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Computersucht, Komasaufen, Schulmüdigkeit - selten gibt es positive Schlagzeilen über Jugendliche. Mit ihrem Buch wollen Remo H. Largo und Monika Czernin Verständnis für die Jugendlichen und ihre schwierigen Entwicklungsaufgaben wecken und den Blick dafür schärfen, dass in ihren Händen die Zukunft liegt. Ein Buch, das zum Umdenken auffordert.

Produktbeschreibung
Computersucht, Komasaufen, Schulmüdigkeit - selten gibt es positive Schlagzeilen über Jugendliche. Mit ihrem Buch wollen Remo H. Largo und Monika Czernin Verständnis für die Jugendlichen und ihre schwierigen Entwicklungsaufgaben wecken und den Blick dafür schärfen, dass in ihren Händen die Zukunft liegt. Ein Buch, das zum Umdenken auffordert.
Autorenporträt
Remo H. Largo, geboren 1943 in Winterthur, gestorben 2020 in Uetliburg, war bis zu seiner Emeritierung 2005 Professor für Kinderheilkunde. Fast drei Jahrzehnte lang leitete er die Abteilung für Wachstum und Entwicklung am Kinderspital in Zürich, wo er die bedeutendste Langzeitstudie über kindliche Entwicklung im deutschsprachigen Raum durchführte. Er war Vater dreier Töchter und Großvater von neun Enkeln. Seine Bücher »Babyjahre«, »Kinderjahre«, »Schülerjahre« und »Jugendjahre« (mit Monika Czernin) sind Klassiker, ebenso wie »Glückliche Scheidungskinder«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.2012

Das Kind weiß genau, was es werden will

Ob "Babyjahre" oder "Jugendjahre": Der Schweizer Arzt Remo Largo wird verehrt für seine Erziehungsbücher, die für Gelassenheit und Vielfalt plädieren. Ein Ratgeberonkel aber will Largo nicht sein.

Von Julia Schaaf

Die einen bezeichnen ihn als Klassiker, andere empfinden ihn als Gott. Wenn Remo Largo einen Vortrag hält, trifft man im Publikum Kinderärzte, die sagen: "Unsere Eltern arbeiten alle mit seinen Büchern. Viele sagen, das ist die Bibel der Kindererziehung." Eine Schwangere hat am Büchertisch den Bestseller "Babyjahre" erstanden. Drei Mütter mit Make-up und modischen Stiefeln loben, im Gegensatz zu anderen Ratgebern verbreite Largo keinen Druck, sei aber trotzdem eine Orientierungshilfe. Eine Blonde schiebt einen Kinderwagen herein. ",Babyjahre' hat uns begleitet", sagt die Frau. Es ist ihr drittes Kind, vom Wesen her ganz anders als die beiden Großen. "Da muss ich oft dran denken, wie unterschiedlich Entwicklung verlaufen kann und wie ruhig man nach Remo Largo bleiben kann, weil es tausend Wege gibt zum Ziel. Die beste Haltung ist, man nimmt sich zurück und fragt: Was habe ich eigentlich für ein Kind?"

Auftritt Largo. Der Gott der Kindererziehung ist ein unscheinbarer zarter Mann mit grauem Schnauzbart und kahler Stirn. "Wenn Sie wegen der Ratschläge hier sind, muss ich Sie leider enttäuschen", sagt der Zürcher Kinderarzt zur Begrüßung. Sein freundlicher Schweizer Singsang klingt harmlos, mitunter verschaukelt er die Pointen. Seine Worte jedoch sind klar, bisweilen scharf. An diesem Abend in Berlin geht es um "Jugendjahre", Largos jüngstes Buch, das er zusammen mit der Publizistin Monika Czernin geschrieben hat. "Ich möchte als Anwalt der Jugendlichen walten und Verständnis wecken, warum sie sind, wie sie sind", sagt Largo. Seine Botschaft: Akzeptieren, dass man die Kontrolle über die heranwachsende Brut verliert. Den Nachwuchs trotzdem mit den eigenen Standpunkten konfrontieren. Für Krisenzeiten als sicherer Hafen bereitstehen, immer. "Es ist mühselig, das auszuhandeln", sagt Largo. Auf jede Nachfrage sucht er eine präzise Antwort. Warm klappert der Applaus.

Gibt er tags darauf ein Interview, empfängt Largo die Journalistin mit Fragen: Wie alt sind Ihre Kinder? Wo werden die betreut, während Sie hier arbeiten? Was macht Ihr Mann? Der Professor wirkt aufrichtig interessiert. "Das ist schon eine große Herausforderung", murmelt er dann und meint es grundsätzlich: Fünf Minuten, und schon füllt der Kosmos seines Denkens den Raum. Anders als in seinen Büchern geht es darin nicht nur um Kinder, sondern immer um die Gesellschaft, um Männer, um Frauen, um die Organisation von Arbeit und Leben und andere Gründe für die Haltung, mit der wir Kindern begegnen. In manchen Bezirken Berlins, sagt Largo, habe man ihm nach der Veranstaltung am Vorabend erzählt, sei das Kinderhaben neuerdings "in". Was das heiße? Der Wissenschaftler wehrt ab: "Ich find's erst mal nur interessant. Was es tatsächlich bedeutet, bin ich mir nicht sicher."

