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Im kleinen Städtchen Sleepy Hollow geht 1799 die nackte Angst um: Drei Leichen wurden bereits gefunden, allesamt ohne Kopf. Der Geist eines furchtbaren Reiters, so raunt man sich zu, soll es sein, der da seine blutige Ernte einfährt. Aus New York wird Ichabod Crane geschickt, um die bestialischen Verbrechen aufzuklären. Crane verwirft die abergläubigen Vermutungen als dummes Geschwätz: Es muss eine plausible Erklärung für die Morde geben. Doch wenig später wird sein Glaube an die Vernunft auf eine grauenhafte Probe gestellt – und für immer erschüttert...
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Produktbeschreibung
Im kleinen Städtchen Sleepy Hollow geht 1799 die nackte Angst um: Drei Leichen wurden bereits gefunden, allesamt ohne Kopf. Der Geist eines furchtbaren Reiters, so raunt man sich zu, soll es sein, der da seine blutige Ernte einfährt. Aus New York wird Ichabod Crane geschickt, um die bestialischen Verbrechen aufzuklären. Crane verwirft die abergläubigen Vermutungen als dummes Geschwätz: Es muss eine plausible Erklärung für die Morde geben. Doch wenig später wird sein Glaube an die Vernunft auf eine grauenhafte Probe gestellt – und für immer erschüttert...

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2000

Kopf ohne Kragen
In Tim Burtons "Sleepy Hollow" gibt es nur eine Ruhe: die letzte

Großmutter, warum hast du so lange Ohren? Die Helden des Märchens belastet kein Charakter, sondern eine Frage. Sie sind tumbe Toren oder tugendboldige Töchter, die Heim und Herd in Richtung Welt verlassen. Dort wartet eine Prüfung auf die wandernden Hohlfiguren, bei der sie gute Eheleute werden, oder ein Rätsel, das eine alte Schuld in sich verschließt, oder eine Aufgabe, die mit Erlösung belohnt. Die Langohren des bösen Wolfs, das Erbsenzählen von Aschenputtel, Schneewittchens Zwergenaufwartung: Über diese Hürden muss kommen, wer den Eheanfang im Märchenende erleben will. Dann mag er immer noch Zeit finden, sich einen Charakter zuzulegen.

Ichabod Cranes (Johnny Depp) Rätsel sind die kopflosen Leichen von Sleepy Hollow, einem schlaflosen Nest in der Nähe New Yorks. In wenigen Tagen hat dort mancher Bürger sein Haupt an einen nächtlichen Reiter verloren, dessen Körper ebenfalls kurz über der Halskrause endet; schwertschwingend schafft er nun Menschen nach seinem Vorbild. Das Dorf will dem Spuk ein Ende bereiten und sucht Hilfe bei der großstädtischen Polizei: ein Fall für Crane, den blasiert wirkenden Aufklärer mit der zittrigen Hand. Sein Auftreten hat die übersteife Würde eines zutiefst Verunsicherten. Ständig redet er von der Vernunft, als verschwände sie im Schweigen. Mit fahriger Begeisterung gibt er sich dem Verbrechen hin, ein Kopfmensch, der über jedem Toten seinen Magen spürt. Von Ursache und Wirkung doziert er noch, wenn das Unfassbare in Reihe ohne Glieder vor ihm liegt. Sleepy Hollow wird auch seinen Kopf verrücken, doch nicht vom Rumpf trennen. An der Magie findet der Aufklärer seinen Ernstfall.

Zu Beginn versucht es Crane noch mit der Wissenschaft. Sein mobiles Taschenlabor schleppt er an die Leichenorte, träufelt Reagenzien auf die Schnittstelle und obduziert die ohnehin Zerschnittenen. Skurrile Eigenbauten aus mikroskopierenden Linsen, die ihn zum Insekt verwandeln, sollen das Geheimnis sichtbar machen. Doch die übergenaue Wahrnehmung trägt ihm nichts als Ohnmachten ein. Denn selbst das Natürliche verzerrt sich im wissenschaftlichen Blick, die Instrumente bringen erst den Schrecken hervor, den sie bannen helfen sollen. So endet der Aufklärungswille in der Sackgasse der Grundlosigkeit.

