Marktplatzangebote
11 Angebote ab € 12,00 €
  • Broschiertes Buch

Diese Originalausgabe bringt zum ersten Mal alle 33 Erzählungen Stifters nach den Erstdrucken und in der Chronologie ihrer Entstehung; ergänzt durch einen umfangreichen Anhang.
Die vorliegende Ausgabe versammelt zum ersten Mal alle dreiunddreißig Erzählungen Adalbert Stifters nach den Erstdrucken und in der Chronologie ihres Erscheinens in den Jahren 1840 - 1869. Damit wird erstmals die Entwicklung des Autors vom frühen Jean Paulianer zum asketischen Sprachspieler der Spätzeit nachlesbar. Ohne die Bedeutung der vom Dichter selbst für die Buchausgaben seiner berühmten Sammlungen 'Studien'…mehr

Produktbeschreibung
Diese Originalausgabe bringt zum ersten Mal alle 33 Erzählungen Stifters nach den Erstdrucken und in der Chronologie ihrer Entstehung; ergänzt durch einen umfangreichen Anhang.

Die vorliegende Ausgabe versammelt zum ersten Mal alle dreiunddreißig Erzählungen Adalbert Stifters nach den Erstdrucken und in der Chronologie ihres Erscheinens in den Jahren 1840 - 1869. Damit wird erstmals die Entwicklung des Autors vom frühen Jean Paulianer zum asketischen Sprachspieler der Spätzeit nachlesbar. Ohne die Bedeutung der vom Dichter selbst für die Buchausgaben seiner berühmten Sammlungen 'Studien' und 'Bunte Steine' vorgenommenen Überarbeitungen zu schmälern, wird hier ein Erzählkontinuum unverstellt sichtbar, in dem sich Stifters Leben und Schaffen in seiner Zeit eindrucksvoll widerspiegelt.

Der Abdruck der Texte - mit Ausnahme der beiden letzten - erfolgt nach der 'Historisch-Kritischen Gesamtausgabe'. Ein umfangreicher Anhang gibt Auskunft zu Entstehungsgeschichte und Textedition sowie zu Leben und Werk.
Autorenporträt
Adalbert Stifter kam am 23. Oktober 1805 in Oberplan, heute Horní Planá, in Südböhmen zur Welt. Nach der Gymnasialzeit im Stift Kremsmünster studierte er in Wien Jura und Naturwissenschaften. Ohne Abschluss verdiente er seinen Lebensunterhalt als Privatlehrer. Bereits kurz nach dem Erscheinen seiner drei ersten Erzählungen 1839/1840 galt er als erfolgreicher Schriftsteller. Mit dem berühmten vierbändigen Erzählzyklus 'Studie' erreichte er seinen literarischen Höhepunkt. 1850 wurde er Schulrat und Inspektor der oberösterreichischen Volksschulen in Linz. Hier entstanden die Novellensammlung 'Bunte Steine' (1853) und die Romane 'Der Nachsommer' (1857) und 'Witiko' (1865-1867). Wegen einer unheilbaren Krankheit wollte sich Stifter in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar 1868 das Leben nehmen. Er starb am 28. Januar 1868 an den Folgen des Suizidversuchs.

Wolfgang Matz, geb. 1955 in Berlin, lehrte von 1987-95 deutsche Sprache und Literatur an der Universität Poitiers und arbeitet seitdem als Verlagslektor in München. Er veröffentlichte zahlreiche Essays zur deutschen und zur französischen Literatur, wurde als Übersetzer mit dem Paul Celan Preis und dem Petrarca-Preis ausgezeichnet und ist Herausgeber von Adalbert Stifters 'Sämtliche Erzählungen in der Fassung des Erstdrucks' (2005).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.10.2005

Denn hier war nichts zu verkündigen
Schnee, Unwetter, verschwiegenes Unglück: Die Neuausgabe der Erzählungen zum zweihundertsten Geburtstag von Adalbert Stifter
Noch die allerletzte Erzählung Adalbert Stifters, „Aus dem bairischen Walde”, entstanden im November 1867, wenige Wochen vor seinem Selbstmord, setzt mit seitenlangen topografischen Schilderungen ein. Ein letztes Mal betritt er den Kernbezirk seiner Welt, das Grenzgebiet zwischen Böhmen, Bayern und Österreich, den Schauplatz so vieler seiner großen Erzählungen. Man scheut den Begriff „Landschaftsbeschreibung”, weil die gläserne Durchsichtigkeit von Stifters Darlegungen vielfach eher an Messtischblätter als an Stimmungsbilder erinnert. Die Ruhe und Entrücktheit dieser Landschaftsdarstellungen, die schiere Schönheit des sanft bewegten Sprachganges, die Delikatesse der evozierten Farben - immer wieder das Grau der Steine im Grün von Wiesen und Wäldern, vor blauer Ferne und firnigen Alpenhorizonten wie auf Porzellanbildchen -, all das ist einzigartig herrlich.
Man hat beim späten Stifter von lasierten Gemälden gesprochen, im Gegensatz zu den dramatisch bewegten Seelenlandschaften seiner Frühzeit. Auch im „Condor”, Stifters erster Erzählung aus den späten 1830er Jahren, gibt es diese Fernblicke, schließlich geht es um eine Ballonfahrt; hier aber werden unmittelbare Wirkungen auf die Betrachter geschildert: „. . . in einem fremden goldenen Rauche lodernd, taumelte sie DIE ERDE]gleichsam zurück, an ihrer äußersten Stirne das Mittelmeer wie ein schmales gleißendes Goldband tragend, überschwimmend in unbekannte phantastische Massen.” Dramatisch auch im „Abdias” (1843) der erste Blick von der Wüste aufs Meer: „Endlich riß plötzlich die Farbe des Landes, die lieblich dämmernde, die sie nun so lange gesehen, ab und am perlichten Himmel draußen lag ein unbekanntes Ungeheuer, ein dunkelblauer, fast schwarzer Streifen in furchtbar gerader Linie schnitt sich aus der Luft, wie ein Strom, und seine Breite stand so gerade empor, als müßte er augenblicks über die Berge hineinschlagen.” Doch schon im „Hochwald” von 1842 hatte Stifter den Weg zu seiner späteren Landschaftsform gefunden, die musivische, objektive Entfaltung von Schauplätzen und Horizonten. Der Ton wird ruhiger und verhaltener. Der Ausdruck des Gefühls zieht sich zurück, und diese offenkundige Verschwiegenheit ist der Reiz von Stifters später Manier.
Es sind allerdings die wunderbarsten Blicke, die dieser Augenmensch scheinbar objektiv zu arrangieren versteht, so beim Anschauen des Bergsees im „Hochwald”: „Ein gespanntes Tuch ohne eine einzige Falte liegt er weich zwischen dem harten Geklippe, gesäumt von einem dichten Fichtenbande, dunkel und ernst, daraus manch einzelner Urstamm den ästelosen Schaft emporstreckt, wie eine einzelne altertümliche Säule.” Der Leser sei ermuntert, sich diesen Satz laut vorzulesen, um seine vollkommene Rhythmik, das Spiel der Antithesen, der Einschübe und Anklänge wahrzunehmen. Das Gefühl ist hier aus der Semantik gewichen und Tonfall geworden.
Zuweilen hat Stifter das Geheimnis solcher Verhaltenheit benannt: das Unglück einer nie realisierten Liebe, die sich in einem bestimmten Landschaftsbezirk abspielt, den Nachbargefilden seines Heimatortes Oberplan, wo er vor zweihundert Jahren, am 23. Oktober 1805, als Sohn eines Leinewebers zur Welt kam. Im „Waldgänger”(1847) heißt es vom Erzähler: „Oft hatte er wieder die Wälder, die Berge, die Thäler gesehen, wo er einst an ihrer Hand gewandelt war, sie hatten einen Theil des schönen Dufts abgestreift, und standen unbekannt und klar und einsam um ihn herum und öfters war es ihm nicht anders als sähe man noch den Glanzhauch aus dem Himmel hinaus ziehen von dem Herzen, das einstens hier gelebt hatte und nun fortgegangen ist.” Stifters Landschaften sind Orte der Verlassenheit, verlassen von dem einen geliebten Menschen, den der Autor nicht haben konnte. Man kann diese nie verwundene Episode in seinen Biografien nachlesen - zum Beispiel in dem schönen Buch von Wolfgang Matz, und sich sogar ein Bild von jener Fanny Greipl anschauen, mit der eine Ehe nicht zustande kam; doch entscheidend ist die Energie, die dieser nur nach außen ruhige, in Wahrheit vulkanische Künstler aus dem Unglück seines Lebens gewann.
