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'Unerbittlich schreibt Kleist die deutsche Geschichte in die translatio Romae zurück. Die 'Posse', die die Herrmannsschlacht für die befremdeten Zeitgenossen war, setzt keinen urdeutschen Moment, keinen autochtonen Anfang eines Anderen - wie die romvergessene, in Sachen translatio kenntnisfreie Rezeption später annahm - sondern die Unhintergehbarkeit der fluchbeladenen translatio Romae in Szene. Ein weiterer Bürgerkrieg, nicht die glorreiche Gründung einer freiheitsliebenden Nation freier Männer durch Befreiung aus der Fremdherrschaft, ist Kleists Lied.Die Herrmannsschlacht ist ein…mehr

Produktbeschreibung
'Unerbittlich schreibt Kleist die deutsche Geschichte in die translatio Romae zurück. Die 'Posse', die die Herrmannsschlacht für die befremdeten Zeitgenossen war, setzt keinen urdeutschen Moment, keinen autochtonen Anfang eines Anderen - wie die romvergessene, in Sachen translatio kenntnisfreie Rezeption später annahm - sondern die Unhintergehbarkeit der fluchbeladenen translatio Romae in Szene. Ein weiterer Bürgerkrieg, nicht die glorreiche Gründung einer freiheitsliebenden Nation freier Männer durch Befreiung aus der Fremdherrschaft, ist Kleists Lied.Die Herrmannsschlacht ist ein zweistufiges, intertextuelles Palimpsest; die antiken Texte und deren zeitgenössische Rezeption sind ihr Material. Wie ein basso continuo grundiert die römische Geschichte in einem heute nicht mehr vorstellbaren Maß alles Nachdenken über, alles Entwerfen von Zeitgeschichte. Besonders pointiert ist Kleists polemische Widerrede gegen die von Schiller und Klopstock vorgeschlagene translatio romae. KleistsIntertextualität geht dabei auf Gemeinplätze, die verkehrt, verschoben, umbesetzt werden.'
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Autorenporträt
Barbara Vinken (1960) ist Professorin für Allgemeine und Romanische Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiterin des Flaubertzentrums München. [www.barbaravinken.de]
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Ich will nicht lieben! Ich will nicht wissen!
Barbara Vinken liest Kleists Hassdrama „Herrmannsschlacht“ als Anklage gegen heillosen Krieg – Zeit für die Frage, wie Ideologie funktioniert
Zu Beginn des Jahres 1809 schickte Heinrich von Kleist das Manuskript eines Dramas nach Wien, das ihm besonders am Herzen lag. Das Stück müsse gleich zur Aufführung gebracht werden, schrieb er, es sei „mehr, als irgend ein anderes, für den Augenblick berechnet“. Trotz seiner notorisch klammen Finanzlage verzichtete er sogar auf ein Honorar: „ich schenke es den Deutschen“. Tatsächlich wurde die „Herrmannsschlacht“ erst 1860 uraufgeführt. Sie fand großen Zuspruch im Jahr der Reichsgründung 1871, zu Beginn des Ersten Weltkriegs und vor allem nach der nationalsozialistischen Machtergreifung; allein in der Spielzeit 1933/34 wurde es deutschlandweit 146-mal gegeben. Umso mehr machte der Kleist-Forschung nach dem Krieg dieses „Skandalstück“ (Günter Blamberger) zu schaffen.
Was war das für ein Augenblick, auf den Kleist sein Drama „berechnet“ hatte und den er dann doch verfehlte? 1809 stand Napoleon im Zenit seiner militärischen Macht. In Preußen, das nach der Niederlage von 1806 von Frankreich abhängig war, formierte sich jedoch eine Gruppe von Reformern, Akademikern und Schriftstellern, die das Land auf eine nationale Erhebung gegen die napoleonische Fremdherrschaft einzustimmen versuchten. Eine große Rolle spielte dabei das Vorbild der Spanier, die in ihrem Widerstand die Taktik des Guerillakrieges entwickelt hatten. Den vaterländisch gesinnten Kreisen in Preußen ist auch Kleist zuzurechnen. 1808/09 betätigte er sich als Propagandist und verfasste Hasstiraden auf Bonaparte. Dass er sich dabei nach Wien hin orientierte und anscheinend als Teil eines konspirativen Netzwerkes tätig wurde, fügt sich in das Gesamtbild, wie die Germanistin Eva Horn jüngst dargelegt hat. Vorübergehend richteten sich auf Österreich alle Hoffnungen, der französischen Okkupation Mitteleuropas ein Ende zu setzen.
Die „Herrmannsschlacht“ ist im Kern ein Napoleon-Drama, auch wenn seine Handlung im Jahr 9 n. Chr. spielt. Herrmann, nach dem germanischen Fürsten Arminius modelliert, war schon im 18. Jahrhundert von Klopstock und anderen Dichtern zum Nationalhelden der Deutschen hochstilisiert worden. Kleist macht von der zu seiner Zeit verbreiteten Gleichsetzung von Römern und Franzosen einerseits, Germanen und Deutschen andererseits Gebrauch: Herrmanns Werk der Einigung der germanischen Stämme, um den übermächtig scheinenden Okkupator niederzuwerfen, ließ sich von den Zeitgenossen leicht auf die aktuellen Verhältnisse übertragen.
Soweit scheinen Kleists politische Haltung und die Tendenz seines Stückes zusammenzustimmen. Probleme bereiten die Methoden, die Kleists Herrmann anwendet. Er entfesselt einen Krieg, der alle Rücksichten sprengt, und bedient sich dabei wenig heldenhafter Mittel: Hinterlist, Betrug, Meuchelmord, Sabotage, Gräueltaten gegenüber dem eigenen Volk. Als Kämpfer auf offener Bühne tritt er kaum in Erscheinung, er heckt seine Intrigen hinter den Kulissen aus. Opfer dieser Machenschaften wird nicht zuletzt die eigene Frau, Thusnelda: Er bringt sie dazu, einen ihr ergebenen römischen Legaten in ein Gehege zu locken und von einer Bärin zerfleischen zu lassen. Der Befreiungskrieg von Kleists Germanen hat nichts Heroisches, sondern kommt einer grausigen Hetzjagd gleich.
Dies ist der Punkt, an dem die Münchner Romanistin Barbara Vinken mit ihrer brisanten Studie „Bestien. Kleist und die Deutschen“ einsetzt (Merve, Berlin 2011, 100 Seiten, 8 Euro). Bei genauer Lektüre, so argumentiert sie, macht es Kleists Text unmöglich, ihn nationalistisch zu vereinnahmen. Propaganda, die einen verabscheuungswürdigen Helden vorführt, verfehlt ihr Ziel ebenso wie ein Gründungsmythos, der alles vernichtet, was er zu gründen vorgibt. Nicht nur geht am Ende die Teutoburg, Herrmanns Residenz, in Flammen auf. Auch von dem Ideal Germaniens bleibt in Vinkens Lesart nichts mehr übrig. Denn Herrmann kämpft mit eben den Mitteln, die er seinen Feinden unterstellt. Er wird so „napoleonischer als Napoleon“, was nichts anderes heiße, als dass „der Grund für den Krieg schlicht entfällt“.
Das zeigt sich, so Vinken, exemplarisch in der Schlüsselszene, die um die Vergewaltigung einer Jungfrau namens Hally kreist. Der Text lässt unentschieden, ob die Vergewaltigung auf die römischen Eindringlinge zurückzuführen oder das Werk der eigenen Agents Provocateurs ist, die Herrmann durch das Land schickt, um durch inszenierte Gräueltaten die Bevölkerung aufzuwiegeln. So oder so, die geschändete Frau stirbt unter den Dolchstichen ihres Vaters. Kleist ruft hier die Verginia-Episode des römischen Geschichtsschreibers Livius auf. Bei Livius wird die drohende Schändung der Jungfrau durch den Tyrannen zu einem Fanal, um die rechtmäßige Ordnung wiederherzustellen. Bei Kleist dagegen wird diese Opferlogik pervertiert. Hier sind die Männer nicht in guter republikanischer Tradition Beschützer ihrer Familien gegen einen fremden Angreifer, sondern selbst Aggressoren. Und statt einer reinen Jungfrau, deren Opfer ihren Namen verewigt, wird eine zu bloßem Fleisch, zur gesichtslosen Unperson Degradierte dem Nichts anheimgegeben.
Vinken zufolge steht die „Herrmannsschlacht“ nicht im Dienst idealistischer Phantasien über die Zukunft der deutschen Nation, sondern ist auf der Folie der römischen Bürgerkriegsliteratur modelliert: als Anklage gegen einen heillosen und unabschließbaren Krieg, in dem beide Seiten austauschbar werden. Dieser Deutung gemäß vollbringt Kleist das Kunststück einer doppelten Enteignung: Er verwandelt einen deutschen Gründungsmythos in eine translatio Romae, aber gerade nicht des imperialen, sondern des von Bürgerkriegen zerschundenen Rom. Und er macht „die Eindeutschung Herrmanns rückgängig“, der als Arminius, nach den antiken Quellen, römischer Staatsbürger war. Statt in Kleist einen Nationalisten zu sehen, spricht sie von seiner „Zersetzung der nationalen Ideologie seiner Zeit“. Als Dekonstruktivist avant la lettre lasse er den Gegensatz zwischen bieder-deutscher Männlichkeit und französisch-effeminierter Verschlagenheit, auf dem die deutsche Nationalmythologie des 19. Jahrhunderts aufruht, in sich zusammenfallen.
Pech für die deutsche Germanistik, die das nicht sehen wollte: „Selten ist ein Text so brutal gegen das, was schwarz auf weiß in ihm steht, gelesen worden. Selten haben ganze Generationen von Lesern einem Stück so blind Gewalt angetan. Was Kleists Drama eigentlich tut, ist von seiner katastrophalen, im Unmenschlichnationalen versumpften Rezeptionsgeschichte grotesk verstellt worden.“ Indessen lässt auch Vinkens meinungsstarke Interpretation wichtige Fragen offen. Wie soll es zu erklären sein, dass Kleist zur selben Zeit die Zeitschrift „Germania“ plant, um die Preußen zum Hass auf Frankreich anzustacheln, und ein Machwerk wie den „Katechismus der Deutschen“ verfasst, während er in seiner Dramendichtung angeblich den animalischen Charakter des Krieges anprangert? Hebt allein die poetische Qualität ein Werk aus den Niederungen ideologischer Parteinahme?
Im Dramentext finden sich viele Indizien, die eine andere Deutung nahelegen. Der Faszinationskern des Stückes besteht nämlich nicht darin, dass eine ursprünglich vorhandene Unterscheidung zwischen Freund und Feind aufgelöst oder „zersetzt“ wird. Im Gegenteil: Die Maßnahmen, die Herrmann ergreift, zielen darauf ab, diese Unterscheidung allererst herzustellen. Zweimal verlangt er, man solle ihm nicht „das Gefühl verwirren“: als man ihm ansinnt, die Verräter auf germanischer Seite zu bestrafen, und als ein römischer Centurio ein deutsches Kind vor dem Flammentod rettet.
Für Herrmann ist es bei der Verfolgung seiner Aufruhrpläne nur konsequent, wenn er die guten, menschenfreundlichen Feinde mit umso größerem Hass bedenkt. Mit seinem Ausruf „Ich will die höhnische Dämonenbrut nicht lieben!“ rückt er den dezisionistischen Charakter der Freund-Feind-Opposition ins Licht – ganz im Sinne seines Bewunderers Carl Schmitt, der Kleists Stück als „größte Partisanendichtung aller Zeiten“ lobte.
Es sind nicht bestimmte Eigenschaften, die den Feind zum Feind machen. Vielmehr zieht die politische Entscheidung zur Feindschaft die Notwendigkeit nach sich, dem Feind bestimmte Eigenschaften auf den Leib zu schreiben. Die Willkür dieser Operation führt Kleist vor; ihr gegenüber greift die „radikale Entessentialisierung“, die Vinken in dem Stück am Werk sieht, ins Leere. Trotz ihrer gewichtigen Einwände spricht weiterhin vieles dafür, Kleists „Herrmannsschlacht“ als eine Art Handbuch radikaler asymmetrischer Kriegsführung zu lesen. Die Ausgangssituation ähnelt der Motivlage heutiger Selbstmordattentäter: Die Besatzer stehen im Land – in Herrmanns Worten eine „Brut, die in den Leib Germaniens sich eingefilzt“; sie haben nicht nur das Territorium, sondern auch die Geister infiltriert, Allianzen geschlossen und sich sogar, das ist der empfindlichste Punkt, einen Platz im Herzen der eigenen Frauen gestohlen. Gegen einen solchen Feind in der Politik und im eigenen Haus kann nur Terror für Trennschärfe sorgen, der aufs Ganze zielt und die Gewalttaten der Besatzer überbietet. Diesem Terror ist gleichgültig, welches Opfer er im Einzelnen trifft. Seine Wirkung ist auf das Kollektiv berechnet, das er im Hass auf die Eindringlinge einen soll. Er will nicht Haus und Hof beschützen, sondern die gekränkte Ehre wiederherstellen, was ihn, auch gegenüber dem eigenen Land, umso rücksichtsloser macht. Solcher Terror fragt nach keinem Recht; er hat die nihilistische Tendenz, vom Mittel zu einem Selbstzweck auszuarten, der alles in den Abgrund zieht. Auch diese letzte Option ist Teil eines riskanten, lustbesetzten Kalküls.
Was im Streit um die „Herrmannsschlacht“ zur Verhandlung steht, ist nicht allein die Frage, wie politisch, konkret: wie militaristisch die Dichtung des verabschiedeten preußischen Offiziers Kleist ist. Es geht darum, wie überhaupt Ideologie funktioniert. Barbara Vinken ist zuzustimmen, dass Kleists Drama kein auf plane Weise propagandistischer Text ist. Aber aus dieser Feststellung kann man einen ganz anderen Schluss ziehen, als sie es tut: dass er seinen Herrmann, wie es in der Schlussszene heißt, eine „Lektion“ erteilen lässt – eine Lektion in der Psychologie und Praxis totaler Kriegsführung. Kleist bringt keinen charismatischen Helden auf die Bühne. Anders als es wahrscheinlich in der Absicht des Autors lag, ist dies kein Stück, um die Massen zu mobilisieren. Dazu verhandelt es zu viel zynisches Insiderwissen.
Hannah Arendt hat in ihrem Totalitarismus-Buch die Beobachtung gemacht, wie nah Leichtgläubigkeit und Zynismus gegenüber dem Lügengebäude totalitärer Systeme beieinanderliegen. Solche Systeme errichten eine geschlossene Fiktion, auf die sie ihre Anhänger verpflichten, die gleichwohl nur gläubig sind, insoweit sie gläubig sein wollen, und sich eine zynische Reserve vorbehalten: „Freiheit vom Inhalt der eigenen Ideologie charakterisiert die innerste Schicht der totalitären Hierarchie.“
Kleists „Herrmannsschlacht“ ist, in der Form einer literarischen Experimentalanordnung, ein früher Beleg für die Bildung einer derart verschworenen Elite. Ideologie resultiert hier nicht aus Verblendung, sondern Dezision. „Die Elite“, heißt es bei Arendt, „ist darauf abgerichtet, solche argumentativen Unterscheidungen wie die zwischen Richtigkeit und Falschheit oder solche Unterscheidungen der Urteilskraft wie die zwischen Fiktion und Realität gar nicht erst anzustellen.“ Stattdessen werde jede „Tatsachenfeststellung“ unmittelbar als „Willenskundgebung“ behandelt. Der Entschluss zur Feindschaft, ob gegen Römer, Franzosen oder Juden, darf sich vom Augenschein nicht irremachen lassen. Er ruht auf zwei Verneinungen: Ich will nicht lieben! Ich will nicht wissen! Im Zentrum einer Ideologie ist nichts als machtbewehrter Wille; das macht sie gegen Dekonstruktion unempfindlich. Kleists schaurigem Drama kommt das Verdienst zu, dieses leere Geheimnis offen vor Augen zu führen.
ALBRECHT KOSCHORKE
„So kann man blondes Haar und
blaue Augen haben, / und doch
so falsch sein, wie ein Punier?“
„Ich will die höhnische
Dämonenbrut nicht lieben! . . . 
Verwirre das Gefühl mir nicht!“
„Ich aber rechnete, bei allen
Rachegöttern, / Auf Feuer,
Raub, Gewalt und Mord . . . “
Was hat das poetische Genie Kleists und sein Herrmann mit dem Nationalismus des Hermannsdenkmals (1838-1875) zu schaffen? Foto: Joerg Klaus/Ostkreuz
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