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Heinrich Hoffmann vermied eigentlich Geldgeschenke. Wenn er sich dennoch dazu genötigt sah, ließ sich der Schöpfer des Struwwelpeter etwas Herzliches, etwas Persönliches dazu einfallen: Auf Zeichenkarton malte er phantasievolle Bilder, meist Parodien oder Karikaturen zur Zeitgeschichte und zu Familienereignissen, und versah sie mit humoristischen Versen und Überschriften sowie mit "Golddukaten", die er in die Darstellung einfügte und die man herauslösen konnte. Zu seinem 200. Geburtstag werden die höchst amüsanten "Dukatenbilder" zum erstenmal vollständig und mit den zugehörigen Texten…mehr

Produktbeschreibung
Heinrich Hoffmann vermied eigentlich Geldgeschenke. Wenn er sich dennoch dazu genötigt sah, ließ sich der Schöpfer des Struwwelpeter etwas Herzliches, etwas Persönliches dazu einfallen: Auf Zeichenkarton malte er phantasievolle Bilder, meist Parodien oder Karikaturen zur Zeitgeschichte und zu Familienereignissen, und versah sie mit humoristischen Versen und Überschriften sowie mit "Golddukaten", die er in die Darstellung einfügte und die man herauslösen konnte. Zu seinem 200. Geburtstag werden die höchst amüsanten "Dukatenbilder" zum erstenmal vollständig und mit den zugehörigen Texten Hoffmanns in Buchform herausgegeben und mit Erklärungen der historischen wie privaten Anspielungen versehen.
Autorenporträt
Hoffmann, HeinrichHeinrich Hoffmann, geboren 1809 in Frankfurt am Main, studierte Medizin in Heidelberg und Halle. Später arbeitete er in verschiedenen Frankfurter Kliniken, u.a. einer Klinik für Mittellose. Seit 1842 verfasste Hoffmann Theaterstücke, Gedichte und Kinderbücher. Bekanntheit erlangte er mit dem Struwwelpeter, für das er die Bilder eigens gemalt hatte. Heinrich Hoffmann verstarb 1894 in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2009

Anführer des Narrenhauses

Alles, bloß kein guter Pädagoge sein! Heinrich Hoffmann, auch bekannt als Heulalius von Heulenburg, Reimerich Kinderlieb oder einfach als Vater des "Struwwelpeter", ist noch immer zeitgemäß.

Von Alexander Kosenina

Jedes Kind kennt den langhaarigen Kerl, kaum jemand aber dessen Schöpfer: Heinrich Hoffmann, der Zeichner und Dichter des "Struwwelpeter", wurde am 13. Juni 1809 in der Frankfurter Sauallee, der heutigen Großen Bockenheimer Straße, geboren. Im Hauptberuf war er Arzt, Anatomielehrer und Psychiater, im Nebenamt Anhänger der Revolution von 1848, politischer Satiriker und Vorkämpfer für eine demokratische Verfassung in der Frankfurter Paulskirche. Seine größte Passion galt aber seinen Kindern und Enkeln - ihr folgte er als zeichnender und dichtender Schalk unter Pseudonymen wie Reimerich Kinderlieb oder Heulalius von Heulenburg. "Der Struwwelpeter oder lustige Geschichten und drollige Bilder" ist lediglich sein bekanntestes Werk, das seit der ersten Ausgabe von 1845 einen beispiellosen Siegeszug um die Welt antrat und dessen fester Platz im Kanon jetzt mit der Aufnahme in Reclams Universalbibliothek bestätigt wird.

Erstaunlich ist das in mehrfacher Hinsicht, erscheint dieses Bilderbuch doch als rätselhaftes Unding: Es erheitert und vergnügt Kinder gegen alle Regeln klügelnder Psychologie und Pädagogik (welch ein Triumph!), es verliert gegen jede Medienkonkurrenz und Mode seit hundertfünfzig Jahren nichts von seiner magischen Anziehungskraft, ist zugleich aber von frappierendem Dilettantismus. Der Charakterisierung durch den Herausgeber Peter von Matt als schlichte "Sonntagszeichnerei und Sonntagsreimerei" kann man kaum widersprechen. Und doch - oder vielleicht gerade deshalb? - ist der Erfolg überwältigend.

