Produktdetails
- Anzahl: 2 Audio CDs
- Erscheinungstermin: 17. März 1998
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / Deutsche G,
- EAN: 0028945767420
- Artikelnr.: 44881811
CD 1 | |||
1 | Intrada (ERSTER AKT) | ||
2 | Ritornello - E pur' io torno qui, qual linea al centro (ERSTER AKT) | ||
3 | Ma l'aria e 'l cielo (ERSTER AKT) | ||
4 | Signor, deh, non partire! (ERSTER AKT) | ||
5 | Ritornello - Speranza, tu mi vai (ERSTER AKT) | ||
6 | Disprezzata regina (ERSTER AKT) | ||
7 | Ecco la sconsolata (ERSTER AKT) | ||
8 | Le porpore regali, e imperatrici (ERSTER AKT) | ||
9 | Seneca, io miro in cielo infausti rai (ERSTER AKT) | ||
10 | Son risoluto insomma (ERSTER AKT) | ||
11 | Sinfonia - Come dolci, Signor, come soavi (ERSTER AKT) | ||
12 | Ritornello - Ad altri tocca in sorte (ERSTER AKT) | ||
13 | Infelice garzone! - Otto, torna in te stesso (ERSTER AKT) | ||
14 | Ritornello - Sento un certo non so che (ERSTER AKT) | ||
CD 2 | |||
1 | Sinfonia (ERSTER AKT) | ||
2 | Solitudine amata (ZWEITER AKT) | ||
3 | Amici, # giunta l'ora - Non morir, Seneca, no! - Supprimete i singulti (ZWEITER AKT) | ||
4 | Or che Seneca # morto (ZWEITER AKT) | ||
5 | Tu che dagli avi miei (ZWEITER AKT) | ||
6 | Felice cor mio - Nutrice, quanto pagheresti - Ritornello - Il giorno femminil (ZWEITER AKT) | ||
7 | Or che Seneca # morto (ZWEITER AKT) | ||
8 | Adagiati, Poppea - Oblivion soave (ZWEITER AKT) | ||
9 | Eccomi trasformato (ZWEITER AKT) | ||
10 | Forsennato, scellerato (ZWEITER AKT) | ||
11 | O felice Drusilla, o che sper'io? (DRITTER AKT) | ||
12 | Signor, oggi rinasco ai primi fiori - Non più s'interporrà noia o dimora (DRITTER AKT) | ||
13 | Addio, Roma! addio, patria! amici, addio! (DRITTER AKT) | ||
14 | Sinfonia (DRITTER AKT) | ||
15 | Ascendi, o mia diletta - A te, sovrana augusta (DRITTER AKT) | ||
16 | Sinfonia (DRITTER AKT) | ||
17 | Pur ti miro, pur ti godo (DRITTER AKT) |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2018Wir lieben unsere Mörder und Machtmonster
Die Musik, das Flittchen unter den Künsten: Claudio Monteverdis "Krönung der Poppea" in Salzburg
SALZBURG, 13. August
Wenn er sich nicht schon längst auf Kaiser Neros Befehl selbst entleibt hätte, würde Seneca sich jetzt totlachen. Er steht, wie am Jüngsten Tage auferstanden, an der Spitze der bedenklich mageren Männer und Frauen von der Nackedei-Tanzcombo "Bodhi Project & Sead", die mit ihren Körperknäueln drei Stunden lang im Salzburger "Haus für Mozart" die Musik von Claudio Monteverdi aus dem Aufmerksamkeitsfokus des Publikums zu verdrängen suchten, und lacht. Alle lachen: Seneca lacht mit weit entblößten Zähnen, achtzehn Tänzer um ihn herum lachen in gespenstischer Zeitlupe mit gestisch explodierenden Körpern, lachen über einen unfassbar schlechten Witz.
Poppea hat sich hochgeschlafen; das Betthäschen Seiner Majestät wird Kaiserin. Doch dann, wenn Poppea und Nero mit der vokalen Edelsüße eines Spitzen-Sauternes ihr Schlussduett anstimmen, kippt das Gelächter in stumm schreiende Empörung: Dass die Musik, dieses Flittchen unter den Künsten, uns nötigt, zwei Mörder und Machtmonster auch noch zu lieben - das ist einfach zu viel!
