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Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos: Wie schon ihr Vater will die Zirkusunternehmerin Leni Peickert (Hannelore Hoger) artistische Höchstleistungen erbringen. Zugleich empfindet sie Natürlichkeit als ihr Ideal. Ihre Neuerungen führen zum Bankrott des Unternehmens. Zirkus und Revolution sind radikale Formen der Selbstverwirklichung. Leni Peickert und ihre Elefanten geben sich Mühe. "Die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten." Die unbezähmbare Leni Peickert: Die Zirkusunternehmerin setzt ihre Aktivitäten fort. Zirkus im Winter. Bittere Zeiten. "Man darf sich weder von der…mehr

  • Anzahl: 2 DVDs
Produktbeschreibung
Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos: Wie schon ihr Vater will die Zirkusunternehmerin Leni Peickert (Hannelore Hoger) artistische Höchstleistungen erbringen. Zugleich empfindet sie Natürlichkeit als ihr Ideal. Ihre Neuerungen führen zum Bankrott des Unternehmens. Zirkus und Revolution sind radikale Formen der Selbstverwirklichung. Leni Peickert und ihre Elefanten geben sich Mühe. "Die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten." Die unbezähmbare Leni Peickert: Die Zirkusunternehmerin setzt ihre Aktivitäten fort. Zirkus im Winter. Bittere Zeiten. "Man darf sich weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen lassen" (T.W. Adorno). Außerdem enthält die Doppel-DVD eine Fernsehdiskussion von 1970 mit Alexander Kluge, Drehbuchentwürfe und Geschichten von Elefanten.

Bonusmaterial

Beil.: Booklet
Autorenporträt
Alexander Kluge, geboren 1932 in Halberstadt, studierte in Marburg und Frankfurt/Main Rechtswissenschaften, Geschichte und Kirchenmusik. Nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt absolvierte er ein Volontariat bei dem Filmregisseur Fritz Lang und betätigte sich mit Erfolg als Filmemacher und literarischer Autor. Er erhielt zahlreiche Preise. So wurde Alexander Kluge 2003 der "Georg-Büchner-Preis" verliehen und 2014 der "Heine-Preis" der Landeshauptstadt Düsseldorf. "... Als wichtiger Vertreter der kritischen Theorie knüpft er an das poetische, publizistische und politische Schaffen Heinrich Heines an", so die Jury.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2007

Auf der Suche nach einer praktisch-realistischen Haltung
Bilden Sie sich einen weiteren Begriff von Deutschland, den Menschen, der Geschichte und dem Kino: Alexander Kluges gesamtes filmisches Werk

Alexander Kluge: "Sämtliche Kinofilme".

Zweitausendeins. 16 DVDs und ein Begleitband in einer Box. Reichlich Kurzfilme und dctp-Beiträge als Extras sowie Drehbücher und Artikel als DVD-ROM-Funktionen.

Bei den Filmfestspielen in Venedig 1966 erhielt Alexander Kluges "Abschied von gestern" einen Silbernen Löwen, als erster deutscher Film seit 1941. Damals hatte "Ohm Krüger" von Hans Steinhoff die Coppa Mussolini für den besten ausländischen Film gewonnen. In diesem Jahr nun ist Kluge am Lido eine Retrospektive gewidmet, gleichzeitig erscheinen seine Kinofilme auf DVD. "Abschied von gestern", der Anita G. durch Deutschland folgt, vom Gefängnis in Pensionen, zu Zimmerwirtinnen und vorübergehenden Liebhabern, durch immer noch zerbombte Städte, über Brücken, durch Brachen, in die Universität, in Gerichtssäle und zur Polizei, ist eigentlich ein Experimentalfilm, in dem Kluge, ganz am Anfang seiner Laufbahn, alles ausprobiert, was ihm so einfällt und was er in der Filmgeschichte aufliest, extreme Close-ups, rasende Kamerafahrten oder wacklige Aufnahmen aus der Hand, gefolgt von Standbildern, Ton- und Stummfilm, assoziativ montiert, abrupt beendet. Und dann ist da noch "Liebesversuch", ein erschütterndes typografisches Meisterwerk.

lue.

Gelegenheitsarbeit einer Sklavin.

Kinderstunde.

Roswitha Bronski, die eine ungeheure Kraft in sich fühlt, "weiß aus Filmen, dass es diese Kraft auch wirklich gibt". Fast so wie Don Quixote von seiner Kraft aus Büchern. Das Motto des 1973 gedrehten Streifens bekundet objektive Ironie. Die Heldin als Knechtin, die illegale Abtreibungen durchführt, um sich selber mehr Kinder leisten zu können. Von ihrem durchgeschleppten Ehepascha im Zweitstudium muss sie sich altkluge Vorträge anhören. Mit ihrer Gehilfin beim Abtreiben sattelt sie auf "politisches Leben" um, wobei tote Kinder im Straßenverkehr, Smog und eine Betriebsstilllegung ihre soziale Bewegtheit bewegen. Das wiederum zwingt ihren Mann in die Ernährerrolle, was zuletzt schiefgeht, weil Roswithas konspirative Recherchen nicht nur zum Erhalt des Frankfurter Betriebsstandortes seiner Firma beitragen, sondern außerdem zur Entlassung des Gatten. Das Werk erregte Anstoß - mit einer schauerlichen, vermutlich realistischen Abtreibungsszene und womöglich auch mit einer absurden Sequenz: die echte hessische Regierung mit Frau Bronski bei einer Tour durch Frankfurter Problemquartiere. Ein Film für die ganze reformsozialistische Familie.

kau.

Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos.

Elefantengedächtnis.

Mit diesem Film hat Kluge den Artisten eingebrockt, dass ihre Ratlosigkeit sprichwörtlich wurde, obwohl ihnen in Wahrheit wahrscheinlich kaum ein Gefühl fremder ist. Noch frappierender ist allerdings der Umstand, dass Kluge mit den "Artisten" 1968 in Venedig den Goldenen Löwen gewann und damit Rosi, Antonioni, Visconti, Pontecorvo und Buñuel nachfolgte, deren Filme sich im Vergleich wie der reinste Mainstream ausnehmen. Der Film beginnt mit Wochenschaubildern vom "Tag der Deutschen Kunst 1939", einer Art Rosenmontagszug des Monumentalkitsches, und fortan lässt sich so ziemlich alles im Bezug darauf lesen. Die Heldin (Hannelore Hoger) versucht, einen alternativen Zirkus aufzumachen, aber ihre Pläne sind etwas unausgegoren und ihre Mittel beschränkt. Ein besonders dankbares Motiv im Lichte der deutschen Geschichte sind natürlich die Elefanten, die kein Vergessen kennen. Wobei im beigefügten Kurzfilm "Hinrichtung eines Elefanten" ein Pfleger erzählt, dass Elefanten sehr wohl vergessen könnten, wenn ein Tier aus der Herde verschwindet, dass sie sich aber eben nach Jahren noch erinnern würden, wenn es wiederauftaucht. Irgendwie so funktioniert auch der Film.

malt.

Die unbezähmbare Leni Peickert.

Fernsehen, damals.

"Die unbezähmbare Leni Peickert" ist ein schöner Epilog zu den "Artisten". Da ist eine listige Naivität, mit der Leni und ihre Gehilfen, die es ins Fernsehen verschlagen hat, eine Sendung ins Programm schmuggeln - ohne dass die Zuschauer die Abweichung bemerken, weshalb sich Leni wieder dem Zirkus zuwendet und propagiert: "Show raus, Sinn rein!" Das Ereignis auf dieser DVD ist aber "Reformzirkus" (1970), eine zweistündige Diskussion im WDR. Hier nimmt die Abweichung die Form einer anarchischen Performance an. Es wird über "Gesellschaft und Film" diskutiert, nach 45 Minuten reicht der Redakteur dem Moderator einen Zettel, Kluge reißt ihn an sich und muss lesen, der Moderator solle verhindern, dass Kluge die Diskussion dominiere. Dann setzt sich Georg Alexander, der Redakteur, einfach an den Tisch, die Vierer- wird zur Fünferrunde, das Gespräch wuchert zum Meta-Gespräch, Techniker und Redakteure stehen dabei und diskutieren, ob es weitergehen soll - es geht weiter, die Umgangsformen bleiben auch im Eklat intakt, und es fällt schwer zu glauben, dass es sich beim Fernsehen von damals und dem von heute um ein und dasselbe Medium handelt.

pek.

Der große Verhau / Triebwerkhusten.

