicht gedrängt aufgestellt ist, blickt den Angekommenen mit erhabener Blindheit entgegen. Um die Georginen zu machen, schnitt sich der Künstler eine Rüsche aus zartem essentiellen Gewebe in Feuerrot und formte sie zu einem einfältig unnützen Ball. Sommerzauber."
Eher wohl literarischer Budenzauber. Jedenfalls ein, leider ausgegrabener, Text, der in der Zerrissenheit seiner auf 145 Seiten untergebrachten 207 Erzähl-Segmente sich beliebig fortsetzen (oder auch kürzen) ließe. Die Zerschneidekunst dieses Textes kaschiert in Wirklichkeit nur seine völlige Belanglosigkeit. Wenn man sich die Mühe machte, die jeweils zueinander gehörigen Puzzle-Teile zu einem Erzählstrang zusammenzufügen (wie man das bei Koeppen machen könnte, ohne daß die Handlungsverläufe ihre stoffliche Qualität verlören), kämen absolut trivial und banal erzählte Geschichten heraus.
Dieser Text ist nicht ohne Grund so lange unpubliziert geblieben. Daß Ernst Schnabel seinerzeit Ausschnitte aus diesem Manuskript im NWDR gesendet hat, kann daran nichts ändern. Die Art, wie Schnabels damals gegenüber der Autorin geäußerte Befürchtung, sie "werde in Deutschland keinen Verlag dafür finden", hier mitgeteilt wird, insinuiert, dieses Manuskript habe wohl wegen seiner avancierten Qualität keine Chance gehabt. Solche Simulation zeugt entweder von literarischer oder von historischer Unempfindlichkeit. Und rechnet mit einem unaufmerksamen Leser. HEINZ LUDWIG ARNOLD
Annemarie Wietig: "1947". Rotbuch Verlag, Hamburg 1996. 160 Seiten, geb., 36,- DM.
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