In Jan Lauwers Inszenierung - wenn man sie denn so nennen will - von Monteverdis Oper "L'incoronazione di Poppea" ist dieser Schluss das einzige Indiz, dass hier so etwas wie Interpretation stattgefunden haben könnte, Anstrengung zur Deutung, Bestimmung einer eigenen Position gegenüber einer Fabel und der Dimension des Musikalischen in ihr. Der Rest ist "Performance", wie ein modisches Synonym für "Dekoration" lautet. Mit bewundernswerter Kondition dreht sich ständig einer der Tänzer in der Bühnenmitte um sich selbst wie ein delirierender Derwisch; an Krücken schleppen sich menschliche Krüppel göttlicher Scharmützel über die Bühne. Und dann und wann müssen die jungen Männer unter den Tänzern dem Kaiser Nero willfährig sein als Lustknaben, die des Kaisers Küsse in qualvoller Abneigung erdulden. Das sind die raren Momente einer irgendwie inhaltlichen Berührung zwischen Bühnenbewegung und Stoff der Handlung. Ansonsten bewegen sich die Sänger, sehr chic in Designerware von Lemm&Barkey gewandet, zwischen den zwei Instrumentalensembles von "Les Arts Florissants" auf Laufstegen umher wie bei der Fashion Week.
In Berlin, an der Staatsoper Unter den Linden, kann man das gleiche Stück seit Dezember in einer sinnlich ebenso drastischen wie gedanklich strengen Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr erleben, die etwas zu zeigen und zu erzählen hat über Zivilisationspessimismus, über Anziehung und Widerstreit zwischen biologischem und sozial repräsentativem Körper. Nichts davon, nicht einmal ansatzweise, bei Lauwers. Auch die Essays im Programmbuch schließen nichts auf. Wortreich gähnt in ihnen die gedankliche Leere.
William Christie hat vorab erklärt, dass er sich in dieser Produktion nicht als Dirigent versteht. Er sitzt am Continuo-Cembalo und reagiert, wie die übrigen fünfzehn Musiker auch, auf die Impulse der Singenden. Nur zwei Violinen, eine Blockflöte und zwei Zinken gibt es als konzertierende Instrumente. Sie streuen besonders über die fröhlichen Tanzsätze ihre klingenden Blumengirlanden. Der Rest ist, mit tiefen Streichinstrumenten, Laute, Theorbe, Dulzian, Orgel und Cembalo ein reich, aber klanglich weich besetzter Basso Continuo zur farbigen Begleitung des rezitativischen Gesangs. Anders als John Eliot Gardiner, der im vergangenen Jahr in Salzburg alle drei erhaltenen Opern Monteverdis denkwürdig zur Aufführung brachte, setzt Christie nicht auf Sprechaktmalerei oder hitzige Affektgestaltung.
Sein Musizieren geht eine Ebene tiefer auf das, was unterhalb sprachlicher oder gestischer Codierungen liegt: das Biologische. Hier erlebt man wirklich ein Reagieren auf die demonstrative Körperlichkeit von Lauwers Theater. Christie, weiträumig phrasierend, mit gezieltem Gebrauch von Schwelldynamik in der Lautstärke, macht Musik des Atems, des Herzschlags, der Bewegung in den Akten des Kampfes und der Paarung, des Liebens und Tötens. Es ist Musik des melos, des klingenden Leibs ("melea" sind im Griechischen die Glieder des Körpers), nicht des logos, der Sprache oder der Vernunft.
Überwiegend lyrisch, weniger charakteristisch als bei Gardiner im Vorjahr, ist die Auswahl der Singstimmen. Sonya Yoncheva singt eine Poppea voll feinster Zwischentöne, warm, anschmiegsam, mit wenig Vibrato, aber mit einem unwiderstehlichen messa di voce, dem An- und Abschwellen der Stimme auf einem Ton. Auch Kate Lindsey ist ganz hervorragend als Nero, flüstert, faucht und flirtet wie ein Irrer, zeigt zuweilen dramatisches Feuer in ihrem Mezzosopran und am Ende entwaffnenden Charme. Renato Dolcini, der kürzlich bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci zu bewundern war, ist ein Seneca mit jugendlich schönem, seidig glänzendem Bass, Carlo Vistoli ein Otho, der seinem Countertenor mit beweglicher Brillanz die Zerrissenheit eines liebenden Mannes zwischen zwei Frauen zu geben versteht.
Stéphanie d'Oustrac als Ottavia und Ana Quintans als Drusilla stehen in der stimmlichen Attraktivität nicht hinter Poppea zurück, was musikalisch zumindest für eine dramatische Spannung sorgt, die in der Inszenierung kaum ausgeführt ist. Große Sympathien erwirbt sich Lea Desandre als Amor und als Page, sie weiß singend zu niesen und zu gähnen und wickelt sich die ebenfalls ganz adrette Tamara Banjesevic als Damingella in einem prickelnden Duett um den Finger. Marcel Beekman und Dominique Visse begeistern in den Rollen der Ammen als begnadete Komödianten, die stimmlich und szenisch sofort die Spielmacherrolle an sich zu reißen wissen. Da reagiert dann auch endlich einmal lachend das Publikum, das aber am Ende nach müdem, höflichem Applaus und fast schon gelangweilten Buhrufen für die Regie das Haus doch arg schnell verlässt.
JAN BRACHMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Musik, das Flittchen unter den Künsten: Claudio Monteverdis "Krönung der Poppea" in Salzburg
SALZBURG, 13. August
Wenn er sich nicht schon längst auf Kaiser Neros Befehl selbst entleibt hätte, würde Seneca sich jetzt totlachen. Er steht, wie am Jüngsten Tage auferstanden, an der Spitze der bedenklich mageren Männer und Frauen von der Nackedei-Tanzcombo "Bodhi Project & Sead", die mit ihren Körperknäueln drei Stunden lang im Salzburger "Haus für Mozart" die Musik von Claudio Monteverdi aus dem Aufmerksamkeitsfokus des Publikums zu verdrängen suchten, und lacht. Alle lachen: Seneca lacht mit weit entblößten Zähnen, achtzehn Tänzer um ihn herum lachen in gespenstischer Zeitlupe mit gestisch explodierenden Körpern, lachen über einen unfassbar schlechten Witz.
Poppea hat sich hochgeschlafen; das Betthäschen Seiner Majestät wird Kaiserin. Doch dann, wenn Poppea und Nero mit der vokalen Edelsüße eines Spitzen-Sauternes ihr Schlussduett anstimmen, kippt das Gelächter in stumm schreiende Empörung: Dass die Musik, dieses Flittchen unter den Künsten, uns nötigt, zwei Mörder und Machtmonster auch noch zu lieben - das ist einfach zu viel!
In Jan Lauwers Inszenierung - wenn man sie denn so nennen will - von Monteverdis Oper "L'incoronazione di Poppea" ist dieser Schluss das einzige Indiz, dass hier so etwas wie Interpretation stattgefunden haben könnte, Anstrengung zur Deutung, Bestimmung einer eigenen Position gegenüber einer Fabel und der Dimension des Musikalischen in ihr. Der Rest ist "Performance", wie ein modisches Synonym für "Dekoration" lautet. Mit bewundernswerter Kondition dreht sich ständig einer der Tänzer in der Bühnenmitte um sich selbst wie ein delirierender Derwisch; an Krücken schleppen sich menschliche Krüppel göttlicher Scharmützel über die Bühne. Und dann und wann müssen die jungen Männer unter den Tänzern dem Kaiser Nero willfährig sein als Lustknaben, die des Kaisers Küsse in qualvoller Abneigung erdulden. Das sind die raren Momente einer irgendwie inhaltlichen Berührung zwischen Bühnenbewegung und Stoff der Handlung. Ansonsten bewegen sich die Sänger, sehr chic in Designerware von Lemm&Barkey gewandet, zwischen den zwei Instrumentalensembles von "Les Arts Florissants" auf Laufstegen umher wie bei der Fashion Week.
In Berlin, an der Staatsoper Unter den Linden, kann man das gleiche Stück seit Dezember in einer sinnlich ebenso drastischen wie gedanklich strengen Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr erleben, die etwas zu zeigen und zu erzählen hat über Zivilisationspessimismus, über Anziehung und Widerstreit zwischen biologischem und sozial repräsentativem Körper. Nichts davon, nicht einmal ansatzweise, bei Lauwers. Auch die Essays im Programmbuch schließen nichts auf. Wortreich gähnt in ihnen die gedankliche Leere.
William Christie hat vorab erklärt, dass er sich in dieser Produktion nicht als Dirigent versteht. Er sitzt am Continuo-Cembalo und reagiert, wie die übrigen fünfzehn Musiker auch, auf die Impulse der Singenden. Nur zwei Violinen, eine Blockflöte und zwei Zinken gibt es als konzertierende Instrumente. Sie streuen besonders über die fröhlichen Tanzsätze ihre klingenden Blumengirlanden. Der Rest ist, mit tiefen Streichinstrumenten, Laute, Theorbe, Dulzian, Orgel und Cembalo ein reich, aber klanglich weich besetzter Basso Continuo zur farbigen Begleitung des rezitativischen Gesangs. Anders als John Eliot Gardiner, der im vergangenen Jahr in Salzburg alle drei erhaltenen Opern Monteverdis denkwürdig zur Aufführung brachte, setzt Christie nicht auf Sprechaktmalerei oder hitzige Affektgestaltung.
Sein Musizieren geht eine Ebene tiefer auf das, was unterhalb sprachlicher oder gestischer Codierungen liegt: das Biologische. Hier erlebt man wirklich ein Reagieren auf die demonstrative Körperlichkeit von Lauwers Theater. Christie, weiträumig phrasierend, mit gezieltem Gebrauch von Schwelldynamik in der Lautstärke, macht Musik des Atems, des Herzschlags, der Bewegung in den Akten des Kampfes und der Paarung, des Liebens und Tötens. Es ist Musik des melos, des klingenden Leibs ("melea" sind im Griechischen die Glieder des Körpers), nicht des logos, der Sprache oder der Vernunft.
Überwiegend lyrisch, weniger charakteristisch als bei Gardiner im Vorjahr, ist die Auswahl der Singstimmen. Sonya Yoncheva singt eine Poppea voll feinster Zwischentöne, warm, anschmiegsam, mit wenig Vibrato, aber mit einem unwiderstehlichen messa di voce, dem An- und Abschwellen der Stimme auf einem Ton. Auch Kate Lindsey ist ganz hervorragend als Nero, flüstert, faucht und flirtet wie ein Irrer, zeigt zuweilen dramatisches Feuer in ihrem Mezzosopran und am Ende entwaffnenden Charme. Renato Dolcini, der kürzlich bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci zu bewundern war, ist ein Seneca mit jugendlich schönem, seidig glänzendem Bass, Carlo Vistoli ein Otho, der seinem Countertenor mit beweglicher Brillanz die Zerrissenheit eines liebenden Mannes zwischen zwei Frauen zu geben versteht.
Stéphanie d'Oustrac als Ottavia und Ana Quintans als Drusilla stehen in der stimmlichen Attraktivität nicht hinter Poppea zurück, was musikalisch zumindest für eine dramatische Spannung sorgt, die in der Inszenierung kaum ausgeführt ist. Große Sympathien erwirbt sich Lea Desandre als Amor und als Page, sie weiß singend zu niesen und zu gähnen und wickelt sich die ebenfalls ganz adrette Tamara Banjesevic als Damingella in einem prickelnden Duett um den Finger. Marcel Beekman und Dominique Visse begeistern in den Rollen der Ammen als begnadete Komödianten, die stimmlich und szenisch sofort die Spielmacherrolle an sich zu reißen wissen. Da reagiert dann auch endlich einmal lachend das Publikum, das aber am Ende nach müdem, höflichem Applaus und fast schon gelangweilten Buhrufen für die Regie das Haus doch arg schnell verlässt.
JAN BRACHMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main