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falschen Fährten
Eva Gesine Baurs Buch über
Genius und Eros bei Mozart
Das populärste Rätsel der Musikgeschichte heißt noch immer Mozart. Was hält seine Welt im Innersten zusammen, sein Leben, seine Kunst? Die Beantwortung von Mozart-Fragen bleibt erwünscht, auch im Strauss- und Gluck-Jahr. Doch mit der Beschwörung von „Genius und Eros“, dem Untertitel, scheint die Autorin zunächst offene Türen einrennen zu wollen. Welcher geniale Künstler hätte sich je dem Erotischen verschlossen?
Die nähere Beschaffenheit des Mozart-Eros erklärt uns Eva Gesine Baur in einer „Gebrauchsanweisung für dieses Buch“, anstelle eines Vorworts. Und im Anhang liefert sie dazu das philosophische Gutachten, den Dialog Diotima-Sokrates aus Platons Symposion, der sich mit dem „Wesen des Eros“ beschäftigt. Diotima zu Sokrates: „Eros ist ein großer Dämon, denn alles Dämonische ist ein Mittelding zwischen Gott und Mensch.“ Das ist die Fallhöhe, die die Mozart-Biografin braucht, um die Handlung zwischen Mozarts sublimer Kunst und Mozarts zwiespältiger Figur zu entwickeln.
„Mozart, der große Widerspruch“ ist das Vorwort überschrieben, es geht um die „radikalen Umschwünge“ bei Mozart, die Widersprüche etwa „zwischen Tröstlichem und Furchterregendem“ in seiner Musik. Richard Strauss wird zitiert, der den Platon-Dialog zum Thema Eros ins Spiel brachte, bemüht werden die altgriechische Philosophie und die Mythologie. Nicht recht deutlich wird, was die Autorin mit der Bemerkung meint, es gehe ihr „um den gänzlich philosophischen Mozart“. Dass sie ihr Buch dem Klarinettisten und Komponisten Jörg Widmann gewidmet hat, begründet sie mit dessen Sinn für Widersprüche musikalischen Denkens: „Mozart bewundere ich auch als Meister der falschen Fährten.“ So wie vor Jahrzehnten Wolfgang Hildesheimer die Fremdheit zwischen Mozarts Kunst und unserem Bewusstsein aufgespürt hat, geht die Autorin auf die Suche nach den Verspannungen, die den Komponisten beherrschten, in seinem Alltag und in seiner Musik.
Mozarts Musik und der Mensch Mozart seien „im doppelten Sinn des Wortes unfassbar“, schreibt sie. Und doch werden Mozarts Leben und die Entstehung seiner Werke fein säuberlich, in chronologischer Abfolge, beschrieben – in 22 Kapiteln, die mit der Jahreszahl und einem launigen Aphorismus versehen sind, etwa so: „1771: Strebt nach Höherem Oder: Ein Teenager träumt von der Hofanstellung.“ Fünfzehn Jahre später ist Mozart erwachsen: „1786: Ein Weisheitsliebender Oder: Figaro und das Verbergen der Wahrheit.“ Mozart ist in Wien ein Außenseiter, dessen geniales Talent die Wiener des späten 18. Jahrhunderts kaum erkennen. Baur beleuchtet die historischen Fakten mit lebhaft subjektiver Wertung, sie kann griffig erzählen. Der Musikstandort Wien kann giftig aufleuchten – als die Schlangengrube der Intriganten und Neider bei Hof, der Huldigungen und Schmähungen, des Gewirrs schriller Stimmen und arglistiger Zeugnisse.
Die Ereignisse im Vorfeld der Uraufführung von „Le nozze di Figaro“ sind von komplexer Art. Die Szenerie gleicht einem Abenteuer, in dem sich Mozart und der Figaro-Librettist Da Ponte mit Weitblick und Pfiff bewähren. Sie befinden sich mitten in einem Interessengetümmel. Mozart führt einen dramatischen, von der Zensur entfachten Abwehrkampf um seinen „Figaro“, Kaiser Joseph II. selbst kümmert sich, eher wankelmütig, um das Stück. Mozarts gesellschaftlicher Abstieg in Wien wird greifbar, die mangelnde Diplomatie und Finanzbegabung, die es ihm verwehrten, seinem musikalischen Genie entsprechend anerkannt und honoriert zu werden. Das unstete, ungeheuer arbeitsreiche Leben führt nach anfänglichen Erfolgen in den Ruin, den frühen Tod 1791. Deutlich wird Mozarts ungeheuerer Kräfteverschleiß – woher nahm er all seinen Mut? In den zehn Wiener Jahren hat Mozart vierzehn Mal die Wohnung gewechselt – im Anhang sind die vierzehn quellenverbürgt aufgezählt.
Eva Gesine Baur hat mit ihrem „Mozart“ eine gut lesbare, intelligente Studie präsentiert. Der fast lakonische Erzählstil lässt die Lebensrealitäten klar hervortreten, deren Details sich die Münchner Literatur- und Kulturhistorikerin mithilfe der weit gestreuten Mozart-Literatur gründlich, auch quellenkritisch, erarbeitet hat: Auf mehr als 130 Seiten sind ihre Anmerkungen mit Forschungsergebnissen und eigenen Ergänzungen zu den Kapiteln angewachsen.
Mozarts Musik wird nicht analytisch entschlüsselt, nur kulturhistorisch in ihren Entstehungsbedingungen porträtiert. Im Vordergrund stehen die Opern, die oft mit knappen Beobachtungen charakterisiert werden. Am Ende stellt sich die Autorin, die Mozarts Fallhöhen untersuchte, fast demütig in die Reihe all derer, die über ihn schrieben, denen Mozart seine „Fallen“ stellte – weil seine Musik keiner Worte bedarf. „Sie ist Welterfahrung, losgelöst von jeder irdischen Gestalt. Sie ist Musik und nur Musik.“
WOLFGANG SCHREIBER
Eva Gesine Baur: Mozart. Genius und Eros. Eine
Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2014, 565 Seiten, 24,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Tagespost, Barbara Stühlmeyer
"Hervorragend recherchiert, wissenschaftlich fundiert und spannend wie ein Roman."
Elfi Braschel, Südkurier
"Baur erzählt fesselnd und mit großer Eindringlichkeit."
Klaus Bellin, Lesart