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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Dominique Manottis
„Ausbruchs“-Szenario
Im Albassur-Turm im Pariser Viertel La Défense beginnt im März 1987 die Zukunft des jungen Filippo Zuliani. Er ist als Nachtwächter hier gelandet, ein Kleinkrimineller, aus dem Gefängnis in Italien geflohen, in Paris untergetaucht. Die Nachtstunden im Kontrollraum des Turms muss er überstehen, die Einsamkeit wird ihm gefährlich, es grenzt an Depression. Die Freundschaft mit Carlo hatte ihn im Gefängnis davor bewahrt, einem Mann mit Terroristenvergangenheit, einst wichtiges Mitglied der Roten Brigaden. Als Carlo flieht, in einem Müllwagen, springt Filippo, der zufällig am Ort im Müllraum ist, spontan hinterher, „wie Eisenspäne dem Magneten“. Carlo hilft ihm so gut es geht, aber sie müssen sich trennen, Filippo schlägt sich allein durch, zu Fuß, nach Bologna, dann nach Paris, zu Carlos Freundin Lisa. Carlo wird bei einem missglückten Banküberfall in Mailand erschossen.
Damals die Kameradschaft, nun die Leere, Filippo kann nicht vergessen. Nachts im Turm kritzelt er Spiralen und verschlungene Linien aufs Papier, eine Form der Kontemplation, des Erinnerns an Carlo. „Aber vor allem war Carlo eine Stimme, eine Sprache, zahllose Geschichten . . . Carlo hatte die Worte, um von den Schlachten der heißen Jahre zu erzählen, von der Wut, der Verweigerung der Sklavenarbeit, dem Nervenkitzel des Kampfes, der Erregung über Siege wie Niederlagen, die Lust an der Freiheit, der freudig verübten Gewalt. Bereit sein, sein Leben aufs Spiel zu setzen, jeden Tag . . . Filippo schnürte es die Kehle zu. Das Blatt ist jetzt komplett schwarz, er knüllt es zusammen, wirft es in den Papierkorb, nimmt ein neues.“ Er fängt zu schreiben an, in einer wahnwitzigen Mischung aus Vergötterung Carlos und Verrat an der Wirklichkeit, Carlos Geschichte als Räuberpistole, mit Filippo involviert.
Dominique Manotti hat in ihren Romanen bislang die Korruption und die Machinationen der modernen französischen Gesellschaft seziert, lakonisch passioniert, in linken Politthrillern wie „Letzte Schicht“ oder „Das schwarze Korps“. „Ausbruch“ ist nun eine klassische-Anti-Coming-of-Age-Geschichte, die Weigerung einer Generation erwachsen zu werden, abzuschließen mit der Zeit des Widerstands. Selbstquälerisch gehen die Exilitaliener in Paris immer noch die Ereignisse der Siebziger und Achtziger durch, bauen am Mythos der Roten Brigaden, argwöhnisch, dass die Geheimdienste und die Behörden selber weiter an einem verleumderischen Antimythos arbeiten. Heftig diskutieren sie die Vereinigung Lotta Continua, in der Adriano Sofri und andere Intellektuelle sich engagierten, die Gegenaktionen der faschistischen P2 (Propaganda due), in der Politiker, Richter, Geheimdienstler aktiv sind – unter anderem Berlusconi. Mit gröbster Unverschämtheit wurden Fakten verdreht – der Fall des Anarchisten Pinelli, der angeblich mit einem Fenstersprung Selbstmord beging !–, das hat eine Spirale der Paranoia in Gang gesetzt, zu der nun auch Filippos Buch beitragen wird. Die Realität verkommt zur Serie diverser Inszenierungen: „Wir sind schließlich das Vaterland der Oper. Wenn man den Richter im Fall Pinelli bittet, das Libretto zu schreiben, wird es sicher ein überzeugendes Schauspiel.“
FRITZ GÖTTLER
Dominique Manotti: Ausbruch. Aus dem Französischen von Andrea Stephani. Argument Verlag,Hamburg 2014. 253 Seiten, 17 Euro.
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