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"Wie mochte die Welt, so fragte ich mich, für Menschen aussehen, die völlig farbenblind geboren werden? Erscheint sie ihnen - da sie keinen Sinn dafür haben, dass ihnen etwas fehlt - möglicherweise genauso dicht und lebendig wie uns?Haben sie vielleicht sogar eine geschärfte Wahrnehmung von Tönungen und Struktur, Bewegung und Tiefe, so dass sie in einer Welt leben, die in mancher Hinsicht intensiver ist als unsere, in einer Welt gesteigerter Realität - einer Welt, von der wir eine schwache Ahnung bekommen, wenn wir die Bilder der großen Schwarzweißfotografen betrachten?"

Produktbeschreibung
"Wie mochte die Welt, so fragte ich mich, für Menschen aussehen, die völlig farbenblind geboren werden? Erscheint sie ihnen - da sie keinen Sinn dafür haben, dass ihnen etwas fehlt - möglicherweise genauso dicht und lebendig wie uns?Haben sie vielleicht sogar eine geschärfte Wahrnehmung von Tönungen und Struktur, Bewegung und Tiefe, so dass sie in einer Welt leben, die in mancher Hinsicht intensiver ist als unsere, in einer Welt gesteigerter Realität - einer Welt, von der wir eine schwache Ahnung bekommen, wenn wir die Bilder der großen Schwarzweißfotografen betrachten?"
Autorenporträt
Hainer Kober, geboren 1942, lebt in Soltau. Er hat u.a. Werke von Stephen Hawking, Steven Pinker, Jonathan Littell, Georges Simenon und Oliver Sacks übersetzt.  Oliver Sacks, geboren 1933 in London, war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Columbia University. Er wurde durch die Publikation seiner Fallgeschichten weltberühmt. Nach seinen Büchern wurden mehrere Filme gedreht, darunter «Zeit des Erwachens» (1990) mit Robert de Niro und Robin Williams. Oliver Sacks starb am 30. August 2015 in New York City. Bei Rowohlt erschienen unter anderem seine Bücher «Awakenings ¿ Zeit des Erwachens», «Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte», «Der Tag, an dem mein Bein fortging», «Der einarmige Pianist» und «Drachen, Doppelgänger und Dämonen». 2015 veröffentlichte er seine Autobiographie «On the Move».
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.1997

Der Verkannte der Inseln
Oliver Sacks unternimmt einen Badeausflug, Alma lächelt und serviert Salat: Ein Diaabend in Prosa

Die Klage über einen literarischen Ehrgeiz, der den Mangel an Begabung keineswegs wettmache, ist ein Standardmotiv in den Rezensionen der Bücher von Oliver Sacks. Die ausgefallenen Krankengeschichten, die der Neurologe in den Bänden "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" und "Eine Anthropologin auf dem Mars" schilderte, haben ihn berühmt gemacht und ihm viel Lob von allen Seiten eingetragen, aber auf seinen blumigen Stil und seinen unglücklichen Hang zum Philosophieren haben die Kritiker mit wachsender Gereiztheit reagiert.

Man hat Sacks Geschwätzigkeit vorgeworfen, einen nervtötenden Plapperton, Längen, Wiederholungen und die prätentiöse Art, in der er seine Belesenheit zur Schau stellt: Planck, Joyce, Einstein, Locke, Newton, Kant, Nietzsche, Goethe oder Montaigne zitiert er mit der gleichen Grandezza herbei wie ein Lord seinen Butler. "Jeder Essay wirkt wie der lange Telefonanruf eines altmodischen Hausarztes", urteilte "Time". Auch in Interviews ist Sacks bemerkenswert mitteilsam. Er hat die Welt wissen lassen, daß er täglich mehrere Meilen schwimme, seine Hotels nach der Größe ihrer Schwimmbecken auswähle und beim Schwimmen manchmal "in eine Art Trance" falle, in der sich sein ganzes Wesen verwandele. Weitere kokette Einzelheiten haben sich bis zum Munzinger-Archiv herumgesprochen: "Außer der Science-fiction-Serie ,Star Trek' hat er angeblich noch nie etwas im Fernsehen gesehen. Oft kolportiert wird seine Vorliebe für ein unterkühltes Raumklima um 14 Grad Celsius."

Sacks scheint Wert darauf zu legen, daß man ihn für leicht exzentrisch hält; als schmeichele es seiner Eitelkeit, wenn Leute, die ihn vorübergehen sehen, einander zuflüstern: "Sehen Sie nur, da vorne geht er, der etwas wunderliche Professor! Man sagt, er bevorzuge ein unterkühltes Raumklima, und beim Schwimmen pflegt er in eine Art von Trance zu fallen!" - "Ach so, er ist Professor. Das ist etwas anderes."

