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2 Kundenbewertungen

In einer rasant erzählten, ebenso komischen wie furchtlosen Familiensaga verleiht Irene Dische ihrer Großmutter eine ganz eigene Stimme. Die gute Katholikin Elisabeth Rother kennt kein Tabu, ganz egal, ob es sich um ihr Ehebett, um die Juden, um den lieben Gott oder um die Gestapo handelt. Allerdings gibt es keine Katastrophe, nicht einmal die Flucht nach Amerika oder der Zweite Weltkrieg, die sie so sehr beschäftigt wie ihr weitverzweigter Clan. Irene Dische löst auf virtuose Weise ein ewiges Problem der Literatur: das der Autobiographie. Bekanntlich verstrickt sich jeder in ein Lügenknäuel,…mehr

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Produktbeschreibung
In einer rasant erzählten, ebenso komischen wie furchtlosen Familiensaga verleiht Irene Dische ihrer Großmutter eine ganz eigene Stimme. Die gute Katholikin Elisabeth Rother kennt kein Tabu, ganz egal, ob es sich um ihr Ehebett, um die Juden, um den lieben Gott oder um die Gestapo handelt. Allerdings gibt es keine Katastrophe, nicht einmal die Flucht nach Amerika oder der Zweite Weltkrieg, die sie so sehr beschäftigt wie ihr weitverzweigter Clan. Irene Dische löst auf virtuose Weise ein ewiges Problem der Literatur: das der Autobiographie. Bekanntlich verstrickt sich jeder in ein Lügenknäuel, der sein eigenes Leben beschreiben will. Aus diesem Dilemma befreit sich die Autorin, indem sie sich dem gnadenlosen Blick ihrer überlebensgroßen Großmama aussetzt.
Autorenporträt
Dische, Irene
Irene Dische wurde in New York geboren. Heute lebt sie in Berlin und Rhinebeck. Bei Hoffmann und Campe erschienen unter anderem der Romanerfolg Großmama packt aus (2005), der Erzählungsband Lieben (2006), die Neuausgabe ihres gefeierten Debüts Fromme Lügen (2007) und zuletzt der Roman Schwarz und Weiß (2017).

Hoger, Hannelore
Hannelore Hoger, 1942 in Hamburg geboren, erhielt ihre Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik in Hamburg. Seit 1960 ist sie auf vielen deutschen Bühnen zu sehen, darunter in Bremen, Köln, Berlin und Hamburg. Neben Auftritten in Film- und Fernsehproduktionen spielt sie seit 1993 die Rolle der Bella Block. Für diese Rolle wurde sie mit dem Grimme-Preis 1994, dem Goldenen Löwen 1996 und der Goldenen Kamera 1998 ausgezeichnet.
Trackliste
CD 1
1Großmama packt aus00:09:24
2Großmama packt aus00:09:35
3Großmama packt aus00:11:14
4Großmama packt aus00:09:31
5Großmama packt aus00:09:05
6Großmama packt aus00:10:58
7Großmama packt aus00:09:21
8Großmama packt aus00:08:53
CD 2
1Großmama packt aus00:10:12
2Großmama packt aus00:07:48
3Großmama packt aus00:17:56
4Großmama packt aus00:09:47
5Großmama packt aus00:11:39
6Großmama packt aus00:07:02
7Großmama packt aus00:12:18
CD 3
1Großmama packt aus00:10:13
2Großmama packt aus00:12:15
3Großmama packt aus00:06:33
4Großmama packt aus00:11:15
5Großmama packt aus00:08:51
6Großmama packt aus00:10:29
7Großmama packt aus00:16:43
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2006

Nichts geht über eine Tochter
Großmama ist eine komplexe Metapher: Irene Disches Roman über Frauen, Erinnerung, Europa und Amerika

Die Erfahrung der Älteren läßt sich von den Nachgeborenen nicht wiederum erfahren. Diese Begrenztheit der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit ist ein Glück für die Kinder und ein Ärgernis nicht nur für Eltern, sondern auch für eine Erinnerungskultur, die den Schrecken des zwanzigsten Jahrhunderts nachhaltig ins kollektive Gedächtnis einschreiben will.

