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Produktdetails
Trackliste
CD
1Snowflake00:09:55
2Lake Tahoe00:11:26
3Misty00:13:49
4Wild Man00:07:03
5Snowed in at Wheeler Street00:08:11
650 Words for Snow00:06:55
7Among Angels00:08:00
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2011

Ich zähle bis fünfzig

Sechs Jahre hat Kate Bush darüber gebrütet, wie viele Bedeutungen "Schnee" hat; jetzt präsentiert sie, musikalisch ansprechend, die Lösung: sehr viele.

Von Julia Seeliger

Kate Bush schaut sich in ihrem neuen Album "50 Words for Snow" den Schnee an: in Paris, New York, London. In Neros Rom. In der Sierra Nevada am Lake Tahoe, in dem wie in Loch Ness ein Seeungeheuer hausen soll. Und im Himalaja. Verspult und komplex, typisch für Bush, "eine der einflussreichsten Künstlerinnen aller Zeiten", wie der "Observer" einmal meinte, die auch schon die Kreiszahl Pi vertonte und sich musikalisch dem eigenen Tod näherte. Als Inspirationsquellen nennt sie Stanley Kubrick, Stephen King und den Entfesselungskünstler Houdini.

Von früh an war Musik um sie, die in einem alten Bauernhaus mit einem großen Garten aufwuchs, mit viel Natur. Ihre Mutter liebte irischen Folk, ihre Brüder sind wie sie Dichter und Musiker. Sie selbst hatte schon früh Spaß an Satzkonstruktionen, ihr Lieblingsfach: Latein. Mit sechzehn verließ sie die Schule und nahm Tanz- und Pantomimestunden. Die konnte sie professionell fortsetzen, nachdem Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmore, ein entfernter Freund der Familie, ihr den Kontakt zum Plattenlabel EMI vermittelt hatte.

Dabei entzog sie sich der Unterwerfung unter das Diktat der Plattenfirma und auslaugenden Tourneen. Kate Bush kontrolliert den Umgang mit ihren Werken sehr genau und hat ihre Autonomie auch durch den Aufbau eines eigenen Tonstudios gesichert. Ihr letztes Album, die Doppel-CD "Aerial", produzierte sie in völliger Eigenregie in den Abbey-Road-Studios. Auf das Nachfolgealbum "50 Words for Snow" musste man sechs Jahre warten.

Von Kälte und Liebe hatte Bush schon in ihrem ersten, ganz großen Hit erzählt, "Wuthering Heights", das sich auf den Liebesroman von Emily Brontë bezieht. Das Musikvideo von damals startet mit einem Lichtbogen und Dopplungseffekten, man sieht Kate Bush im weißen Kleid, mit langem dunkelbraunem Haar und Mittelscheitel. Und sie singt mit ihrer einzigartigen Stimme von der Liebe zwischen Heathcliff und Cathy. "Wie ein menschlicher Synthesizer", schrieb die "Village Voice" über die Vieroktavenstimme.

Märchenhaft geht es zu in dem nun erscheinenden Konzeptalbum mit nur sieben Liedern in Überlänge. Schnee gefriert hier auf den Gesichtern der Liebenden, wenn diese sich zum Abschied am Bahnhof noch einmal küssen, und rieselt leise aufs Dach, auf einen Wintergarten mit Blick auf einen zugefrorenen See, auf dem der Wind die Flocken zu Tänzen aufwirbelt. Ein freundlicher Schnee also, einer zum Nachdenken, keiner, in dem man erfriert. Er legt sich auf die Narben, die die Liebe im Laufe der Zeit gerissen hat.

Das tanzbarste und zugleich sexyste, das Titelstück, ist Trip-Hop, mit einem Sprechgesang von Stephen Fry, dem Buchautor, Schauspieler und Textgenie. Bush zählt hoch bis fünfzig, sie hat die Zahlen, Fry den Schnee. Sie fordert ihn mehrmals auf weiterzumachen. Ein Schnee nach dem anderen, subjektiv, doch für die beiden funktioniert das. Ausgedachte Worte mit schönem Klang: "Whirlissimo", "Vanilla Swarm", "Hunters Dream". Man kann sich die beiden als Liebende vorstellen, in ihrer eigenen Sprache sprechend. Verzögert dann das fünfzigste Wort für Schnee: "Schnee". Es ist, was es ist.

