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"From one of Bach's greatest living interpreters: a landmark study which explains in wonderful detail how the composer worked, how his music is constructed, how it achieves its effects--and what it can tell us about Bach the man. Johann Sebastian Bach is one of the most famously unfathomable composers in the history of music. How can such sublime work have been produced by a man who (when we can discern his personality at all) seems so ordinary, so opaque--and occasionally so intemperate? John Eliot Gardiner has been studying and performing Bach ever since, and the fruits of this lifetime's…mehr

Produktbeschreibung
"From one of Bach's greatest living interpreters: a landmark study which explains in wonderful detail how the composer worked, how his music is constructed, how it achieves its effects--and what it can tell us about Bach the man. Johann Sebastian Bach is one of the most famously unfathomable composers in the history of music. How can such sublime work have been produced by a man who (when we can discern his personality at all) seems so ordinary, so opaque--and occasionally so intemperate? John Eliot Gardiner has been studying and performing Bach ever since, and the fruits of this lifetime's immersion are now distilled in this remarkable book. It is grounded in all the most recent Bach scholarship but moves far beyond it as well, taking us as deeply into Bach's works and mind as perhaps words can. This is an unparalleled book about one of the greatest of all creative artists"--
Autorenporträt
John Eliot Gardiner is one of the world's leading conductors, not only of Baroque music but across the whole repertoire. He founded the Monteverdi Choir and Orchestra, the Orchestre de l'Opéra de Lyon, the English Baroque Soloists, and the Orchestre Révolutionnaire et Romantique. He has conducted most of the world's great orchestras and in many of the leading opera houses. He lives and farms in Dorset, England.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016

Ein menschlich mittelmäßiges musikalisches Genie

Auf die geistliche Vokalmusik läuft alles hinaus: John Eliot Gardiner feiert Johann Sebastian Bach und ein wenig auch sich selbst als dessen Interpreten.

Von Eleonore Büning

Über Johann Sebastian Bach wurden schon einige Regalmeter Bücher geschrieben, das Biographische allein lässt sich nicht mehr in einer Tasche wegtragen. Dabei schreibt einer vom anderen ab, das lässt sich kaum vermeiden. Nur wenige Quellen gibt es, Rechnungen, Briefe, den von Bachs Söhnen überlieferten "Nekrolog", die etwas verraten könnten über Bachs Persönlichkeit. Die meisten der seit 1802, seit der Veröffentlichung der ersten Bachbiographie von Johann Nikolaus Forkel, weitergereichten Aussagen über Charakter, Umgang, Prägung, Lebensansichten und Gewohnheiten des Komponisten stammen nur aus dem Reich des Anekdotischen. "Wer ist dieser Mann, von welchem alle musikalische Weisheit ausging?", fragte sich der Verfasser der jüngsten wissenschaftlich fundierten Bachbiographie, Christoph Wolff, der mit ihr im Jahr 2000 ein Standardwerk vorlegte, das er selbst nur den "Versuch eines biographischen Porträts" nannte.

Ein anderer bekannter Bachinterpret, Albert Einstein, sagt es anders und drastisch: Man möge Bach tunlichst "hören, spielen, lieben, verehren und - das Maul halten". John Eliot Gardiner zitiert diesen guten Rat gleich auf der ersten Seite seines neuen Buches über Bach, um sich im Folgenden genauso wenig daran zu halten wie Einstein selbst.

Im Original trägt Gardiners Buch den Untertitel "Music in the Castle of Heaven", abgeleitet von der ihrer Deckenfresken wegen "Himmelsburg" genannten Weimarer Schlosskapelle, für die Johann Sebastian Bach einige frühe Kantaten komponierte. Es wurde von der britischen Presse mit Hymnen und Lorbeer so reich bekränzt, dass fast zu erwarten stand, dies könne eines jener Bücher werden, die öfters verschenkt als gelesen werden. Jetzt liegt es auf Deutsch vor, in einer sehr guten Übersetzung. Sie bleibt dicht an der lockeren Diktion des Autors, der höchst eloquent und assoziativ aus der Sicht eines seiner Bedeutung durchaus bewussten Stardirigenten über Musik schreibt.