Doch der empfindsame Pathologe und nervenschwache Aufklärer hat ein dringlicheres Problem: Die verwunschene Abgeschiedenheit von Sleepy Hollow bringt Albträume zurück und dunkelt das Licht der Vernunft mit grauenhafter Erinnerung ab. Der Verlust der elfenhaften Mutter, ihr unglaublich bebilderter Tod in der Eisernen Jungfrau, die lebenslangen Narben des Sohns: Crane hat sich die Vernunft dem Schrecken abgetrotzt, sie drängt die Bilder in den Schlaf, aus der sie wie der Reiter jede Nacht hervorbrechen. Im rückständigen Dorf taucht auch die verschobene Kinderwelt wieder auf, der Detektiv ist seinem Vorleben auf der Spur. Er selbst ist sich der nächste Fall.

Man hat dem Regisseur Tim Burton vorgeworfen, er vergäße über dem Kulissenbau die Figuren, seine Filme seien Orgien aus Styropor, in dessen Fugen auch nicht ein Fingerbreit Seele hineinpasse. Tatsächlich fallen einem zuerst Szenerien ein: das verslumte Art déco von Gotham City, wo die Häuserschluchten fast zu schmal für Batmans Schwingen sind; die fliegenden Papptassen aus Ed Woods ärmlichem Weltall, der Gebüsch-Nippes von Edwards Scherenhänden. Und tatsächlich hat Burton sein Kino vom Dialog abgesprengt. Seine Helden sind die Räume, in denen puppenhaft verfremdete Zweibeiner wie Requisiten eingehen. Kein anderer Regisseur hätte eine Schauspielerin wie Michelle Pfeiffer so lange bearbeitet, bis nur noch das Kostüm einer Catwoman übrig blieb. Dieses Kostüm aber hatte nun ein Gesicht und eine Geschichte, es selbst war der Akteur in einer Filmwelt, in der bisher ungesehene Bilder den Zuschauer tiefer verstörten als ein kammergespielter Nervenkrampf.

"Sleepy Hollow" eröffnet einen neuen, wunderbaren Bildersaal. Gerade seine angeblichen Freiluftszenen in Wald und Flur sind von einer Dichte, wie sie nur der Studiobau und die Nachbearbeitung am Computer schaffen. Diese extreme Künstlichkeit ist die wahre Natur des Märchens, ihr Requisit der Rebus des Traums. Burton belässt das Freudsche Zitat in seiner Isolierung und wiederholt damit die Traumarbeit. Wie der Märchenheld für die Psychoanalyse nicht Mensch, sondern Material ist, so hat auch nicht Ichabod Crane, sondern allein seine Umgebung einen Charakter. Er bleibt eine Gliederpuppe, ein Hampelmann der Aufklärung, dessen Ohnmachten jedes Gefühl nur karikieren. Gerade aber diese Entfremdung, die Autonomie der Körperteile, ist Bedingung der märchenhaften Illusion. Vor dem bösen Wolf besteht nur die Naivität eines Rotkäppchens.

So nimmt das kopflose Unglück seinen aberwitzigen Verlauf. "Sleepy Hollow" ist ein Kuriositätenkabinett, in dem Formalinpräparate das Laufen lernen. Mit einer perfektionistischen Lust am Detail setzt Burton das halbschneiderische Treiben des Reiters (Christopher Walken) in Szene, erstickt das Lachen im Grauen und reanimiert es anschließend durch Übertreibung. Dass bei ihm nur die Dinge leben, zeigt der Baum des Todes, der Eingang in die Hölle: Durch seine Adern fließt das Blut der Opfer, Köpfe verwachsen mit seiner Rinde zu exotischen Knollenpilzen, und das Herausspringen des Reiters gerät zu einer Eruptionsgeburt. Alle diese Szenen sind hoch künstlich, aber sie machen dem Gedächtnis zu schaffen. Die Blutleere des Märchens ist seine Gattungsbedingung. Wer ihm das zum Vorwurf machen will, handelt kopflos.

Am Ende kehrt Crane aus seiner Kindheit samt Ehefrau nach New York zurück. Angekommen ist er damit in einer vernünftigen Heimat, irgendwo zwischen Bowery und Bronx. Das Schlussbild aber, ein Vogelblick durch ein verschneites Menschentreiben, ist so unwirklich wie der Hexenwald in Sleepy Hollow. Aus dem Schlaf der Vernunft, der Ungeheures gebiert, gibt es kein Erwachen.

THOMAS WIRTZ

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