Dazwischen aber gibt es von jeher eine seltsame Eifersucht auf die Erlebnisse der Altvorderen, so schwer sie auch gewesen sein mögen, die sich jenseits der verordneten Erinnerung manifestiert. Ein solcher Impuls erscheint in Irene Disches kürzlich in dieser Zeitung vorabgedrucktem Roman "Großmama packt aus" als treibende Kraft eines Erzählens, das die Distanzen wagemutig überbrückt. "Wir hatten etwas erlebt, das sie nie erleben würde, und sobald ihr das klar wurde, ärgerte sie sich furchtbar darüber, daß sie zu kurz oder zu spät gekommen war."

Das sagt Elisabeth Rothers, die erzählende Großmama, über ihre Enkeltochter, die Schriftstellerin Irene Dische. Die Handlung des Romans folgt der deutsch-jüdisch-amerikanischen Familiengeschichte der Rothers und der Disches, jedoch fungiert die nicht nur körperlich überdimensionale Großmutter nicht als perspektivisch gestaltete Zeitzeugin, vielmehr als eine höchst widersprüchliche narrative Instanz.

So redet sie einerseits im unverkennbaren Stil Irene Disches, jener Kunstform eines urbanen Idioms, das vor allem in New York City zu Hause ist: ungeduldig, witzig, augenzwinkernd theatralisch und auf menschenfreundliche Weise zynisch. Reinhard Kaiser hat das stilsicher in ein ungezwungenes Deutsch übertragen. Andererseits wird Großmama nicht müde, ihre konservativen Überzeugungen darzulegen. Sie hat altersgerecht allerlei Lebensweisheiten parat, die freilich weder Tochter Renate noch Enkelin Irene beherzigen. Und gelegentlich tut sie auch ein wenig schusselig: "Aber wo war ich stehengeblieben?"

Für diese Großmutter gilt erstens, daß sie immer recht hat, und zweitens, daß erstens auch da zutrifft, wo sie nicht recht hat. Ihr erzählender Zugriff auf die anderen hat daher gelegentlich totalitäre Züge. Sie kann allen in den Kopf schauen und weiß sogar, was bei einem Seitensprung in ihrem Ehemann vorgeht. Aber so verzeiht sie ihm schließlich, nachdem sie sich beinahe getrennt hätte. Das wäre zweifellos ein Fehler, ein Mangel an Haltung gewesen. Man läßt sich nicht scheiden, wenn man aus guter rheinischer Familie stammt.

Selbst wenn sie lügt oder sonstwie sündigt, vergibt ihr der liebe Gott, denn er weiß unter den schwierigen Umständen meist auch keine bessere Lösung. Und mit den Lebensweisheiten ist es wie mit den Gebeten. Selbst wenn sie niemand erhört, so stärken sie doch die eigene Standhaftigkeit. Ihr Gott schien damals wirklich nicht gut gehört zu haben, sonst hätte er sie als deutsche Katholikin nicht "derart im Judentum versinken" lassen, sondern ihr mit der Geburt zahlreicher katholischer Nachkommen ein ihm gefälliges Leben ermöglicht. Sie aber hat den jüdischen Arzt Carl Rothers geheiratet. Der ist zwar zum Katholizismus übergetreten, aber das nützte unter den Nazis bekanntlich nichts. Obwohl sie von den Juden nicht viel hält und sich für Politik nicht interessiert, wendet sie sich furchtlos gegen die Nazis, als die ersten judenfeindlichen Maßnahmen verhängt werden, der Staat also ihre Lieben "belästigt". Rechtzeitig organisiert sie die Flucht der Familie nach New York. Der Verlust des guten Lebens und des schönen Hauses im oberschlesischen Leobschütz ist ihr keine Träne wert, nur von der treudeutschen Haushälterin Liesel trennt sie sich ungern.

An die vielen Juden in New York kann sie sich ebenso schlecht gewöhnen wie an Schwarze und Puertoricaner, gleichwohl betreibt Mops, wie sie von ihrer Tochter in liebevoller Respektlosigkeit genannt wird, die Integration und den Wiederaufstieg der Familie mit der ihr eigenen munteren Entschlossenheit. Den Einbürgerungseid spricht die deutsche Patriotin derart überzeugend, daß der zuständige Beamte ganz bewegt ist.

Dem anfänglichen Elend der Emigration widmet sie nur wenige Sätze, und auch die europäische Katastrophe läßt sie souverän hinter sich: "Ich vermisse Deutschland nicht die Bohne." Man hat schließlich eine Aufgabe, nämlich "dafür zu sorgen, daß die Familie ihr Niveau hält". Das ist reine Frauensache. Als auch noch Liesel wieder zu ihr stößt, ist Deutschland abgetan.

