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Über Jahre hinweg führt Ute Schaeffer Gespräche mit Studenten, die nur noch weg wollen, Rentnern, denen das Geld für das Nötigste fehlt, mit Familien, die sich politisch entzweit haben, mit von Gewalt durch Polizei und Geheimdienst Betroffenen und mit den vielen Mutigen, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben. Angesichts zweier gescheiterter Revolutionen und eines kaum zu durchbrechenden Dickichts an Korruption und Vetternwirtschaft ist es schwer, noch an Demokratie für das Land zu glauben. Die Autorin zeigt Wege, wie die Ideen des Maidan umgesetzt werden können, damit dieses europäische…mehr

Produktbeschreibung
Über Jahre hinweg führt Ute Schaeffer Gespräche mit Studenten, die nur noch weg wollen, Rentnern, denen das Geld für das Nötigste fehlt, mit Familien, die sich politisch entzweit haben, mit von Gewalt durch Polizei und Geheimdienst Betroffenen und mit den vielen Mutigen, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben. Angesichts zweier gescheiterter Revolutionen und eines kaum zu durchbrechenden Dickichts an Korruption und Vetternwirtschaft ist es schwer, noch an Demokratie für das Land zu glauben. Die Autorin zeigt Wege, wie die Ideen des Maidan umgesetzt werden können, damit dieses europäische Land - nur wenige Flugstunden von uns entfernt - nicht zerfällt und im Chaos versinkt. Schaeffer macht ebenso deutlich, dass (entgegen der durch russische Propaganda auch hier verbreiteten Annahme) mitnichten nur nationalistische Faschisten für ihr Land gekämpft haben, sondern engagierte Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft. Sie werden kein weiteres Mal zulassen, dass ihre politischenForderungen missachtet werden. Die Ukraine hat sich auf den Weg gemacht in eine bessere Zukunft.
Autorenporträt
Ute Schaeffer, geboren 1968, ist seit 2014 stellvertretende Direktorin der Deutsche Welle Akademie und für Projekte der Medienentwicklungszusammenarbeit verantwortlich, zuvor war sie Chefredakteurin der Deutschen Welle. Zwischen 1999 und 2004 baute sie das ukrainische Programm des Auslandssenders auf.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.03.2015

Das Land,
ein wildes Feld
Auf den Spuren der geschichtlichen Hintergründe
des Kriegs in der Ukraine
VON RENATE NIMTZ-KÖSTER
Es sei „nicht einzusehen, weshalb man ein so großes Volk einfach vergaß“, beklagt Joseph Roth in seinen jüngst neu aufgelegten „Nachrichten aus dem Osten“ von 1920. Die Ukrainer würden „ihrer Abstammung nach sicher für Russen oder dergleichen“ gehalten und angesiedelt in einem Land „irgendwo zwischen Kaukasus und Karpathen“. Das Land im toten Winkel schien eine „Illusion des Westens“ zu sein, wie Helmut Schmidt noch behaupten konnte – bis es dort lichterloh brannte: Die Ukraine ist buchstäblich zum Brennpunkt geworden.
  Wie konnte der Aufstand auf dem Maidan binnen weniger Monate in einen Krieg münden, der den ganzen Kontinent unter Hochspannung setzt? Zwei neue Bücher versuchen, darauf Antworten zu geben.
  Über Jahre hinweg hat die Journalistin Ute Schaeffer für ihr Buch „Ukraine – Reportagen aus einem Land im Aufbruch“ über ihre Begegnungen mit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten Buch geführt: Rentner und Richter, Aktivisten, Journalisten, die zu Abgeordneten geworden sind, ganze Familien, die Sowjetzeiten und Aufbruch miterlebt haben – die höchst lebendige Normalität, verbunden mit profunder Landeskenntnis, ist die Stärke ihres Buches. „Was ist schiefgelaufen in dem Vierteljahrhundert seit der Unabhängigkeit?“ Die ehemalige Chefredakteurin der Deutschen Welle sprach darüber mit Enttäuschten und Hoffnungsvollen. Offen bewundert sie den „immensen Durchhaltewillen“ in Richtung Transformation, der jedoch durch den Krieg aufgerieben wird.
  Mit literarischen Innenansichten sowie historischen Analysen will der Essayband „Testfall Ukraine“ Einsichten vermitteln, die der „friedensverwöhnten Generation“ hierzulande fehlen, wie der Osteuropakundler Karl Schlögel sagt. Im Wechsel mit den Historikern schreiben ukrainische und auch russische Autoren: über „Binnenvertriebene“ (Kateryna Mischenko). Über nie gekannten Hass (Arkadij Babschenko: „Wenn die Menschen anfangen, sich über die Toten zu freuen. . .“). Über „Furor“ und Mitleid – Gefühle, die antiukrainische Moskauer Aufmärsche gegen die Kiewer „braune Pest“ bei Elena Racheva weckten: Die Mitarbeiterin der kremlkritischen Novaja Gaseta und anderer russischer Medien machte unter wehenden Kirchen- und Zarenfahnen „die Primitivisierung des Bewusstseins“ und eine „politische Kehrtwende“ aus.
  Die Wissenschaftler indessen graben nach den geschichtlichen Wurzeln. Für die „schockierende Abwesenheit der Ukraine“ macht Schlögel auch seine Kollegen verantwortlich; es ist nur ein Häuflein von Experten, das sich mit der komplizierten Vergangenheit des multiethnischen, mehrsprachigen Landes auskennt. Die „Sprachlosigkeit der Historiker“ ist für Schlögel ebenso erschreckend wie der allgemeine „intellektuelle Notstand“ in Sachen Ukraine. Nur wenige hätten „die Ahnungslosigkeit einer russozentrischen Geschichtsbetrachtung beim Namen genannt“.
  Das allgemeine deutsche Schuldbewusstsein klammere noch nach vielen Jahren Aufarbeitung die Leiden der Ukraine aus – darin sind sich Schlögel und Schaeffer einig. Das Land war Hauptschauplatz des Judenmords, Haupteinsatzort der Wehrmacht, der Zweite Weltkrieg forderte hier 6,5 Millionen Tote, mehr als 2,3 Millionen ukrainische „Ostarbeiter“ wurden ins Deutsche Reich abtransportiert.
  Andrew Wilson vom University College London beleuchtet in seinem Essay „Vergangene Zukunft des Donbass“ seit Langem schwelende historische Ansprüche, „die von beiden Seiten nachträglich ins Spiel gebracht werden und die Atmosphäre vergiften“.
  Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Kosaken, ein wichtiger Mythos für Ukrainer ebenso wie für Russen, dem Wilson und Andreas Kappeler nachgehen. Aus ukrainischer Sicht haben „ukrainische“ Kosaken aus dem südlichen Saporoschje den nun umkämpften Osten zuerst besiedelt. Auf dem Maidan waren sie in typischer Tracht vertreten, im ukrainischen Alltag sind sie immer noch allgegenwärtig, als Namen von Bier-, Wodka- oder Zigarettenmarken, auch auf Hrywna-Banknoten. Die Saporoschjer Kosaken stehen für Freiheit, Gleichheit und Spontaneität. Diese nationale Ideologie, so der Historiker Kappeler, werde „dem ,Volkscharakter‘ der Russen gegenübergestellt, der mit Kollektivismus, Unterwürfigkeit, Autokratie und sozialer Disziplin assoziiert wird“.
  Der Zustrom von Russen und Russischsprachigen in den Donbass sei ein künstlich geschaffenes Phänomen des 20. Jahrhunderts, behaupten die Ukrainer. Die russische Seite beharrt auf der frühen Besiedlung durch das russische Reich und dem Vordringen der „russischen“ Donkosaken ins Gebiet des heutigen Donbass: Erst als die Donkosaken aus dem Osten eintrafen, hätten die Saporoschjer Kosaken Ansprüche auf das „wilde Feld“ der Donbass-Region erhoben.
  Unentwegt weist die Ukraine auch Putins Behauptung zurück, die Entscheidung der Bolschewiki, seinerzeit die Region in die neue Ukrainische Sowjetrepublik einzugliedern, sei willkürlich gewesen und „ohne Rücksicht auf die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung“ (Putin). Skurrile Ideen werden mit der schwarz-blau-roten Fahne sichtbar, die neuerdings über Debalzewe weht: Die Separatistenführer verklären damit die Sowjetrepublik Donezk-Kryvyj-Rih, deren Existenz 1918 nur wenige Wochen dauerte – und von Lenin bekämpft wurde. Die neue „Volksrepublik Donezk“ benutzt nun dieselbe Trikolore wie angeblich die vormalige antimonarchistische und sozialistische Republik, jedoch dekoriert mit dem zaristischen Doppeladler. Die Verbreitung historischer Ideen und Ansprüche, so Wilson, betreibe Russland wesentlich intensiver als die Ukraine: Fast 20 Webseiten von Noworossija-Nachrichtenagenturen bestehen mittlerweile, für März 2015 hat die Moskauer Akademie der Wissenschaften eine „Geschichte von Noworossija“ angekündigt.
  „Der Donbass geht allen immer stärker auf die Nerven“, schreibt bitter der von dort stammende prominente ukrainische Literat Serhij Zhadan in seinem Roadmovie-Text aus dem Gebiet des ukrainischen „Antiterroreinsatzes“. Viele Ukrainer sehen die Region längst nicht mehr als „Kraftzentrum“ des ganzen Landes. In einer Umfrage vom November 2014 wollten trotz der schweren Opfer nur 71 Prozent die Rebellengebiete behalten. Der immer auf russisches Gas angewiesene Donbass habe vor den Unruhen nur 7,1 Prozent zum ukrainischen Staatshaushalt beigetragen. Wilson: „Kiew hat recht offensichtlich den Osten subventioniert, und nicht umgekehrt.“
  Nachdem die proukrainische Bevölkerung längst geflohen ist, so Zhadan, sei dort sei nun alles wieder beim Alten: Die „Stimme der Industriegebiete“ vertreten heute „all die Mitglieder der Partei der Regionen, Statthalter von Janukowitsch, Mitglieder des Clans, Freunde der „Familie“, die es auf wundersame Weise geschafft haben, in den warmen und heimeligen Büros ihre Macht zu behalten.“
Katharina Raabe, Manfred Sapper (Hrsg.): Testfall Ukraine. Suhrkamp Verlag, 2015, 256 Seiten. 15 Euro.
Ute Schaeffer: Ukraine. Reportagen aus einem Land im Aufbruch. Wagenbach Verlag, 2015. 160 Seiten. 10,90 Euro.
Renate Nimtz-Köster hat Romanistik und Slawistik studiert. Sie ist freie Wissenschaftsjournalistin.
Seit Langem schwelende
historische Ansprüche haben die
Atmosphäre vergiftet
„Der Donbass geht allen immer
stärker auf die Nerven“, schreibt
der Schriftsteller Serhij Zhadan
„Der Soldat friert - bekleidet unsere Soldaten“ heißt es auf einem Graffito in der im Westen der Ukraine gelegenen Stadt Czernowitz.
Foto: Renate Nimtz-Köster
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