Den Weg seiner Kunst kann sich der Leser eigentlich erst heute vor Augen führen, da endlich eine handliche, allgemein zugängliche Ausgabe seiner sämtlichen Erzählungen in den Erstfassungen vorliegt - kundig betreut von Wolfgang Matz. Sie macht die Früchte der historisch-kritischen Gesamtausgabe zugänglich, die seit 1978 von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgebracht wird. Vor allem aber befreit sie die Urtexte durch die konsequent chronologische Anordnung zum ersten Mal aus den irreführenden Zusammenhängen der späteren Buchfassungen. Sie war überfällig, denn alle vorhergehenden Ausgaben, zumal die der Erstfassungen, die der Bibliothekar Max Stefl seit 1920 erarbeitet hatte, waren ebenso verschollen wie die sudetendeutsche Gesamtausgabe, deren letzte Bände im Zweiten Weltkrieg erschienen. Dabei hatte schon Ernst Bertram in seiner brillanten Dissertation von 1907, „Studien zu Adalbert Stifters Novellentechnik”, die sogenannten „Journalfassungen” für unentbehrlich erklärt. Zu Recht; denn Stifter hat mehr als zwei Drittel seiner Erzählungen zweimal geschrieben: erst für die Zeitschriften, in denen sie zunächst erschienen, dann für die Buchausgabe seiner „Studien” und der „Bunten Steine”. Von der „Mappe meines Urgroßvaters” gibt es nicht weniger als drei Fassungen.
Man muss sich im alten Streit zwischen den Versionen gar nicht entscheiden, kann aber feststellen, dass der beginnende Stifterleser unbedingt mit den Erstfassungen anfangen sollte, also mit der jetzt vorliegenden Ausgabe. Denn die „Studien”, gar die großen, schwergängigen Romane „Nachsommer” und „Witiko” zeigen schon die spätere Manier, haben schon „einen Theil des schönen Dufts abgestreift”, der die frühen Geschichten auszeichnet; andererseits dokumentieren die letzten Erzählungen, die bis in die Nach-Witiko-Zeit reichen, auch die kühn verkarstete, rituell repetitive späteste Manier dieses Autors.
Wir notieren mit Erstaunen, dass es eines Stifter-Jahres bedarf, um eine Leseausgabe dieses für die deutsche Literatur so zentralen Textbestandes bereitzustellen: Erst er erlaubt es, das Drama von Stifters Entwicklung zu überblicken, ihm Schritt für Schritt nachzugehen. Stilistisch, erzähltechnisch führt dieser Weg von Jean Paul zum späten Goethe, vom Brio überschäumender, schwärmerischer, metaphernseliger Leidenschaft zum kühlen Entsagungston der „Wahlverwandtschaften” und der „Wanderjahre”. Die frühen Geschichten lassen immer den erlebenden Menschen sprechen, jubeln, klagen; die späten üben ein objektives Auge, das Wahrnehmung an Wahrnehmung reiht, die Dialoge oft kommentarlos in Folgen bringt, den Bereich des Unausgesprochenen immer weiter ausdehnt. Die eigentliche Errungenschaft Stifters wird erst im Nachvollzug dieser Entwicklung sichtbar: seine Handlungsarmut. Sie ist oft geradezu verhöhnt worden, etwa von Arno Schmidt. Ob es wohl ein Gewitter geben werde - das sei ein wesentlicher Inhalt des „Nachsommers”.
Die riskierte Modernität dieser Kunst ist jedoch offenkundig: das Erzählen im Tempo null, die Verräumlichung des Zeitmediums Sprache, eine niedrigtourige meditative Rhythmik, die den Akt des Lesens zu einem seelischen Exerzitium macht. Stifter war ein Augenmensch, aber vielleicht erfasst man seine Kompositionstechnik noch besser mit Musikvergleichen. Viele der reifen Werke Stifters fangen mit Landschaftsbeschreibungen an; daran knüpft sich die Darstellung naturhafter und sozialer Regelmäßigkeiten, also das Gegenteil von Ereignissen. Bevor überhaupt etwas geschieht, sind bei Stifter oft schon viele Jahre ins Land gezogen. Sein Erzählen setzt ein wie mit regelmäßigen, melodiearmen Figuren, man denke an ein Weben von Streichern. Erst langsam lösen sich daraus besondere Motive, so etwas wie eine Melodie - man stelle sich ein Horn vor. Dann erst beginnt, was Stifters eigentliches Vermögen ist: der methodisch-mähliche Aufbau einer Katastrophe, die sich entweder in langen krachenden Entladungen (sozusagen Brucknerschen Fortissimi) oder in den langgezogenen Pfeiftönen des Entsetzens realisiert, um am Ende beruhigtes, oft verheertes Gebiet zu hinterlassen.