Von Männern ist in bezug auf Moral und Haltung nicht viel zu erwarten, findet Großmama. Keinesfalls sollten Frauen ihnen nachlaufen, was sowohl Tochter Renate als auch Enkelin Irene leider doch tun. Renate heiratet im Laufe ihres Lebens nicht nur einen Juden, den völlig indiskutablen Dr. Dische mit den abscheulichen Tischmanieren, sondern gleich mehrere. Die widerspenstige Irene zeigt ebenfalls schon früh eine ungesunde Neigung zu Jungs, was sie nicht nur mit einem Nagel im Fuß, sondern auch mit einer Reihe von Phobien und Ticks büßen muß. Auch bei ihr schlägt das Jüdische durch, obwohl sie beinahe aussieht wie ein deutsches oder gar holländisches Mädchen. Elisabeth Rothers ist da von jeher moralisch standfester. Sie liebt zwar ihren Carl, soweit es sein muß, geschlechtliche Betätigung mit ungewissem Zeugungserfolg aber lehnt sie ab, zumal ihr davon schon im Traum schlecht wird. Carl leidet nämlich zu allem, was an ihm auszusetzen ist, auch noch an "geringer Spermiendichte". Weil sie immer dicker wird, verzichtet aber auch er bald auf die Einforderung ehelicher Pflichten. Renate bleibt das einzige Kind.

Eines Tages ist dem umtriebigen Mops plötzlich langweilig, sie ist fertig mit dem Leben. Sie trinkt noch den Himbeergeist, den sie aus Leobschütz mitgebracht und die ganze Zeit aufgespart hat, und stirbt. Ihre Erzählung aber geht ohne Zäsur einfach weiter. "Als Erinnerung besaß ich viel Kraft." Da wird dem Leser vollends klar, daß die vom katholischen Himmel her erzählende Großmutter eine komplexe Metapher der Literatur ist. Es geht nämlich in dieser tragikomischen Geschichte voller liebend überzeichneter Typen nicht nur, vielleicht nicht einmal in erster Linie, um die Erinnerung an das Drama der vertriebenen deutsch-jüdischen Kultursymbiose, sondern auch um die schwierige Identitätsfindung einer Schriftstellerin zwischen einer nordamerikanischen Sozialisation und einer zwiespältigen Anziehung durch die deutsche und europäische Kultur.

Ähnlich wie Susan Sontag denkt Irene Dische europäisch und historisch und schreibt amerikanisch und aktualistisch. Die angebliche Erzählung der Großmutter überführt die Familiengeschichte der Rothers und der Disches über alle Brüche und Widersprüche der Personen wie der Kulturen hinweg in einen Zusammenhang, in dem auch die Lügen und Selbsttäuschungen wahrhaftig werden. Dadurch wird diese Geschichte am Ende für die erzählte Irene Dische annehmbar, die Widersprüche werden in der Gestaltung erträglich. In der Sprechsituation der Großmutter überschreitet die Autorin symbolisch die Grenzen der individuellen Erfahrung. Im imaginativen Nachvollzug der Erlebnisse der Älteren wird der bestimmten Form ihrer Individuation der Platz innerhalb einer Tradition angewiesen. So gerät die Geschichte zu einem so humorvollen wie komplexen Exempel zum Verhältnis von Erinnern, Erzählen und Verstehen.

Irene Dische erfindet sich in dem Roman als Autorin ihrer Geschichte. So kann sie sich trotz aller Widersprüche schreibend mit ihrem Herkommen und ihrer Zwischenstellung versöhnen, ohne die Ereignisse als schicksalhaft Verhängtes hinzunehmen. Sie selbst gibt ihnen den Zusammenhang, damit den Sinn. Zum Schluß weiß auch der Leser, daß es Sinn hat, sich als (Enkel-)Kind zu wissen und anzunehmen, und daß es gut ist, selber Kinder zu haben und sie in einer Welt voller Spannungen und Brüche in Liebe sie selbst werden zu lassen.

Irene Dische: "Großmama packt aus". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Reinhard Kaiser. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2005. 368 S., geb., 23,- [Euro].

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"Eine wunderbar kantige Erzählung." Georg Leyrer Kurier, 05.07.2019