Die Pointe: Hoffmann will über die vielen Auflagen hinweg nichts glätten, bessern, perfektionieren, das Büchlein soll so roh und unvollkommen fortbestehen, wie er es einst in Ermangelung geeigneter Kinderliteratur zum Hausgebrauch für seinen Sohn gezeichnet hat. Lediglich die Titelfigur modifizierte er über mehrere Stufen bis zum endgültigen Afrolook und entsprach dem einhelligen Votum der Kinder, als er den Strubbelkopf ab der dritten Auflage von der letzten Seite an den Anfang und auf den Einband rückte.

Völlig unbeabsichtigt war so die ursprüngliche Nebenfigur zum mythischen Antihelden, zum Rebellen gegen jede Disziplin und Ordnung, gegen alle Lehrer und Erzieher geworden: Struwwelpeter, der selbst ganz ohne Geschichte bleibt, hat sich als Anführer des Daumenlutschers und Suppen-Kaspars, des bösen Friederich und des zündelnden Paulinchen, des Zappel-Philipp und des Hanns Guck-in-die-Luft ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Kaum eine kindliche Begegnung ist unvergesslicher, und auch Verse wie "Und die Mutter blicket stumm / Auf dem ganzen Tisch herum" wird man wohl nie wieder los. Psychoanalytiker, die den Text schon früh und mit verbissener Ausdauer für sich entdeckten, werden nicht müde, davor zu warnen.

Die etwas grausamen, oft fatal endenden Geschichten von aufsässigen Kindern, deren Daumen abgeschnitten, die zur Strafe ins Tintenfass getunkt werden, durch Kostverweigerung oder Stubenfeuer sterben, reaktivieren - so meinen Freuds Adepten - unbewusste Phantasien. Der ironischen und sarkastischen Übertreibung seien Kinder aber noch gar nicht gewachsen. Das ist hinzunehmen, zumal jeder Einspruch aussichtslos wäre, basiert die Psychoanalyse doch auf der Prämisse, immer recht zu behalten. Hoffmanns höchst erfolgreiches Rezept, dessen dosierte Anwendung Eltern selbst verantworten müssen, besteht indes im Kampf kindlichen Übermuts mit erzieherischen Sanktionen.

Tatsächlich liegt auch für Kinder der Reiz des "Struwwelpeter" im Spiel mit Abschreckung und Gefahr, im Kontrast zwischen den braven Langweilern auf dem so gern übergangenen Titelblatt und den darauf folgenden kecken Regelverletzern. Manche, wie "Der fliegende Robert", suchen eigene Wege in ihre Wunschwelten. Hans Magnus Enzensberger lässt in seinem gleichnamigen Gedicht diesen modernen Ikarus, der mit seinem Regenschirm einfach entschwebt, gegen den Vorwurf des Eskapismus antreten: "Was denn sonst, antworte ich, bei diesem Sauwetter!" Enzensberger wittert darin Subversives: "Hoffmann tut so, als wäre er dieser gute Pädagoge, in Wirklichkeit aber sympathisiert er natürlich mit dem Fliegenden Robert."