Stifter muss eigentlich laut und immer am Stück gelesen werden. Dann teilt sich diese musikhafte Kunst auch körperlich mit, vor allem bei den Spätwerken. Die Unwetter im „Haidedorf”, in „Kalkstein” und „Katzensilber” sind berühmt, ebenso der Schneefall in „Bergkristall”, eine Katastrophe der Lautlosigkeit, die erst in der Buchfassung der „Bunten Steine” ihre Erklärung findet; da heißt es über das weihnachtliche Mitternachtsläuten, das nicht bis zu den verirrten Kindern ins Eis dringt, lakonisch: „Nur zu den Kindern herauf kam kein Laut, hier wurde nichts vernommen; denn hier war nichts zu verkündigen.” Dieser, die Gottesferne aussprechende Satz fehlt in der Journalfassung noch.
Wie eine Summe all dieser stilistischen, kompositorischen und seelischen Errungenschaften liest sich die letzte Stifter-Erzählung „Aus dem bairischen Walde”. Sie entstand als Ersatz für eine abgelehnte Novelle, „Der fromme Spruch” - übrigens eine durchaus ironische Kontrafaktur von Goethes „Mann von fünfzig Jahren”-, die das Gefallen eines Zeitschriftenredakteurs nicht zu finden vermochte. Eigentlich berichtet das dann gelieferte knappe Stück im autobiografischen Ton nur von einem Landaufenthalt des längst in Linz ansässigen Hofrats Stifter am Dreisesselberg. Seitenlang wird die Gegend zwischen Böhmerwald und Bayerischem Wald geschildert, ohne dass etwas passiert, außer dass ein Kuraufenthalt beginnt. Dann aber tritt eine der langsamen Stifter-Katastrophen ein, Schneefall, der die Wege abschneidet und den Erzähler von seiner aus Gesundheitsgründen vor ihm abgereisten Ehefrau trennt. Der weite Raum der farbigen Herbstlandschaft verengt sich klaustrophisch zum eingeschneiten Holzhaus. Der Fortgang des Berichts deutet einen schweren psychischen Zusammenbruch an, dessen reale Dimensionen der Kommentar von Matz andeutet. Der Schneefall ist über die Maßen schrecklich: „Das war kein Schneien wie sonst, kein Flockenwerfen, nicht eine einzige Flocke war zu sehen, sondern wie wenn Mehl von dem Himmel geleert würde, strömte weißer Fall nieder. . . und dieses Flimmern und Flirren und Wirbeln dauerte fort und fort und fort wie Stunde an Stunde verrann.” Da ist der Dauerpfeifton des Schreckens (man denke wiederum an Bruckner). Irgendwann geht der Schneefall vorüber, und die einander ängstlich entbehrenden Eheleute kommen wieder zusammen.
Jedoch zeigt sich, dass der Erzähler noch wochenlang jenes Schneeflirren nicht mehr los werden kann. Der Schock hat ihm eine Sehstörung eingetragen, eine Art von visuellem Tinnitus. Das erfahren wir in den letzten Sätzen; und wer an dieser Stelle nicht tief Luft holt, ist kein Leser: Darum also hatte der ja erst hinterher schreibende Erzähler so lang und breit die grünen Wälderweiten des Bayerischen Waldes geschildert! Er wollte seine unglücklichen Augen heilen, seinen Sehtinnitus wieder loswerden! Sein Schreiben war eine Genesung.
Eine so schlackenlos und unheimlich heile Welt kann nur malen, wer mit dem Unheil gründliche Bekanntschaft geschlossen hat. Das ist das einfache Geheimnis dieses großen, immer neu zu lesenden Schriftstellers. GUSTAV SEIBT
ADALBERT STIFTER: Sämtliche Erzählungen nach den Erstdrucken. Herausgegeben von Wolfgang Matz. Carl Hanser Verlag, München 2005. Zwei Bände, 1640 Seiten, 78 Euro. In einem Band seitengleich bei Dtv, 29,90 Euro.
WOLFGANG MATZ: Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge. Biographie. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 406 Seiten, 22,50 Euro.
Die Landschaftstotale gibt es schon in der Prosa Adalbert Stifters: Szene aus dem Film „Bergkristall” (2004) von Joseph Vilsmaier.
Foto: Concorde Filmverleih
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr