Produktdetails
Trackliste
CD
1On Coming From A Broken Home [Part 1]00:02:20
2Me And The Devil00:03:33
3I'm New Here00:03:33
4Your Soul And Mine00:02:02
5Parents (Interlude)00:00:18
6I'll Take Care Of You00:02:58
7Being Blessed (Interlude)00:00:12
8Where Did The Night Go00:01:14
9I Was Guided (Interlude)00:00:14
10New York Is Killing Me00:04:29
11Certain Things (Interlude)00:00:08
12Running00:02:00
13The Crutch00:02:44
14I've Been Me (Interlude)00:00:16
15On Coming From A Broken Home [Part 2]00:02:15
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2010

Der Teufel und er

Gil Scott-Heron, der wichtigste afroamerikanische Pop-Poet der vergangenen Jahrzehnte, meldet sich zurück: Die Revolution kann wieder beginnen.

Wenn Rapper in ehrfürchtigem Ton einen Musiker ihrer Vätergeneration als Inspiration anführen, dann fallen am häufigsten drei Namen: Curtis Mayfield, George Clinton und Gil Scott-Heron. Die drei Soulveteranen standen Pate für eine neue, militante Art des Musikmachens und hatten der Generation Hip-Hop die Verbindung von schwarzer Politik und Poesie vorgelebt. Niemand aber mischte sozialen Kommentar und Jazztradition scharfzüngiger und eleganter als Gil Scott-Heron.

Heute gilt der Einundsechzigjährige als wichtigster afroamerikanischer Poet der vergangenen vier Jahrzehnte. Seine perkussiven Spoken-Word-Songs wie "Whitey On The Moon" oder "Who'll Pay Reparation On My Soul" stellten nicht nur wütend-intelligente Angriffe auf das Establishment dar, sondern lieferten bereits Anfang der siebziger Jahre die Blaupause für den späteren Hip-Hop. So schließt sich der Kreis, wenn Scott-Herons phänomenales Comeback-Album "I'm New Here" nun die Rapper aus dem Off überholt, in nur achtundzwanzig Minuten Spielzeit neue ästhetisch-moralische Maßstäbe setzt und offenbart, wie der Großstadt-Blues 2010 klingen könnte, wenn man den Mut hat, sämtliche Klischees des schwarzen Pop über Bord zu werfen - oder desillusioniert genug ist, um den eigenen Dämonen ins Gesicht zu schauen.

Als Scott-Heron 1994 sein letztes Album "Spirits" auf den Markt brachte, redete er der Generation Hip-Hop ins Gewissen, den Traum der Bürgerrechtsbewegung wiederzubeleben und ermahnt sie in dem Song "Message to the Messengers": "Be sure you know the real deal about past situations / and ain't just repeating what you heard on a local TV station." Scott-Heron geht es um schwarzes Geschichtsbewusstsein, eine Erziehung zu Respekt vor den Ahnen und um die Formulierung eines gelebten Gegenprogramms zur Plastikwelt der Konsumkultur.

Er hatte das Thema bereits 1971 in seinem bahnbrechenden Sprechgesang "The Revolution Will Not Be Televised" auf den Punkt gebracht. "Die Revolution wird nicht als Vierteiler ohne Werbeunterbrechung im Fernsehen übertragen, die Revolution passiert live!" Es ist einer der Songs, die Scott-Heron immer wieder unter großem Publikumsbeifall intoniert - auch auf seiner letzten Deutschlandtournee vor gut eineinhalb Jahrzehnten, als man den ausgemergelten Sänger mit dem Wuschelkopf und der schlaksigen Statur eines Basketballspielers wie eine aus dem Pantheon des Hip-Hop zurückgekehrte Legende feierte, auch wenn seine Fahrigkeit und Nervosität auf eine tiefe Lebenskrise hindeuteten. Der Mann, dessen Anti-Drogen-Botschaften Hits wie "Angel Dust" oder "The Bottle" befeuert hatten, war da längst selbst ein Gefangener seiner Dämonen. Die nächsten Jahre sollte er wegen Verstößen gegen das Rauschgiftgesetz mehr Zeit im Gefängnis als auf der Bühne verbringen - und schließlich, frustriert vom Leben hinter Gittern, einer HIV-Infektion und der offensichtlichen politischen Wirkungslosigkeit seiner Texte, ganz damit aufhören, Musik zu machen. Ab und zu erbaten sich ein paar Rapper einen Gastbeitrag. In der Regel aber folgte der Erwähnung seines Namens die zwangsläufige Frage: Lebt der überhaupt noch?

Gil Scott-Heron war 1949 als Sohn eines jamaikanischen Fußballers, des ersten schwarzen Spielers für Glasgows Celtic FC, in Chicago zur Welt gekommen. Er wuchs mit seiner Mutter und Großmutter in Jackson, Tennessee, auf. An der Schule begeisterte er sich für die Gedichte Langston Hughes - eine Entdeckung, die ihn dazu führte, selbst zu schreiben, an der Lincoln University in Pennsylvania Literatur zu studieren, zwei Romane zu veröffentlichen und letztendlich mit einem Kommilitonen namens Brian Jackson eine Band zu gründen. Scott-Heron glaubte an die Macht des gesprochenen Wortes.

Und er wollte es auf die Straßen tragen. Folglich leitete sein Debüt "Small Talk At 125th and Lennox" 1971 - eine Art politisches Tagebuch aus dem Getto - eine Reihe von Alben ein, auf denen Scott-Heron seine Gedichte vertonte: Er griff darin die Apartheid in Südafrika an ("Johannesburg"), besang Rassismus und Depression ("Winter in America") oder protestierte gegen die Kernkraft ("We Almost Lost Detroit"). Die swingenden Arrangements griffen auf Jazz und Funkelemente zurück, legten das Fundament für den späteren Acid-Jazz-Boom.

Wenn Gil Scott-Heron nun zurückkehrt, ist das vor allem seinem Produzenten Richard Russell zu verdanken. Der Chef von XL Records - Plattenfirma der White Stripes, M.I.A. oder Vampire Weekend - hatte den Poeten im Gefängnis besucht und nach seiner Freilassung in ein Studio gelockt. Dabei vermeidet "I'm New Here" alle nostalgischen Rückgriffe. Stattdessen schmiegen sich Scott-Herons sonore Raps an karge, technoide Beats und entwirft Russell eine düstere Soundlandschaft, die mit Dubstep-Bässen und gelegentlichen Folk-Anklängen das ideale Bett für die intimen Sprechgesänge bildet.

Gil Scott-Heron erzählt vom Aufwachsen in einem zerbrochenen Elternhaus, der Verlorenheit in der Großstadt und dem alten Sucht-Teufel: "The Devil and Me". Darüber hinaus packt er Klassiker von Robert Johnson und Bobby Blue Bland in ein zeitgemäßes elektronisches Gewand. Demnächst will Gil Scott-Heron auch noch ein Buch veröffentlichen. Es soll seinen erfolgreichen Kampf zusammen mit Stevie Wonder zur Einführung eines Martin-Luther-King-Feiertags in den achtziger Jahren dokumentieren. Wer außer ihm könnte Geschichte für die Generation Hip-Hop spannender aufbereiten?

JONATHAN FISCHER

Gil Scott-Heron, I'm New Here. XL Records/ Beggars Group 4096252 (Indigo)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr