Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 5,00 €
  • Gebundenes Buch

Gogols 1842 erschienener Roman vom windigen Pawel Tschitschikow, der verstorbene, aber nach der Steuerliste noch als lebend geltende Leibeigene aufkaufen will, um mit diesen "toten Seelen" betrügerische Geschäfte zu machen, ist eine der originellsten Schöpfungen der Weltliteratur. Sprachlich brillant und unvergleichlich komisch, führt er durch eine abgründige Typengalerie aus dem Russland vergangener Zeiten und lässt eine eigenwilliggroteske, "Gogolsche Welt" entstehen.

Produktbeschreibung
Gogols 1842 erschienener Roman vom windigen Pawel Tschitschikow, der verstorbene, aber nach der Steuerliste noch als lebend geltende Leibeigene aufkaufen will, um mit diesen "toten Seelen" betrügerische Geschäfte zu machen, ist eine der originellsten Schöpfungen der Weltliteratur. Sprachlich brillant und unvergleichlich komisch, führt er durch eine abgründige Typengalerie aus dem Russland vergangener Zeiten und lässt eine eigenwilliggroteske, "Gogolsche Welt" entstehen.
Autorenporträt
Wolfgang Kasack, 1927-2003, war Professor für Slawistik an der Universität Köln und hat zahlreiche Werke der russischen Literatur übersetzt. 1981 erhielt er den 'Johann-Heinrich-Voß-Preis' für Übersetzung. Angela Martini ist Literaturwissenschaftlerin und lehrt an der Universität Witten/Herdecke.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2009

Väterchen Frost ist Schnee von gestern

Heute vor zweihundert Jahren wurde Nikolai Gogol geboren: Zwei Übersetzungen seiner "Toten Seelen" laden zur Wiederbegegnung mit dem Hauptwerk des russischen Klassikers ein.

Nikolai Wassiljewitsch Gogol bildet zusammen mit Alexander Puschkin und Michail Lermontow jene Dichtertrias, die für die erste große Entfaltung der russischen Literatur steht. In einer Epoche, die nach dem militärischen Triumph des Zarenreiches über Napoleon vom reaktionären Geist der Heiligen Allianz, durch die Adelsrevolte der Dekabristen und das repressive Regime Nikolaus' I. markiert wurde, rückte die russische Literatur nach einem langen Prozess der Aneignung fremder Muster jetzt in eine Reihe mit der europäischen Romantik. Goethe, Schiller, E.T.A. Hoffmann, Byron, Mickiewicz waren nicht mehr unerreichbare Vorbilder, sondern Dialogpartner der Russen, die sich ihrerseits nun auf die eigenen Traditionen und Themen stützten.

Gerade in Gogols Werken ist deutlich zu sehen, wie er aus der ukrainischen Überlieferung und seinen Petersburger Erfahrungen schöpft und dabei immer wieder ureigene künstlerische Lösungen findet. Seine Herkunft aus einer ukrainisch-polnischen Familie, die ein kleines Landgut in der Nähe von Poltawa besaß, hat ihn nicht gehindert, gezielt auf eine Tätigkeit als Beamter oder als Schriftsteller in Petersburg hinzustreben. Er hatte eine der von Kaiser Alexander I. geschaffenen Eliteschulen besucht, dort beachtliche Literaturkenntnisse erworben und sich bereits als Dichter versucht: Ein Poem mit dem abstrusen Titel "Hanz Küchelgarten", das in einer überzogenen Apotheose Goethes gipfelte, hatte er nach Petersburg mitgebracht. Als es im Druck erschien und auf höhnische Kritik stieß, reiste der düpierte Dichter unvermittelt nach Lübeck - ein Verhaltensmuster, das sich mehrfach wiederholen sollte. Zuletzt 1848 mit seiner geheimnisumrankten Pilgerreise nach Jerusalem, mit der ein jahrelanges Irren von Ort zu Ort endete - im Sommer suchte er Heilung von allerlei Leiden in deutschen Kurorten, im Winter lebte er in Neapel, Florenz oder Rom.

Einige Gogolsche Gestalten zählen zur ewigen Typengalerie der Weltliteratur: der vermeintliche Revisor Chlestakow, der eine korrupte Provinzstadt in panischen Schrecken versetzt; der reisende Kollegienrat Tschitschikow, der in der Provinz unbegreiflicherweise verstorbene Leibeigene aufkauft, oder Akakij Akakijewitsch Baschmatschkin, der kleine Beamte, der sich einen prächtigen Wintermantel abspart, welcher ihm beim ersten Ausgang gestohlen wird. Ganz zu schweigen von dem Kollegienassessor Kowaljow, dem die eigene Nase abhandenkommt. Alle diese Figuren sind nach Habitus und Verhalten höchst bizarr, sie agieren in seltsamen Situationen und werden vom Autor mit sprachlichen Komismen geradezu eingesponnen.

Kein Zweifel: Gogol ist der große Virtuose des Komischen. Und er setzt seine komischen Verfahren nicht zum Selbstzweck ein, sondern um die Banalität des Seins, die russische poschlost, aufzudecken, wo immer sie sich vorfindet, und um im Menschen den Durst nach dem Hohen und Schönen zu wecken: das Metaphysische als Stachel des Komischen.

In Verkennung seines eigentlichen Anliegens haben Gogols Zeitgenossen seinen Werken meist gesellschaftliche Zwecke unterstellt: Gesellschaftssatire, Verlachung des Lasters, Entlarvung des Beamtenapparates, Geißelung der Korruption. In der Tat spießt er dies ja alles auf und spart nicht an Mitleid mit den kleinen Leuten. Und doch war es ein Missverständnis, das die Biographie des Dichters begleitete und ihn vor seinem Publikum zurückscheuen ließ.

Die Frage, ob Gogol Romantiker oder Realist sei, hat den kritischen Diskurs lange Zeit beherrscht, namentlich in Russland, wo nicht erst die sowjetische Literaturkritik die realistische Grundtendenz aller Literatur postulierte. Erst Andrej Belyj und Vladimir Nabokov stellten den einzigartigen Wortkünstler Gogol heraus, der das komische Genre beherrschte wie kein anderer, dem es jedoch nicht gelang, das Erhabene, das Ideal, zu gestalten.

Seinen ersten literarischen Erfolg brachten ihm seine ukrainischen Novellen, "Abende auf einem Weiler nahe Dikanka" (1831/32) und "Mirgorod"(1835), ein. Mit ihrem besonderen sprachlichen und motivischen Kolorit trafen sie auf ein neuentfachtes Interesse an der "kleinrussischen" Welt. Nach Puschkins knapper Prosa, eben erst erprobt in "Belkins Erzählungen", brachte Gogol einen völlig neuen, wort- und pointenreichen Erzählstil in die russische Literatur. Alsbald versetzte er in den Petersburger Erzählungen die komischen und magischen Vorgänge aus dem ukrainischen Dorf in die russische Metropole.

Um seine künstlerischen Innovationen umzusetzen, benötigte Gogol ein Minimum an Material. Im "Revisor", einer der genialsten Komödien der Weltliteratur, verzichtete er auf die traditionelle Liebesintrige und kam mit einer einzigen Situation aus, der des gegenseitigen Verkennens, in die sich Chlestakow und die städtischen Honoratioren verstricken. Puschkin, den Gogol um "eine komische oder nicht komische, aber rein russische Anekdote" gebeten hatte, stellte ihm den Stoff zur Verfügung.

Und auch das Sujet von Gogols einzigem Roman, "Tote Seelen", geht auf eine Anregung Puschkins zurück. Gogol hat angedeutet, dass die Gesamtanlage des Prosapoems ein Pendant zu Dantes "Göttlicher Komödie" hätte werden sollen. Fertiggestellt wurde nur der erste Teil und einige Kapitel des zweiten. Der dritte Teil, der den geläuterten Tschitschikow in die Idealität hätte versetzen sollen, blieb frommer Wunsch. Der unvergleichliche Meister des Komischen und des Grotesken veröffentlichte stattdessen 1847 "Ausgewählte Stellen aus dem Briefwechsel mit Freunden", die ein erschreckend rückwärtsgewandtes Weltbild erkennen ließen. Wissarion Belinskij regierte darauf mit einem aufrüttelnden Brief an Gogol, der unter den russischen Literaten rasch verbreitet wurde. Als Dostojewskij ihn in einem geheimen Zirkel verlas, wurde er verhaftet und einer Scheinhinrichtung unterzogen.

In Gogols Jubiläumsjahr erscheinen zwei deutsche Übersetzungen seines Romans. Der Verlag Philipp Reclam jun. bringt die Übersetzung von Wolfgang Kasack mit den hilfreichen Anmerkungen von Angela Martini neu heraus. Als ausgewiesener Gogol-Kenner hatte Kasack in seiner Übersetzung dem mündlichen Erzählduktus des Roman besonderes Augenmerk gewidmet. Die im Artemis & Winkler Verlag erscheinende neue Übersetzung von Vera Bischitzky geht noch darüber hinaus. Im Sinne des wörtlich bewahrenden Übersetzens, wie es Jacob Grimm oder Wolfgang Schadewaldt vertraten, versucht die Übersetzerin auch jene Gogolismen beizubehalten, die gewöhnlich "verbessert" werden, von den Wiederholungen, Tautologien, eigenartigen Sprachschöpfungen bis hin zur politischen Unkorrektheit.

Man findet bei ihr kein "Väterchen" und "Mütterchen" mehr - stattdessen heißt es "mein Lieber" oder "gute Frau". Die russischen und ukrainischen Speisenamen werden, ebenso wie die verqueren Eigennamen, in ihrer skurrilen Urform ausgebreitet und kundig erläutert. Wie sinnvoll eine Neusichtung des Romantextes ist, zeigt sich bereits in der Titelwiedergabe: "Tote Seelen". Denn mit Gogols "Mjortwyje duschi" - das Russische kennt keinen Artikel - sind natürlich nicht nur die Revisionsleichen gemeint, die Tschitschikow aufkauft, um sie zu beleihen, vielmehr besteht die gesamte Adelsgesellschaft aus toten Seelen, allen voran die von Tschitschikow aufgesuchten Gutsherren.

Zwei Übersetzungen von Gogols Meisterwerk, die, jede für sich, überzeugen, beide in ansprechender Ausstattung, das ist fürwahr eine würdige Huldigung an den großen russischen Schriftsteller!

REINHARD LAUER.

Nikolai Gogol: "Die toten Seelen". Ein Poem. Aus dem Russischen von Wolfgang Kasack. Anmerkungen und Nachwort von Angela Martini. Philipp Reclam jun. Verlag, Ditzingen 2009. 600 S., geb., 26,90 [Euro].

Nikolai Gogol: "Tote Seelen". Aus dem Russischen neu übersetzt von Vera Bischitzky. Mit Anmerkungen und Bericht aus der Übersetzerwerkstatt von Vera Bischitzky. Nachwort und Zeittafel von Barbara Conrad. Verlag Artemis & Winkler, Düsseldorf 2009. 517 S., geb., 89,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
Besonders schön ist die Hardcover-Ausgabe von "Tote Seelen" in der neuen Reclam-Bibliothek. -- Hannoversche Allgemeine Zeitung

Dass Gogols Roman aus dem Jahr 1842 nun in die Reclam-Bibliothek aufgenommen wurde, erscheint fast überfällig. Die toten Seelen gilt als Klassiker, dessen Titel fast schon sprichwörtlich geworden ist. Bei seinem Zensor hatte Nikolai Gogol einst jedoch große Schwierigkeiten, den Titel durchzubringen, so dass die Erstausgabe mit einem eigens vom Autor entworfenen Blatt und dem Titel: Die Abenteuer Tschitschikows erscheinen musste. In der aufwendig gestalteten Reclamausgabe kann man es im Nachwort von Angela Martini bewundern. -- NDR Kultur

Nikolai Gogols großartiger Reise-, Abenteuer- und Schelmenroman um den windigen "Pawel Tschitschikow" ist immer wieder ein Lesevergnügen. -- eurocity - Das internationale Reisemagazin

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zu Nikolai Gogols zweihundertstem Geburtstag erscheinen zwei Neuübersetzungen seines Hauptwerks "Die toten Seelen", die Reinhard Lauer beide sehr zu schätzen weiß. Nach einer eingehenden Würdigung von Gogols meisterhaften Beherrschung des Komischen und dem Hinweis auf die Verkennung seiner Werke durch die Zeitgenossen als vor allem gesellschaftskritisch, wendet sich der Rezensent sehr angetan den neuen Übersetzungen von Wolfgang Kasack und Vera Bischitzky zu. Nachdrücklich, wenn auch nur in einem Satz würdigt er Kasack als profunden Kenner Gogols und zeigt sich sehr einverstanden, dass sich der Übersetzer vor allem auf den "mündlichen Erzählduktus" des Werks konzentriert. Etwas eingehender widmet er sich dann der Neuübersetzung durch Vera Bischitzky, die schon im Titel, wie er findet, den Gewinn einer Neuübersetzung augenfällig macht. Überhaupt halte sich die Übersetzerin an eine möglichst wörtliche Übertragung, die "Gogolismen" wie Wiederholungen, seltsame Eigennamen oder Neologismen nicht korrigiere, wie in früheren Fassungen üblich, so Lauer eingenommen. Für ihn stellen beide Übersetzungen, auch was die schöne Ausstattung angeht, eine angemessene Hommage an den russischen Schriftsteller dar.

© Perlentaucher Medien GmbH