Unglaubliches Leben in den Oberflächlichkeiten zweier Welten
Heutzutage eine aufregende Lebensgeschichte zu erzählen ist sicher nicht einfach. Alles war irgendwie schon mal da gewesen, zu Vieles ist bekannt oder wurde in unzähligen Dokumentarfilmen und –spielen dargestellt. Die archaischen
Kulturen in den versteckten Wäldern entferntester Regionen dieser Welt sind in den Fokus der Medienzeit…mehrUnglaubliches Leben in den Oberflächlichkeiten zweier Welten
Heutzutage eine aufregende Lebensgeschichte zu erzählen ist sicher nicht einfach. Alles war irgendwie schon mal da gewesen, zu Vieles ist bekannt oder wurde in unzähligen Dokumentarfilmen und –spielen dargestellt. Die archaischen Kulturen in den versteckten Wäldern entferntester Regionen dieser Welt sind in den Fokus der Medienzeit gerückt oder gezerrt worden. So weiß man über entlegenste indigene Völker fast ebenso Bescheid wie über die Ergebnisse im Springreiten des vergangenen Wochenendes – wen’s interessiert, erfährt es und kann sich weitgehender informieren.
Die Autorin beschreibt in einer Art Tagebuch ihre individuellen, ganz kleinen und großen privaten Erfahrungen, die sie als Kind eines Missionars bei einem bislang unbeachteten Volk der indonesischen Insel West-Papua (früher Irian-Yaya) machen durfte. Klar beschreibt sie dabei die schönen und intensiven Erlebnisse, schließlich war es ihre Kindheit. Da ist es durchaus verständlich, wenn die Probleme der Welt – auch der Dschungelwelt – außen vor bleiben. Kritiker mögen der Autorin das vorhalten, doch weshalb? „Dschungelkind“ ist eben eine in ihrer Einzigartigkeit des Örtlichen ganz eigene, persönliche Erzählung einer Frau über ihr Leben als Mädchen in der für uns so unglaublichen Eindringlichkeit des Unzivilisierten.
Ein Leben in der Steinzeit war es dennoch nicht für sie, da sie trotz der traditionellen Lebensweise und der für westlich-zivilisierte Menschen oftmals so unnachvollziehbar brutalen oder merkwürdigen Rituale doch ein geordnetes und an den Maßstäben der europäischer Lebensform orientiertes Leben führte. Müsli zum Frühstück, schulähnliche Lerneinheiten, Familienleben in einem – wenn auch schlichten – Haus mit ihren Geschwistern und Eltern. Doch alles freilich in einer Umgebung, die so weit weg und so weit zurück für uns scheint, dass schnell eine etwas überhebliche Einordnung vorgenommen wird, indem Vergleiche mit urzeitlichem Leben gezogen werden.
Trotzdem lässt uns die Autorin in ihrer naiv-oberflächlichen Art teilhaben an den Besonderheiten dieses Lebens, das sich ganz anderen Dingen fügen muss, als ein Leben in der Hektik und der Aufgabenvielfalt unserer Gefilde. Da gibt es keine Eile, kein Ringen um Vormacht, keinen Leistungsdruck und doch sind des die Auseinandersetzungen der Inselbewohner mit ihrem ureigenen kriegerischen oder Frauen verachtenden Habitus, den es für die weißen Friedensbringer aus der fernen Westwelt zu bewältigen gilt.
Die Zielgruppe für die Erzählungen ist nicht eindeutig festzumachen. So kann es als Kinder- und Jugendbuch ebenso durchgehen, wie als Reise- und Lebensbericht für Erwachsene auf der Suche nach den letzten Abenteuern dieser Welt. Auf einer Insel leben ist eben etwas Anderes, als eine Insel besuchen oder als Outdoor-Tourist glorreich zu durchtrekken.
Bei aller Kokketerie mit dem Ungewöhnlichen, Abstrusen, Abenteuerlichen oder Unglaublichen oder auch der Tatsache, keine Heimat für sich zu finden und zwischen zwei Welten zu schwanken, macht die Autorin dennoch glaubhaft, worin ihre Schwierigkeit lag, mit den Gegebenheiten fertig zu werden, insbesondere heute, wo sie als Mutter mit ihren Kindern vermutlich das Ungewöhnliche, Abstruse, Abenteuerliche oder Unglaubliche der so genannten zivilisierten Welt meistern, ihren Kindern Orientierung bieten muss. Das ist mit der Sozialisation und Kulturation eines Dschungelkindes nachvollziehbar eine innere Gratwanderung. Hierin zeigt sich die Authentizität der Autorin. Klar weiß man auch als aufgeklärter Mitteleuropäer, dass die Problemlagen bedrohter Völker sicher tiefgründiger und schwerwiegender gelagert sind, als die verklärende Kindheitserinnerung es glauben macht.
Ausgesprochen kurzweilig bietet das Buch entspannende Einblicke in eine fremde Lebensweise ohne mahnend und Konsequenzen einzufordern. Das müssen Andere leisten und tun es ja auch.
© 5/2006, Uli Geißler, Freier Journalist, Fürth/Bay.