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"Ein intelligentes Feuerwerk in bester Bellow-Manier"
Ravelstein ist berühmt und hat ein Netzwerk von Freunden in der ganzen Welt. Als Philosophieprofessor an einer amerikanischen Universität war er verehrt, reich wurde er als Bestsellerautor und konnte sich dann endlich den Luxus leisten, den er Zeit seines Lebens geliebt hat.
Aber Ravelstein muss bald sterben. In Paris trifft er noch einmal seinen alten Freund Chick, einen amerikanischen Schriftsteller. Chick, Ich-Erzähler des Romans, soll Ravelsteins Biografie schreiben, gnadenlos offen und ungeschminkt. Beim eleganten Souper mit
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Produktbeschreibung
"Ein intelligentes Feuerwerk in bester Bellow-Manier"

Ravelstein ist berühmt und hat ein Netzwerk von Freunden in der ganzen Welt. Als Philosophieprofessor an einer amerikanischen Universität war er verehrt, reich wurde er als Bestsellerautor und konnte sich dann endlich den Luxus leisten, den er Zeit seines Lebens geliebt hat.

Aber Ravelstein muss bald sterben. In Paris trifft er noch einmal seinen alten Freund Chick, einen amerikanischen Schriftsteller. Chick, Ich-Erzähler des Romans, soll Ravelsteins Biografie schreiben, gnadenlos offen und ungeschminkt. Beim eleganten Souper mit Chicks junger Frau und Ravelsteins schönem Liebhaber, beim Flanieren und Einkaufen oder im Café Flore diskutieren die beiden Freunde Ravelsteins Leben, gemeinsame Erlebnisse, und sie mokieren sich über den Niedergang der amerikanischen Kultur, über den Ravelstein sein berühmtes Buch geschrieben hat. Aus diesen Gesprächen und Rückblenden entsteht Ravelsteins Leben, die Biografie, an der Chick arbeitet und in der sich auch sein eigenes Leben spiegelt.

Der Roman, wie oft bei Saul Bellow voll autobiografischer Züge, besticht durch amüsante Anekdoten und Aperçus, wunderbar erzählte Episoden und treffende Charakterisierungen. Es ist ein Genuss, Saul Bellow zu lesen.Endlich wieder ein Roman des amerikanischen Nobelpreisträgers Saul Bellow. Er erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen dem weltberühmten Bestsellerautor Ravelstein und dem amerikanischen Schriftsteller Chick und setzt sich dabei geistreich und sarkastisch mit seiner Zeit auseinander.
Autorenporträt
Bellow, Saul
Saul Bellow wurde am 10. Juni 1915 in Lachine/Quebec als Sohn jüdisch-russischer Einwanderer geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Montreal, 1924 zog die Familien nach Chicago. Dort besuchte er die Tuley High School und studierte später Anthropologie und Soziologie an der Northwestern University. Bellow übte verschiedene Tätigkeiten aus, bevor er seit 1938 dauerhaft an verschiedenen amerikanischen Universitäten lehrte, unter anderem an Princeton und an der Universität von Chicago. Am 5. April 2005 starb der Schriftsteller in Brookline, Massachusetts, im Alter von 89 Jahren. Bellow war mehrmals verheiratet und hatte vier Kinder. Saul Bellow selbst erhielt für sein umfangreiches literarisches Werk zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Nobelpreis für Literatur 1976.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.03.2000

Hoffnung für arme Seelen
Die Kunst der Biografie: Saul Bellows neuer Roman „Ravelstein”
Eine Großaufnahme, in einem kleinen Pariser Tableau: Ein hässlicher Espressofleck, vom besten Gebräu, das das Café de Flore zu bieten hat, auf einem eben bei Lanvin erworbenen Flanelljackett – „seidig aber dennoch satt”, die Farbe erinnert an einen Labrador, der Preis war 25 000 Francs.
Der Fleck auf dem teuren Flanell, das ist „Ravelstein pur”. Ist typisch für den amerikanischen Professor Abe Ravelstein, der mit seinem Freund Chickie, zu Besuch aus den Staaten, sattes Savoir-vivre zelebriert in Paris. In wenigen Tagen werden die amerikanischen Romanleser „all about Abe” wissen, dann erscheint bei Viking das neue Buch von Saul Bellow, dem sein exzentrischer Held auch den Titel gibt: „Ravelstein”.
Es ist ein intelligentes Feuerwerk in bester Bellow-Manier. Der amerikanische Erfolgsromancier zeigt sich, wenige Monate vor seinem 85. Geburtstag, so witzig und bissig wie eh und je – das verheißt zumindest der Vorabdruck eines Kapitels im New Yorker. Alles über Ravelstein also, und alle werden wissen, dass mit dem Romanhelden Professor Allan Bloom gemeint ist, einer der bekanntesten Intellektuellen des Landes – der so gar nicht den Vorstellungen entsprach, die man sich von seinen stillen, strengen Kollegen in Europa macht.
Keine Spur von edler Einfalt oder stiller Größe, nein, die groteske Selbstsicherheit Ravelsteins erinnert an die Auftritte der jungen amerikanischen Schreibgenies in den Zwanzigern in Paris. Ein Frühstück auf der Terrasse des Penthouse im Hôtel de Crillon, ein Vormittag lèche-vitrines, so heißt das Nobel-Shopping in Frankreich, danach viel Talk an den Cafétischen, und vor allem ein Gefühl von verrückter Lebenslust, das den dritten Amerikaner in Paris blass aussehen lässt: Michael Jackson, der sich ebenfalls im Crillon einquartiert hat.
Das Buch ist eine Auftragsarbeit. „Ich möchte, dass du über mich schreibst, mich in einem Buch festhältst”, sagt im Buch Abe zu Chickie, „wenn ich gestorben bin. Du könntest ein schönes Erinnerungsstück schaffen. Das ist nicht nur eine Bitte, ich erlege es dir auf als Verpflichtung. Du solltest es machen in deiner Erinnerungen-nach-dem-Mittagessen-Manier, wenn du ein Paar Gläser Wein getrunken hast . . . Aber sei nicht zu nett. Sei so hart, wie du willst. ”
Und Chickie/Bellow ist hart: Abe ist ein unförmiger Mensch, glatzköpfig, mit langen Armen, der eine Fuß drei Nummern größer als der andere. Er stottert, döst immer wieder ein, erschöpft von langen Nächten in fröhlicher Gesellschaft, und wenn er sich nach ausgiebigem Essen vom Tisch erhebt, hat man alle Hände zu tun, die Krümel und Flecken, die er hinterlässt, zu beseitigen. Er liebt den Luxus und die Barockoper, und seitdem er ein wohlgefülltes Bankkonto hat, ist es ihm eine Lust, seine Kreditkarte großzügig zum Einsatz zu bringen. Ein Schwuler, am Ende stirbt Ravelstein an Aids.
Ein Schluss, der das Buch zu einer postumen Outing-Aktion macht – beiläufig, aber doch ein wenig prekär. Kein Skandal sicherlich, immerhin war es ein offenes, aber nie angesprochenes Geheimnis, dass Bloom, der im Jahr 1992 gestorben ist, schwul war. Aber ganz sicher scheint sich auch Bellow nicht, ob er seinen Auftrag nicht doch zu ernst genommen hat. Gleichwohl: „Er hatte seine Art zu leben – und er hatte nichts zu verbergen. ”
Eine amerikanische Lebensart. Abe Ravelstein ist ein spendthrift, der verschwenderisch umgeht mit seinen geistigen und materiellen Ressourcen, mit Gedanken und mit Geld. „Sein Intellekt hatte ihn zum Millionär gemacht” – ein Bestseller, „inspiriert, intelligent, kriegerisch . . . rasch geschrieben, aber mit aller Ernsthaftigkeit”. Keine billigen Konzessionen also, kein Popularisieren.
