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Hans-Ulrich Wehler gibt in diesem Band einen souveränen Überblick über die Geschichte des Nationalismus von den Anfängen bis zu seinen heutigen Erscheinungsformen. Dabei stehen Europa und Nordamerika im Vordergrund, aber der Blick fällt auch auf die Ausprägungen des Nationalismus in der außereuropäischen Welt.

Produktbeschreibung
Hans-Ulrich Wehler gibt in diesem Band einen souveränen Überblick über die Geschichte des Nationalismus von den Anfängen bis zu seinen heutigen Erscheinungsformen. Dabei stehen Europa und Nordamerika im Vordergrund, aber der Blick fällt auch auf die Ausprägungen des Nationalismus in der außereuropäischen Welt.
Autorenporträt
Hans-Ulrich Wehler, geboren 1931, studierte Geschichte und Soziologie an den Universitäten Köln, Bonn, Athens/Ohio (USA). 1960 Promotion, 1968 Habilitation. Von 1968 bis 1970 war er Privatdozent in Köln, 1970/1971 Professor an der Freien Universität Berlin. Seit 1971 war er Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität Bielefeld, 1972 Gastprofessor an der Harvard University, Cambridge/Massachussetts, 1976 an der Princeton University, Princeton/New Jersey, 1983/1984 an der Stanford University, Stanford/California, 1989 an der Harvard University. 1996 Emeritierung, 1997 Yale University. 1999 wurde Hans-Ulrich Wehler zum auswärtigen Ehrenmitglied des amerikanischen Historiker-Verbandes ernannt. Im Jahr 2003 erhielt er den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen, 2004 wurde er Ehrensenator der Universität Bielefeld. 2014 erhielt er den Lessing-Preis für Kritik. Hans-Ulrich Wehler verstarb 2014.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.02.2002

Auserwählt
Hans-Ulrich Wehlers meisterhafte
Darstellung des Nationalismus
Nach dem 11. September kamen in vielen westlichen Ländern Bücher über den Islam auf die Bestsellerlisten – ein Umstand, der zwar auch unsere bisherige Ignoranz, aber doch auch so etwas wie guten Willen verrät. Empfinden Leser aus der islamischen Welt einen vergleichbaren Informationsbedarf über den Westen? Wir wissen es nicht. In einer Liste nützlicher Bücher, die knapp, profund, und ohne propagandistische Schönfärberei über Grundtatsachen der westlichen Kultur und Politik unterrichten, könnte jedenfalls Hans-Ulrich Wehlers neues Buch über den Nationalismus eine prominente Stelle einnehmen. Nirgendwo wird man derzeit konziser über die staatlich-ideologische Form unterrichtet, die für die Organisation von Politik auf dem Erdball mittlerweile konkurrenzlos geworden scheint und die eine europäische Erfindung ist: die Nation. Wehler ist das Musterstück einer historischen Aufklärung gelungen, die scheinbar selbstverständliche Erscheinungen der Gegenwart begrifflich nimmt und verfremdet, in ihren langen kulturellen Vorläufen begreift und so gleichsam von außen sieht.
Dass Nation und Demokratie historisch zusammengehören, dass erst die Vorstellung eines in Sprache und Geschichte homogenen Volkes die Verlagerung der staatlichen Legitimität von der Spitze an die Basis erlaubt, dürfte allgemein bekannt sein. Wehler zeigt, dass solche Umgründungen verhältnismäßig gut integrierte Staaten bereits voraussetzen, dass den ersten Nationen in Westeuropa, also England und Frankreich, fortgeschrittene Fürstenstaaten vorausgehen mussten; erst ihre hoch entwickelte Infrastruktur erlaubte die nationale Durchdringung großer Territorien durch Verkehr, Schulwesen, Öffentlichkeit, nicht zuletzt eine gemeinsame Sprache. Wie wenig selbstverständlich das letztere ist, belegen Zahlen: Um 1789 sprachen nur 13 Prozent der Franzosen das moderne Französisch, in Italien war die Hochsprache zur Zeit der Einigung um 1861 bestenfalls 2,5 Prozent der Staatsangehörigen geläufig. Es bedarf erfolgreicher Vorläufer, damit sich das Modell solcher kompakt gewordenen Einheiten in der zwischenstaatlichen Konkurrenz auch anderwo durchsetzt.
Infrastruktur und Gottesbund
Woher aber kommt die geistige Form des Nationalismus, das Ideal einer nationalen, egalitären Gemeinschaft? Um einen Satz von Bertolt Brecht zu variieren: Sie werden lachen, aus der Bibel. Wehlers Nationalismusgeschichte blickt eher nach England und Amerika als nach Frankreich. Nicht Athen und Rom findet er an den Ursprüngen von Nation und Demokratie, sondern das alte Israel. Die alttestamentarische Idee des auserwählten Volks mit seiner Unmittelbarkeit zu Gott und einem ihm von diesem Gott zugewiesenen Land, in dem es für einen heilsgeschichtlichen Auftrag leben soll – den Bund mit Gott –, diese Idee bot den Revolutionären des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts die geistige Form für ihre unerhörten politischen Taten. Die modernen Nationalstaaten suchten sich also uralte Begründungen, nannten sich wie Amerika gar „Neues Jerusalem”, datierten sich jedenfalls zurück in ferne Vergangenheiten und erzeugten so jene Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten, aus der nach einer berühmten Definition die Nation bestehen soll.
Den ersatzreligiösen Charakter dieser modernen Ideologien arbeitet Wehler mit Kälte – und in gewollter Distanz zu einer im Moment sehr angesagten, recht kuscheligen kulturalistischen Nationalismusforschung – heraus; für die Versuche der Mediävisten, die Nation schon in ihrem Rayon zu finden, hat er nur Spott übrig. Scharf benennt er auch die zerstörerischen Seiten des nationalstaatlichen Modells: die Feindbilderzeugung, den Innendruck der Homogenität, die Opferideologie, die Dynamik der Sezessionen und Säuberungen, welche von der Logik der „Selbstbestimmung” in Gang gesetzt wird. Diese Kosten sind keineswegs notwendige Übel: Es gibt Verfassungs- und Sozialstaaten auch ohne jene nationalideologische Zementierung, und es gibt wildgewordene Nationalismen, die es nicht einmal zu geordneten inneren Verhältnissen bringen.
Der interkulturelle Erfolg des Nationalismus, seine Übertragung in Gebiete, die seine staatlich-kulturellen Voraussetzungen nicht aufweisen, führt in jene chaotische Instabilität, die in weiten Teilen der ehemaligen Kolonialgebiete heute herrscht. Der Abschnitt über diesen „Transfernationalismus”, die Fallstudie über den amerikanischen Nationalismus bieten unmittelbar aktuelle politische Handreichungen ebenso wie die meisterhaft übersichtliche Darstellung des deutschen Nationalstaats – ein Muss für Leitkulturschwafler und historisch Ahnungslose vor allem im konservativen Lager.
Vielleicht ist Wehler, seinem schätzenswerten Temperament getreu, in manchen Wertungen zu hart. Inzwischen sind die nationalen Ideologien vielerorts am Verblassen, nur noch in rückständigen Gebieten schreiben Völker sich in allem Ernst religiöse „Missionen” zu. Die Säkularisierung ging weiter, und mittlerweile kann man in Nationalstaaten auch ohne Demogagogen und Mullahs ganz gut leben. Wehler erinnert an die explosiv kurze Geschichte und die lange jüdisch-christliche Vorgeschichte unserer Welt. Mit solchen Büchern braucht der Dialog der Kulturen kein leerer Wahn zu bleiben.
GUSTAV
SEIBT
HANS-ULRICH WEHLER: Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen. C.H. Beck, München 2001. 122 Seiten, 7,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Autor Hans-Ulrich Wehler räumt mit manchem herrschenden Vorurteil darüber auf, wie Nationalismus entsteht und welche Wirkungen er bisher gehabt hat, stellt Rezensent Rudolf Walther angetan fest. Beispielhaft untersuche Wehler die Entwicklung des Nationalismus in den USA und in Deutschland. Für ihn sei die Geschichte des Nationalstaats keine Erfolgsstory, positive Entwicklungen hätten sich nicht wegen, sondern trotz 'nationaler Interessen' ergeben, wohingegen das 'nationale Selbstbestimmungsrecht' zu "Kriegen, Massakern und Vertreibungen" führte. Das alles ist für Walther nachvollziehbar, der die Studie nicht nur inhaltlich spannend, sondern auch "glänzend geschrieben" findet.

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