Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 8,00 €
  • Audio CD

Produktdetails
  • Hersteller: cpo,
  • EAN: 0761203918522
  • Artikelnr.: 35994023
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2015

Sofageburt des digitalen Zeitalters

Loriot hatte doch recht: Frauen und Männer passen nicht zusammen. In Salzburg endet der Geschlechterzusammenprall in Wolfgang Rihms Oper "Die Eroberung von Mexiko" tödlich.

SALZBURG, den 27. Juli

Jeder, der die Felsenreitschule betritt, sieht alt aus. Schuld daran hat Peter Konwitschny, der Regisseur. Er lässt den Saal in ein fieses uringelbes Licht tauchen, selbst jungen Mädchen wachsen da hässliche Augenringe, und das ist eine im Premierenpublikum der Salzburger Festspiele doch eher unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppe. Man kann sich also nicht früh genug daran gewöhnen, zwischen Lemuren und Vampiren zu sitzen, erstens, weil man selbst einer ist, zweitens, weil es sowieso erst am Ende richtig dunkel wird, als Montezuma tot ist und die Oper aus.

Zuvor kommt es, im Lauf dieser Neuinszenierung von Wolfgang Rihms "Eroberung von Mexiko" zu einigen weiteren verstörenden Selbstbegegnungen des Publikums. Wie in einem Agitpropstück aus den späten Sechzigern wird die vierte Wand eingerissen, wir werden einbezogen, befragt, gefordert, umzingelt. Seitlich häkeln Bongos und Crotales ein alsbald undurchdringliches, scheinzartes Gespinst aus polyrhythmischem Grummeln: ein drohendes Gewittern. Hinter uns donnern alsbald vervielfältigte Chorstimmen vom Band, und eine Riesengruppe radikalisierter Bewegungschormänner flankt über die Absperrungen und stürmt die Bühne, wo zwei Sologeiger ihre Sirenengirlanden winden, über den Graben hinweg, in dem Blech, Streicher, Schlagzeug und Pauke hausen. Einmal bemüht sich auch der Aztekenkönig persönlich ins Publikum. Eskortiert von seinen beiden zornig ächzenden Gedanken- oder Seelenstimmen, zwängt er sich durch die Sitzreihen und brüllt, verzweifelt und außer sich, sein Leid jedem ins Gesicht, mit den Klageworten Artauds, die eigentlich für den Konquistador Hernando Cortés bestimmt sind, denen aber hier, in diesem Kontext, mitten unter der echtschmuckverwöhnten Salzburger Klientel, ein zweiter, neuer Sinn zuwächst: "Ihr seht nur Gold, eure Augen funkeln vor Vergnügen, Affen, wie Affen greift ihr nach dem Gold, befingert es, seid hingerissen, ihr alle hungert und dürstet nur nach Gold, wie hungrige Schweine wühlt ihr nach Gold." Krass!

Montezumas Augen glühen, seine/ihre verdreifachte Stimme schnappt über in glitzern-hysterische Vokalschreie, sein/ihr leichtes helles geblümtes Mousseline-Sommerfähnchen flattert im schnellen Lauf. Das Krasseste aber ist wohl, dass niemand nach dieser klassischen Publikumsbeschimpfung aufsteht und geht. Wäre das Wort nicht so abgenützt, müsste man sagen: Alles scheint erschrocken, betroffen. Sogar nach der Pause kommt dieses bewundernswürdig disziplinierte, dem Neuen offenbar keineswegs grundsätzlich abholde Festspielpublikum komplett freiwillig wieder zurück und scheint es kaum erwarten zu können weiterhin beunruhigt zu werden.

Brandneu ist das Stück freilich nicht, nur selten gespielt. Rihms sechste Oper wurde 1992 in Hamburg uraufgeführt, mit Ingo Metzmacher am Pult, der auch diesmal wieder, in Salzburg, dirigiert. Es ist das pure ästhetische Vergnügen, ihm dabei zuzuschauen, wie scheinbar leicht und elegant er die pulsierenden, aus unterschiedlichen Quellen zusammenfließenden, sich zu fragilen Traumszenen oder mächtigen Drohgebirgen formierenden Klänge der Solisten, Sprecher und des ORF-Radio-Symphonieorchesters hervorlockt, sortiert und lenkt. Für ein Stadttheater ist diese Riesenpartitur kaum zu bewältigen. Nur ab und zu hat sich eines daran versucht, mit wechselndem Glück. Oft stand dabei die Raumaufteilung im Wege, manchmal, wie zuletzt in Saarbrücken, auch die szenische Übermalung des dargestellten überhistorischen Völkermord-Konfliktes durch allerhand pittoreske Ethno- oder Feminismus-Folklore. Konwitschny ist der erste Regisseur, der sich traut, fast ganz darauf zu verzichten. Gemeinsam mit Metzmacher bildet er das Dreamteam, auf das diese Oper nun schon 23 Jahre gewartet hat.

Konwitschny und sein Ausstattungskollege Johannes Leiacker haben die blutige wie wahre Geschichte der Eroberung Mexikos ins Hier und Jetzt verlegt und ins eheliche Wohnzimmer. Sie erzählen sie mit abgründig boshafter Ironie, zugleich mit liebevoller Verspieltheit. Einerseits sind alle Gesten und Aktionen direkt aus der Musik abgenommen: Wie ein guter Choreograph setzt Konwitschny Klangorkane oder Traumsequenzen, rhythmische Sensationen oder dynamische, melodische Artikulationen direkt in Bild und Bewegung um, und zwar so, dass der Sinn der verklausulierten und reduziert-hermetischen Texte Artauds noch einmal neu aufgeschlossen wird. Andererseits baut das Regieteam laufend Verständnisbrücken für die Zuhörer, dergestalt, dass man meint, man sehe, was man höre (oder höre, was man sehe): besser, plastischer, haptischer. Selbst denen, die Rihms Musik leidlich gut zu kennen meinen, kommt es manchmal so vor, als hörten sie sie zum ersten Mal.

Montezuma (Angela Denoke), die uns als gierige Schweine beschimpft, ist nicht nur ein beliebter charakteristischer Mezzosopran; sie ist nicht nur eine charmante und hübsche junge Frau (wenn auch zur Zeit, sorry, mit Augenringen). Vor allem gerät dieses adrette Montezuma-Mädchen dort oben in seinem sauber gewienerten Eigenheim, auf dem weißen Klippansofa neben der Zimmerpalme, behütet vom Konterfei der zünftig röhrenden, tödlich getroffenen Hirschkuh (von Frida Kahlo), an der Seite des sportlich-dominanten Macho-Bariton-Ehemannes Cortés (Bo Skovhus) laufend in grausam lächerliche Situationen, die jeder aus der eigenen Ehe oder eheähnlichen Beziehungskiste kennt oder zu kennen glaubt. Ist es nicht genau so, wie es schon Loriot und die Hamann einst schlagend bewiesen haben: Frauen und Männer passen nicht zusammen?

Opfer sind weiblich (wenn auch nicht immer), Täter männlich (jedenfalls oft). Schon Artaud, der rasende Dichter, erfand, zur Analyse des Völkermordes an den Azteken, die Formel "Männlich. Weiblich. Neutral", die sich in Rihms Musik in ein vielstimmig skandiertes, giftiges Mantra verwandelt, eine verzweifelte Frage, die jede Zuversicht durchlöchern könnte. Konwitschny und Metzmacher haben, indem sie die Gedankenstimmen (Susanna Andersson und Marie-Ange Todorovitch) auch szenisch als Freundinnen der Frau, die beiden Sprecher (Stephan Rehm und Peter Pruchniewitz) dagegen als Partner des Mannes auffassen, offenbar einen perfekt passenden Schlüssel gefunden zur Darstellung der Musik.

Überwältigend zum Beispiel die "Revolte": Da kommt Frau Montezuma, umtüddelt von den Frauen, unter heftigem Mithecheln und anfeuerndem Kampfgebrüll der Männer auf dem Wohnzimmersofa nieder und gebiert Cortés eine neue virtuelle Welt. Ihre Babys sind Smartphones, Tablets, Laptops. Und schon bricht die Kommunikation zwischen Mann und Frau vollends ab, und brutale Computerkriegsspiele überschwemmen und überwältigen tosend alles, was gewesen war. Oder bitter, aber süß, das Ende, wenn Montezuma und Cortés, beide mausetot, einander noch einmal wiederfinden. Es ist Nacht. Sie sitzen nebeneinander auf dem Klippansofa, wie Tristan und Isolde oder wie Loriot und die Hamann, und singen ein Duett nach Octavio Paz, singen von tobender Stille und anderen Unvereinbarkeiten wie unerschöpflicher Liebe. Das ist der schmale Silberstreif Hoffnung, mit dem wir entlassen werden.

ELEONORE BÜNING

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr