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Zeitgerecht zum 'Internationalen Jahr der Mathematik 2000' vermittelt dieses Buch einen Einblick in die faszinierende Welt der Mathematik. Die Mathematik ist die strengste, aber gleichzeitig auch die rätselhafteste aller Disziplinen. Sie verbindet, was in der Regel als Gegensatz wahrgenommen wird: Wissenschaft und Kunst, Beweis und Experiment, Formalisierung und Kreativität. Auf der Grundlage einer Feldstudie in einem internationalen Mathematikinstitut untersucht die Autorin die wissenschaftliche Arbeit und das kulturelle Selbstverständnis der Mathematiker. Ausgehend von Erkenntnissen der…mehr

Produktbeschreibung
Zeitgerecht zum 'Internationalen Jahr der Mathematik 2000' vermittelt dieses Buch einen Einblick in die faszinierende Welt der Mathematik. Die Mathematik ist die strengste, aber gleichzeitig auch die rätselhafteste aller Disziplinen. Sie verbindet, was in der Regel als Gegensatz wahrgenommen wird: Wissenschaft und Kunst, Beweis und Experiment, Formalisierung und Kreativität. Auf der Grundlage einer Feldstudie in einem internationalen Mathematikinstitut untersucht die Autorin die wissenschaftliche Arbeit und das kulturelle Selbstverständnis der Mathematiker. Ausgehend von Erkenntnissen der Wissenschaftssoziologie und Mathematikphilosophie beschreibt sie den Prozess der mathematischen Entdeckung und zeigt auf, über welche Verfahren Mathematiker Einigung erzielen. Ein höchst spannendes Buch für Mathematiker, Soziologen und Wissenschaftsphilosophen.

UMSCHLAGTEXT:
Das vorliegende Buch ist die erste wissenschaftssoziologische Studie, die sich der Kultur der Mathematik von innen her nähert. Auf der Grundlage einer Feldstudie und ausführlichen Interviews untersucht Bettina Heintz die epistemischen Praktiken und das kulturelle Selbstverständnis der Mathematiker.

Inhaltsverzeichnis:
Einleitung.- 'In der Mathematik ist ein Streit mit Sicherheit zu entscheiden'. Die Mathematik als Testfall für die Wissenschaftssoziologie.- Kein Ort, Nirgends. Probleme und Fragen der Mathematikphilosophie.- Objekte, Tatsachen und Verfahren. Konzepte und Fragestellungen der konstruktivistischen Wissenschaftssoziologie.- Experimentieren und Beweisen.- Beweisen und Überprüfen. Die Rolle der mathematischen Gemeinschaft.- Beweis und Kommunikation.- Konsens und Kohärenz. Überlegungen zu einer Soziologie der Mathematik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2000

Mir kreist der Hut
Was ist denn das für ein Standpunkt, den Mathematiker vertreten? Bettina Heintz klärt auf

Ein Ingenieur, ein Physiker und ein Mathematiker fahren mit der Eisenbahn durch eine ihnen bisher unbekannte Gegend. Auf einer Weide sehen sie zwei schwarze Schafe. Sagt der Ingenieur: "Hier sind alle Schafe schwarz." Sagt der Physiker: "Hier gibt es wenigstens zwei schwarze Schafe." Sagt der Mathematiker: "Hier gibt es wenigstens zwei Schafe, die auf einer Seite schwarz sind."

So ist sie, die Mathematik: Präzision ist die Conditio sine qua non, ein Tabu, das man nicht verletzen darf. Was uns der gesunde Menschenverstand einflüstern will, ist irrelevant. Nichtmathematiker, die diese Beschreibung für übertrieben halten, sollten sich klarmachen, dass das, was sie für Mathematik halten, nur die Readers-Digest-Version ist, die sie in der Schule gelernt haben. Das Wesen der Mathematik, wie sie heutzutage an den mathematischen Fakultäten betrieben wird, begreift man nur, wenn man eine entsprechende Begabung hat und sich zusätzlich auch länger mit dieser Wissenschaft beschäftigt.

Die Soziologin Bettina Heintz hat sich mit einer Arbeit über die Mathematik und die Mathematiker habilitiert. Mit "die innenwelt der mathematik" legt sie eine überarbeitete Fassung vor. Eine Habilitationsschrift ist natürlich nichts für zaghafte Gemüter. Schließlich musste die Autorin auf jeder Seite beweisen, dass sie das Zeug zu einer deutschen Professorin hat. Aber trotzdem können in diesem Fall auch Nichtsoziologen und Nichtmathematiker von der Lektüre profitieren. An solche wendet sich diese Rezension.

Das Buch beschäftigt sich mit zwei Themen. Das erste ist die Mathematik, und zwar hauptsächlich die unseres Jahrhunderts. Dabei steht aber sozusagen das Skelett im Mittelpunkt des Interesses und nicht das Fleisch. Der Tod wird gezeigt und nicht das Mädchen. Wer mehr wissen will, muss sich noch ein Buch kaufen. Wir lernen, nach welchen Prinzipien die Mathematik funktioniert, aber nicht, was mit diesen Methoden eigentlich geschaffen wird. Von Sinus, Minus und Integral ist nicht die Rede.

Die Mathematik hat sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt. Ursprünglich umfasste sie auch das, was heute Physik oder Astronomie genannt wird. Nicht umsonst trägt Newtons Hauptwerk den Titel "Philosophiae naturalis principia mathematica". Erst im neunzehnten Jahrhundert wurde die eigentliche, die exakte Mathematik geschaffen, die heutigen Ansprüchen an die Rigorosität genügt. Dabei waren einige Bauernopfer vonnöten.

Denn beim Versuch, die Mathematik vom Kopf auf die Füße zu stellen, gab es diverse Fehlstarts. Gottlob Frege versuchte mit seiner "Begriffsschrift" ein logisches Fundament für die Mathematik zu schaffen. Dabei verwendete er eine unkonventionelle Typografie, die für die Schriftsetzer vermutlich mit Zwangsarbeit in Sibirien vergleichbar war. Als sein Magnum Opus fertig gesetzt war, erfuhr er von Bertrand Russell, dass er mit Annahmen gearbeitet hatte, die zu einem unauflösbaren Widerspruch führten. Das Problem wurde später durch die Einführung neuer Begriffe und Regeln gelöst. Aber wer weiß, ob es nicht weitere Widersprüche gibt, die noch nicht entdeckt worden sind?

David Hilbert versuchte nach dem Ersten Weltkrieg vergeblich, die Widerspruchsfreiheit der Arithmetik im Rahmen seiner "Beweistheorie" nachzuweisen. Kurt Gödel bewies 1931, dass das prinzipiell unmöglich ist. Für Hilbert war Korrektheit dasselbe wie Widerspruchsfreiheit, auf irgendeine inhaltliche Bedeutung kam es ihm nicht an. Statt von Punkten, Geraden und Ebenen könne man genauso gut von Tischen, Stühlen und Bierseideln reden, sagte er einmal.

Der große Gegenspieler des "Formalisten" Hilbert war der "Intuitionist" Luitzen Egbertus Jan Brouwer. Dieser wollte in der Mathematik nur Objekte zulassen, die man explizit konstruieren kann. Letztlich fand er aber nur wenige Adepten, weil sein Programm auf eine Selbstverstümmelung der Mathematik hinauslief. Für die heutigen Mathematiker sind diese Scharmützel so fern wie der Burenkrieg. Eine große Mehrheit hat zu diesen Grundlagenproblemen eine ähnliche Einstellung wie bis vor kurzem die Türken zum Erdbeben: Es wird schon nichts passieren.

Natürlich gibt es immer wieder Neuerer, die alles anders machen wollen - wie sollte es auch sonst sein? - aber die Karawane zieht unbeirrt weiter. Eine zentrale These des Buchs ist, dass es in der Mathematik keine Revolutionen gibt (allerdings durchaus auf der Metaebene).

Das andere zentrale Thema des Buchs ist die Art und Weise, wie Mathematiker Wissen produzieren und wie es von der mathematischen Gesellschaft akzeptiert wird. Dazu hat die Autorin heldenhaft Feldforschung betrieben: Sie hat sich mehrere Wochen am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn aufgehalten. Die Personen, die sie dort befragt hat, stellen sozusagen das platonische Ideal des Mathematikers dar. Am MPI trifft sich die Crème de la Crème der Reinen Mathematik: viel versprechende junge Wissenschaftler und renommierte ältere. Was Reine Mathematik ist, dafür gibt es viele Definitionen. Sagen wir einfach, Reine Mathematik ist Mathematik, die um ihrer selbst willen betrieben wird und vielleicht auch anwendbar ist, aber sich nicht durch Anwendungen rechtfertigt. Die Reine Mathematik ist der Onan unter den Wissenschaften. Sie strebt nach innerer Befriedigung, hat aber kein Interesse daran, andere Disziplinen zu befruchten. "Wir Mathematiker tragen zwar nichts zur Krebsbekämpfung bei, dafür sind wir auch nicht schuld an der Umweltverschmutzung", so zitiert Bettina Heintz einen ihrer anonymen Gesprächspartner.

Und nur mit solchen Vertretern der Reinen Mathematik beschäftigt sich das Buch (und seine Rezension). Wer das Studium durchgezogen hat und jetzt bei Siemens programmiert, der ist vielleicht ein ehrenwerter Mann, der zu Recht auf seine Visitenkarten schreibt, dass er Diplommathematiker sei, aber er gehört nicht zu der Gruppe, um die es hier geht.

Das erste Gebot für das Überleben an der Universität lautet: "Publish or perish!" Die daraus resultierenden Publikationen müssen strengen ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln genügen. Das Kommunikationsmedium der Mathematik ist der Beweis. Was sich nicht hundertprozentig beweisen lässt, ist keine Mathematik. Die Existenz von Ausnahmen, die die Regel bestätigen, ist hier unerwünscht. Aber die Entscheidung, was ein korrekter Beweis ist, enthält auch eine soziale Komponente. Fehler kommen vor und werden oft nicht gleich entdeckt. Niemand kann alles nachprüfen, was er von anderen Autoren verwendet. Doch was zehn Jahre lang nicht angezweifelt wurde, ist vermutlich richtig.

Das Buch erklärt, wie mathematische Ergebnisse zu Stande kommen, wie sie in der Gemeinschaft kommuniziert werden und wie man sie schließlich akzeptiert oder auch nicht. Dabei wird immer wieder zur Illustration auf die Interviews am MPI zurückgegriffen. Innerhalb des Rahmens, den sich die Autorin gesteckt hat, hat sie hervorragende Arbeit geleistet. Man staunt, wie gut sie sich in eine Welt hineinversetzen kann, die ihr als Soziologin fremd sein dürfte.

ERNST HORST.

Bettina Heintz: "die innenwelt der mathematik". Zur Kultur und Praxis einer beweisenden Disziplin. Springer Verlag, Wien, New York 2000. 320 S., br., 89,- DM.

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