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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2011

Rafa - des Rätsels Lösung

Im Tennis hat sich in den letzten Jahren nicht nur auf dem Platz das Tempo verschärft, sondern auch auf dem Buchmarkt. Während frühere Champions das Ende ihrer Profikarriere abwarteten, ehe sie auf Höhepunkte und Tiefschläge zurückblickten, hat es die heutige Generation eilig mit ihren Reflexionen. Die Aufmerksamkeit, die ihnen in der aktiven Zeit zuteil wird, wollen die Spieler bestmöglich nutzen - eine Unvollständigkeit nehmen sie oder ihre Autoren dabei in kauf. So war Roger Federer, als 2006 eine Biographie über ihn erschien, noch längst nicht Rekordsieger bei Grand-Slam-Turnieren. Als Serena Williams 2009 "My Story" veröffentlichte, ahnte sie noch nichts von ihrer folgenden Krankheitsgeschichte, die sie nahe ans Karriere-Ende brachte. Der Übereifrigste war Andy Murray, der im Alter von 21 Jahren seine Autobiographie "Hitting back" auf den Markt warf, ohne von einem großen Erfolg erzählen zu können.

Nun hat auch Rafael Nadal mit einem gedruckten Lebenswerk auf sich aufmerksam gemacht, und wie bei seinen Vorgängern, so ist auch "Rafa. My Story" bei Erscheinen schon überholt. Immerhin wird die Flüchtigkeit des Erfolgs im letzten Satz der Selbstbeschreibung, die mit dem US-Open-Sieg des Spaniers 2010 endet, dezent thematisiert: "Ich war, für diesen kurzen Moment, an der Weltspitze." Seit drei Monaten ist Nadal nur noch die Nummer zwei, hat in Novak Djokovic seinen Meister gefunden.

Dass das Buch, das gerade in englischer Sprache erschienen ist, trotzdem nicht überholt wirkt, liegt an den Einsichten, die es bietet, und der Form, die der englische Journalist John Carlin als Autor gewählt hat. Jedes Kapitel ist in zwei Abschnitte unterteilt: Zunächst erzählt Nadal in der Ich-Form von den Erfolgen, Krisen und Begegnungen seines Sportlerlebens, danach ergänzt Carlin das Beschriebene mit eigenen Beobachtungen und Recherchen. Der Wechsel zwischen Innen- und Außensicht, obwohl manchmal etwas erzwungen, trägt maßgeblich zur Lösung des ewigen Nadal-Rätsels bei: Wie gelingt es einem schüchternen, ängstlichen, oft an sich zweifelnden Familienmenschen wie "Rafa", auf dem Tennisplatz zu einem selbstbewussten und aggressiven Einzelkämpfer zu werden, dessen Ausstrahlung für seine Konkurrenten zum Fürchten ist? Oder, um Carlins Vergleich zu folgen: Wie wird Clark Kent zu Superman?

Des Rätsels Lösung: Ohne die Kraft seiner Familie und seiner Freunde wäre Nadal niemals der Champion geworden, den die Massen mögen. Die Stärke der Biographie liegt darin, diese engen Bande nicht zu verherrlichen, sondern sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Vor allem in der Beziehung zum Trainer-Onkel wimmelt es von Widerständen und Konflikten. Toni Nadals Drill hat Rafa zwar von klein auf stark gemacht, aber ihm auch oft die Reserven geraubt. Als der zehnmalige Grand-Slam-Turniersieger die unerbittlichen Methoden des Onkels in Frage stellt, kommt es 2010 fast zum Zerwürfnis.

Die Tugenden aber, die Toni seinem Neffen eingebleut hat, bewahrt Nadal bis heute: Demut und Durchhaltevermögen. Sie haben es ihm ermöglicht, Verletzungen und familiäre Probleme zu überstehen, sie haben ihn dazu befähigt, sich den größten Traum zu erfüllen: den Triumph von Wimbledon. Im Finale 2008, einem der besten Tennisspiele der Geschichte, muss Nadal erst sich selbst überwinden, um Federer zu schlagen. "Die Angst vor dem Gewinnen" ist auch für den großen Rafael Nadal ein ständiger Begleiter.

THOMAS KLEMM.

Rafael Nadal mit John Carlin: Rafa. My Story.

Little Brown Book Group, 300 Seiten, in englischer Sprache, etwa 20 Euro.

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