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Öffentliche Sparpolitik und vor allem die wachsende Ressourcenknappheit in den europäischen Städten und Gemeinden haben weitreichende Folgen für den urbanen Raum. Wo ein Mangel an regulären Planungsprozessen herrscht, entstehen Lücken und offene Räume, die eine spontane und informelle urbane Gestaltung ermöglichen: ein Provisorium, ein vorläufiger oder sinnvoller Ersatz für etwas Anderes, für etwas noch Fehlendes. Make_Shift City weitet den Begriff des Provisorischen auf urbane Gestaltungsstrategien aus. Dabei geht es um einen Zustand der Unsicherheit, um das Unbeständige, Unperfekte und…mehr

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Produktbeschreibung
Öffentliche Sparpolitik und vor allem die wachsende Ressourcenknappheit in den europäischen Städten und Gemeinden haben weitreichende Folgen für den urbanen Raum. Wo ein Mangel an regulären Planungsprozessen herrscht, entstehen Lücken und offene Räume, die eine spontane und informelle urbane Gestaltung ermöglichen: ein Provisorium, ein vorläufiger oder sinnvoller Ersatz für etwas Anderes, für etwas noch Fehlendes.
Make_Shift City weitet den Begriff des Provisorischen auf urbane Gestaltungsstrategien aus. Dabei geht es um einen Zustand der Unsicherheit, um das Unbeständige, Unperfekte und Unbestimmte, gleichzeitig aber um den gestalterischen Akt der Verschiebung bzw. Neuinterpretation als eine Form von urbanem Détournement . Daraus resultiert nicht selten ein Prozess des urbanen Commonings des
Gemeinschaffens: die Neuverhandlung gemeinsamer Räume und Ressourcen. Dieser Urbanismus der kleinen Taten ist Teil einer emanzipatorischen Praxis: ein Neudenken des städtischen Raumsund seiner (gesellschaftlichen) Möglichkeiten.
Autorenporträt
Ferguson, Francesca, born in 1967, based in Berlin, curator and initiator of urban drift, an international network for contemporary architecture and urban issues based in Berlin. In 2004 Francesca curated "Deutschlandscape - Epicentres at the Periphery" for the German Pavillon at the 9th Architecture Biennale of Venice. From Autumn 2006 she is curator of the swiss architecture museum in Basel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2014

Wir erobern jetzt unsere Städte zurück

Urbanes Gärtnern ist nur der erste Schritt: Zwei neue Bücher suchen Antworten auf die Herausforderungen zeitgenössischer Stadtplanung - und Bewohner, die sich um ihren Lebensraum kümmern.

In den Vereinigten Staaten erzählt man College-Abgängern mitunter eine Anekdote, um sie auf den Ernst des Lebens vorzubereiten: "Schwimmen zwei junge Fische daher und treffen auf einen älteren Fisch, der in die andere Richtung schwimmt, ihnen zunickt und sagt: ,Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?' Und die beiden jungen Fische schwimmen noch ein bisschen, bis der eine schließlich zum andern hinübersieht und sagt: ,Was zur Hölle ist Wasser?'" Dass das Selbstverständliche manchem gar nicht bewusst ist, mag als Erkenntnis nicht neu sein. Im Bereich des Urbanismus freilich kann sie gar nicht oft genug wiederholt werden.

Denn in kaum einem Metier scheint man so gern zu vergessen oder zu vernachlässigen, worin man sich bewegt. Hinzu kommt: Die unaufhörliche Dynamisierung unserer Welt lässt den Planungsbedarf zwar steigen, zugleich aber sinkt die Reichweite des Planbaren. Offenbar wird eine situative Spielart der Planung immer nötiger. Zwei Neuerscheinungen wollen diese These nun verifizieren. Die eine wurde von Francesca Ferguson herausgegeben, die sich einen Namen gemacht hat, als sie 2004 den nationalen Beitrag bei der Architekturbiennale in Venedig kuratierte und mit "Deutschlandschaften" auf eine griffige Formel brachte.

