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Sofia heiratet Wladimir, und der Zar wünscht der Tochter seines Generals Glück. Aber das junge Mädchen liebt ihren Mann nicht: Mariage blanc, einziges Mittel, um im Ausland studieren zu können. Denn ohne Ehemann keinen Paß, ohne Paß keine Reisemöglichkeit.Sofia Kowalewskaja ist jedoch nur eine aus einer ganzen Schar junger Frauen, die Rußland ab Mitte des 19. Jahrhunderts verlassen, sich an Schweizer Universitäten oder in Paris einschreiben, sich politisch engagieren und von den alten gesellschaftlichen Strukturen emanzipieren. Ihr Ziel ist die radikale Veränderung der politischen und sozialen…mehr

Produktbeschreibung
Sofia heiratet Wladimir, und der Zar wünscht der Tochter seines Generals Glück. Aber das junge Mädchen liebt ihren Mann nicht: Mariage blanc, einziges Mittel, um im Ausland studieren zu können. Denn ohne Ehemann keinen Paß, ohne Paß keine Reisemöglichkeit.Sofia Kowalewskaja ist jedoch nur eine aus einer ganzen Schar junger Frauen, die Rußland ab Mitte des 19. Jahrhunderts verlassen, sich an Schweizer Universitäten oder in Paris einschreiben, sich politisch engagieren und von den alten gesellschaftlichen Strukturen emanzipieren. Ihr Ziel ist die radikale Veränderung der politischen und sozialen Verhältnisse Rußlands. "Der Wunsch, über die russischen Frauen zu schreiben entstand während meiner Arbeit an dem Roman über Sabina Spielrein", sagt Bärbel Reetz. Präzise recherchiert hat Bärbel Reetz auch die Lebensgeschichten der Frauen, die sie als "Lenins Schwestern" an die Seite des Mannes stellt, dessen Name wie kein anderer mit dem Umsturz in Rußland verbunden ist. Es sind Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Abenteurerinnen wie Marianne von Werefkin, Sofia Kowalewskaja, Alexandra Kollontai und Isabelle Eberhardt, Revolutionärinnen wie Vera Figner und Raissa Adler, Psychoanalytikerinnen wie Mira Gincburg. Lenins Schwestern erzählt von Frauen im Aufbruch, die sich für die großen utopischen Entwürfe ihrer Zeit - Sozialismus, Marxismus und Psychoanalyse - leidenschaftlich engagierten, von ihrem Gelingen und Scheitern in Zeiten dramatischer gesellschaftlicher Umbrüche.
Autorenporträt
Reetz, BärbelBärbel Reetz, geb. 1942, Studium der Germanistik und Anglistik lebt als Autorin und freie Journalistin in Berlin; ihre Arbeiten wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, u.a. 1994 Bettina-von-Arnim-Preis für die Erzählung Virginia oder die Gleichzeitigkeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2008

Alle Macht den Mädels

Er ist ein Zar, jagt ihn hier raus: Bärbel Reetz hat die Geschichten revolutionärer Russinnen zu einem Roman verknüpft. Besser wurde es unter Pascha Lenin nicht.

Dass jemand ein Nachschlagewerk in einen Roman verwandelt, kommt gewiss nicht oft vor. Schon deshalb nicht, weil es eine mühselige Aufgabe ist, unendlich viele Mitteilungen in einer Fabel unterzubringen. Die Schriftstellerin Bärbel Reetz hat es riskiert. Und prompt hat der Leser das Gefühl, im Strudel der Informationen zu versinken: Sehr überschaubar jedenfalls ist der Roman "Lenins Schwestern" nicht geraten.

Der Titel zielt nicht auf wirkliche Verwandte des Sowjetführers, sondern auf diverse Frauen, vornehmlich russischer Herkunft, die im neunzehnten und im beginnenden zwanzigsten Jahrhundert Ähnliches anstrebten wie Lenin. Das heißt, Ähnliches wie das, was er verlautbarte, denn Lenins Hang zur Diktatur kann man wohl keiner der Damen unterstellen. Schon auf den ersten Seiten wittert der Geschichtskundige das Verhängnis, das auf die humanitären Absichten der Protagonistinnen wartet, sobald Lenins Sache gesiegt hat: Sie werden erstickt von einer weitaus schlimmeren Gesellschaftsform, als es jene war, gegen die Lenins Schwestern sich aufgelehnt hatten.

