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Produktdetails
Trackliste
CD
1Americana00:04:02
2The deal00:05:03
3Poetry00:05:05
4Message from the road00:02:57
5A place in your heart00:05:03
6The mystery room00:03:51
7Silent movie00:01:11
8Rock n roll cowboys00:04:21
9Change for change00:03:23
10The man upstairs00:01:37
11I've heard that beat before00:04:03
12A long drive home to Tarzana00:04:59
13The great highway00:04:43
14The invaders00:03:47
15Wings of fantasy00:04:19
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2017

Wo die Büffelherden wandern

Ray Davies sattelt um vom England-Chronisten zum amerikanischen Träumer. Wer bei den Kinks früher gut hingehört hat, den wird das nicht überraschen. Das zwischen Wehmut und Hoffnung pendelnde Soloalbum "Americana" klingt schon fast wie ein musikalisches Testament.

Vom Muswell Hillbilly zum Beverly Hillbilly - fast wirkt es wie ein Verrat: Ray Davies, der frühere Vorsänger der Kinks und vielleicht der profilierteste Popchronist des englischen Vorstadtlebens, gesteht auf seinem neuen Album "Americana", dass er seit seiner Jugend dem amerikanischen Traum nachjagt. Davies, der beinahe sprichwörtliche Verfechter einer unverwechselbaren "Englishness" im Pop zog demnach schon früh die Verheißungen von "God's Own Country" der grauen Tristesse der britischen Post-War-Gesellschaft vor. Fast meint man, der Zweiundsiebzigjährige erprobe auf seiner ersten Neuveröffentlichung seit neun Jahren eine Art "alternative Geschichtsschreibung" - seine Amerikabegeisterung reicht jedenfalls tiefer, als sich das so mancher Kinks-Fan eingestehen mag.

Schon als Kind war er von den Schwarzweißbildern der Cowboys und Indianer im englischen Fernsehen fasziniert. Hier kämpften Gut und Böse auf archaische Weise miteinander, und das Land dieser Auseinandersetzung versprach grenzenlose Freiheit: "Since I was a teen, you know I had this dream" singt Davies im Titelsong "Americana". Und doch weiß er ganz genau, dass das idealisierte Amerika der Pioniere, der endlos weiten Prärie und der "big skies" in dieser reinen Form nie existierte und der Mythos vom amerikanischen Westen seine Kraft als kollektives Erinnerungsbild in den letzten einhundert Jahren zunehmend eingebüßt hat. Wenn er einleitend gesteht "I wanna make my home / Where the buffalo roam", dann ist das nicht nur eine Anspielung auf das Lied "Home On The Range", das Davies als Schuljunge Anfang der Fünfziger lernte, sondern zugleich ein Abgesang auf längst verblasste Illusionen.

Wer genau hinhörte, konnte schon in Kinks-Songs wie "Oklahoma U.S.A.", "Celluloid Heroes" oder "Catch Me Now I'm Falling" die Amerika-Begeisterung von Davies heraushören - fixe Idee und Sehnsuchtsort zugleich, den er in New York und New Orleans später bewohnen sollte. Doch zunächst waren die realen Erfahrungen alles andere als ermutigend: Als die Kinks Mitte der Sechziger im Zuge der "British Invasion" den Beat in das "land of the free" bringen wollten, wurden sie zunächst wegen ihrer langen Haare, des vermeintlich obszönen Bandnamens und ihrer aufrührerischen Bühnenshows von der amerikanischen Musikergewerkschaft mit einem vierjährigen Auftrittsverbot belegt. Die Sittenwächter des Musikbusiness sahen in der Band eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Jetzt erzählt der Song "The Invaders" in selbstironischem Ton von dieser frühen, schon bald mystifizierten "Verbannung" und stellt unmissverständlich klar: "The world as we knew it turned upside down and things will never be the same / The day the invaders came." Dabei hatte selbst die traumatische Erfahrung von 2004, als er in New Orleans von einem Straßenräuber angeschossen und am Bein schwer verletzt wurde, Davies' Faszination für Amerika nicht trüben können. Das neue Lied "Mystery Room" wurde nach eigener Aussage durch dieses Erlebnis inspiriert. Ohne Wenn und Aber gesteht sich Davies heute ein: "Now I'm faced with mortality." Zum vielleicht stärksten Song des Albums aber avanciert "Poetry" mit seinen weit ausgreifenden Melodien und strahlenden Gitarrenakkorden: Auch hier wird man Zeuge von Davies' paradoxer Hassliebe zu Amerika. Bei aller Idealisierung der "Stars and Stripes"-Kultur treibe die Kommerzialisierung und zunehmende Kommodifizierung des Alltagslebens den Dingen die Seele aus, so dass Davies ernüchtert fragen kann: "Where is the poetry?"