Der Titel "Make-Shift City" hingegen klingt eher sperrig. Gemeint ist damit das Unbeständige und Unbestimmte in den Städten, Lücken und Brüche, die eine spontane und informelle urbane Aneignung ermöglichen. Dahinter steht affirmative Absicht: Denn angesichts von Krise und Geldknappheit sei es "nötiger denn je, Planungen zu entwickeln, die sich von der ,normalen' Logik der Stadtentwicklung abwenden und die bisher üblichen stadtplanerischen Drehbücher zu Immobilien, Baukrediten, Arbeitskräften im Bauwesen und Wohnungsbau neu definieren" (Fran Tonkiss).

Unter dem Begriff "nomadisch grün" bekommt die Bewegung des Urban Gardening in dieser Argumentation einen prominenten Platz zugewiesen. Tatsächlich kann man die Prinzessinnengärten (Berlin) oder die AgroCité (Paris-Colombes) als Aufforderung zu einer neuen Lesart von Stadt sehen. Die in den letzten Jahren vielerorts entstandenen Gemeinschafts-, Kiez-, Nachbarschafts- und Interkulturellen Gärten zielen mit dem Grün als Medium zugleich auf die Stadt als Lebensraum und senden visuelle Vorstellungen von Urbanität, die das Auge zunächst irritieren. Der Gemüseanbau in ausgedienten Bäckerkisten und umgebauten Europaletten auf dem stillgelegten Berliner Flughafen Tempelhof, an der Hamburger Großen Freiheit in St. Pauli oder unter dem Münchener Olympiaturm hinterfragen unser Bild von der Res publica.

Angesprochen sind die Planer, aber auch die Stadtverwaltung, die man bei der Gestaltung des öffentlichen Raums darauf aufmerksam machen will, dass die Stadt kein Container für noch mehr Autobahnen und Shopping-Malls ist, sondern ein Lebensraum für alle. Mehr und mehr wird die Produktion von urbanen Räumen durch Strategien beeinflusst, die weniger um die Planungen der Kommune kreisen, sondern sich aus der Eigeninitiative zivilgesellschaftlicher Akteure heraus entwickeln. Diesen Prozessen ist inhärent, dass sie zunächst in einer Gegenposition zur offiziellen Stadtplanung stehen, in Leerräumen und Nischen operieren.

"Warten auf den Fluss" nennt die Gruppe Observatorium ihre achtunddreißig Meter lange Brücke im Niemandsland an der Emscher - ein Mittelding zwischen hölzerner Relax-Zone, bewohnbarer Skulptur und Aufwertung eines ehemaligen Industriekanals. Das Gebilde aus Baustellenbrettern versteht sich als eine Art Stoppschild für die arrivierte Stadtplanung: Es wendet sich gegen ein "Weiter-so", will stattdessen die Aufmerksamkeit auf die Vegetation und deren Aufenthaltsqualität lenken. Auch in Norwegen nimmt man auf neue Art den öffentlichen Raum ins Visier: Der Geopark in Stavanger (Helen & Hard) wirkt wie ein überdimensionierter Spielplatz, dessen bunte Elemente und Installationen einen brachliegenden Uferstreifen zum Hotspot umgestalten.

Mit dem partizipatorischen Reformprojekt "Die Baupiloten" ist die Architektin Susanne Hofmann in Berlin angetreten, um spartanische Flure und genormte Pausenhöfe von Schulen und Kindergärten radikal neu zu denken. Ihr Geschäftsmodell ist so einfach wie erfolgreich: mit dem gegebenen Etat für eine Umbaumaßnahme so zu haushalten, dass etwas übrig bleibt für unorthodoxe Verschönerungen. Die Basisbewegung Kinetisch Noord schließlich transformierte den alten Hafenspeicher und Teile des Werftgeländes der Firma NDSM in Amsterdam; sie schuf neben preiswerten Ateliers, Wohnungen und Veranstaltungsorten auch eine weltbekannte Skateparkhalle.

Viele der vorgestellten Beispiele veranschaulichen, dass Architektur weder ein bruchloses Anknüpfen an die Tradition ist noch das Ergebnis der Umstände ihrer Entstehung. Vielmehr offenbart sie sich als eine Praxis, die sich erst im Umgang mit Störungen erweist und bewährt. Dennoch wollen die Beispiele - und die begleitenden Aufsätze - weder zu einer kohärenten Theorie noch zu einer praktikablen Handlungsempfehlung zusammenwachsen. Dass das Provisorische eine zukunftsfähige Gestaltungsstrategie darstellt, ist mehr Behauptung denn Gewissheit; entscheidend sind die Umstände.

Mit nicht minder programmatischem Anspruch kommt auch der zweite Band daher. "Stadtstärken" - man meint den Imperativ förmlich zu spüren. Und tatsächlich geht es Jürg Sulzer, Emeritus für städtebaulichen Denkmalschutz an der Technischen Universität Dresden, um die Wertschätzung überlieferter baulicher Arrangements. Stadträumliche Strukturen, so die These, stellen stabile Qualitäten dar: Sie helfen, die Anfälligkeit in Krisen und Katastrophen gering zu halten; sie behindern oder verbauen andererseits nicht neue Entwicklungen. Es ist es alles andere als banal, diesen Erfahrungsfundus zu bewahren und zu ertüchtigen.

Weder scheinen die notwendige Dichte, der sparsame Umgang mit Ressourcen noch die Verständigung auf eine ganzheitlich Stadtbaugestaltung gesellschaftlich gewollt. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob Stadtentwicklung nicht etwas mit der Spieltheorie zu tun hat, der zufolge die Spieler sich entscheiden, ohne die einzelnen Gegebenheiten des Problems zu kennen, von denen einige bekannt sind, andere zufallsbedingt, wieder andere unbestimmbar. Zumal Urbanität, wie der renommierte Stadtsoziologe Hartmut Häußermann in einem hier postum veröffentlichten Vortrag argumentiert, "nicht das Ergebnis bewusster planerischer Entscheidung ist, sondern das Ergebnis einer Entwicklung, an der eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure, Interessen und Initiativen usw. beteiligt sind. In diesem vielschichtigen Prozess entsteht, wenn es gutgeht, ein urbaner Ort. Planung behindert solche Prozesse eher, als dass sie diese befördert."

Doch dieses Verdikt ist weniger vernichtend, als es klingt; durch den Kontext wird klar, dass keineswegs die Daseinsberechtigung von Planung in Zweifel gezogen wird. Will sie aber ihre Rolle als steuernde Instanz zurückerlangen, muss die Improvisation durch ein stabiles Konstrukt gestützt werden. Dabei kommt insbesondere der Frage, wie dabei bisher kaum beachtete soziale Qualitäten freigesetzt und für eine nachhaltige Konzeption der Stadt fruchtbar gemacht werden können, entscheidende Bedeutung zu.

Das wäre der Punkt, an der die Argumentation zweier Bücher, die ansonsten recht unterschiedlichen Denkmustern folgen, zusammenfließt. Stadt braucht eine baulich-räumliche Verständlichkeit, die korreliert mit Nutzungen und Beziehungen im täglichen Leben. Und so scheint die Autoren die Einsicht zu einen, dass Kultur vom Lateinischen "cultura" stammt - Sorge um etwas. Gestaltung ist nicht ästhetischer Selbstzweck, sondern Ausdruck des Umstandes, dass man sich kümmert.

ROBERT KALTENBRUNNER.

Francesca Ferguson, Urban Drift Projects (Hrsg.): "Make-Shift City". Jovis Verlag, Berlin 2014. 256 S., dt./engl., Abb., br., 32,- [Euro].

Jürg Sulzer (Hrsg.): "Stadtstärken". Die Robustheit des Städtischen. Jovis Verlag, Berlin 2014. 224 S., Abb., br., 29,80 [Euro].

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