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Sophie und Otto sind ein wohlhabendes, kinderloses New Yorker Ehepaar, deren Leben nahezu perfekt erscheint. Doch ein so banales Ereignis wie der Biss einer streunenden Katze offenbart die Zerbrechlichkeit dieser Idylle. Die Autorin behandelt Themen wie Selbstbetrug, Liebe, Angst und Scham eindrucksvoll und realistisch. In Amerika, wo der Roman bereits 1970 erschien, gilt "Desperate Characters" bereits als moderner Klassiker.

Produktbeschreibung
Sophie und Otto sind ein wohlhabendes, kinderloses New Yorker Ehepaar, deren Leben nahezu perfekt erscheint. Doch ein so banales Ereignis wie der Biss einer streunenden Katze offenbart die Zerbrechlichkeit dieser Idylle.
Die Autorin behandelt Themen wie Selbstbetrug, Liebe, Angst und Scham eindrucksvoll und realistisch. In Amerika, wo der Roman bereits 1970 erschien, gilt "Desperate Characters" bereits als moderner Klassiker.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2000

Ein Fall von Emergenz
Paula Fox beobachtet die Krise des Ehepaars Bentwood
Sophie und Otto Bentwood sind ein wohlhabendes, seit fünfzehn Jahren verheiratetes Paar. Sie arbeitet in der Kulturindustrie (Drehbücher, Übersetzungen etc. ), er betreibt, zusammen mit einem Kollegen, ein erfolgreiches Anwaltsbüro. Die beiden sind kinderlos und wohnen in einem schmucken Häuschen in Brooklyn. Ihr Eheleben ist im großen und ganzen bekömmlich; kleine Nickeligkeiten bleiben ohne Nachwirkungen. Zuweilen glaubt er, er sei ein bisschen realitätstüchtiger als sie, dann macht er ihr entsprechende Vorhaltungen: „Leute wie du . . . stur und dumm und durch Selbstbeobachtung . . . versklavt”. Derlei Vorwürfe sind nicht gerechtfertigt. Denn obwohl das Paar abgeschottet lebt, entgeht beiden nicht, dass ihnen die Zeichen des zivilisatorischen Niedergangs (Slums, Abfälle, Lärm, Perversionen, Gewalt) von Woche zu Woche näher rücken. Immer öfter haben sie Anlass, sich gegenseitig zu fragen: „Weißt du nicht, dass dieses Land vor die Hunde geht?”
Eines Abends wird Sophie beim Versuch, einer wild lebenden Katze ein Schälchen Milch hinzustellen, von dem Tier gebissen. Der Schmerz ist erheblich, die Schwellung der Hand ebenfalls. Sophie nimmt den Biss zunächst auf die leichte Schulter. „Ich renne doch nicht wegen einer so dummen Sache ins Krankenhaus. ” Doch danach geht dem Paar der Alltag nicht mehr so leicht von der Hand wie zuvor.
Das Ende einer Lebens-Fiktion
Eine Häufung von unerheblichen, aber doch wirkungsvollen Missgeschicken macht ihnen zu schaffen. Zum Beispiel verlässt gerade jetzt Ottos Kompagnon die gemeinsame Kanzlei. Ein Schwarzer aus dem Viertel bettelt eine Spur zu bedrohlich und löst damit eine veränderte Einschätzung der Nachbarschaft aus. Ein (zunächst) Unbekannter, ein „amerikanischer Idiot”, ruft Sophie nachts an und atmet durchs Telefon. Sie erinnert sich an einen lang zurückliegenden Seitensprung, aber die Erinnerung fällt zu stark aus und verwandelt sich in eine Störung. Dazwischen immer wieder die Frage: Was ist, wenn die Katze die Tollwut hat? Otto drängt Sophie, sich behandeln zu lassen, sie will nicht. Dann entdecken die beiden einen Einbruch in ihr Ferienhaus ein paar Kilometer außerhalb von New York. Viel beklemmender als der Einbruch ist das Wiedersehen mit dem Hausmeister, der die Schäden zwar repariert, dabei aber zeigt, was für ein gemütlicher Barbar er inzwischen geworden ist.
Soll der Biss einer Katze daran schuld sein, dass die Lebensroutine der Bentwoods aus dem Gleis gesprungen ist? Es ist klar, dass die einzelnen Zwischenfälle nicht untereinander (wie undurchschaubar auch immer) verknüpft sind. „Nichts steckt hinter irgend etwas. ” Es ist aber ebenso klar, und zwar den Bentwoods so gut wie den Romanlesern, dass das eine Ereignis (zum Beispiel die Erinnerung an den Seitensprung) die anderen Ereignisse (zum Beispiel die anonymen Anrufe) in der Wirkung verstärken und dass alle Vorgänge ihr Zentrum in dem Katzenbiss haben. Es handelt sich um einen Fall von Emergenz, wie er im Lehrbuch steht: Ereignis A und Ereignis B bringen gemeinsam das nicht vorhersehbare Ereignis C hervor, das sich dann auch noch zum Hauptereignis entwickelt. Das Hauptereignis ist die retrospektive Enthüllung, dass die Bentwoods durch die Fiktion einer stillschweigend unscheinbaren Lebensweise haben erreichen wollen, dass ihnen Schicksalsmächte jeglicher Couleur nicht ins Leben pfuschen.
Nun genügt ein Katzenbiss, und das Gleichgewicht ist perdu. Die unheimliche Serie geht erst zu Ende, als Sophie endlich ins Krankenhaus geht und sich behandeln lässt. Dabei macht sie die Bekanntschaft mit einem niederschmetternden Ambiente und einem ebenso niederschmetternden Krankenpfleger, so dass sich die hellhörig gewordene Sophie sogleich fragen muss: Geht die Serie von neuem los? Nein, das tut sie nicht; nur die Idee der Harmlosigkeit aller Realität ist ein für allemal dahin. Otto wirft auf der letzten Seite des Romans ein Tintenfass gegen die Wand. Es ist ein sinnloser Akt, der sich gegen die Unverstehbarkeit richtet, obgleich er dieser Unverstehbarkeit zum ersten Mal Kontur gibt.
Erstaunlich ist, dass die ganze Geschichte ohne den üblichen Roman-Klimbim erzählt wird, an den wir uns nachgerade schon gewöhnt haben. Die 1923 in New York geborene Paula Fox schreibt, als hätte sie schon immer gewusst, wie albern es ist, einen Roman mit special effects aufbrezeln zu wollen. Es gibt keine Tändelei mit ästhetisierter Gewalt, es gibt keine Handlungsphasen, die eine künstliche Verrätselung des Textes herstellen sollen, es gibt keine einzige Sex-Szene, es gibt nicht einmal konventionelle „Spannung”. Die einzige Art von Spannung, auf die wir auf fast jeder Seite stoßen, geht aus der Unentschiedenheit der Details hervor. Deswegen gehört es zur Selbstsicherheit der Autorin, dass sie für ihren Roman den Musterkoffer der Moderne nicht hat öffnen müssen. Sie erzählt ihren Text linear; eingebaut sind ein paar Rückblenden – das ist schon der ganze Aufwand an dramaturgischer Raffinesse. Man muss diese Kargheit natürlich positiv wenden: Die Sprachkraft der Autorin ist so eminent, dass sich bloß technische Mätzchen von selbst erübrigt haben.
WILHELM GENAZINO
 
PAULA FOX: Was am Ende bleibt. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Sylvia Höfer. C. H. Beck Verlag, München 2000. 202 Seiten, 38 Mark.
Paula Fox
Foto: Jerry Bauer
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