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Dieser Band versammelt einundzwanzig ironisch-hintergründige Geschichten, moderne Märchen und unaufdringliche Parabeln. Widmer zieht Traumpfade durch Kultur und Unkultur, auf der Suche nach unserer Geschichte. Zum Epochensprung ruft Widmer in Erinnerung, dass die Welt einmal schön war.

Produktbeschreibung
Dieser Band versammelt einundzwanzig ironisch-hintergründige Geschichten, moderne Märchen und unaufdringliche Parabeln. Widmer zieht Traumpfade durch Kultur und Unkultur, auf der Suche nach unserer Geschichte. Zum Epochensprung ruft Widmer in Erinnerung, dass die Welt einmal schön war.
Autorenporträt
Urs Widmer, geboren 1938 in Basel, studierte Germanistik, Romanistik und Geschichte in Basel, Montpellier und Paris. 1966 promovierte er mit einer Arbeit über die deutsche Nachkriegsprosa. Danach arbeitete er als Verlagslektor im Walter Verlag, Olten, und im Suhrkamp Verlag, Frankfurt. Heute lebt und arbeitet Urs Widmer als Schriftsteller in Zürich. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.1999

Gärtchen Eden
Die Erlösung der Menschheit aus Urs Widmers Hut

Ein großräumig ausgreifender Erzähler ist der Schweizer Urs Widmer nicht. Seine Romane fassen sich kurz. Die Geschichten, die er jetzt unter dem Titel "Vor uns die Sintflut" versammelt hat, gehen selten über fünf, sechs Seiten hinaus. Kurzgeschichten sind es darum nicht, keine "snapshots of life"; sie zielen nicht aufs Detail, auf Krisis und Wendung eines Lebens, sondern gehen immer aufs Ganze.

Das wird zusammengedrängt auf engstem Raum, so daß die Erzählung schnell parabelhafte Züge annimmt. Andere Lehn- und Leihformen sind Märchen, Skizze, Mythos, Groteske: Miniaturen mit Maximalinhalten. Gott geht in diesen Geschichten ein und aus und herum, einmal etwa in einem verschlissenen Mantel aus Armeebeständen und mit Regenschirm. Er wohnt im Gotthard (was zeigt, daß Widmer auch den Kalauer nicht verschmäht) und ist eigentlich nur des Herrgotts Bruder: "Mein Bruder hat alles außen. Ich alles innen." Innen, im Gotthard-Massiv, ist es paradiesisch schön - und noch Platz vorhanden: "In Eden sind wir nicht viele." Sagt's und verschwindet, ohne die Zeche zu bezahlen.

Der Tonfall, den Widmer anschlägt, hat manchmal eine gewollte Hübschheit und Verspieltheit. Das gibt den Geschichten zuweilen etwas Puppenhaftes, und wie in Rossinis ernsten Opern will das Hüpfen und Tänzeln nicht zu den Dingen passen, die da verhandelt werden: daß es um die Schöpfung (Widmer verschmäht auch solche Wörter nicht) schlecht steht, daß der Mensch sich ruiniert hat und eigentlich abtreten sollte. Weil Widmer aber kein Prediger, sondern ein Erzähler ist, erzählt er, wie es ist, wenn der Mensch schon abgetreten ist. "Nach allen Kriegen", so heißt das letzte Stück der Sammlung, haben nur zwei Exemplare der mißratenen Spezies homo sapiens die Umwelt- und Selbstzerstörung überlebt, und die - ein John Mills und ein Hansueli Äschlimann - erledigen sich in einem finalen Duell gegenseitig. Die Erde kann aufatmen - und, ausgehend von einem tibetischen Bergstamm, den Widmer aus dem Hut gezaubert hat, langsam wieder Menschen aufnehmen.

Ja, die Menschen: Denen gelten der gewaltige Zorn und die ganze hilflose Zuneigung des Autors. Andere als paradoxe Gefühle sind für sie nicht vorstellbar. Deshalb kippen die Geschichten auch immer wieder um ihre eigene Achse, und deshalb leisten Thema und Tonfall einander permanent Widerstand. Die ganze Welt preßt Widmer in seine Nußschalen oder auch nur, was wir uns in unseren klischeeverstopften Hirnen davon vorstellen: Alle Kaukasier sind uralt, die Chinesen grausam ("An allen Straßenecken wurde geköpft, daß es eine Art hatte") und die Schweizer - nun, das ist ein eigenes Kapitel.

Die vorletzte und schönste Geschichte der Sammlung gilt ihnen, den Landsleuten. Sie heißt "Wir sind das Volk" und bringt Verdichtung und Miniaturisierung zum Höhepunkt: Jeder Schweizer eine Geschichte, jede Geschichte ein Satz. Das hält der Autor nur bis Nummer achtundfünfzig aus, nicht, weil ihm die Puste ausgeht, sondern weil jetzt endlich der Stoff die Form sprengt. Die Sätze entfalten ihre inneren Widersprüche, und aus der Aufzählung entspringen lauter Protogeschichten. Etwa diese: "Einer will die Eigernordwand ganz allein durchklettern, obwohl ihm alle, der Wetterprognose wegen, abraten. Er stürzt ins Seil und wird in einem Einsatz bei Nacht und Sturm von den Bergführern, die ihn gewarnt haben, gerettet. Er fährt nach Hause und reicht Klage gegen sie ein, weil sie ihn unsachgemäß abgeseilt und dabei seine Ausrüstung erheblich beschädigt hätten." Auf diese Weise könnte Widmer eine ganze Schweiz erzählen. Oder, noch besser: neu erfinden. MARTIN EBEL

Urs Widmer: "Vor uns die Sintflut". Geschichten. Diogenes Verlag, Zürich 1998. 160 S., geb., 32,- DM.

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»Die Welt des Schweizer Schriftstellers Urs Widmer war voller absurder Komik und bizarrer Weltuntergänge.« Michael Krüger / Die Zeit, Hamburg Michael Krüger / Die Zeit Die Zeit