Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktdetails
Trackliste
CD
1Sonntag00:03:33
2Armer Irrer00:02:49
3Krankheit Als Weg00:03:49
4In Der Wirklichkeit00:04:24
5Alles Macht Weiter00:03:03
6Neuer Morgen00:04:27
7Der Sturm00:04:56
8Jenseits Von Jedem00:14:27
9Jugend Von Heute00:03:16
10Wir Sind Frei00:04:15
11Die Welt Ist Schön00:05:45
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2003

Wenn du noch einmal Generation zu mir sagst, passiert was
Diesseits des sittlichen Ernstes: Mit "Jenseits von jedem" versuchen "Blumfeld" erneut, unrockbare Probleme zu rocken

Es konnte nicht gutgehen. "Blumfeld", eine Rockgruppe, deren Texte deutsch gesungen sind, und Jochen Distelmeyer, der Sänger, der sie schreibt und singt, haben den Hallraum, in dem man sich mit dieser belasteten Sprache zu Liebe und Unrecht äußert, 1991 mit einer Single betreten, die den "Spaßtyrannen" in die Schranken forderte. Später hieß dieser dann auch im Feuilleton endlich Pop, wie beim Marketing schon länger, und man schwor ihm jede Treue. Gemeint war damit Ende der neunziger Jahre, daß es gar keine belasteten Sprachen gibt; wenn man sich nur blöd genug anstellt, darf man alles sagen. Zum Beispiel, wie unlängst geschehen, daß ein Philosoph, der aus Deutschland fliehen mußte, weil er andernfalls umgebracht worden wäre, ein seltsames Sexmonster und überhaupt ein schrulliger Bursche war. Interessant ist das nämlich allemal, skurril auch, irgendwie Pop eben, und schließlich darf sich der vierzigjährige junge Mann, der solche fabelhaften Erkenntnisse für sein Printmedium erkundet und ganz unbelastet hinschreibt, als Mitglied der Generation eins nach Adorno fühlen und bezeichnen. Genau, denn wofür wäre die dumme und freche Vereinnahmungsidee "Generation" sonst auch gut, wenn nicht dafür, dem "Wir haben von nichts gewußt" der kauzigen Großeltern das solidarische "Wir auch nicht, jederzeit" der lustigen Enkel zur Seite zu stellen?

"Blumfeld" klangen und sangen dagegen immer so, als wäre "von nichts gewußt" absolut verboten, als wüßten diese Musiker ganz viel, eigentlich fast alles, bis an die Schmerzgrenze. O Gott, immer diese Probleme mit dem eigenen Körper und dem Rumstehen desselben in sozialen und politischen Ordnungen, angefangen mit dem Männerstück "Penismonolog" auf der Debüt-LP "Ich-Maschine": "In dem Bett, aus dem ich herkam/liegt es sich immer noch unbequem und einsam/bis jemand wie du den Raum betritt/sich seinen Weg bahnt/durch den Gummipuppenfriedhof und mich anklagt." Was hat man sich darüber schön aufregen können: Geht's vielleicht noch eine Nummer zerquälter, das ist ja grauenhaft, mach das mal leiser.

Vielen Dank dafür - denn es geht nicht anders, man muß auf diesen Dingen genau so ungelenk herumreiten. Das Wesen der wichtigeren Sozialprobleme ist ihr zutiefst Lächerliches, sie stehen eben nicht wie ein mit genügend Cleverness allemal lösbares Kreuzworträtsel in der Zeitung, sondern eher wie ein Pferd auf dem Flur. Die Leiber und ihre Standorte in Gemeinschaften zusammen zu erlösen, mit linker Politik, welche die freie Entfaltung des einzelnen als Bedingung der freien Entfaltung aller setzen will, haben verrückte Wissenschaftler namens Wilhelm Reich ebenso versucht wie kommunistische Stardiplomatinnen namens Alexandra Kollontai.

Ein linker Popstar namens Jochen Distelmeyer stieß spät dazu, gab allerdings sein Bestes. Überraschung: Es hat nicht gereicht, die Welt blieb unerlöst. Statt dessen gab es gute Platten: "L'Etat et moi" von 1994 zum Beispiel, wo zwischen langem Sprechgedicht und rhapsodischem Tupfer nach der zauberhaften Maxime "Aus heitrem Himmel tauchst du auf" versucht wurde rauszufinden, wovon "wir", damals Twentysomethings, eigentlich handeln, ohne "uns" gleich zur Generation abzupacken. Und dann, im chaotischen Jahr des ersten rot-grünen Krieges, 1999, kam "Old Nobody". Damit setzte es die große Zäsur für "Blumfeld", für die "Blumfeld"-Rezeption, meinetwegen für die Generation Gartenzwerg: Statt Indie-Rock-Bienenschwärmen, hart am scharfen Wind des Punk, wie etwa noch bei "Jet Set" auf "L'Etat et moi", hörten wir jetzt Streicherwogen und George-Michael-Breitwand-Sehnsuchtsgesänge, lasen dazu erstaunt Texte auf dem Beiblatt, in denen die Körper einander sehr viel schlichter umschlangen als in der Quälpoesie vorher, und durften verdeutlichende Boygroup-Fotos der vier ausführenden Musiker betrachten. Ergebnis: Mißverständnisse, neue Hörerinnen und Hörer, ein fabelhaftes Video mit Helmut Berger, Operation geglückt, Vorhersehbarkeit unterlaufen, komplizierte Kunststücke riskiert. Die Nachfolgeplatte "Testament der Angst" von 2001 hat das damit Erreichte abgesichert, nebenher einige Saxophone aus der Hölle geborgen und angelegentlich daran erinnert, daß es nach wie vor Geld gibt und Lügen, freiwillige Ignoranz und auskömmliche Niedertracht.

Jetzt also dürfen wir uns mit "Jenseits von jedem" auseinandersetzen, der neuen Platte einer Band ohne Peter Thiessen, den Bassisten, der jenen 1999er Schritt mitvollzogen hat, sich jetzt aber stärker seiner ausgezeichneten Band "Kante" widmen wird. Die auf drei Leute reduzierte Gruppe - außer Distelmeyer als Sänger und Gitarrist sind das der Keyboarder Michael Mühlhaus, diesmal auch am Baß, und der Schlagzeuger Andre Rattay - versucht sich erneut an einem Pop, der nicht gutgehen kann, weil darin zugleich die Trompetenfanfaren der Ausgeruhtheit und Worte über "die herrschende Klasse" und "Haß auf die Frauen" vorkommen sollen. Die Grenze für all das, die Schwelle, vor der diese Forderung nach dem Unmöglichen artikuliert werden muß, bleibt der Umstand, daß all unsere popfähigen Sehnsüchte oder Wutanfälle und die nicht popfähige Kompliziertheit politischen Verhaltens im richtigen Leben ja auch nicht getrennt sind, sondern sich dauernd gegenseitig die Luft wegatmen - aber auch mal zufächeln.

Dem Rezensenten gefallen die beiden einfachsten politischen Stücke auf der Platte am besten: "Armer Irrer", in dem ein nicht mal mehr entfremdeter, sondern völlig aus allen Wertkreisläufen rausgefallener Mensch als "schlechter Held" die Wahrheit ertragen muß, und "Alles macht weiter", in dem Freund und Feind gleichermaßen vorkommen, so durcheinander wie draußen im Fernsehen und drinnen in der Erinnerung: "Die Vernichtung der Vielfalt/die schweigende Mehrheit/Der Zorn und der Zwiespalt". Was auf "Old Nobody" angelegt wurde, geht immer noch: "Die Zeit bleibt stehn in meiner Phantasie", schlanker Bombast. Auch die alte Selbstbefragerei wird nicht fallengelassen: "Und manche sagen, der Typ gehört in Therapie". Daran ist nichts auszusetzen; wer so schön ätzend von "Bummeln und Shoppen" zu erzählen weiß und das "e" in "Shoppeeen" dehnt, als wäre es eine EC-Karte aus Hartgummi, mörderisches Geschoß des freien Marktes, der darf auch eigene Probleme haben. Das Beweismittel "kritischer Rocksong" ist nicht erschöpft. Es geht ums Alleinrumstehen oder Zusammenleben in der Weitermachgesellschaft. Großes Thema, kaum zu packen.

Hat also dieses bis in den letzten Riß reife und wichtige, schöne und heikle Album es gepackt? Soll heißen: Hat es die Welt richtig dargestellt, sie versöhnt mit den Phantasien, die man hoffend von ihr entwickeln kann? Selbstverständlich nicht. Es konnte nicht gutgehen, wie die Dinge liegen. Aber dafür, daß es gutgeht, sind die Künstler ja auch nicht auf der Welt. Sie sind hier, damit wir morgen besser weitermachen, durch den Feind hindurch, der wir uns selber sind.

DIETMAR DATH.

Blumfeld, Jenseits von jedem. ZickZack Records 7093 (WEA)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr