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Das Buch, das zum 100-jährigen Jubiläum des berühmten Kieler Instituts erscheint, zeichnet im historischen Kontext dessen Entwicklung von den Anfängen bis in die Gegenwart nach. Es verbindet Einblicke in Wirtschaftspolitik und -forschung, Stimmen von Zeitzeugen wie Helmut Schmidt und Heide Simonis sowie Porträts der Institutsdirektoren mit unterschiedlichen Perspektiven auf das Verhältnis von Markt und Staat. Welche historischen und gesellschaftlichen Strömungen haben die Wirtschaftswissenschaft und -politik geprägt? Schnell wird deutlich, dass auch hinter Wirtschaftspolitik Menschen,…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch, das zum 100-jährigen Jubiläum des berühmten Kieler Instituts erscheint, zeichnet im historischen Kontext dessen Entwicklung von den Anfängen bis in die Gegenwart nach. Es verbindet Einblicke in
Wirtschaftspolitik und -forschung, Stimmen von Zeitzeugen wie Helmut Schmidt und Heide Simonis sowie Porträts der Institutsdirektoren mit unterschiedlichen Perspektiven auf das Verhältnis von Markt und Staat.
Welche historischen und gesellschaftlichen Strömungen haben die Wirtschaftswissenschaft und -politik geprägt? Schnell wird deutlich, dass auch hinter Wirtschaftspolitik Menschen, Leidenschaften, Moden und Ängste stehen. Harald Czycholl erklärt, wie auf der internationalen Kieler Drehscheibe die Balance
zwischen Wirtschaftsverständnis und -gestaltung immer wieder neu gefunden werden muss. Dabei werden auch die dunklen Kapitel des Instituts während der Zeit des Nationalsozialismus eingehend behandelt. Das vorliegende Buch blickt sowohl auf die reiche Geschichte des IfW als auch in dessen Zukunft.
Autorenporträt
Harald Czycholl arbeitet als freier Wirtschaftsjournalist. Er studierte Volkswirtschaft und Journalismus in Köln und schrieb u.a. für die WELT, die Financial Times Deutschland und das Hamburger Abendblatt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2014

Weltwirtschaft verstehen
Das Kieler Institut wird 100 Jahre alt

Im Februar 1914 eröffnete der Kieler Ordinarius Bernhard Harms nach zähem Ringen um die Finanzen ein kleines Forschungsinstitut für Seeverkehr und Weltwirtschaft, das sich seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Institut für Weltwirtschaft (IfW) nennt. Mit seiner visionären Idee, die Welt vernetzt zu sehen und die Ökonomie aus der Sicht des gesamten Globus zu betrachten, hat der Institutsgründer weit vorausgedacht. Offenbar war er aber ein halbes Jahrhundert zu früh. Internationale Krisen und zwei Weltkriege sorgten dafür, dass die Volkswirtschaftslehre in den meisten Ländern noch jahrzehntelang auf die nationale Ebene ausgerichtet blieb.

Das begann sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu ändern, als die Welt mehr und mehr von einer Globalisierungswelle erfasst wurde. Inzwischen punktet das Kieler Institut erfolgreich mit dem Vermächtnis seiner Anfangszeit. Es sucht nach Rahmenbedingungen, um weltweit materiellen Wohlstand politisch, sozial und ökonomisch verträglich weiterzuentwickeln. Mit rund 170 Mitarbeitern unter Leitung des in Wien aufgewachsenen Amerikaners Dennis Snower gilt das älteste der sechs großen deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute auch international als wichtiges Zentrum von Forschung, Beratung und Ausbildung.

Zum 100. Geburtstag des Kieler Instituts hat der Journalist Harald Czycholl die Geschichte des Hauses bis zur Gegenwart neu aufgeschrieben. Es ist ein gut lesbares Buch von 159 Seiten geworden. Er hat keine lückenlose Chronik verfasst, sondern einen stark personalisierten Rückblick auf die maßgeblichen Köpfe, ihre unterschiedlichen Perspektiven zu Markt und Staat und die wechselnden Moden im Fach. Die Ahnengalerie der sieben Leiter des Instituts von Bernhard Harms bis zum amtierenden Dennis Snower wird nicht trocken abgehandelt, sondern durch Kurzbiographien, enzyklopädische oder vertiefende Exkursen sowie Stimmen von Zeitzeugen ergänzt. Das verdeutlicht die unterschiedliche Couleur der Männer an der Spitze ebenso wie ihr Bemühen, sich in schwierigen Zeitläuften zu behaupten und das Institut für Weltwirtschaft nach eigenen Vorstellungen zu prägen.

Schon der Gründer Bernhard Harms musste das junge Institut bald durch den Ersten Weltkrieg und die Wirrungen danach steuern. Immerhin konnte er den heutigen Dienstsitz am Ufer der Förde günstig erwerben, Statistik zusammen mit Konjunkturforschung ausbauen und dafür bekannte Forscher wie den jungen Wassily Leontief, im Jahre 1973 Gewinner des Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften, als Mitstreiter gewinnen. Die Blütezeit dauerte nur kurz: Viele der besten Wissenschaftler am Institut wurden 1933 von den Nationalsozialisten vertrieben. Auch Harms selbst musste gehen, weil er als republikfreundlicher Demokrat galt und sich für jüdische Mitarbeiter einsetzte. Nachfolger wurde 1933/34 Jens Jessen, zunächst überzeugter Nationalsozialist, später Widerstandskämpfer. Er blieb nur ein halbes Jahr, da er sich bald mit den neuen Machthabern überwarf. Andreas Predöhl, ein Willfähriger und nächster Leiter des Instituts, überlebte durch Kooperation mit dem Regime. Bereitwillig lieferte er die wissenschaftlichen Grundlagen für die nationalsozialistischen Forderungen nach Erweiterung des "Lebensraums". Während des Zweiten Weltkriegs erstellten die Kieler Forscher unter seiner Leitung Gutachten über besetzte und zu besetzende Gebiete. Czycholl behandelt erstmals dieses bislang totgeschwiegene, unschöne Kapitel. Er schildert auch, wie Predöhl nach dem Krieg in der akademischen Welt weiter Karriere machte.

Den Wiederaufbau des Kieler Instituts bewältigte der Sozialdemokrat Fritz Baade, der 1961 von Erich Schneider abgelöst wurde. Der Keynesianer Schneider verstärkte die Ausbildung und machte das IfW zu einer "Schmiede" für Doktoranden. Sein Nachfolger Herbert Giersch, der von 1969 an zwanzig Jahre lang das Institut managte, betrachtete die Wirtschaft vor allem von der Angebotsseite und plädierte nachdrücklich für offene Märkte. Horst Siebert, der auch Mitglied des Sachverständigenrats war, setzte diesen Kurs bis 2003 fort. Nach einer Vakanz von eineinhalb Jahren steht nun Dennis Snower seit dem Jahr 2004 an der Spitze. Ihn interessieren vor allem Probleme wie Klimaschutz und Armutsbekämpfung, und er bemüht sich verstärkt, die Erkenntnisse des Instituts in die wirtschaftspolitische Beratung und die öffentliche Debatte einzubringen. Seit 2008 dient dazu unter anderem das jährliche "Global Economic Symposium" in Kiel und gelegentlich anderswo mit einem großen Aufgebot von Entscheidungsträgern aus aller Welt.

Auch die traditionelle Verleihung des Weltwirtschaftspreises mit prominenten Gästen bei der "Kieler Woche" sei "wie ein Stück Kuchen", sagt die vormalige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis zu Harald Czycholl. "Ohne groß anzugeben, kann man dabei sagen: Auf uns hört man, zu uns kommt man." Das muntere Interview mit Simonis, ebenso das Gespräch mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt, verrät erfreuliche Distanz in einer Jubiläumsschrift. Schmidt, auch er gelernter Volkswirt, gibt Auskunft zu seinem währungspolitischen Streit als Bundesfinanzminister mit Herbert Giersch, den er als einen der Politik fern stehenden Marktideologen schildert. Amüsant zu lesen ist, wie Giersch die junge Stellenbewerberin Simonis Anfang der siebziger Jahre "vor die Tür komplimentierte" und sich dann von Simonis am Rosenmontag 1995 in der Staatskanzlei das Bundesverdienstkreuz umbinden lassen musste.

Die Idee, am Kieler Institut Brücken zu anderen Fachdisziplinen zu bauen, scheint Snower zu realisieren. Er fördert in der Ökonomie die Zusammenarbeit mit Neurowissenschaftlern und Psychologen, im Umweltbereich mit Klima- und Meeresforschern, beim Thema Armutsminderung mit Politikwissenschaftlern. Die historische Leistung, "dass das Institut von Anfang an und bis heute mit dem Weitblick auf eine globalisierte Welt unterwegs ist," wird auch künftig gefordert sein. Denn für Dennis Snower steht fest: "Die Globalisierung ist längst nicht vorbei."

ULLA FÖLSING

Harald Czycholl: 100 Jahre Institut für Weltwirtschaft. Vom Königlichen Institut zum globalen Forschungszentrum. Wachholtz-Verlag, Hamburg 2014, 159 Seiten, 36 Euro

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