Aufschlussreich ist, wie Hoffmann zu seinen Bildgeschichten fand. Als Arzt beruhigte er zeternde kindliche Patienten mit spontan gezeichneten Comics dieser Art. Wenn die kleinen Teufel unter dem Zeichenstift allmählich ihresgleichen hervortreten sahen, verwandelte sich ihre Rebellion in Neugierde und Interesse. Während Hoffmans Tätigkeit als öffentlicher Lehrer in der Senckenbergischen Anatomie am Eschenheimer Tor, wo er Chirurgiegehilfen ebenso wie interessierten Bürgern und Primanern Einblicke ins menschliche Innere eröffnete, bestand dazu jedoch kaum Gelegenheit. Das änderte sich von 1851 an mit seinem Eintritt als Arzt in die "Anstalt für Irre und Epileptische", die 1861 unter seiner Leitung gründlich modernisiert auf dem "Affenstein" neu eröffnet wurde. Hoffmanns Aufgabe begleitete eine stattliche Zahl von "Schriften zur Psychiatrie" (Insel Verlag, 1990), die "Beobachtungen und Erfahrungen" ebenso versammeln wie programmatische Äußerungen zum reformierten Anstaltswesen. Als Hoffmann zum achtzigsten Geburtstag Glückwünsche aus aller Welt erreichten, war auch ein Brief aus Schottland dabei: "An Dr. Hoffmann / Anführer des Narrenhauses" stand auf dem Umschlag. Die Absenderin hatte den Titel "Head of an Asylum" offenbar der Zeitung entnommen und mit Hilfe eines Wörterbuchs etwas ungelenk übersetzt. Während diese Fachschriften nur noch von psychiatriegeschichtlichem Interesse sind, lohnt sich vor allem ein Blick in die gesammelten "Humoristischen Studien und Satiren" sowie "Gedichte, Zeichnungen und Karikaturen" (Insel Verlag, 1986 und 1987). Politische Karikaturen der 1848 gescheiterten "Volksschranzen" im "Handbüchlein für Wühler" oder "Der Heulerspiegel" finden sich da neben verdauungsfördernden "Stomachica für tafelnde Ärzte" oder Spötteleien auf das "pudelnärrisch Treiben" des Frankfurter Weltverächters Schopenhauer, der es sich bei Tisch gleichwohl schmecken lässt. Unterdes bewirbt sich im fiktiven "Badeort Salzloch" der Fürstlich Schnackenbergische Medizinalrat Polykarpus Gastfenger um die Stelle von Jean Pauls Dr. Katzenberger. Und die Kinderbücher "König Nußknacker" und "Bastian der Faulpelz" treten dem "Struwwelpeter" an die Seite.

Doktor Hoffmann begleitet derweil seine Familie auf Schritt und Tritt mit dem Skizzenblock. Um lustige Einfälle ist er nie verlegen, eine Selbstkarikatur mag da getrost das Gegenteil behaupten: "Es sitzt hier der Papa: ganz blaß, / Soll zeichnen, aber weiß nicht was, / Und in der großen Not, o schaut, / Er gar an seinem Nagel kaut -". Besonders amüsant sind die jetzt erstmals geschlossen erschienenen "Dukatenbilder", farbig illustrierte Geschenkkarten für Angehörige. Köpfe, Sonnen, Kanonenkugeln oder Bälle waren mit Golddukaten beklebt und wurden nach deren Ablösung ausgemalt. Der Gerechtigkeitssinn des passionierten Frankfurter Arztes, der auch den "Struwwelpeter" prägt, zeigt prägnant der Sonntagsspaziergang der "Familie Goldprotz": Papa und Mama stolzieren voraus, die "lieben kleinen Prötzlein" hinterher, am Schluss der Prozession folgen drei "böse Betteljungen". Ihre Gesichter beklebt Hoffmann mit Kupferpfennigen und lässt sie höhnen: "Das Gold wird Kupfer werden, / Der Hochmuth kommt zu Fall; / So geht es zu auf Erden, / Das Gold wird schnelle all'!"

Heinrich Hoffmann: "Der Struwwelpeter oder lustige Geschichten und drollige Bilder". Nach der Druckfassung von 1859 unter Berücksichtigung der Handschriften. Hrsg. von Peter von Matt. Reclam Verlag, Stuttgart 2009. 78 S., br., 3,60 [Euro].

Heinrich Hoffmann: "Dukatenbilder". Hrsg. von Marion Herzog-Hoinkis und Rainer Hessenberg. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009. 64 S., geb.,12,80 [Euro].

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»Ein schönes Büchlein, das belegt, wie einfallsreich und politisch wach der Irrenarzt aus Frankfurt war.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.06.2009