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Als Journalist und als Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat Joachim Fest die publizistischen Debatten der Bundesrepublik geprägt wie kaum ein anderer. Seine Leitartikel und Kommentare widmen sich den großen Themen und Ereignissen der jüngeren Vergangenheit: Radikalenerlass und Deutscher Herbst, der Fall Filbinger und die TV-Serie "Holocaust", die gefälschten Hitler-Tagebücher und der Historikerstreit, zweiter Golfkrieg und ausländerfeindliche Gewalt sowie die Parteispendenskandale der Jahrtausendwende. Daneben setzt er sich in grundlegenden Essays mit 1968 und dem "zerstörten…mehr

Produktbeschreibung
Als Journalist und als Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat Joachim Fest die publizistischen Debatten der Bundesrepublik geprägt wie kaum ein anderer. Seine Leitartikel und Kommentare widmen sich den großen Themen und Ereignissen der jüngeren Vergangenheit: Radikalenerlass und Deutscher Herbst, der Fall Filbinger und die TV-Serie "Holocaust", die gefälschten Hitler-Tagebücher und der Historikerstreit, zweiter Golfkrieg und ausländerfeindliche Gewalt sowie die Parteispendenskandale der Jahrtausendwende. Daneben setzt er sich in grundlegenden Essays mit 1968 und dem "zerstörten Traum" des utopischen Denkens auseinander. So entsteht ein lebendiges Panorama der politischen Kulturgeschichte, ergänzt durch wegweisende Aufsätze zu historischen Themen - das Vermächtnis eines unabhängigen Geistes und glänzenden Stilisten.
Autorenporträt
Fest, JoachimJoachim Fest (1926 - 2006) war einer der bedeutendsten Autoren und Historiker der Bundesrepublik. Ab 1963 arbeitete er als Chefredakteur des NDR und von 1973 bis 1993 als Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Seine Hitler-Biographie wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Weitere Werke: «Speer» (1999), «Der Untergang» (2002), «Begegnungen» (2004), «Ich nicht» (2006), «Bürgerlichkeit als Lebensform» (2007).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2007

Nicht das Bestehende muss verändert werden, sondern das Verkehrte

An diesem Samstag wäre Joachim Fest einundachtzig Jahre alt geworden. In seinen Essays zu Politik und Geschichte zeigt sich, wie er substantielle Beobachtungen mit einer lebhaften Beziehung zum Publikum verband.

Etwas geringschätzig pflegt man auf die sogenannten tagespolitischen Ereignisse herabzusehen, als auf das Flüchtige, das heute so und morgen anders ist. Umso größer ist die Überraschung, ja ein gewisser Taumel stellt sich ein, wenn ein Rückblick aufs Kurzfristige plötzlich offenbart, daß es es sich dabei in Wahrheit um Phänomene der "langen Dauer" handelt, dass Erscheinungen, die von den Zeitgenossen für vorübergehend gehalten wurden, sich in unserer Erfahrung eingenistet haben und dass das, was vor dreißig Jahren über sie gesagt wurde, so gut wie unverändert auch heute noch gilt.

In Joachim Fests Essays zu Politik und Geschichte, die jetzt unter dem Titel "Nach dem Scheitern der Utopien" von neuem erscheinen, kann man diese Erfahrung gleich mehrfach machen. Ja, wird man sagen, der Mann hat eben weit geblickt, so dass er durch die Schärfe seines Blicks auf seine Gegenwart unsere gleich mit erfasste. Doch es geht nicht um Prognosen, sondern um Beobachtungen. In einem kurzen Stück mit dem Titel "Manie der Reformen", erschienen am 20. Mai 1975 in dieser Zeitung, wird die Bundesrepublik als ein Land im Umbau geschildert, erfasst von Veränderungen, denen nichts standhält, was sonst für tragend gehalten wurde: Schichten, Strukturen, Machtpositionen. Die Republik, die unter der Devise "Keine Experimente" herangewachsen war, konnte dem Reformdruck, der sich überall und ohne Unterschied bemerkbar machte, nicht mehr standhalten. "Der Begriff ,Reform'", heißt es gegen Schluss des Leitartikels, "ist unterdessen dabei, zum Schreckwort zu werden."

Als diese Besorgnis formuliert wurde, steckte das Potential des Reformierens, wie wir mittlerweile wissen, erst in den ersten Anfängen. Unabhängig von politischen Richtungen wurde seither ein immer neues Reformpensum durchgepeitscht, und die Sorge, die Joachim Fest damals umtrieb, welche Folgen dies für die tragenden Schichten und insgesamt für die Festigkeit der Republik haben werde, ist immer noch nicht erwogen worden. Man hat gelernt, mit der Veränderungswut zu leben. Irrig war die Erwartung des Autors, es werde bald eine Partei mit der Devise "Keine Reformen!" auftreten, und ohne Echo blieb auch sein Einwurf: "Denn nicht das Bestehende muss verändert werden, sondern das Verkehrte." Die "Manie der Reformen", die er erschreckt beobachtete, hat diesen Gedanken fortgespült.

Dass eine Beobachtung zum Tage ein Langzeitphänomen sichtbar macht, darf man dem Beobachter gutschreiben, dem es gelingt, im Besonderen ein Allgemeines freizulegen. Die Fähigkeit von Joachim Fest, die Phänomene rasch durchsichtig zu machen, erweist sich auf fast artistische Weise in den kurzen Stücken, die der Band in seinem ersten Teil "Leitartikel und Kommentare" sammelt. Ein anderer Topos der alten Bundesrepublik, der Fest ins Auge stach, war "Die Schuld der Gesellschaft". Auch er hat sich über die Jahre unangreifbar und letztinstanzlich behauptet: Statt die "Wahrheit" des Staates zu sein, wie es der Gesellschaft ins Stammbuch geschrieben war, wurde sie jetzt, so Fest, dessen Unwahrheit, man gewöhnte sich an, sich mit der Gesellschaft herauszureden. Die Gesellschaft sei "zur persönlichen Rechtfertigungsideologie von Unterlegenen, die es bleiben wollen" geworden. Auch in diesem Fall sind die Dinge weitgehend so geblieben,

Noch ein letztes Beispiel: "Angst als Bildungserlebnis" ist der Titel einer kurzen Betrachtung über die Folgen der "Berufsverbote" und der sich abzeichnenden Reglementierung des Studiums an den Universitäten. Auf die Phase des Aufruhrs sei die der Angst gefolgt, hieß es damals. Fest schlug nun die Brücke von der Gesinnungsangst, die durch die Berufsverbote weit über deren Bereich hinaus erzeugt wurde, zu einer neuen Unsicherheit, die durch subtile und unwidersprechliche statistische Berechnungen erzeugt wurde. Was hier zur Psychologie junger Generationen gesagt wird, trifft auch heute noch weitgehend zu. Aber ein Licht ganz anderer Art fällt auf diese Dinge durch den unauffälligen Satz: "Woran es vor allem fehlt, ist das Bewusstsein, in einer Gesellschaft des humanen Beistands zu leben."

Zu den Fundstücken in solchen kritischen Anmerkungen zur Zeit gehört, im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um den Terrorismus formuliert, die ebenso lakonische wie weitreichende Feststellung, dass "Kritik nicht zuletzt ein Akt der Loyalität" sei. Der Halbsatz schließt ohne großen Aufwand die Kluft, die seit jenen Jahren zwischen kritischen Theoretikern wie Adorno und konservativen Publizisten wie Joachim Fest sich auftat. Aber auf dieses Verständnis von Kritik hätte man sich seinerzeit durchaus einigen können. Doch die Debatten um sogenannte Lebensfragen pflegen nicht den Raum zu lassen, der solche Konvergenzen zu bemerken erlaubt, geschweige denn aus ihnen Folgerungen zu ziehen. Vollends wurde dies unmöglich durch den Historikerstreit, der in diesem Band mit Joachim Fests Nachwort zur Dokumentation von 1987 vertreten ist.

Dass Kritik ein Akt der Loyalität ist - nicht zuerst gegenüber dem Kontrahenten, sondern gegenüber dem kritisierten Gegenstand -, lässt sich an den kurzen Stücken dieser Sammlung verfolgen. Als im Fernsehen die "Holocaust"-Serie mit einem erstaunlichen, nie erwarteten Publikumserfolg gezeigt wurde, waren die Bedenken gegen deren Naivität und Simplizität gewiss nicht ausgeräumt. Die spontane Welle des Mitgefühls, die diese Fernsehserie auslöste, wusste Fest für die Einsicht zu nutzen, dass es im Umgang mit der deutschen Vergangenheit eben darauf ankomme, Emotion und Wissen miteinander zu verknüpfen. Die nicht zu übersehenden Schwächen der Serie hielten ihn nicht davon ab, bei dieser Gelegenheit ein weitreichendes Fazit zu ziehen: "Das von Historikern und Publizisten seit Jahren beklagte Desinteresse der Öffentlichkeit an der Vergangenheit entpuppte sich hier als das, was es in Wahrheit ist: das Desinteresse von Historikern und Publizisten an der Öffentlichkeit."

Diese beiläufig formulierte Kritik rührt an den Kern der jahrzehntelangen Auseinandersetzung Joachim Fests mit der zeitgeschichtlichen Forschung, die in diesem Band unter anderem durch seine berühmt gewordene Streitschrift "Noch einmal: Abschied von der Geschichte" dokumentiert ist. Da kehrt als Erklärung für die "Sprachlosigkeit der Historiker" jenes "tiefe Desinteresse am Menschen" wieder, das sich auch auf dessen Umwelt erstrecke und sich handwerklich als Desinteresse am Publikum kundgebe. Es ist nicht nur die Vernachlässigung des "Anteils an Poesie", den der große französische Historiker Marc Bloch für sein Metier für unerlässlich hielt, sondern etwas viel Elementareres, das nach Ansicht von Fest ausfalle: die "humane Neugier".

Dass es dabei nicht etwa um Edelblässe geht, erläutert Fest am Beispiel Theodor Mommsens, der um der besseren Verständlichkeit willen nicht davor zurückgeschreckt sei, in seiner "Römischen Geschichte" von römischen "Generalen", von "Bürgermeistern", "Junkern", "Parteien" oder gar "Kapitalisten" zu sprechen. Denn es gelte doch vor allem, so rechtfertigte sich der Historiker, "die Alten lebendig zu machen, sie von dem phantastischen Kothurn, auf dem sie der Masse des Publikums erscheinen, in die reale Welt, wo gebaut und gelebt, gesägt und gehämmert, phantasiert und gezweifelt wird, zu versetzen - darum musste der Konsul ein Bürgermeister werden und so weiter".

Wenn schon die Geschichtsschreibung ferner Zeiten solche Einschlüsse aus der eigenen Zeit ihres Autors und seines Publikums verlangt, so erst recht alle Versuche, die eigene Zeit und ihre unmittelbare Vorgeschichte zu erfassen. Die Probe darauf ist die Beziehung zum Publikum. Und es ist mangelndes Vertrauen zu diesem, wenn man in den Handreichungen fürs Verständnis nur so etwas wie Bestechung sieht, wie es der akademischen Geschichtsforschung erscheinen mag, die sich mit einem Zaun von methodischen Erwägungen zu umgeben pflegt. Das Risiko einer Geschichtsschreibung, die die Nähe zur eigenen Zeit sucht, ist bekannt: Sie kann sich den Zugang zu ihrem Gegenstand ebenso gut verstellen. Aber das ändert nichts an der elementaren Tatsache, dass jede historische Darstellung aus Bewandtnissen ihrer eigenen Zeit heraus geschrieben wird und eine zeitgenössische Sicht auf ihren Gegenstand gibt.

Wenn Joachim Fest das (in dem vorliegenden Band wiederabgedruckte) Vorwort, das er 1995 zu seiner Hitler-Biographie schrieb - zwei Jahrzehnte nach ihrem ersten Erscheinen -, unter den Titel stellte: "Zeitgenosse Hitler", so wirkt das zunächst befremdlich. Diesen Eindruck räumte er jedoch aus mit der Erklärung: "Zum Einzigartigen, das mit dem Namen Hitler verbunden ist, gehört seine unverminderte Gegenwärtigkeit. Selbst fünfzig Jahre nach seinem Ende behauptet er eine Zeitgenossenschaft, deren Schatten beständig tiefer wird." Dies äußere sich in Ängsten und Exorzismen, aber auch in der Tabuisierung von Themen und Fragen ebenso wie in einer immer noch wachsenden Flut von Schriften und Untersuchungen. Das Zeitgenössische ist hier die Signatur des Unverstandenen, aber auch eines Verstehens, das sein Maß darin findet, wie weit es die Aura des Zeitgenössischen aufzulösen vermag. Erst wenn dies gelungen ist, wäre jene Historisierung erreicht, die von der akademischen Geschichtswissenschaft umstandslos in Anspruch genommen wird.

Ein Musterbeispiel für eine Historisierung innerhalb des Zeitgenössischen ist Joachim Fests großer Essay "Der zerstörte Traum", der vom Ende des utopischen Zeitalters handelt und durch die Ereignisse des Zusammenbruchs des Sowjetimperiums hervorgetrieben wurde. Der Soupçon gegen die Utopie war ein altes Motiv auch linker Kulturkritik, ihr Kurzschlüssiges war auch für Fest ein Topos, dem er in seinem bedeutendsten geistesgeschichtlichen Essay über "Gedanke und Tat" nachgegangen ist. Doch das Ende des Imperiums, das aus seinen utopischen Versprechungen gelebt und überdauert hatte, setzte ein Siegel der Endgültigkeit auf die kritischen Erwägungen, die das ganze Jahrhundert begleitet hatten. Als historischer Essay ist "Der zerstörte Traum" darüber hinaus so etwas wie die Probe auf die Überzeugungen vom Zeitgenössischen als Schlüssel zur Geschichte. Ob dies wirklich das Ende der Utopie mit ihren europäischen Wurzeln war, mochte der Augenblick unwidersprechlich suggerieren. Jedenfalls war es ein besonderer Augenblick für einen Historiker, der hier die Chance sah, Geschichte und Zeitgenossenschaft unmittelbar miteinander zu verbinden.

HENNING RITTER

Joachim Fest: "Nach dem Scheitern der Utopien". Gesammelte Essays zu Politik und Geschichte. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 448 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2007

Zauberberg gegen Pflasterstein
Ein Hohelied der Bürgerkultur und des Kulturbürgers – und zwischendurch auch mal eine Fußball-WM: Joachim Fest als Essayist und Laudator, als Leitartikler und Tagesliterat Von Kurt Kister
Publizist” ist keine Berufsbezeichnung, sondern eher ein Titel. Der klassische Publizist ist ein in Ehren ergrauter, soignierter Herr, den man nicht mehr Journalist nennen mag, auch wenn er lange Jahre als Dienstleistungsschreiber, später vielleicht als Tagesliterat tätig war. Er liest den Merkur, weil er angelegentlich für ihn schreibt. Er hat immer noch die FAZ abonniert, obwohl er denkt, dass sogar die FAZ auch nicht mehr das ist, wofür (und weswegen) er sie früher gehalten hat; die Zeit wird er wohl demnächst abbestellen. Aus Pflichtgefühl gegenüber dem Staat im Hegelschen Sinne geht er wählen, obwohl er ennui verspürt über die Politikerkaste.
Der Publizist liest Thomas Mann, er fühlt sich Ernst Jünger im Waldgängertum nahe und er ist im Schreiben manchmal melancholisch, weil er fürchtet, dass die Welt, die ihn gemacht hat, mit ihm untergeht. Er ist ein Egozentriker, wenn auch ein leiser. Ein Optimist kann er kaum sein, weil er an die Vernunft glaubt und stets sehen muss, wie wenig Vernunft sich um ihn herum manifestiert. Das macht ihn nüchtern und relativ leidenschaftsfrei; um Pessimist zu sein, ist er zu sehr Realist. Der Publizist ist ein Kind des 20. Jahrhunderts. Es hat ihn geprägt, verbrannt und reifen lassen. Das 21. Jahrhundert betrachtet er von einem Turm aus, der nicht aus Elfenbein sein muss, dessen Fundamente aber tief in der Vergangenheit, in der Zeit- und Geistesgeschichte ruhen.
Joachim Fest war der Publizist par excellence, geradezu das Idealbild des Publizisten. Sein Leben von 1926 bis 2006 umfasste jene Zeit, in der die Geschichte mit Siebenmeilenstiefeln über Deutschland und Europa hinweg trampelte: Siechtum und Tod des Bürgertums, Aufstieg und Niederschlagung der deutschen braungefärbten Großmannssucht, die Aufteilung der Welt in Ost und West, das Absterben des Kommunismus.
Der Fernseh-Journalist und Zeitungspublizist, der FAZ-Herausgeber und Buchautor Fest war keineswegs mittendrin, er musste nicht in Deckung gehen, Reporter war er nie. Er beobachtete und las, er führte Gespräche – und er schrieb. Er schrieb und schrieb. In Erinnerung wird er den meisten wegen seiner großen, großartigen Hitler-Biographie bleiben – ein Hauptwerk, vielleicht das Hauptwerk der deutschsprachigen erzählenden Geschichtsschreibung im vergangenen Jahrhundert. Mit Albert Speer, Hitlers Architekt und Organisator, ist Fest nach dem Krieg eine seltsame historiographische Symbiose eingegangen. Als Lektor von Speers Erinnerungen und als Autor seiner Biographie hat Fest jenes Bild, das der höchstrangige NS-Überlebende von sich selbst gezeichnet hat, entscheidend beeinflusst. Speer benutzte Fest, und Fest wiederum benutzte Speer.
Fests Leben und Wirken nicht als Geschichtsschreiber und Biograph, sondern als Essayist und Laudator, als Leitartikler und Tagesliterat lässt sich nun in zwei Sammelbänden nachlesen. Der eine, früher in diesem Jahr erschienen, trägt den programmatischen Titel „Bürgerlichkeit als Lebensform”. Der andere, eben herausgekommen, nennt sich „Nach dem Scheitern der Utopien”.
Interessanter, wenn man diesen Vergleich denn vornehmen will, ist der erste Band. Anders als viele Texte im Utopien-Band sind im Bürgerlichkeits-Band die meisten Artikel und Essays weniger an den längst vergangenen Tag gebunden, an dem sie einmal geschrieben wurden. Gewiss, es kann begrenzten Gewinn bringen, auch Leitartikel wieder zu lesen – das erste Fünftel des Utopien-Buches besteht (leider) nur aus Leitartikeln. Aber selbst Leitartikel von Fest, mit das Beste, was es neben so manchem Riesenaufsatz des Journalisten (nicht etwa Publizisten) Friedrich-Karl Fromme früher im politischen Teil der FAZ zu lesen gab, nutzen sich ab, sind meist nur noch zeithistorische Trouvaillen. Zum Beispiel: Fest über die Fußball-WM 1978 macht schmunzeln, weil er für seine Verhältnisse geradezu gegen den damaligen DFB-Präsidenten Neuberger wütet, dies aber im gleichen Tonfall tut, in dem er über „Filbingers Uneinsichtigkeit” oder die Moral der Gegner des ersten Golfkriegs schreibt. Es gibt, dies als Warnung für jeden Verleger und jeden Leitartikler, kaum eine Leitartikel-Sammlung, die das Binden, geschweige denn das Kaufen lohnt. Diese Texte sind am Tag für den nächsten Tag geschrieben, und am übernächsten wartet man auf einen neuen.
Warum es trotzdem so lohnend ist, die kleineren Arbeiten von Fest gesammelt zu haben, zeigen viele Aufsätze im ersten Band und einige auch im zweiten. Herausragend ist der erste Text in der „Bürgerlichkeit”, die Dankesrede, die Fest 1981 in Lübeck hielt, als ihm der Thomas-Mann-Preis verliehen wurde. Der Titel, zum Titel des Buches adaptiert, „Der Irrtum Hannos oder Bürgerlichkeit als geistige Lebensform”, fasst die Welt des Joachim C. Fest bestens zusammen. Er singt dort das Hohelied der Bürgerkultur und des Kulturbürgers, dessen Idealtypus Thomas Mann war. Die Welt Manns wurde zertrümmert von den deutschen Nazis und von den nationalsozialistischen Deutschen.