Krawall im All.

Science-Fiction? So kann man Kluges 1971 entstandenen Film "Der große Verhau" kaum nennen. Science-Retro wäre die geeignete Kategorie, denn der Großteil des Geschehens wird über Zwischentitel mitgeteilt, und die schlichten Tricksequenzen im Weltraum werden selbst die Macher von "Raumschiff Orion" zum Lächeln gebracht haben. Genau an deren Tradition knüpft Kluge an, wenn er Hark Bohm als Admiral, Hannelore Hoger als Inspektorin und das Ehepaar Vinzenz und Maria Sterr, das im Jahr zuvor in Fassbinders "Warum läuft Herr R. Amok?" erstmals aufgetreten war, als muntere Raumpiraten besetzt, die ihre jeweils unterschiedlichen Interessen auf dem Kriegsschauplatz des Planeten Krüger 60 verfolgen, wo die Suez-Kanal-Gesellschaft gegen intergalaktische Regierungen antritt. Dabei stirbt, so erzählt der Film, am 18. Brumaire 2041 der letzte Amerikaner, weil ihm niemand glauben will, dass er neutral ist. So bringt Kluge etliches an politischer Satire unter. Ergänzt wird "Der große Verhau" durch den 1996 gedrehten Kurzfilm "Triebwerkhusten", in dem zwei Ingenieure untersuchen, warum die Technik plötzlich von einer Grippeepidemie geplagt wird.

apl.

Die Macht der Gefühle.

Architektur der Trauer.

Die Oper ist für Kluge jene Kunst, die dem Kino am nächsten steht, ihm vorausgeht und nicht weniger empfindsam ist. "Die Macht der Gefühle" handelt in seiner typischen Mischform aus Spielszenen, Dokumentarbildern, Textfetzen, Ausschnitten aus Filmklassikern - besonders aus Griffiths "Intolerance" - und natürlich Opernpassagen (Wagner, Verdi, Puccini, Meyerbeer) von beider Verhältnis, vor allem vom Verhältnis von Gefühl und Verstand. Der zentrale Unterschied zwischen Oper und Kino, so argumentiert auch dieser Film, liege in ihrer unterschiedlichen Gefühlsarchitektur: Während im Kino traurige Gefühle immer ihren glücklichen Ausgang finden, nimmt in der Oper das Glück einen traurigen Weg. Sieht man den Film heute, erscheint er zugänglicher als andere Spielfilme von Kluge. Man sieht neben einer wieder wunderbaren Hannelore Hoger und Alexandra Kluge auch viele damals neue Darsteller wie Klaus Wennemann, Suzanne von Borsody und Barbara Auer. Am Ende nimmt man deren Gesichter mit und zumindest eine Erfahrung: Gefühle sind nicht nur bei Kluge nicht zu verwechseln mit Sentimentalität.

land.

Willi Tobler und der Untergang . . .

Die letzte Flotte.

Und wieder: Stalingrad. Das heißt, eigentlich wird das Thema mit "Willi Tobler und der Untergang der 6. Flotte" erst richtig mächtig bei Kluge, nur im Nachhinein sieht es so aus, als wäre es immer schon da gewesen. Der Film verlegt den Untergang der 6. Armee ins Weltall, er spielt die Schlacht mit fliegenden Schrauben, Transistorteilen und anderem Metallschrott und absurden Lagekarten vor schwarzem Sternenhimmel nach - Science-Fiction-Persiflage, Parodie deutscher Fernseh-Geschichtsspiele und historischer Essay zugleich. Alfred Edel ist Willi Tobler, der seine Familie aufgibt und als Pressesprecher Karriere macht, und Hark Bohm gibt mit Operettenuniform und schulterlangem Haar den Sternengeneral, der mit einer Spionin namens Paula Stihi (Natalia Bowakowa) ins Bett geht und auch sonst ziemlich schief im Sattel sitzt. "Willi Tobler", den Kluge sieben Jahre später noch einmal überarbeitete (unter dem Titel "Zu böser Schlacht schleich' ich heut nacht so bang"), ist ein wilder Spaß, der nur durch seine Länge zahm wirkt, ein hinterhältiges Attentat auf die Vergangenheitsbewältigungs-Melodramen des Neuen Deutschen Films. Nur hat es damals, 1972, keiner gemerkt.

kil.

In Gefahr und größter Not . . .

Narhallamarsch!

Kluges Metier ist die sinnfremde Gleichzeitigkeit. Hier diese: Hessischer Karneval mit komischen Dokumentarbildern von der Hinterbühne des organisierten Humors. Nebenan werden Häuser im Straßenkampf von Besetzern geräumt, weil 1974 die Abrissbirne durchs Westend schwingt. Anwohner, Polizisten, Bauleute äußern sich, in der Oper wird gestreikt, Jungunternehmertreffen in der Stadt, die Deutsche Gesellschaft für Astrophysik diskutiert. Durch die Linien laufen erneut Gelegenheitsarbeiterinnen, die Beischlafdiebin Inge Maier, die Brieftaschen als Ausgleich für unerfüllte Versprechen an sich nimmt, gewissermaßen in privater Besteuerung von Männerphrasen, und die DDR-Spionin Rita Müller-Eisert: "Aufgrund der Ratschläge meines Gefährten, der Marx im Original liest, habe ich jedoch den Schwerpunkt meiner Arbeit verlagert und untersuche mit meinen Mikrofonen und Kameras die konkrete Wirklichkeit der Bundesrepublik. Ich bin der festen Überzeugung, dass hier die wirklichen Geheimnisse liegen." Die Stasi ist allerdings äußerst unzufrieden damit. Und wenn wir ehrlich sind: Es ist ja auch nicht ganz einfach, Kluges Wirklichkeitsberichte auszuwerten.

kau.

Der starke Ferdinand.

Bolschewist des Kapitals.

Die lächerlichen Vorschriften des Rechtsstaats, der Strafverfolgung und die Angst vor der Presse machen die Sicherung der Sicherheit unmöglich. Davon sind heute einige Politiker überzeugt, und daran verzweifelte 1976 bereits Ferdinand Rieche als Polizist und Werkschutzleiter in dieser Komödie. "Es wäre wichtig, dass wir dürften, was wir können", meint Rieche und bezieht statt eines Büros ein Feldquartier in dem Betrieb, den er beschützen soll und doch nicht wirklich darf, weil das Produktionsabläufe stören und Geschäftsbesucher verschrecken würde. Heinz Schubert spielt diesen "Kletteraffen der Vernunft", der sein Sicherheitssystem und das Leben mit einer Diebin unter einen Hut zu bringen versucht, stoisch unter den Brecht'schen Ansagen Kluges aus dem Off. Am Ende schießt er einem Minister in die Backe, um darauf aufmerksam zu machen, dass Bedarf für seine Leistungen besteht. "Wenn das Leben keinen genauen Sinn hat", erklärt er, "kann man nicht immer genau schießen." Rieche ist tatsächlich ein "Bolschewist des Kapitals", wie die Ausgangserzählung heißt.

lue.

Die Patriotin.

Das sprechende Knie.

Ein Zeitfilm, Themenfilm, Geschichtsfilm, in dem fast alles drinsteckt, was den späten siebziger Jahren unter den Nägeln brannte: Berufsverbote, Bildungsreform, Kernkraft, Mitbestimmung, Vergangenheitsbewältigung. Kluges Trick ist die reportagehafte Verpackung des Stoffs: Gabi Teichert (Hannelore Hoger), Geschichtslehrerin aus Hessen, ist mit den Lernmaterialien für die Oberstufe unzufrieden, weil sie nur düstere, katastrophische Geschichtsbilder enthalten, und macht sich deshalb auf den Weg, die Geschichte eigenhändig zu verändern. Sie geht zum SPD-Parteitag, trifft einen BND-Informanten zum Gespräch und gräbt im Frankfurter Erdreich nach historischen Wahrheiten, und ihr Regisseur bringt währenddessen das einsame Knie aus Christian Morgensterns Gedicht zum Sprechen: "So einfach kann man uns nicht abschreiben, die Wünsche, die Beine, die vielen Glieder, Rippen, die Haut . . ." Und immer wieder Stalingrad, Luftkrieg, die Grimmschen Märchen, alle Kluge-Evergreens, die man aus seinen Fernsehsendungen kennt. Die Kritiker von 1979 feierten dieses zweistündige Deutschland-Feuilleton, und eine Zeitlang, bis Mitte der achtziger Jahre, war Kluges Kino beinahe populär. Beinahe.

kil.

Deutschland im Herbst.

Geschichtsgrabung.

"Deutschland im Herbst" war seinerzeit ein einmaliges Projekt. Erste Pläne für den Film über Atmosphäre und hysterisierte innenpolitische Situation im Herbst 1977 gab es schon während der Schleyer-Entführung, und den Rahmen dieses Episodenfilms bilden Aufnahmen, die bereits während der Trauerfeier für Schleyer entstanden. Dies ist insofern ein genuiner Kluge-Film, als dass Kluge einmal mehr als zentraler Antreiber fungierte und auch für den Schnitt aller Beiträge zeichnet. Aber auch der Anteil von Volker Schlöndorff ist hoch. Kluges eigene Beiträge zeigen etwa seine Figur Gaby Teichert, wie sie "nach den Grundlagen der deutschen Geschichte" gräbt. Dann gibt es Bilder zum erzwungenen Selbstmord des Feldmarschalls Rommel und zu dessen verlogenem Staatsbegräbnis. "Selbstmord", heißt es, "begeht, was nicht in diese Welt passt." Der Zuschauer kann sich seinen Teil denken. "Deutschland im Herbst" ist kein agitierender Film, sondern ein Trauerspiel. Durch exzellente Beobachtungen und klugen Musikeinsatz schafft der Film ein Gefühl für die Katastrophe, die die Bundesrepublik seinerzeit erschütterte, und dafür, dass diese nicht nur eine Katastrophe Schleyers war.

land.

Krieg und Frieden.

Atompilz im Rahmen.

Die Kamera unterscheidet sich vom menschlichen Auge durch größere Widerstandskraft. Wo beim Menschen die Retina zerstört wird, bleibt der Aufnahmeapparat unversehrt. Aber auch das Kino kann von einer Atomexplosion nur gleißendes Licht zeigen - was wir von der Atomgefahr sehen können, ist der Atompilz. Mit "Krieg und Frieden" reagierten Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Stefan Aust und Axel Engstfeld 1982 auf die durch den Nato-Doppelbeschluss zur atomaren Nachrüstung in Mitteleuropa ausgelösten Kriegsängste und Friedensbewegungen. Die "Kubanisierung" der Bundesrepublik wurde durch einen Vergleich mit der Kuba-Krise von 1962 erörtert, es gibt großartiges Material von dem Besuch Helmut Kohls bei Ronald Reagan zu sehen, und Kluge steuert zu den teilweise sehr zeitverhafteten und im Jargon der Agitation gehaltenen Passagen des Films einen für ihn typischen großen Rahmen bei: "Von Zeit zu Zeit sucht der Krieg nach seiner absoluten Idee." Der Atompilz ist das Zeichen dieser kaum vorstellbaren Idee. "Krieg und Frieden" berichtet von der Rationalität des Irrationalen im Kalten Krieg.

breb.

Der Kandidat.

Flaschenpost.

Kluges Filme sind am besten, wenn sie zu einer Archäologie der jeweiligen Gegenwart werden. "Der Kandidat" entstand 1980, unmittelbar nach "Deutschland im Herbst" und gewissermaßen als dessen Fortsetzung. Auch er ist ein Gemeinschaftsprojekt, an dem neben Kluge auch Volker Schlöndorff und Stefan Aust beteiligt waren. Und auch hier steht im Zentrum der Versuch, Aufregungen und Atmosphäre im Umfeld des Strauß-Wahlkampfs in filmische Form zu fassen. Eine Chronik öffentlicher Gefühle. Weil sie nicht wie "Deutschland im Herbst" den Ausnahmezustand, sondern den Normalfall zum Gegenstand hat, zeigt sie die ganz normalen Maßverhältnisse des Politischen, Bilder, die man sonst herausschneidet: Strauß im Bierzelt, Stoiber immer an seiner Seite, bayerische Defiliermärsche, kleine versteckte freundliche oder auch abfällige Gesten, Gedrängel durch Anhänger. Es fällt schwer, diesen Kandidaten und seinen Gestus im Rückblick ganz ernst zu nehmen, noch schwerer, manche damaligen Bedrohungsszenarien nachzuvollziehen. Umso stärker wird sichtbar, was dieser empfindsame Film und Kino überhaupt auch ist: eine Flaschenpost aus definitiv vergangenen Zeiten.

land.

Serpentine Gallery Program.

Weltprojekt Wissen.

Mit Sauerstoffmaske und schwarzem Umhang sitzt der "Tiermehlfabrikant Dr. Fred Eicke" vor der Kamera und erstattet Auskunft darüber, was in der Fleischbranche so üblich ist, wenn man einen Produktionsstandort auf Zypern unterhalten kann - dies ist nur eines der vielen Para-Interviews, die Alexander Kluge mit Peter Berling in unterschiedlichsten Rollen geführt hat, in einer der originellsten Formen, die er für die Magazine seiner Firma dctp für Sendeplätze im Privatfernsehen entwickelt hat. Das "Serpentine Gallery Program" versammelt eine Auswahl dieser Sendungen, die zwischen Alltag und Avantgarde das künftige Archiv einer unerhörten Wissensgesellschaft darstellen. Vom "Balladenmagazin", das Alexander Kluge als Sprecher und Schreibmaschinist selber bestreitet, bis zu Collagen zu unterschiedlichster Musik oder einer Analyse der Bellini-Oper "Norma" (stellvertretend für die zahlreichen Beobachtungen zum gegenwärtigen Musiktheater, in der Kluge seine Beschäftigung mit der Macht der Gefühle fortsetzt) ist das "Serpentine Gallery Program" eine Auswahl aus einem Weltprojekt.

breb.

Der Angriff der Gegenwart . . .

Blinde und Idioten.

Als Titelfinder ist Kluge ganz groß: "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" ist auch so ein gern zitierter und variierter Titel, der alles und nichts bedeuten kann. Jutta Hoffmann, Rosel Zech, Rosemarie Fendel, Armin Mueller-Stahl, Hans-Michael Rehberg und der stets wunderbare Alfred Edel spielen in Episoden, deren Zusammenhang sich nicht auf den ersten Blick erschließt, aber die Frage nach dem roten Faden unterläuft Kluge schon dadurch, dass er sie im Film durch einen penetranten Interviewer selbst stellen lässt. Dazu kommt noch ein blinder Regisseur, der Bilder nicht leiden kann, und das erinnert dann fast schon an Godard, der sich in "Soigne ta droite" als Idiot inszenierte. Passend dazu als Extra ein Interview, das Kluge 2001 mit Godard führte, den er selbst eines seiner Leitbilder nennt. Kluges säuselnd raffinierte Penetranz lockt selbst Godard in seiner Orakelhaftigkeit aus der Deckung. Auf die Frage, was älter sei, das Auge oder das Ohr, kommen sie auf die Haut, und Godard sagt, sie sei der Leinwand insofern verwandt, als er in der Aufregung vor Drehbeginn häufig Ausschläge bekäme - und deshalb mache auch sie Gefühle sichtbar.

malt.

Vermischte Nachrichten.

Eine unproduktive Person.

15000 Mark erhofft sich die "Besitzbürgerin Jahrgang 1908" für das Porzellan, das sie zum Verkauf feilbietet. "Aber wer gibt mir die?" Frau Schneider ist am Wienern, die schöne Wohnung in Berlin West hat zwölf Zimmer, da hat man gut zu tun, um die in Schuss zu halten. Frau Schneider sitzt aber auch über den Büchern und stellt fest, dass die Ausgaben dem überlieferten Lebensstandard davonlaufen - denn was ist das eigentlich, eine Besitzbürgerin? Eine unproduktive Person, sieht man einmal von dem verkäuflichen Porzellan ab. Alexander Kluge lässt in diesem kurzen, sehr witzigen Film aus dem Jahr 1973 die westdeutsche Geschichte um ein Haar in den Ruin laufen. "Ich hab' Geld nie groß halten können." Der Empire-Schreibschrank und die Barock-Kommode stammen aus Lichterfelde, sie haben nach dem Krieg den Besitzbürger gewechselt, das soll nicht noch einmal so sein müssen. Zum Glück kommt ein Herr Guhl des Wegs. Er hat für das Porzellan zwar keine Verwendung, aber er hat eine Lösung für den Engpass: Schulden! Herr Guhl ist flüssig, Frau Schneider nun wieder für eine Weile liquid - ein Wirtschaftswunder.

breb.

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