So kommt es nun auch im Buch. Im Jahre 1873, in dem die Handlung einsetzt, scheint noch alles übersichtlich: ein böser Zar, ein unterdrücktes Volk, das besser leben wird, wenn es den Zaren abgeschafft hat. In den folgenden beiden Teilen des Romans, die mit den Jahreszahlen 1894 und 1906 datiert sind, ist das Leben zwar kaum anders als zuvor, aber die Hoffnung groß. Dann, im Jahre 1918, gibt es keinen Zaren mehr, aber immer noch ein bisschen Hoffnung. Im Jahre 1927 gibt es dann auch keinen Lenin mehr, dafür einen Stalin, und an Hoffnung erinnert nichts mehr, wenn die beiden letzten Kapitel die Zustände von 1939 und 1944 schildern.

Manch einem mag die Autorin damit vor allem als gestrenge Geschichtslehrerin erscheinen, die ständig wiederholt, was braven Schülern längst bekannt ist. Und doch erzählt Bärbel Reetz in erster Linie Frauenschicksale, und das sehr anmutig und einfühlsam. Sie weiß über jede der vorgestellten Personen genau Bescheid. Die benutzten Lehrbücher und Aufzeichnungen sind im Anhang genannt. Das ist nicht nur für jene Leser vorteilhaft, die möglichst viel über die Personnage und deren historische Wirklichkeiten erfahren wollen. Es rettet auch den Durchschnittsleser, wenn er unter der Überfülle von Namen zusammenbricht.

Denn dieses Buch entwickelt nicht nur eine Fabel, sondern bietet deren sieben, die zwar im Hinblick auf Lenin in gewisser Weise zusammenhängen, aber im Einzelnen doch stark divergieren. Und bei vielen der Damen versagt wohl auch das Allgemeinwissen. Gewiss, von Alexandra Kollontai haben wir schon gehört; von der Prinzessin Sayn-Wittgenstein, verheiratete Gräfin Razumowsky; von Rosa Luxemburg natürlich, auch von Nadeshda Krupskaja und einigen anderen. Nicht zu vergessen die Psychoanalytikerin Sabina Spielrein, die schon in einem früheren Buch der Autorin, im Roman "Die russische Patientin", eine Hauptrolle spielte.

Aber es gibt noch weit mehr Handlungsträgerinnen. Und eine jede muss wichtig genommen werden, schon deshalb, weil so verschiedene Facetten - die geschichtliche, die politische, die wissenschaftliche - einer Vergangenheit symbolisiert werden, die auch die unsere ist. Denn Russland hin oder her: Die tapferen Rebellinnen in diesem Buch agieren vorwiegend in Westeuropa, vor allem in der Schweiz und in Deutschland.

Die Autorin zieht uns immer wieder anmutig plaudernd in diese Leben hinein. Das fördert die Bereitschaft, sie trotz großen Gedächtnisaufwands zu begleiten. Leider stellt sie diese Bereitschaft oft auf die Probe durch zahlreiche sprachliche Modesünden, durch Ausdrücke wie "nachvollziehen", "anmieten", "zögerlich". Man kann vielleicht darüber streiten, ob "erinnern" ohne reflexives "sich" nach dem Vorbild des englischen "remember" in unserer Sprache ein Daseinsrecht hat, ob "stattgefundene Ereignisse" erlaubt sind oder Satzkonstruktionen wie: "Sie haben ihn geöffnet, war Emil sicher." Aber die vielen Schwestern Lenins, allesamt hochgebildete Absolventinnen renommierter Universitäten Westeuropas, haben gewiss nicht so lasch geredet.

SABINE BRANDT

Bärbel Reetz: "Lenins Schwestern". Roman.

Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2008. 271 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.09.2008

Mit und ohne Mann
Bärbel Reetz erzählt von „Lenins Schwestern”
„Lenins Schwestern” erzählt die Geschichten russischer Frauen, die man später Feministinnen genannt hätte. Das Buch beginnt in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts und endet 1944, als Alexandra Kollontai Botschafterin der Sowjetunion in Stockholm war. In einem Brief schreibt eine Protagonistin zur Zarenzeit auf, was auch als Programm des Buchs gelesen werden kann: „Erst die Befreiung der Bauern zeigte, dass die Frauen in keiner besseren Position waren als diese Abhängigen. Und seither ist unser großes Ziel: raus aus den alten autoritären Strukturen, die in unseren Familien und im Staat herrschen, Schluss mit Vorschriften und Verboten, mit der Bevormundung durch Väter, Brüder, Ehemänner. Keine Selbstaufopferung mehr, keine Selbstverleugnung, sondern Selbstbestimmung . . .”
Das Streben nach Selbstbestimmung hat Bärbel Reetz temporal durchdekliniert: Jedem Jahrzehnt zwischen 1874 und 1944 ist ein Kapitel gewidmet. Jedes hat seine eigene Protagonistin. Eine Frau promoviert in Deutschland in Mathematik, die nächste wäre gern eine erfolgreiche russische Terroristin. Manche gehen Scheinehen ein, weil sie Russland nur in der Obhut eines Ehemannes verlassen dürfen. Isabelle Eberhardt kommt vor, die um die Jahrhundertwende in Männerkleidern den Maghreb bereiste: „Noch scheitern Papas Utopien an den realen Machtverhältnissen”, lässt Bärbel Reetz die Siebzehnjährige in ihr Tagebuch schreiben, „ich kann den Traum der revolutionären Befreiung nicht mitträumen, muss mich selbst finden (. . .).” An backfischhaften Bekenntnissen herrscht in „Lenins Schwestern” kein Mangel.
Man fragt sich, ob die Frauen, deren Viten die Autorin aufgreift, auch in der Wirklichkeit so betont emotional waren, wie sie hier geschildert werden. Die Autorin hat sich bei der Recherche der historischen Hintergründe viel Mühe gegeben. Deren Darstellung ist indes oftmals etwas hölzern. Weil Bärbel Reetz zudem Verben für entbehrlich hält, haben ihre Erläuterungen vielfach den stilistischen Reiz einer Vorlesungsmitschrift. Das liest sich zum Beispiel so: „Überfall der Japaner auf Port Arthur. Provokation. Der Zar erklärt den Krieg, aber er hat seine Armee überschätzt. Niederlage bei Mukden im Januar 1905, Vernichtung der russischen Flotte bei Tsushima. Und weil die Zeitungen schreien, dass die im internationalen Bankgeschäft tätigen europäischen und amerikanischen Juden Japan mit Kriegsanleihen unterstützen, wächst der Hass in der Bevölkerung, führt zu Pöbeleien und Plünderungen jüdischer Geschäfte, zu Strafaktionen gegen jüdische Soldaten, Zwangsrekrutierungen, Folterungen. Endlich der Friedensschluss: Räumung der Mandschurei . . .” – und so weiter.
Die Sorgfalt, mit der Bärbel Reetz recherchiert hat, kommt Lesern zugute, die sich für das Ende des Zarenreichs und die Revolution interessiert. Feministinnen, die in der Geschichte nach Gefährtinnen im Geiste suchen, werden in „Lenins Schwestern” fündig werden. FRANKZISKA AUGSTEIN
BÄRBEL REETZ: Lenins Schwestern. Roman. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 271 Seiten, 19,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Alle Achtung! Aus einem Nachschlagewerk einen Roman zu zaubern, das verdient immerhin Respekt, findet Sabine Brandt. Zumal Bärbel Reetz, wie die Rezensentin erklärt, ihre Sache "sehr anmutig" angeht. Dass sich das Buch nicht als Geschichtswerk, sondern als in mehreren Fabeln ausgebreitete Sammlung von Frauenschicksalen mit historischer Grundierung (und entsprechendem Anhang) erleben lässt, nimmt die Rezensentin mit Erleichterung zur Kenntnis. Der für die Lektüre noch immer nötige "Gedächtnisaufwand" scheint ihr der Sache wert, zumal es nicht bloß um Russland geht, um rebellische Frauen wie Rosa Luxemburg und die Gräfin Razumowsky, sondern um eine Vergangenheit, die "auch die unsere" ist.

© Perlentaucher Medien GmbH