Ein erheblicher, eigentlich der größte Teil des Werks von Fest beschäftigt sich mit diesem Kulturbruch. Also ist es logisch, dass mehr als die Hälfte der Texte und Aufsätze im „Bürgerlichkeit”-Band dies auch widerspiegeln. Es gibt 20-Seiten-Wunder an erzählerischer Präzision wie „Der Führerbunker”, aber auch eine sensible Annäherung an den konservativen Widerständler Adam von Trott oder eine eindrückliche Porträtskizze von Joseph Goebbels, dem zynischen Humpelfuß, der sich von seinen Mitarbeitern am 21. April 1945 so verabschiedete: „Warum haben Sie mit mir gearbeitet, meine Herren? Jetzt wird Ihnen das Hälschen durchgeschnitten.” Er hat dies im rheinischen Tonfall gesagt, und Fest hat es an der richtigen Stelle seines Porträts aufgeschrieben.
Aber Fest war nicht nur ein grandioser Nach-Erzähler. Er war auch publizistischer Politiker, nein: homo politicus. Er sorgte sich sehr um die überlebenden Reste des Bürgertums, zu denen er sich zählte, auch wenn er dies nie so pejorativ ausgedrückt hätte. Fest führte einen Jahrzehnte währenden Kampf gegen die Verachtung, die Verhöhnung, die Marginalisierung des Bildungsbürgertums. In den Achtundsechzigern, in der deutschen Linken sah er – nein, nicht Feinde, das wäre zu viel der Ehre gewesen, aber immerhin Gegner, jedenfalls in denen, von denen er glaubte, es lohne sich, gegen sie zu argumentieren
Das tat er etwa in dem Aufsatz „Das Dilemma des studentischen Romantizismus”, geschrieben 1968, enthalten im Utopien-Band. Auch hier wendet er sich gleichzeitig gegen jene, die in den zwanziger und dreißiger Jahren die alte Ordnung zerstörten und gegen jene, die Fests Meinung nach in der jungen Bundesrepublik die neue Ordnung gefährdeten: „Was die junge Generation aus der Geschichte nicht lernen will, hat die ältere weder aus Betrachtung noch aus Beteiligung gelernt: dass man einen Staat durch das fehlende Verständnis seiner Grundlagen verhunzen und schließlich zugrunde richten kann.” Das war Joachim Fest sicher auch: ein Mann, der sich um die Grundlagen des Staates bekümmerte. Bürgerlichkeit definiert sich auch in der Abgrenzung von dem, was nicht bürgerlich ist, und zur Bildungsbürgerlichkeit gehört unabdingbar der Elite-Gedanke. Die Waffe der Avantgarde der Linken war der Pflasterstein, die Elite der Bürgerlichen hielt dem den „Zauberberg” dagegen. Dies kommt nirgendwo deutlicher zum Ausdruck als im Titel von Fests Autobiographie, deren Erscheinen er gerade noch erlebte, bevor er im September 2006 starb. Seine Lebenserzählung heißt: „Ich nicht”. So wollte er sich sehen, als einen, der nie mitgemacht hat, nicht mit den Nazis, nicht mit den Parteipolitikern, nicht mit den politisch Korrekten.
Die beiden Essay-Bände von Joachim Fest sind Kompendium eines Denkens, aber auch eines Lebensgefühls, in dem es nicht um Ausgrenzung anderer geht, wohl aber darum, sich mit den Vielen nicht gemein zu machen. Fest, der deutsche Publizist, war ein hochgebildeter Mann, dem Romantik jeder Art suspekt war. Und doch war auch er ein wenig Romantiker, denn in Wirklichkeit ist auch seine Lebensform Bürgerlichkeit heute zu einer nostalgischen Utopie geworden.
Joachim Fest
Bürgerlichkeit als Lebensform
Späte Essays. 368 Seiten.
Nach dem Scheitern
der Utopien
Gesammelte Essays zu Politik und Geschichte. 448 Seiten.
Beide Bände im Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. Jeweils 19,90 Euro.
Es war ein Lebensgefühl, dem es darum ging, sich mit den Vielen nicht gemein zu machen
Joachim Fest, der FAZ-Herausgeber, dessen Leben von 1926 bis 2006 reichte, war der Publizist par excellence; er war ein hochgebildeter Erzähler und ein homo politicus. Jetzt werden seine kleineren Schriften gesammelt herausgegeben. Foto: Regina Schmeken
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Henning Ritter musste, wie er selbst bekennt, erst einmal einen gewissen Schwindel überwinden, als er diese Essays und Leitartikel Joachim Fests in die Hand nah, so frappierend aktuell erscheinen sie ihm, etwa wenn es um die "Manie der Reformen" geht, die Fest schon im Jahr 1975 schreckte. Doch auch die Essays zur Gegenwärtigkeit Hitlers oder zum Desinteresse der Historiker am Menschen haben für den Rezensenten offenbar nicht an Dringlichkeit verloren, wobei er den Text "Gedanke und Tat" für seinen bedeutendsten geistesgeschichtlichen Essay hält. Und natürlich zitiert er auch genussvoll Fest selbstbewussten Konservatismus, wonach die Gesellschaft zur "Rechtfertigungsideologie von Unterlegenen, die es bleiben wollen" geworden sei.

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Ein großer Mann, ein großartiger Autor - unabhängig nach allen Seiten. Er wird fehlen. Stefan Aust