Und Kate Bush ist auch unterwegs im Himalaja, auf der Suche nach dem Yeti, dem "wilden Mann". Sie liegt in ihrem Zelt und lauscht, findet seine Spuren und wischt sie weg, denn der Yeti wird gejagt. Doch die Lamas, die buddhistischen Religionsgelehrten, wissen: Der Yeti ist kein Tier. Poppig mit Schlagzeug und Gitarre, duettiert Bush in dem chillig-groovigen Song mit Andy Fairweather-Low, Sänger und Gitarrist, der schon mit The Who, Roger Waters von Pink Floyd und vielen anderen Briten spielte.

Mit Elton John singt sie "Snowed in at Wheeler Street" über die ewige, unerfüllte Liebe. Die Königskinder, die nicht zueinander kommen können. Schon Rom sahen sie brennen, in Paris erblickte sie ihn mit jemand anderen, und in London verloren sie sich im Smog. Am 11. September fotografiert sie ihn in New York, behält das Bild gerahmt in einem Herz: "I don't want to lose you again".

Die Liebe und der Schnee. Eine Schneeflocke, vom Himmel fallend, Manifest der Mutterliebe ganz zu Beginn: Kate Bush singt die Geschichte von der Schneeflocke, die keine Angst haben muss ("Keep falling. I'll find you") zusammen mit ihrem dreizehnjährigen Sohn Albert. Im zweiten Song ein jazziger Spaziergang, garniert mit Chorknaben, am Lake Tahoe in Kalifornien. Im dritten, "Misty" (neblig), eine Begegnung mit dem Schneemann, der in der Wärme nicht leben kann, so wie sie nicht in der Kälte. "So kalt. Ich spüre ihn in meiner Hand schmelzen". Am nächsten Morgen ist er nicht mehr da, das Laken nass - und Blätter und trockenes Gras, mit dem er geschmückt war. Sie findet den Schneemann im Nebel nicht mehr wieder. Eine Liebe, die nicht sein kann und längst im Meer der Zeit versunken ist.

Einige Rezensenten urteilten schon, die Songs seien "assoziativ" aneinandergereiht - dabei ist das Album klar durchkonzeptioniert. Sieben unterschiedliche Szenen bauen aufeinander auf: Kindheit, rätselhafte Szene am See, Jugendliebe mit dem Schneemann, dann der "wilde Mann", der kein Tier ist. Sodann die Königskinder und ihre ewige, unerfüllte Liebe. Song sechs: tiefe Nähe, Kommunikation und Sex, im Epilog Engel - oder das Nirwana. Überhaupt liegt bei einer Frau, die schon die Zahl Pi vertonte, die Vermutung nahe, dass sie auch anderswo präzise mit Worten und Zahlen jonglieren kann; die Zahl sieben ist sicherlich nicht zufällig gewählt, und auch die Reihenfolge hat ein klares Konzept.

Die drei ersten Songs und der letzte, ein Epilog, plätschern ziseliert bei getragener Klaviermusik und zarten Klangeffekten dahin. Zu Beginn nicht gerade eingängig, hört man sich nach ein paar Durchläufen ein. Wer groovigen Pop mag, sollte sich den Titelsong "50 Words for Snow" und die Single-Auskopplung "Wild Man" kaufen. Das Elton-John-Duett hat Ohrwurmpotential. Nach ein paarmal Hören funktioniert das Album aber auch wunderbar als Ganzes.

Es ist ein tiefsinniges, intelligentes, schönes Konzeptalbum voller Weisheit. Wer Folk-Songwriting mag, Björk, Hesse, Massive Attack oder natürlich Kate Bush, sollte es sich kaufen. Der Winter kommt.

Kate Bush, 50 Words For Snow.

Fish People/Noble & Brite Records 7298662 (EMI)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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