Begleiten lässt er sich auf seinem fünften Solo-Album von dem amerikanischen Alternativ-Country-Quartett The Jayhawks aus Minneapolis. Mit ihrem entspannten Folk-Rock verleihen sie den fünfzehn Songs ein bisschen von jenem süffigen Americana-Flair, wie es das Genre verlangt. Perlendes Picking auf der Akustik-Gitarre, schwelgende Klavier-Arpeggios, zirpende Mandolinen, wimmernde Pedal-Steel-Gitarren und ein brummelndes Akkordeon - die Musik versöhnt die Kinks-typischen Vaudeville-Anklänge mit uramerikanischen Cajun- und Country-Sounds. Stimmlich ist Davies wieder einmal ganz bei sich: Selbst sein Cockney-Akzent ist kaum noch zu hören. Dafür kann sein Gesang die schwierige Balance zwischen Wehmut und hoffnungsfroher Emphase bravourös durchhalten. Selbst die Power-Chords von Klassikern wie "All Day And All Of The Night" und die Harmonien ruhigerer Beobachtungslieder wie "A Well Respected Man" hallen in den neuen Stücken noch nach.

In "The Great Highway", einer Hommage an den Mythos der open road, fasziniert Davies' Stimme mit jenem wehmütigen Schmelz, der nachdenkliche Untertöne nur selten verschweigt. Hier finden sich Zeilen, die seine Dichtkunst einmal mehr belegen, wenn er beispielsweise von dem Girl mit den "bright eyes like wishing wells" singt. Doch jeder Lobpreisung folgt eine kontrastive Realitätserfahrung: So erzählt er im bittersüßen Duett mit der Keyboarderin und Sängerin Karen Grotberg in "Message From The Road" von der ernüchternden Mühsal des Lebens auf der Straße, der Einsamkeit und Heimatlosigkeit. Bei allem wohligen Wärmestrom, der die Lieder des Albums durchzieht, sind es gerade die Schattenseiten des American Dream, die Davies vor dem Vorwurf unreflektierter Lobhudelei bewahren. "The Deal" handelt beispielsweise von der Korrumpierung durch Ruhm und schnell verdientes Geld. "Today I'm a bullshit millionaire . . . better than I was in dreary Angleterre." Davies parodiert hier jenen lässigen L.A.-Lifestyle, der auf sonnenbeschienenen Pool-Partys gern auch mal mit Vertrauensbrüchen und betrügerischen Deals kokettiert. Obwohl unterm Strich seine Amerika-Erfahrungen positiv bleiben, sind Themen wie Verarmung und Verelendung nie weit. Es würde auch verwundern, wenn ein präziser Zeitgeist-Diagnostiker wie Ray Davies in Zeiten Trumpscher Politik-Verwirrung nicht die allgemeine Kraftlosigkeit und Politikverdrossenheit in seinem gelobten Land ansprechen würde.

Selbst in dem beschwingten Bluegrass-Walzer "Rock' n' Roll Cowboys" warnt Davies metaphorisch vor dem "final call at the last chance saloon" und endet mit der Frage: "Do you live in a dream or do you live in reality?" Die Antwort lässt er für sich offen. Es bleibt aber die entscheidende Frage des Albums: Kann man sich in die eigene Jugend, als man das ganze Leben noch vor sich hatte und Rockmusik zugleich einen alternativen Gesellschaftsentwurf verkörperte, zurückträumen und daraus Trost für die Herausforderungen der Gegenwart ziehen? Inwieweit bilden solche Erinnerungen ein unerschöpfliches Reservoir für aktuelle Selbstermutigung?

Mit "Americana" ist Davies kein revolutionäres Album gelungen. Es klingt vielmehr wie das musikalische Testament eines Mannes, der hin- und hergerissen ist zwischen liebgewonnenen Kindheits-Illusionen und knallharten Gegenwartserfahrungen. Daran arbeitet er sich in seinem autobiographischen Projekt ab: Es umfasst das 2013 erschienene Erinnerungsbuch "Americana - The Kinks, The Road And The Perfect Riff", eine gleichnamige Konzertserie mit Lesungen und jetzt das Album, dem noch eine zweite Ausgabe folgen soll. Sir Ray Davies, erst im vergangenen März wurde er in den Adelsstand erhoben, schwankt seit jeher zwischen nostalgischen Beschwörungen und konturscharfen Sozialporträts. Die große Überraschung von "Americana" ist, dass er es noch immer schafft, in kleinen Episoden große Wahrheiten aufzuspüren, um sie in anrührende Bilder zu fassen - auch wenn der Pinselstrich mit zunehmendem Alter etwas gröber geworden ist.

PETER KEMPER

Ray Davies:

"Americana".

Sony Music Legacy 88875102362

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