Und doch ist dies keine leicht konsumierbare Biographie geworden, keine Nachtlektüre für Bachliebhaber aller Fakultäten. Letztlich ist es wohl noch nicht einmal eine richtige Biographie. Gardiner breitet zwar in schwungvollen Kurven Bachs Leben aus, von der Taufe bis zum Tod. Er liefert auch eine Zeittafel im Anhang nebst einem Sach-, Orts- und Personenregister. Doch der Lebenslauf hat Lücken. Einige Stationen, etwa Bachs Zeit am Köthener Hof, werden nur gestreift, auch die Instrumentalwerke, das Wohltemperierte Klavier zum Beispiel, kommt nur in Fußnoten vor. Konjunktivsätze sind dagegen häufig, das meist gebrauchte Wort ist "vielleicht", das zweithäufigste "wahrscheinlich". Sobald es aber, im engeren Sinne, um die Musik geht, die Gardiner exemplarisch aufgeführt hat: die großen Chorwerke, Kantaten, Messen, Passionen - verschwindet das spekulative Vokabular. Plötzlich verwandelt sich sein Buch in ein klares, persönliches Bekenntnis, eine flammende Liebeserklärung.

Man könnte aber auch sagen: in ein glanzvolles, luxuriöses Abfallprodukt. Denn hätte Gardiner nicht seit 2000 seine "Bachkantatenwallfahrt" quer durch die schönsten Kirchen Europas unternommen, um sämtliche 198 Kantaten Bachs aufzuführen und für Tonträger einzuspielen, dann wären diese akribisch subjektiven, unorthodoxen, auf unverhoffte Seitenwege ausschwärmenden und von purer Leidenschaft sprühenden Erläuterungen zum Bachschen Vokalwerk sicher nicht entstanden. Neun von vierzehn Kapiteln kreisen um die Kantaten. Mehr als die Hälfte des Buches befasst sich also mäandernd mit der Musik selbst: ihrer Faktur, ihren Aussagen, den Umständen, denen sie sich verdankt und denen, unter denen sie aufgeführt werden sollte. Und weil Gardiner ein überaus kenntnisreicher und scharfsinniger Musiker ist, wird diese Lektüre zu einem wahren Fest, das übertroffen werden kann nur noch dadurch, Gardiner beim Dirigieren von Bach zu erleben.

Schließlich ist es, frei nach Oscar Wilde, nicht die Aufgabe des Künstlers, zu berichten, sondern zu erdichten. Witzig ist Gardiner auch noch, eine Diva obendrein. Er beginnt seine Bachsuada mit einer Provokation. Anders als andere Bach-Biographen zieht er aus der Tatsache, dass es kaum zeitgenössische Quellen zur Person gibt, den Schluss, Johann Sebastian Bach sei in den Augen seiner Zeitgenossen wohl nicht besonders interessant, nicht einmal sonderlich sympathisch gewesen; er habe, heißt es, "als Mensch allzu offensichtliche Schwächen" gehabt, sei "enttäuschend mittelmäßig" gewesen. Das erste Kapitel informiert dann freilich nicht über Bachs Charakterfehler und wie sie, in früh verwaister Kindheit und herumgereichter Jugend, womöglich ausgeprägt worden sind; sondern über die Vorzüge und Verdienste Gardiners als Interpret Bachs: Sir John Eliot, der Überflieger, der erfolgreiche Pionier der "period player", der Bach-Entrümpler, der Suchende nach dem originalen Bachklang, der fündig Gewordene.

So berichtet Gardiner, wie er 1979 erstmals mit seinen English Baroque Soloists bei der Ansbacher Bachwoche auftrat und Furore machte einerseits mit dem noch reichlich ungeschlachten Klangbild der historischen Instrumente, andererseits mit messerscharfer Artikulation: "Unerwartet dürfte für viele die außergewöhnliche Sorgfalt gewesen sein, die wir auf die deutliche Aussprache des Textes verwendeten - auf die Deklamation der deutschen Worte unter Berücksichtigung rhetorischer und dramatischer Aspekte. Im Geburtsland Bachs einen positiven Beitrag zu seiner Entmystifizierung zu leisten, war ein gutes Gefühl."

Nicht nur als Dirigent bringt sich der Autor öfters ganz persönlich ein, auch als Landwirt, als Naturfreund und als umfassend belesener Polyhistor. Dass sich auf Bachs Speiseplan noch keine Kartoffeln befanden, ist bedauerlich zu erfahren. Dass der Thüringer Wald heute nicht mehr so dicht steht wie weiland, ebenso. Das Umfeld der zeitgenössischen Opernkomponisten-Kollegen, zu denen Bach aus biographischen Gründen eben nicht gehörte, wird von Gardiner beiläufig ausgeweitet bis zu Henry Purcell und Claudio Monteverdi.

Grundsätzlich gibt es nicht viel Neues zu erfahren, nichts, was nicht schon bei Wolff nachzulesen wäre, auf dessen Buch sich Gardiner, was die Fakten angeht, nicht die Meinungen, wesentlich stützt - von kleinen Abweichungen abgesehen. So kann es, zum Beispiel, sein, dass der Knabe Bach die Eisenacher Lateinschule nicht aus Gesundheitsgründen ab und zu geschwänzt hat, sondern, weil dort brutale Behandlung an der Tagesordnung war. Auch dass der dreizehnjährige Bach unter Aufsicht seines älteren Bruders Johann Christoph in Ohrdruf etliche Abschriften anfertigte, was Rückschlüsse zulässt auf ein entspanntes Lehrer-Schüler-Verhältnis der beiden, ist eine Neuigkeit. Diese Kopien sind erst nach dem Brand der Amalienbibliothek 2005 aufgetaucht, Wolff konnte davon noch nichts wissen.

Das historische oder aktuelle Bachbild zu korrigieren oder aber eines gegen das andere auszuspielen ist jedoch nicht das Anliegen Gardiners. Letztlich sucht auch dieses Bach-Buch nichts weiter als eine Antwort auf die große, alte Frage zu finden: "Wer war Bach wirklich?" Den rätselhaften, von Missverständnissen verschatteten Charakter eines großen Musikers aufzuspüren, gibt es für einen Musiker nur einen einzigen Weg, und der führt durch Analyse und Aufführung seiner Musik. Für Gardiner heißt das im Falle Bachs: der geistlichen Vokalmusik.

Er vergleicht, was das betrifft, Johann Sebastian Bach mit dessen Vorbild und Großcousin, Johann Christoph Bach, und mit dem Vorgänger Heinrich Schütz: Sie ähneln einander, bei allen Unterschieden, in ihrer "subtilen Mischung aus eindringlicher Subjektivität und distanzierter Polyphonie". Alle drei Komponisten waren, so Gardiner, offenbar "fasziniert von moralischen Dilemmata und den zahllosen Erscheinungsformen des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse ..., willens, sich in die zwielichtigen Abgründe des menschlichen Geistes vorzuwagen und mit ihrer Musik Trost zu spenden".

Auch das ist keine Neuigkeit. Dass einer, der so tiefe, welthaltige, so genial durchgeformte, Widersprüche austragende und in sich vereinende Kunst erschaffen hat, auch ein tief empfindender, welterfahrener Mensch gewesen sein muss - auf diese Idee sind andere schon vor Gardiner gekommen. Dass es der musikalische "Endzweck" dieses Komponisten gewesen ist, "eine regulirte kirchenmusik zu Gottes Ehren" zu erschaffen, hat Johann Sebastian Bach selbst so formuliert. Doch es ist gut, daran erinnert zu werden.

John Eliot Gardiner: "Bach". Musik für die Himmelsburg.

Aus dem Englischen von Richard Barth. Carl Hanser Verlag, München 2016.

752 S., geb., 34,-[Euro].

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