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Gesundheit endet, wo der Sport beginnt "Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper." Nach diesem Motto wurden Generationen von Schulkindern gequält, werden unsportliche Menschen belächelt und gleichzeitig Sportheroen kritiklos verehrt. Alles Schwachsinn, sagt der bekannte niederländische Biologe und Bestsellerautor Midas Dekkers und schlachtet in diesem Buch wortgewaltig die Heiligen Kühe der Sportfreaks und Fitnessgurus. Denn Sport hat schon viele krank, aber noch niemanden gesund gemacht. Der Mensch hat es unvorstellbare anderthalb Jahrtausende ohne Sport ausgehalten. Er war einfach…mehr

Produktbeschreibung
Gesundheit endet, wo der Sport beginnt "Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper." Nach diesem Motto wurden Generationen von Schulkindern gequält, werden unsportliche Menschen belächelt und gleichzeitig Sportheroen kritiklos verehrt. Alles Schwachsinn, sagt der bekannte niederländische Biologe und Bestsellerautor Midas Dekkers und schlachtet in diesem Buch wortgewaltig die Heiligen Kühe der Sportfreaks und Fitnessgurus. Denn Sport hat schon viele krank, aber noch niemanden gesund gemacht. Der Mensch hat es unvorstellbare anderthalb Jahrtausende ohne Sport ausgehalten. Er war einfach vollkommen unnötig. Bis eine idealistische Bewegung im 19. Jahrhundert auf den Gedanken kam, dass über den Körper auch der Geist geformt werden könne. So entstand ein Körperkult, der auch totalitären Regimen gefiel und der bis heute wirkt. Doch für Midas Dekkers ist der Geist nur der Chauffeur eines Vehikels, dessen Gebrauchsanweisung er nicht einmal kennt, sonst hätte dieser Geist niemals den Sport erfunden. Denn niemand kann durch Sport sein Leben verbessern oder gar verlängern. Im Gegenteil: Die Chancen auf einen frühen Tod steigen. Die vielen Stunden in Fitnessclubs und beim Jogging im Park sind reine Zeitverschwendung. Und Geldschneiderei. Denn von dem wahnhaften Glauben vieler Menschen an einen gesunden Körper profitiert eine ganze Industrie, die Hand in Hand mit Regierungen und Versicherungen arbeitet. Erhellend und polemisch: das Buch zum unausweichlichen Sportjahr 2008.
Autorenporträt
Midas Dekkers, geboren 1946, ist der bekannteste und populärste Biologe Hollands und ein herausragender Essayist. Seine Bücher sind Bestseller, seine Hörfunk- und Fernsehsendungen sind sehr beliebt, und viele sehen in ihm den Grzimek der Niederlande .
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Gesundheit endet, wo der Sport beginnt
Beweglichkeit muss keine Religion sein, Dicksein kann sinnliche Freude verheißen: Midas Dekkers und Sabine Merta analysieren und attackieren den verbotslüsternen Gesundheitswahn, den normierenden Körperkult unserer Tage Von Wolfgang U. Eckart
Reiten ohne Sattel, ohne Zügel oder Steigbügel, Fechten, Schießen, Boxen, Schwimmen, begeistert bei Fuchsjagden bis ins hohe Alter und vielleicht auch verantwortlich für das geflügelte Wort „Keine Stunde, die man mit Sport verbringt, ist verloren!” – wer könnte hier wohl gemeint sein? Richtig, kein Geringerer als Sir Winston Churchill, den wir allerdings mit seiner sarkastischen Äußerung „No sports!” auch ganz anders kennen, nämlich als Zigarren rauchenden, Whisky und Champagner trinkenden Sportverächter. Mögen sich doch die Churchill-Biographen um die Belege für solch widersprüchliche Zitate streiten. Es stellt sich die Frage, ob hier wirklich Widersprüchliches zutage tritt oder nur die Ambivalenz vieler Zeitgenossen, die eigentlich ganz unsportlich gesund sein möchten und doch schon im zarten Alter von leptosom-asketischen Lateinlehrern und muskelstrammen Sprintheroen in den Gesundheits- und Sportgleichschritt gezwungen wurden.
„Mens sana in corpore sano”– „Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper”: Juvenal, der Spottdichter des ersten und zweiten Jahrhunderts, würde im Grabe rotieren, könnte er hören, wie seine bissige Satire auf die frommen römischen Mitbürger, die ihre Götter um jeden erdenklichen Unsinn anflehten, in der Nachwelt verdreht und verfälscht worden ist. „Aber damit du was hast, worum du betest, weshalb du vor dem Schreine die Kutteln und göttlichen Weißwürste opferst, sollst um gesunden Geist in gesundem Körper du beten”, ruft Juvenal seinen Mitbürgern tatsächlich zu (Satiren 10, 356). Missbraucht haben Juvenal und sein Zitat chauvinistische Lehrer des Kaiserreichs, Erzieher vor Verdun, ebenso wie die Sportlehrer und Wehrertüchtiger der NS-Diktatur so lange, bis die Sportlichkeit wie die Kultur insgesamt in den Schützengräben Lothringens und Flanderns und im Kessel von Stalingrad ihr blutiges Ende fand.
Und heute? Heute sind es die Lifestyle-Fanatiker, Trimm-Dich- und Sportverbandsfunktionäre, die Mental-Gurus und Jogging-Fixierten, die Bodybuilding-Studio-Inhaber (vulgo „Muckibuden”-Besitzer), die Sportgeräteindustriellen und globalen Turnschuhfabrikanten, die uns weismachen wollen, dass körperliches Training auch unsere intellektuellen Fähigkeiten steigere. Sollten wir im Umkehrschluss glauben, dass kranke, schwache oder anders in ihrer Körperlichkeit gegenüber dem Durchschnittsbürger eingeschränkte Menschen allesamt dumm seien, und konsequenterweise Stephen Hawking gleich in einer Turnhalle internieren?
Alles Schwachsinn, sagt der niederländische Biologe und Bestsellerautor Midas Dekkers und schlachtet in seinem neuen Buch „Der Gesundheitswahn” wortgewaltig die Heiligen Kühe der Sportfreaks und Fitnessgurus. Sport hat schon viele krank, aber noch niemanden wirklich gesund gemacht. Für überspitzt mag man nun vielleicht auch Dekkers Umkehrschluss halten: Gesundheit endet, wo der Sport beginnt. Aber Recht hat er doch, wenn er konstatiert, dass es der Mensch nach den antiken Olympischen Spielen unvorstellbare anderthalb Jahrtausende fast ganz ohne Sport ausgehalten hat. Er war vollkommen unnötig, bis eine idealistische Bewegung im 19. Jahrhundert auf den Gedanken kam, dass über den Körper auch der Geist geformt werden könne.
So entstand ein Kult des Körpers, der auch totalitären Regimen gefiel und bis heute fortwirkt. Für Midas Dekkers ist der Geist nur der Chauffeur eines Vehikels, dessen Gebrauchsanweisung er nicht einmal kennt; sonst, so der Autor sarkastisch, hätte dieser Geist niemals den Sport erfunden. Denn wer kann durch Sport sein Leben wirklich verbessern oder gar verlängern? Im Gegenteil: Die Chancen auf Sehnenrisse, Muskelzerrungen, Knochenbrüche und schwere Hautabschürfungen, ja auf den frühen Unfall- oder Herztod steigen, ganz abgesehen von der Geldschneiderei, die mit dem Sport verbunden ist; denn von dem wahnhaften Glauben vieler Menschen an einen „gesunden” Körper profitiert eine ganze Industrie, die Hand in Hand mit Regierungen und Versicherungen arbeitet.
Wer nicht auf jede erdenkliche Weise, gleichgültig wie absurd, nach körperlicher Fitness und Gesundheit oder zumindest nach dem Schein von beidem strebt, darf öffentlich belächelt, angeprangert und verachtet oder gar mit Strafe bedroht werden. Diäten, Rauchverbote, Schönheitsoperationen, Massensport: Ein körperdisziplinierender staatlich-industrieller Komplex bedrängt uns mit ungezügelter Biopolitik. Doppelt unsportlich, wer sich hier auch nur wehrt, fremd der großen Gemeinschaft der schrillbunt und hauteng gekleideten Straßenradler, der stockstakenden Walkingmenschen und radikalen Nichtrauchfanatiker. Midas Dekkers geht dem Sportwahn auf den Grund, in feinster Polemik, aber auch mit guten Sachargumenten auf mehr als 400 Seiten; gewonnene Lesezeit, die man nicht in den Hamsterrädern schweißduftender Gymnastikpaläste verbringen muss.
Als hätten sich die Verleger abgesprochen, legt der Franz Steiner Verlag Sabine Mertas Dissertation „Wege und Irrwege zum modernen Schlankheitskult. Diätkost und Körperkultur als Suche nach neuen Lebensstilformen 1880-1930” noch einmal in ansprechendem Outfit und mit griffigerem Titel „Schlank! Ein Körperkult der Moderne” auf. Darüber könnte man sich als Rezensent ärgern; man könnte die Neuauflage aber auch zurecht als Gewinn empfinden, denn unscheinbare Dissertationsreihen sind oft Massengräber der Gelehrsamkeit. Und gelehrt, aber zugleich auch charmant geschrieben, ist Sabine Mertas Studie, die uns tief in die Geschichte des Schlankkörperkultes und in die historischen wie die rezenten Kampfstrategien gegen Fettleibigkeit einführt.
„Mehr Menschen als das Schwert tötet der Fraß”, meinte der römische Arzt Galenus vor 2000 Jahren. Und sein Ruf hallt ungebrochen noch heute aus den Frauenzeitschriften, Apothekerblättchen, Lukullus-Heftchen unserer Metzgerläden und den bunten Bäckerblumen. Manch extremschlankes Topmodel startete dort als Covergirl seine Karriere. Ernährung, Wellness, Prominentenklatsch und Schlankheit sind die Themen unserer Zeit. Es scheint, als ob zu fettes Essen und Bewegungsarmut die größten Gesundheitsgefährdungen unserer Gesellschaft seien. Dicksein provoziert den Argwohn unserer Gesellschaft, und wer nicht regelmäßig seine Halbfettmargarine in den Einkaufwagen legt, der macht sich verdächtig.
Schlankheit ist moderner Mythos. Sie entscheidet über gesellschaftliche Anerkennung und beruflichen Erfolg, ihr Kult prägt unser Bewusstsein, ihr Wahn treibt uns zugleich in die Ess-Störungen, in die Wartezimmer der Psychotherapeuten, in die Krankenzimmer der Magersuchtkliniken. Sabine Merta geht diesen Widersprüchen nach und findet den Ursprung der modernen Körperästhetik in der Lebensreformbewegung um 1900, die Schlanksein zum Sinnbild eines Lebensstils überhöhte: Weit mehr als nur um den Gedanken an die Gesundheit ging es bei der normierenden Beschäftigung mit dem Körper um die Umgestaltung ganzer Lebensbereiche – von der Kleidung und der Erziehung bis hin zur Sexualmoral. Wer Mertas Buch gelesen hat, weiß mehr über den Krankheitsfaktor Schlankheitskult, und er beginnt vielleicht zu träumen: vom unsportlichen Lebensgenuss, vielleicht sogar vom Dicksein! Dicke sind lustig, Dicksein ist schön. Und Dicke sind Botschafter aus dem Reich der Freude, der Sinnlichkeit, der Körpertoleranz, der gelebten und genossenen Unsportlichkeit. Gesundheit ist wichtig, aber sie ist nicht alles. Beweglichkeit ist Genuss, aber sie ist keine Religion. Sportfanatischer Gesundheitswahn und rippenknochiger Körperkult aber sind Gifte der Seele und Gefährdungen des Leibes.
Midas Dekkers
Der Gesundheitswahn
Vom Glück des Unsportlichseins. Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm. Karl Blessing Verlag, München 2008, 416 Seiten, 19,95 Euro.
Sabine Merta
Schlank!
Ein Körperkult der Moderne.
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008. 421 Seiten, 29,50 Euro.
Mit jeder Fitnessstunde steigen die Chancen auf Unfalltod
Models mit der berüchtigten Kleidergröße Size Zero sind die Folgen der modernen Idee der Körperdisziplinierung, wonach Essen und Bewegungsarmut die größten Gefährdungen unserer Gesundheit sein sollen. Das nebenstehende Bild entstand bei der Modenschau des Labels Basso & Brooke auf der Londoner Fashion Week im Frühjahr 2007. Foto: Bruno Vincent/ Getty Images
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