Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 6,07 €
Produktdetails
  • Anzahl: 1 Audio CD
  • Erscheinungstermin: 3. November 2003
  • Hersteller: ROUGH TRADE / Pias,
  • EAN: 5030688100063
  • Artikelnr.: 20167880
Trackliste
CD
1Refugee00:03:37
2Yesterday's Mistakes00:04:40
3Od Yeshoma00:04:54
4A Csitíri Hegyek Alatt00:04:14
5Ladino Song00:04:12
67 Brothers00:04:33
7D'ror Yikra00:05:57
8Gypsy00:04:46
9Hora00:03:57
10Pagamenska00:12:08
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2003

Am schönsten singen unsere Gäste
Vergeßt die Klezmer-Nostalgiker: "Oi Va Voi" stellen die Weltmusik vom Kopf auf die Füße

"Wie nennt ihr euch? ,Oi Va Voi'?" Der gutmütige Spott ist Majer Bogdanski deutlich anzumerken. Der neunzigjährige legendäre Sänger und Sammler jiddischer Lieder trägt zum Debüt der jungen Londoner Band "Oi Va Voi" bei, indem er auf deren Platte gastiert und mit altersmilder Stimme erzählt: von jüdischen Festen, von Geburt, Bar-Mizwah und Hochzeit und von den Tränen, die bei all diesen Gelegenheiten fließen müssen, weil es sonst keine richtige Feier sei. Unterlegt sind seine Worte mit einem leichten Fluß aus Klavier, Geige und Klarinette, der sich zurückhaltend der Sprecherstimme anschmiegt, ohne dabei nur Begleitung zu sein. Noch in diesem diskreten Klang blitzt die Klasse der Musiker auf, deren Band zu den interessantesten Gruppen jenseits des britischen Mainstream gehört.

Bereits vor der Veröffentlichung ihres Debüts wurden "Oi Va Voi" für ihre Lieder vielfach in Wettbewerben und Umfragen ausgezeichnet, ihre Auftritte sind umjubelt, ihr musikalisches Potential wird seit langem geschätzt. In der Stimme ihres Gastes schwingt neben Gutmütigkeit und Spott denn auch ein drittes mit: Respekt.

"Oi Va Voi" sind ein Sextett aus jungen Londoner Musikern, deren Hintergrund eine fruchtbare Mischung aus osteuropäischem Emigrantentum, traditioneller Musik der unterschiedlichsten Regionen und den Rhythmen der Clubszene ist. Wer es sich leichtmachen will, beschreibt ihren Stil als Fusion aus Klezmer und House und übersieht damit das Wesentliche: daß die Band um den Trompeter Lemez Lovas und die Geigerin Sophie Solomon (die sich in Oxford in einem Russisch-Kurs kennenlernten) zum einen neben Klezmer-Elementen eben auch armenische, ungarische oder usbekische, sephardische oder jemenitische Musik neben vielen anderen Einflüssen als Anregung für die eigene Arbeit benutzt; und daß sie das alles zweitens niemals bloß übernehmen, sondern jede Phrase und jeden Rhythmus einem Prozeß unterwerfen, an dessen Ende ein Track steht, den man nur mühsam einer einzigen Traditionslinie zuordnen könnte. Mit jener Scheinblüte, die Klezmer-Musik derzeit in einigen osteuropäischen Metropolen erlebt, haben "Oi Va Voi" jedenfalls nichts zu tun.

Ihre CD "Laughter Through Tears" bietet statt dessen das faszinierende Bild einer Band, die sich ihrer Stilmittel erkennbar sehr sicher ist und auf dieser Grundlage aufs schönste damit experimentiert. Da sind eingängige Lieder wie "Refugee" oder "Yesterday's Mistakes", deren kraftvoll traurige Melodiebögen man nach dem Hören tagelang mit sich herumträgt; da sind bläserlastige Stücke wie das rätselhafte "Gypsy" oder das über einem Herzschlagrhythmus aufgebaute "Hora", das sich vielleicht am meisten von musikalischen Traditionen löst. Gemeinsam ist den Liedern dieser Platte noch am ehesten die bestimmende Rolle, die die Rhythmusgruppe mit Leo Bryant am Baß und Josh Breslaws Drums einnimmt. Sie unterlaufen lustvoll jeden Versuch von Klarinette, Geige oder der einen oder anderen Stimme, einen Hauch von Pathos in die Lieder zu tragen; sie sorgen dafür, daß jedes Stück tanzbar bleibt, ohne sich in die Ödnis programmierter Rhythmen zu verlieren, und vor allem bringen sie das Kunststück fertig, "7 Brothers", das ambitionierteste Stück der Platte, nacheinander im Siebenachteltakt und dann in einem Remix als Vierviertellied zu spielen, und zwar so, daß beide Fassungen jeweils für sich als einzig überzeugende Version erscheinen.

Die eine, repräsentative, unverwechselbare Stimme von "Oi Va Voi" gibt es genausowenig wie einen typischen Stil. Die sechs Mitglieder verstehen sich offensichtlich vor allem als Instrumentalisten, selbst wenn Steve Levi oder Lemez Lovas auf einigen Stücken singen - die herausragenden Auftritte haben ihre Gäste. Und da ist es vor allem die junge schottische Sängerin KT Tunstall, die vom ersten Augenblick an mit überwältigender Präsenz die Hörer in der Tasche hat. Ihre Stimme, die leicht, nüchtern und traurig das Album eröffnet, die mit enormer Bandbreite zwischen ätherisch und kraftvoll changieren kann, aber nie damit protzt, ist eine der großen Entdeckungen dieser Platte. Dagegen müssen die anderen Gäste etwas abfallen, obwohl Earl Zinger oder die usbekische Sängerin Sevara Nazarkhan ihre Sache keineswegs schlecht machen.

Entstanden ist dabei eine insgesamt fast beängstigend perfekte Platte, bei der alle Beteiligten ihre jeweils ganz unterschiedliche musikalische Herkunft in den Dienst der Sache stellen. Und die heißt: ein Projekt, das in seiner Experimentierfreude und der Bereitschaft zur Anverwandlung vielfältiger Musiktraditionen den arg strapazierten Begriff der "Weltmusik" vom Kopf auf die Füße stellt. Gemessen an diesem Ergebnis, erscheint der Bandname beinahe schon kokett.

TILMAN SPRECKELSEN

Oi Va Voi, Laughter Through Tears. Outcaste, Bestellnummer 29, CD

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr