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WIR SIND IM KRIEG. So steht es eines sonnigen Tages in der Zeitung. Und die Menschen haben Angst, sie bewaffnen sich und legen Vorräte an. Doch wie kann das sein, in einem Land, das so sicher ist und so reich? Der Fotograf Armin Smailovic und der Autor Dirk Gieselmann haben sich auf die Suche nach dem Albtraum begeben, der Wirklichkeit zu werden droht, nach dem Krieg in den Köpfen - der German Angst. Eine Reise durch das Krisengebiet Deutschland, von Bautzen bis nach Duisburg-Marxloh, von Sylt bis auf die Zugspitze. 100 Orte, 100 Fotos, 100 Texte - der ATLAS DER ANGST.
Das Theaterstück zum
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Produktbeschreibung
WIR SIND IM KRIEG. So steht es eines sonnigen Tages in der Zeitung. Und die Menschen haben Angst, sie bewaffnen sich und legen Vorräte an. Doch wie kann das sein, in einem Land, das so sicher ist und so reich? Der Fotograf Armin Smailovic und der Autor Dirk Gieselmann haben sich auf die Suche nach dem Albtraum begeben, der Wirklichkeit zu werden droht, nach dem Krieg in den Köpfen - der German Angst. Eine Reise durch das Krisengebiet Deutschland, von Bautzen bis nach Duisburg-Marxloh, von Sylt bis auf die Zugspitze. 100 Orte, 100 Fotos, 100 Texte - der ATLAS DER ANGST.

Das Theaterstück zum ATLAS DER ANGST feiert am 22. April am Hamburger Thalia Theater Premiere: Gieselmann schafft mit seinen Texten Bilder, Armin Smailovic schreibt mit seinen Fotografien Erzählungen. Ich habe das Gefühl, ich schaue und höre Gieselmann und Smailovic beim gemeinsamen Nachdenken über die Angst zu, was viel spannender und erhellender ist als jeder Erklärungsversuch. Und: Ja, genau so muß man das erzählen."
Matthias Brandt, Schauspieler und Autor

"Angst ruft danach, dass etwas getan wird, nein, nicht nur etwas , sondern alles - Repression, Prävention, alles miteinander, alles durcheinander und so viel wie möglich. Angst ist ansteckend, Angst macht süchtig, Angst vergröbert, Angst vergrößert. Das Buch von Gieselmann und Smailovic ist eine beeindruckende Bestandsaufnahme der deutschen Angst, eine Anamnese. Eine solche Anamnese ist die Grundlage für Diagnose und Heilung."
Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung
Autorenporträt
Armin Smailovic ist einer der gefragtesten Fotografen Deutschlands. Eine seiner ersten Reportagen führte ihn in den Kroatienkrieg. Bis heute stehen Konfliktgebiete sowie soziale und politische Themen der Gesellschaft in seinem Fokus.

Dirk Gieselmann schreibt für den Tagesspiegel, Dummy und ZEIT ONLINE. Gewinner des Henri-Nannen-, des Grimme- und des Deutschen Reporterpreises.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2017

Reden ist irgendwie immer gut

Der Reporter Dirk Gieselmann und der Fotograf Armin Smailovic sind drei Monate durch Deutschland gereist. Sie wollten herausfinden, warum sie das Gefühl hatten, dass das Land sich verändert hat. Ihr "Atlas der Angst" ist ein Buch, das nur eine Stimmung wiedergeben möchte. Aber es macht selber Stimmung

Ein Journalist und ein Fotograf machen eine Reise durch Deutschland. Die Reise dauert drei Monate. Der eine macht Fotos, der andere macht sich Notizen. Sie haben ein Ziel vor Augen, sie wollen herausfinden, wie es mit der Angst in Deutschland aussieht. Warum tun sie das?

Der Autor sagt, er habe Angst um dieses Land und er habe Angst vor diesem Land. Hat er Angst vor radikalen Parteien, vor Nazis, vor der deutschen Außenpolitik? Hat er Angst, dass Deutschland untergehen wird, weil die Rechten die Regierung übernehmen, die Nazis die Straßen beherrschen und die Leute terrorisieren werden?

Was heißt das, Angst um Deutschland haben? Was soll das für ein Deutschland sein, vor dem der Autor und vielleicht andere Angst haben?

Er sagt es nicht. Als verstünde sich eine solche Art von nationalen Gefühlen, eine solche Sorge um Deutschland, von selbst. Vielleicht tut sie das heute. Gibt es einen neuen gutherzigen Nationalismus? Was ist das für ein Gefühl, die Angst vor Deutschland und die Angst um Deutschland? Dieses Gefühl macht den Eindruck, als wäre es neu und als wäre es alt. Und es sieht jetzt so aus, als wäre dieses Gefühl etwas Normales, als wäre etwas wieder ganz normal geworden.

Wie geht es dir so?

Ich habe Angst vor Deutschland.

Geht mir auch so. Und sonst?

Ich habe auch Angst um Deutschland.

Kann ich verstehen.

So normal kommt das Buch daher.

Deutschland habe sich seit seinen Kindertagen verändert, sagt der Autor. Als würde sich ein Land in seiner Geschichte nicht ständig verändern. Hieße das aber, am besten wäre es, alles bliebe so, wie es war, als es so aussah, alles wäre gut? Das sind Wünsche von Menschen, denen es gutging und die möchten, dass es ihnen weiter gutgeht.

Er möchte herausfinden, sagt der Autor, warum er das Gefühl hat, dass das Land sich verändert habe. Der Reporter und der Fotograf fahren ihrer eigenen Angst hinterher. Es ist nicht immer gut, wenn zwei Menschen ihre Gefühle so ernst nehmen, als handelte es sich dabei um Gefühle, die ernst genommen werden sollten. Manchmal sind Gefühle nicht die richtigen Begleiter oder Wegweiser.

Die Angst, um die es dem Autor geht, das zeigen dann die Texte, ist die Angst von einigen Deutschen vor Flüchtlingen und vor Krieg und die Angst von einigen Flüchtlingen vor Krieg und vor Leuten, die sie verfolgt haben und noch verfolgen. In der Zeitung stand, wir befinden uns im Krieg, sagt der Autor. "Wir befinden uns in einem Kampf, meinetwegen auch in einem Krieg, sagt die Kanzlerin im Radio." Die Regierung habe empfohlen, Vorräte für einen Ernstfall anzulegen. Der Autor selbst legt Konserven zurück. Auch gebe es in Deutschland viele Waffen. Dass viele Waffen für das Ausland in Deutschland produziert werden, das sagt der Autor nicht.

Alle Fotos sind schwarzweiß, und die meisten Fotos sind doppelbelichtet. Das sieht so aus, als ginge es darum, zu erkennen, dass nicht alles so ist, wie es aussieht; dass ein Mensch oder ein Ding immer ein Wesen, ein Etwas mit einer Geschichte ist, die unsichtbar hinter ihm liegt, aber in ihm weiterwirkt. Alles wird sich entwickeln. Wie genau, weiß keiner zu sagen. Gut ist es aber, hinzuschauen, Bedeutungen zu suchen. So sehen die Fotos aus.

Die Texte sind kurz, Bruchstücke, einfache Beschreibungen und Wiedergaben dessen, was Leute von sich erzählen oder vor sich hin reden. Dazu gibt es dann, das Pendant zu den Doppelbelichtungen, viele Metaphern und Vergleiche. Sie sollen hinausweisen über das, was ist, auf das, was es sein könnte. Das sind Übungen im Ahnen von höherem Sinn. "Über der Stadt steht die Sonne wie ein falscher Diamant im Schaufenster." Oder: "Das Dorf liegt da wie erstochen von der Straße nach Osten." Graugänse ziehen nach Süden, "als wollten sie uns damit etwas sagen". Ein wenig Poesie ist nie schlecht.

Bruchstücke sind Hinweise darauf, dass eine Ansammlung nicht die ganze Geschichte ist. Unter den Scherben aber werden sich, hofft der Autor, Zeichen finden, die zeigen, wie Deutschland sich entwickeln wird. Was aus ihm wird, wenn es so weitergeht. Mit was so weitergeht? Mit der Angst. Die ganze Sache, die sich die beiden vorgenommen haben, ist vage. Aber der Koffer wird gepackt, und es geht los.

Ein paar hundert kleine Texte sind nicht viel, verglichen mit den vielen Menschen, die in Deutschland leben. Umfragen stehen vor dem gleichen Problem, aus wenigen Daten etwas Repräsentatives zu machen, über das sich dann reden ließe. Die beiden Reisenden gehen nicht zu erfolgreichen Unternehmern, Filmproduzenten, Chirurgen, Rechtsanwälten, Immobilienmaklern und Informatikern. Sie reden mit Leuten, die von sich sagen könnten, dass ihnen das Schicksal übel mitgespielt hat, dass sie dem Leben ausgeliefert sind, ihren Feinden, Leuten, die es nicht gut mit ihnen meinen.

Das Buch ist schick, große Seiten, gutes Papier und ein etwas aufwendiges Layout. Sieht so aus wie: Deutschland ist immer noch ein reiches Land mit einer kulturellen Tradition, die wichtig genommen zu werden verdient. Der Titel könnte ein Format vorgeben, eine ganze Reihe. Nach dem "Atlas der Angst" kämen ein Atlas der Liebe, des Sterbens, des Glücks. Einer unternimmt eine empfindsame Reise. Das Ziel ist ein Gefühl in Deutschland.

Der "Atlas der Angst" ist zweihundert Seiten dick, es hätten mehr, es hätten weniger sein können. Weniger wäre nicht mehr gewesen. Es gibt Flüchtlinge, denen es hier nicht gutgeht, sie haben Schlimmes hinter sich. Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebten, leiden psychisch unter den Folgen der Angriffe. Manche Leute wollen keine Flüchtlinge in Deutschland haben. Es gibt Menschen, die terroristische Anschläge überlebt haben, Deutsche, die in Paris im Restaurant saßen, als sie von islamistischen Terroristen beschossen wurden. Sie alle hatten Angst und haben noch Angst.

Das sind die Ergebnisse der Reise.

Du klappst das Buch zu und hast ein schlechtes Gefühl.

Die Absicht des Buches soll eine gute Absicht sein. Einer hat Angst vor Hunden. Er macht ein Buch mit Bildern von schrecklichen Hunden und Berichten von Leuten, die von einem Hund gebissen wurden. Es sieht so aus, als wären alle Hunde schrecklich. Danach geht keiner mehr treuherzig an einem Hund vorbei.

Das Buch über eine Stimmung, das nur eine Stimmung wiedergeben möchte, macht selber Stimmung. Die Angst, um die es hier geht, ist nicht die Angst vor Krebs oder vor anderen schlimmen Krankheiten oder die Angst vor dem Tod oder die Angst davor, aus den sozialen Netzwerken zu fallen und auf der Straße zu landen, oder Phobien aller Art.

Hier geht es um eine Angst, die in den politischen Diskussionen in Deutschland eine große Rolle spielt. Da kann einer nicht so tun, als hätte er sich nur mal umschauen und nur mal eine Art Bestandsaufnahme machen wollen. Er findet, was er gesucht hat.

Jetzt wissen wir, was wir schon wussten, dass einer, der Angst um und vor Deutschland hat, in Deutschland Leute antreffen wird, die auch Angst vor und Angst um Deutschland haben, und dass es Menschen gibt, die sich vor Deutschen fürchten, weil diese Deutschen aus Angst um Deutschland nicht davor zurückschrecken, Angst zu verbreiten, und dass es Menschen gibt, die in Deutschland sitzen und Angst haben, weil sie Schreckliches erlebt haben.

Neu und eigenartig ist, dass ein ganz normaler netter Mensch, der so seine Arbeit macht und sich durch das Leben wurschtelt, um und vor ganz Deutschland Angst haben muss. Normalerweise sind es nur bestimmte Leute, die zum Fürchten sind, oder bestimmte politische Entwicklungen. Doch ein ganzes Land? Deutschland ist keine Diktatur, und es ist nicht auf dem Weg dorthin. Oder übt das, was einer sich vorstellt, wenn er an Deutschland irgendwie denkt, übt das, was einer als seine Erfahrungen mit Deutschland bezeichnen könnte, irgendwann eine Art Diktatur auf ihn aus und verengt dann seinen Blickwinkel?

Zwei gehen nachts auf einer

Landstraße.

Da drüben steht einer, siehst du?

Da steht doch keiner.

Siehst du nicht? Kopf, Arme.

Der hält doch was.

Jetzt sehe ich es auch.

Unheimlich, oder?

Irgendwie schon. Was will der dort?

Lass uns lieber woanders gehen.

Und was war? Das Licht des Mondes

spielte auf einem Straßenschild im

Nebel.

Wie geht es jetzt weiter mit der

Angst vor und um Deutschland?

Abwarten. Und schauen, was wird.

Aber wir sollten darüber reden.

Ja, reden ist immer wichtig.

Über unsere Gefühle. Mit

diesem Land.

Du fühlst dich zuständig.

Für Deutschland? Irgendwie schon.

Lass uns darüber reden, wie es sich

anfühlt, hier zu leben.

Und darüber, was aus Deutschland

wird.

Es kann uns nicht egal sein.

Wir leben hier.

Wir müssen auch darüber reden,

was aus uns wird.

Wenn Deutschland sich weiterhin

so verändert, meinst du?

Es soll unser Deutschland bleiben.

Das Deutschland unserer Kinder.

Irgendwie schon.

Dann gingen alle, die darüber reden wollten, irgendwohin, wo sie darüber reden konnten, in ein Theater vielleicht, da ist viel Platz. Es wurde ein langer Abend, an dem Folgendes herauskam:

Es ist nicht einfach, über Gefühle

zu reden.

Es fühlt sich gut an, dass wir über

unsere Gefühle und die Gefühle

anderer, soweit sie mit unseren

Gefühlen zusammenhängen,

geredet haben.

Über Deutschland zu reden ist

ungewohnt, aber es fühlt sich so an,

als wäre es notwendig.

Wenn wir weiter über unsere Gefühle

für Deutschland reden, dann kann uns

Deutschland nicht verlorengehen.

Oder?

Vielleicht.

Ein in diesem neuen deutschen Sinne, nur in diesem Sinne, interessantes Buch.

EBERHARD RATHGEB

Dirk Gieselmann und Armin Smailovic: "Atlas der Angst. Eine Reise durch Deutschland". Eichborn, 214 Seiten, 24 Euro

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"Sie [die Autoren] reisen durch das Land und berichten in Text (Gieselmann) und Bild (Smailovic) über Begegnungen, die einen Eindruck davon vermitteln sollen, in welchem Zustand sich die Republik befindet." Marvin Köhnken, Kreiszeitung, 10.06.2017