Nach eigener Auskunft ist Sacks aber auch von dunklen Trieben durchdrungen und von großen Leidenschaften beseelt. Im Gespräch mit dem "Spiegel" hat er sein "zwanghaftes, aber gleichzeitig auch natürliches Bedürfnis, Erfahrungen in Form von Sprache wiederzugeben", offenbart und darauf hingewiesen, daß er schon als Kind jede Menge Stifte und Notizbücher mit sich herumgetragen und den Spitznamen "Inky" erhalten habe. Der "Zeit" gegenüber hat er erklärt: "Für mich ist das Schreiben so etwas wie lautes Nachdenken."

Nach einem Forschungsaufenthalt auf mehreren Südseeinseln hat in Oliver Sacks das zwanghafte Bedürfnis, Erfahrungen in Form von Sprache wiederzugeben, erneut obsiegt; entstanden ist das Buch "Die Insel der Farbenblinden". Man gewinnt bei der Lektüre ein lebhaftes Bild von den Schwierigkeiten, die Sacks die allmähliche Vertiefung der Gedanken beim Schreiben bereitet hat. "Das, denke ich, war für uns alle der erste Eindruck: der Duft einer tropischen Nacht, die Wohlgerüche des Tages, gereinigt durch die kühlende Nachtluft - und über uns, unglaublich klar, das weitgespannte Dach der Milchstraße." Weniger schön als die Pracht der Erfindungen von Mutter Natur ist ihre Würdigung im Stil der Urlaubskataloge.

Ozeanische Gefühle

Sacks schwärmt "von den wundervollen Blautönen der See", das Wasser findet er "herrlich warm", und er bestaunt "das endlose Blau von Himmel und Meer, die hin und wieder zu einer einzigen blauen Schale verschmelzen". Angesichts all dessen denkt er den großen Gedanken der Schöpfung noch einmal und gelangt zu folgendem Ergebnis: "Diese konturlose, wolkenlose Weite ist wunderbar entspannend und löst Träumereien aus - hat aber, wie Reizentzug, auch etwas Erschreckendes. Das Unermeßliche ist fesselnd und erschreckend zugleich - sehr zutreffend bezeichnet Kant es als das ,furchterregend Erhabene'."

Auf den Inseln Pingelap und Pohnpei war Sacks dienstlich unterwegs, um etwas über die Ursachen der Farbenblindheit in Erfahrung zu bringen, die dort überdurchschnittlich häufig auftritt; auf Guam und Rota traf er auf Menschen, die an einem unheilbaren Syndrom namens Lytico-Bodig litten. Doch es drängt sich der Eindruck auf, daß Sacks seine Badeausflüge und Spaziergänge wichtiger waren. Badend und spazierengehend konnte er dem furchterregend Erhabenen begegnen, um anschließend als Reiseschriftsteller zu dilettieren. Dabei läßt er seine Gedanken mitunter zu den alten Polynesiern schweifen und schreibt: "Ein Gefühl für ihre Entdeckungsfahrten, fünftausend Jahre Seefahrt, wuchs wie eine Vision in mir . . . Ich hatte ein Gefühl für ihre Geschichte, die gesamte Menschheitsgeschichte, die nun in uns zusammenlief, die wir dort unter dem Nachthimmel saßen, den Ozean im Blick."

Nicht jeder, der einen angenehmen, ruhigen Abend am Meeresstrand verbringt, wird dabei sogleich zum Visionär. Selbst Personen mit bewegtem Innenleben, die sich vom Sonnenuntergang rühren lassen, beschränken sich normalerweise darauf, lang und bang zu seufzen. Oliver Sacks jedoch hatte eine Vision, ein "Gefühl" für die gesamte Menschheitsgeschichte, und das ist, vorsichtig formuliert, doch etwas dick aufgetragen.

Zwar gibt er gleich darauf zu, daß er am Strand unter Drogeneinfluß gestanden habe, aber Visionen hatte er nicht nur stoned am Strand, sondern auch nüchtern im Dickicht: "Während ich hier im Dschungel stehe, spüre ich, wie ich in einer größeren, stilleren Identität aufgehe, bin ich durchdrungen von dem Gefühl, zu Hause, mit der Erde verbunden zu sein." Immer wieder gibt Sacks Kunde von dem himmlischen Behagen, das ihn auf den Inseln ergriff, und er rekapituliert bis in alle Einzelheiten seine schönsten Ferienerlebnisse: "Alma begrüßte uns und lächelte, als sie sah, daß ich Flossen und Schnorchel mitgebracht hatte. John wollte auf der Veranda bleiben und lesen, also begaben Alma und ich uns gemeinsam zum Riff." Nach dem Tauchen, berichtet er, habe er mit Alma und John "bei frischem Thunfisch und Salat auf der Veranda" gesessen. Wen aber, außer vielleicht die engsten Familienangehörigen, kann das interessieren? GERHARD HENSCHEL

Oliver Sacks: "Die Insel der Farbenblinden". Die Insel der Palmfarne. Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober. RowohltVerlag, Reinbek 1997. 352 S., Abb., geb., 42,- DM.

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