Man glaubt diesem Mann sofort, dass er Medizin studiert hat, weil er den Menschen als Ganzes verstehen wollte. Sein Blick, seine Fragen, seine Offenheit im Denken zeugen bis heute von großer Neugier. Sein Fach jedoch, auf Körperfunktionen und Krankheiten beschränkt und in Spezialistentum zersplittert, hat ihn früh enttäuscht. "Ich habe immer gewartet auf den großen Moment der Erleuchtung, aber der hat nie stattgefunden."

Darüber ist der Kinderarzt zum professionellen Beobachter geworden. Nach Einsätzen auf der Intensivstation und bei der Rettungsflugwacht, nach seiner Tätigkeit an einer allgemeinen Poliklinik leitete Largo bis zu seiner Pensionierung die Abteilung Wachstum und Entwicklung am Kinderspital in Zürich. Mehr als zwei Jahrzehnte lang protokollierte er Entwicklungsverläufe von der Geburt bis ins Erwachsenenalter. Schon in den späten siebziger Jahren - Largo war frisch aus Amerika zurück und die Videotechnik erst rudimentär entwickelt - setzte er systematisch Filme ein. "Vieles sieht man erst, wenn man es aufnimmt und mehrere Male anschaut, weil es sonst so schnell geht. Man merkt gar nicht, was da passiert."

Das enzyklopädische Wissen dieser vielbeachteten Langzeitstudien bildet den Grundstock von Largos Büchern: Wie lernen Kinder laufen? Wann fangen sie an zu sprechen? Wie verändern sich Schlafbedürfnisse? Wie viel Geborgenheit brauchen sie? Auf welche Weise entwickeln sich Sozialverhalten und Selbstgefühl? Mit Statistiken und Schaubildern kann Largo zu jedem Detail der kindlichen Entwicklung Angaben machen.

Aber sein Ergebnis ist immer ein Spektrum. Für Largo gibt es keine Norm. Seine Normalität heißt Vielfalt. Und die ist weniger das Ergebnis elterlichen Tun und Lassens als eine Frage von Anlage und Persönlichkeit.

"Ich gehe davon aus, dass das Kind sehr genau weiß, was es werden will", sagt Largo in einem Tonfall unerschütterlicher Gewissheit. Woher er sich da so sicher sei? "Wenn Sie hinschauen - und das habe ich jetzt weiß Gott lange gemacht -, wollen sich Neugeborene, Säuglinge und dann rauf bis zum Jugendlichen, selbstbestimmt entwickeln. Wenn man sie denn lässt."

Streng genommen ist der Gott der Kindererziehung nämlich kein Erziehungsberater. Man müsse das wörtlich nehmen, sagt Largo: Ziehen - wohin? "Erziehung, und das ist das fatale an der Pädagogik bis heute, ist definiert durch das Ziel. Pädagogen fragen immer: Was wollen wir für einen Menschen? Wie bringe ich das Kind dorthin? Die Pädagogen gehen nicht vom Kind aus und fragen sich, was das Kind will."

Largo hingegen, der Beobachter, tut genau das. Ganz gleich ob in "Baby-", "Kinder-", "Schüler-" oder "Jugendjahre": Der Professor wollte nie Ratgeber schreiben. Er plädiert vielmehr für ein besseres Verständnis von Entwicklungsprozessen, um sich auf die Bedürfnisse des Nachwuchses einzustellen. Wer etwas weiß über die Merkmale kindlichen Schlafverhaltens, kann sich dem Rhythmus einer Nachteule anpassen. Wer kapiert hat, warum Cliquen für Jugendliche wichtig sind, geht nicht in die Luft, wenn der Teenager nach dem neuesten Handy quengelt. Und wer sein Kind generell als Persönlichkeit sieht, mit Stärken, Schwächen und anderen Besonderheiten, hört hoffentlich auf, es nach seinen Vorstellungen formen zu wollen. Die entscheidende Frage lautet: Welche Erfahrungen braucht dieses Kind? Unter welchen Bedingungen kann es sich entfalten?

Remo Largo hat drei erwachsene Töchter. Die älteste ist Chefin ihrer eigenen Gärtnerei. Die mittlere träumte von einer Tänzerinnenkarriere und lebt jetzt in Costa Rica. Die jüngste hat gerade ihre Ausbildung zur Psychiaterin abgeschlossen.

Vielleicht sei er in seinen Anfangszeiten als Vater wie viele Eltern zu ängstlich und zu rigide gewesen, sagt der Kinderheilkundler über sich selbst. Aber die Interessen und Berufswünsche seiner Töchter habe er immer akzeptiert: "Wahrscheinlich hat das mit meiner Herkunft zu tun." In einer Familie, die zwei Generationen zuvor aus Norditalien eingewandert war, hat er als Erster überhaupt studiert. Sein Vater war von zehn Geschwistern der einzige, der eine Ausbildung absolvierte, er brachte es zur eigenen Mechanikerwerkstatt. Klassische Akademikerfamilien hingegen, sagt Largo, überfrachteten ihre Kinder oft mit Leistungsansprüchen und Karriereplänen.

Dann nestelt er einen Kugelschreiber aus der Aktentasche und sagt: "Vielleicht darf ich mal was zeichnen." Schon kritzelt der vierfache Großvater eine Kurve aufs Papier: die Lesekompetenz eines Kindes, die im Grundschulalter ansteigt und in der Pubertät ihr dauerhaftes Maximum erreicht. Mit einer gestrichelten Linie knapp darunter deutet Largo an, wie dieses Potential im Idealfall ausgeschöpft wird - wenn die Eltern ihre Sache gut machen und das Kind die nötigen Anregungen bekommt. Wenn es schlechter läuft - jetzt malt er eine gestrichelte Kurve weit unterhalb des ursprünglichen Bogens -, bleibt das Kind hinter seinen Möglichkeiten zurück; hier wäre Förderung wichtig. "Aber was nicht geht, ist, dass man darüber hinausgeht", sagt Largo, zeigt auf die allererste Kurve und wiederholt, Schweizer Singsang mit Nachdruck: "Das geht nicht. Und das wollen wir nicht begreifen."

Längst mischt sich der Kinderarzt auf Grundlage seiner Erkenntnisse auch in bildungspolitische Debatten ein. Krippen zum Beispiel findet er gut, weil Kinder für eine gesunde Entwicklung Altersgenossen brauchen. Allerdings mahnt Largo mit Blick auf die Bindungsforschung konstante Bezugspersonen und überschaubare Betreuungszeiten an.

Was die Schule angeht, predigt er die Anerkennung vielfältiger Begabungen und Lerngeschwindigkeiten. "Eine Schule, die nicht individualisiert, sondern Hetze macht mit Auswendiglernen und Prüfungen und Noten, ist eine Katastrophe", sagt Largo. Er ist überzeugt, dass Kinder von ganz allein lernen; alle seine Beobachtungen hätten das gezeigt. Drill hingegen führe zu nichts. Sein Lieblingssprichwort stammt aus Afrika und lautet: "Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht."

Allerdings fühlt Largo sich oft allein mit seiner Sicht der Dinge. "Wir haben diese Vorstellung, Kinder lernen rein gar nichts, wir müssen ihnen alles beibringen. Anmaßung und Fehleinschätzung gleichermaßen", sagt Largo. Damit ist er wieder bei den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, von denen er glaubt, dass sie unseren defizitären Blick auf Kinder prägen: eine von Männern dominierte Pädagogik. Eine Schule, die seit der Industrialisierung mit einem Disziplinierungsauftrag verquickt ist. Das berufliche Selbstverständnis von Lehrern, Logopäden und anderen Experten zur Kinderförderung.

Der Gott der Kindererziehung ist Wissenschaftler. Largo schlägt keinen Alarm. Höchstens dann, wenn er beklagt, wie wenig Zeit Familien heute füreinander haben und wie wenig Kinder es gibt: "Das beunruhigt mich sehr." Außerdem sei es ja so: "Früher kamen die Kinder schicksalshaft auf die Welt, oft ungewollt: Jetzt bin ich bin da. Aber jetzt planen Sie. Und Sie wägen ab. Wie ist das mit dieser Wohnung? Wie ist das mit meiner Karriere? Wenn man sich dann für ein Kind entschieden hat, ich sag's jetzt etwas brutal, dann muss das ein Erfolg werden. Dann fängt die Maschinerie an zu laufen. Wir wollen ja nicht nur ein durchschnittliches Kind." Largo lächelt. Aber sein schweizerisches "oder?" am Ende seines Satzes klingt fast wie eine Drohung.

Monika Czernin/Remo H. Largo, "Jugendjahre. Kinder durch die Pubertät begleiten." Piper Verlag, 400 Seiten, 24,99 Euro.

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»Remo H. Largo ist eine Ausnahmeerscheinung unter den Autoren von 'Erziehungsbüchern'. Er erklärt die Welt in einem bestimmten Alter mit Fakten, fundierten Beobachtungen und viel Verständnis. (...) Leseempfehlung!« Wiener Journal 20131122
"Die Generationskonflikte zu versachlichen und zu entspannen: Das ist das eine Anliegen von Largos Buch. Dazu will er "eine Veränderung des Denkens und Verstehens bewirken, aus der sich dann hoffentlich neue Verhaltensweisen weniger für die Jugendlichen als für die Erwachsenen ergeben.", Tages-Anzeiger (CH), 08.09.2011