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'Tanz mit dem Jahrhundert' ist ein Plädoyer für Humanität und Zivilcourage, ein Bericht über die Arbeit internationaler Gremien, von der UNO bis zur Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien, und über die Aufgaben eines Diplomaten. 'Tanz mit dem Jahrhundert' gleicht einem Roman und ist doch ein ganz realistisches Lehrstück in Sachen Demokratie.

Produktbeschreibung
'Tanz mit dem Jahrhundert' ist ein Plädoyer für Humanität und Zivilcourage, ein Bericht über die Arbeit internationaler Gremien, von der UNO bis zur Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien, und über die Aufgaben eines Diplomaten.
'Tanz mit dem Jahrhundert' gleicht einem Roman und ist doch ein ganz realistisches Lehrstück in Sachen Demokratie.
Autorenporträt
Stéphane Hessel wurde am 20. Oktober 1917 in Berlin als Sohn des deutsch-jüdischen Schriftstellers Franz Hessel und der protestantischen deutschen Journalistin Helen Grund geboren. 1924 zog er mit Mutter und Bruder nach Paris. 1939 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an und schloss sich im Zweiten Weltkrieg der Résistance an. 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet und in das KZ-Buchenwald deportiert. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Hessel 1946 Büroleiter des Vize-UN-Generalsekretärs und 1948 Sekretär der neu geschaffenen UN-Menschenrechtskommission, die mit der Erarbeitung der Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen beauftragt wurde. Anschließend bereiste er im Auftrag der UNO und des französischen Außenministeriums die Welt, trieb die Entkolonialisierung voran und vermittelte in Konflikten. Er trägt den Titel "Ambassadeur de France" und die Auszeichnung "Ritter der Ehrenlegion". Stéphane Hessel lebte mit seiner zweiten Frau in Paris. Im Jahr 2011 erhielt

der Autor den Myschkin-Preis für sein Lebenswerk, 2012 wurde er mit dem vom Sloterdijk-Freundeskreis gestifteten Kulturpreis ausgezeichnet. Stéphane Hessel verstarb im Februar 2013 im Alter von 95 Jahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.1998

Ein Klavier in jeder Hütte
Paris, London, Buchenwald: Das Jahrhundert des Stéphane Hessel

"Mann der Linken, überzeugter Europäer, politisch aktiver Internationalist: Diese Attribute lasse ich mir allzugern gefallen", schreibt der deutschgebürtige, französische Diplomat Stéphane Hessel in seinen Lebenserinnerungen. Andere Attribute drängen sich auf: Liebhaber der Dichtkunst in drei Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch), Verehrer Frankreichs, Bewunderer seiner "unvergleichlich klaren und subtilen Sprache", die zu beherrschen er als eine Auszeichnung betrachtete. Sie ist für ihn einer der "besten Schlüssel zum Reich der Wahrheit und der Schönheit". Damit ist leider auch schon angedeutet, daß der größte Genuß, den Hessels Memoiren bieten, ihr eleganter, literarischer Stil, den Lesern der deutschen Ausgabe vorenthalten bleibt. Die Eigenarten der deutschen Grammatik machen Hessels lange, ausgeklügelte Perioden nämlich zu einer schweren Prüfung für Übersetzer, die Roseli und Saskia Bontjes van Beek in diesem Fall nicht immer glänzend bestanden.

Hessels Memoiren sind vor allem als Kulturzeugnis interessant, als ein gelungenes Beispiel der französischen Ausprägung dieses Genres, dessen Gegenpol die amerikanische Kiss-and-tell-Autobiographien (wie die Donald Regans) sind. Bei Hessel kommt keine schmutzige Wäsche zutage. Freunde und Gegner (man ahnt kaum, daß es sich um solche handelt), darunter so bedeutende Männer wie Pierre Mendès- France, Claude Cheysson, Giscard d'Estaing und Mitterrand, werden mit vornehmer Distanz charakterisiert, wobei in Hessels höchstem Lob die Adjektive "geistreich" und "artikuliert" nicht fehlen.

Hessel ist Zeuge der bedeutendsten politischen Ereignisse seit dem Ende des Wilhelminischen Reiches, in das er 1917 geboren wurde. Mancher englische oder deutsche Memoirist wäre da der Versuchung erlegen, die folgeträchtigsten dieser Ereignisse mit historischer Gründlichkeit darzustellen. Nicht so Hessel. Er belehrt seine Leser nicht, sondern verhält sich zu ihnen, als seien sie ebenso informiert und belesen wie er selbst. In Hessels Buch ist man unter sich. Die Eleganz des scheinbar plaudernden Stils, dem die Andeutung genügt, um den Leser ins Bild zu setzen, verbirgt und erwartet eine Eleganz der geistigen Haltung, die von sich verlangt, weltgeschichtlich auf dem laufenden zu sein.

Doch auch für Leser, die diesem Ideal vielleicht nicht ganz entsprechen, hält Hessel eine Geschichte bereit - die seiner Kindheit und Jugend. Hessel ist der zweite Sproß einer ungewöhnlichen Ehe. Sein Vater Franz, ein Schöngeist und Schriftsteller, entstammte jener hochkultivierten deutsch-jüdischen Bourgeoisie, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert eine große Menge gesellschaftlicher Positionen ersten Ranges in der Finanz- und Kulturwelt einnahm. Hessels leidenschaftliche Mutter war die Tochter eines musikbegeisterten protestantischen Berliner Bankiers. Franz und Helen lernten sich 1912 in Paris kennen, heirateten 1913 in Berlin und zogen 1925 nach Paris, weil Helen sich inzwischen in Franzens Freund Henri-Pierre Roché verliebt hatte. Dieser hielt die ménage à trois in seinem von Truffaut verfilmten Roman "Jules et Jim" fest.

Hessel kam im Paris der zwanziger Jahre zum ersten Bewußtsein seiner selbst. "Meinem eigenen kindlichen Hang zum Spiel und Risiko kommt die Infragestellung der Formen, Sitten, Traditionen entgegen. . . . Je krasser der Bruch, desto mehr Aufmerksamkeit verdient er." Das geistige Erbe der zwanziger Jahre verdichtete sich in Hessel später zur Gewißheit, daß das Leben nur einen Sinn hat, "wenn es die Wege öffnet, die zu diesem Mehr an schöpferischer Freiheit führen".

Der Vater jedoch hielt nicht lange durch. Er kehrte 1929 nach Berlin zurück, wo er mit Walter Benjamin an einer Übersetzung von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" arbeitete und im Rowohlt Verlag Anstellung fand. Helen kam 1938 nach Berlin und heiratete Franz ein zweites Mal, um ihm die Ausreise nach Frankreich zu ermöglichen. Stéphane war schon seit 1937 französischer Staatsbürger und ab 1939, auf dringendes Anraten der Mutter, Student an der École normale supérieure.

Die Besetzung Frankreichs verschlug Hessel auf abenteuerliche Weise nach London, wo er sich de Gaulles "France libre" als Nachrichtenagent anschloß. Im März 1944 wurde er in geheimer Mission nach Frankreich gebracht und dort am 10. Juli von der Gestapo geschnappt. Er verbrachte 29 Tage in Gestapohaft, wurde gefoltert und verhört; am 8. August deportierte man ihn als Mitglied der Résistance nach Buchenwald. Als ihm dort die Exekution drohte, organisierte Eugen Kogon einen Identitätstausch mit einem typhuskranken Franzosen, dessen Tod an Hessels 27. Geburtstag ihm das Leben rettet. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch wurde Hessel ins Lager Dora deportiert, wo die Häftlinge beim unterirdischen Bau von Hitlers Geheimwaffe systematisch zu Tode geschunden wurden.

Der Vormarsch der Roten Armee zwang die Deutschen zur Verlegung der Häftlinge. "Diejenigen aus Groß-Rosen waren im März nach Dora evakuiert worden. Die Lebenden wie die Toten. Da unser Krematorium überlastet war, wurden Scheiterhaufen errichtet, um die Leichen dort aufzuschichten. Aber zunächst mußten ihnen die Kleider ausgezogen werden. Ein Kapo verspricht denen, die sich freiwillig für eine Aufgabe melden, von der er nicht sagt, woraus diese besteht, zwei Scheiben Wurst. Zwei Scheiben Wurst, so etwas läßt man sich nicht entgehen. Ich erkläre mich zusammen mit einem anderen jungen Burschen dazu bereit. Wir haben den Tag damit verbracht, an mit Blut und Exkrementen verschmierten Kleidern zu zerren, kaltes Fleisch zu berühren. Das reine, absolute Entsetzen."

Die Erinnerungen an die Inhaftierung, sind - im Unterschied zur diplomatischen Nachkriegskarriere - mit der größten Klarheit und Prägnanz dargestellt. Obgleich Hessel sich bemühte, diesen Bereich wie einen "hermetisch abgeschlossenen Winkel" seines Gedächtnisses erscheinen zu lassen, so ist doch völlig klar, daß sein intensiver Wunsch, beim Aufbau einer Welt mitzuhelfen, "in der es keine Atombombe und Konzentrationslager, keinen Imperialismus und keine Verletzung der Menschenrechte gibt", auf seine erschütternden Erfahrungen in den Lagern Buchenwald, Rottleberode und Dora zurückzuführen ist.

Am 8. Mai 1945 kehrte Hessel nach Paris zurück, und schon am 15. Oktober unterzog er sich der Aufnahmeprüfung in den diplomatischen Dienst. Ab Februar 1946 widmete er seine Kraft dem Aufbau der Vereinten Nationen, insbesondere der Arbeit der Menschenrechtskommission. Er wurde zu einem führenden Diplomaten auf dem Gebiet der Entwicklungshilfepolitik und zu einem begnadeten Vermittler zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien in Afrika.

Hessels Buch ist am zugänglichsten, wenn seine diplomatische Glätte von vorsichtiger (Selbst-)Kritik durchbrochen wird, so etwa an der fehlgeschlagenen Afrika-Politik Frankreichs, die er selbst einst so überzeugt vertreten hat, in der, wie er jetzt sieht, es "einzig und allein um die Aufrechterhaltung einer finanziellen Bevormundung" der ehemaligen Kolonien gegangen sei. Trotz Hessels aufrichtiger Liebe zu Afrika blieb er stets der hochkultivierte, formvollendete Franzose, Welten entfernt von einem Mann wie Albert Schweitzer, dessen schrankenloses Aufgehen in Lambarene Hessel befremdete. Hessel verrät viel über sich selbst, wenn er abschließend über Schweitzer bemerkt: "In seiner Hütte steht nicht einmal mehr ein Klavier." SUSANNE KLINGENSTEIN.

Stéphane Hessel: "Tanz mit dem Jahrhundert". Erinnerungen. Arche Verlag, Zürich/Hamburg 1998. 388 S., geb., 45,- DM.

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