„The Closing of the American Mind” hieß das Buch, mit dem Allan Bloom 1987 die Bestsellerlisten eroberte, eine kompromisslose Analyse der amerikanischen Gesellschaft in den Achtzigern, inspiriert von Bellow, der auch das Vorwort dafür lieferte: „It was Chick who put me up to it. ” 1979 hatten die beiden sich kennen gelernt, an der University of Chicago haben sie gemeinsam ein Seminar gehalten über romantische Freundschaft – und den Studenten sind sie vorgekommen wie eine Art Sancho Bloom und Saul Qujiote. Dass Bloom schwul war, soll auch auf dem Campus schon ein offenes Geheimnis gewesen sein.
Gemeinsames Intellektuellen-Leben, gemeinsame Arbeit, gemeinsame Vorstellungen – das macht Bellows „Ravelstein” zu einem Memento besonderer Art – und zu einem Glanzstück jenes Genres, das in Amerika zur Meisterschaft geführt wurde, der literarischen Biografie. (Zwei andere Beispiele wären die Bücher von David Remnick, über Muhammad Ali, und John Lahr, über Frank Sinatra – zwei Schreiber aus der New Yorker-Schule –, die eben auf Deutsch erschienen sind. )
Biografie als genuin amerikanische Kunst – der American way of life ist von Anfang an auf die Biografie angelegt. Amerikanisches Leben ist gespickt mit Schauwerten und -effekten, geprägt vom Willen zur Exzentrizität, oszillierend zwischen Fakten und Fiktion. Weil das Leben – zwangsläufig – Legende wird, drucken wir die Legende.
Ein biografisches Meisterstück, aber auch ein Buch, das die Möglichkeiten und Grenzen von Biografie erkundet. Die Homosexualität bildet kein Moment des Skandalösen, sie integriert sich der Lebenskunst und -weisheit, für die Allan Bloom stand. Sein Buch war eine unnachsichtige Attacke auf die damalige amerikanische Kultur und ihr Bildungssystem. Alles was uns seit den Sechzigern als Befreiung und Revolution verkauft wurde, erklärte Bloom, hat die amerikanische Gesellschaft herunter gebracht, die Streiks und Campusbesetzungen haben das Land zurückgeworfen: „Wie die höhere Ausbildung die Demokratie verfehlte und die Seelen der Studenten von heute verarmen ließ” – das Motto (und Fazit) des Buches signalisiert, hier wird amerikanische Trauerarbeit geleistet.
Was auf den ersten Blick konservativ wirken mag in Blooms Studie, ist in Wahrheit schon wieder progressiv – weil Bloom auf dem Hintergrund antiken Wissens und antiker Philosophie argumentiert. Jede Seite ist beflügelt von der Erinnerung an jenes Goldene Zeitalter des Philosophierens auf den Straßen von Athen, an das große Paar Platon und Aristoteles. Platons „Symposion” ist das Paradies der Intellektuellen – Muster einer Philosophie, die durch ihre alltägliche Praxis auch politisch wurde. Michel Foucault hat in den letzten Jahren seines Lebens in ähnlicher Weise sein Leben und sein Denken auf Grund dieser texte neu organisiert, und Martha Nussbaum hat 1993, als Sachverständige vor dem Gericht in Denver, Colorado, ausführlich über das „Symposion” referiert, als der Staat Colorado die Homosexualität sogar in der Verfassung als widernatürlich gebrandmarkt haben wollte.
Im Licht von „Ravelstein” erscheint das radikale Buch von Bloom versöhnlicher – ein Buch der Freundschaft und des Eros, den das bürgerliche Zeitalter, die europäische idealistische Philosophie so gründlich missverstanden und verdrängt hat – und die Amerikaner haben es prompt übernommen, lesen Thomas Manns subtilen „Tod in Venedig” als frühes Plädoyer für die sexuelle Befreiung.
Der Mensch ist unvollkommen, das ist die berühmte Formel im „Symposion” – dem lebenslustigen Aristophanes in den Mund gelegt und illustriert durch den Mythos vom ursprünglichen doppelgeschlechtlichen Zwitterwesen, das vom grausamen Gott getrennt wurde in Mann und Frau: „Mensch sein, heißt versehrt, verstümmelt sein. Der Mensch ist unvollständig. Zeus ist ein Tyrann. ” Im Eros liegt für Bloom und Bellow und Ravelstein die Hoffnung auf eine andere Kultur, die einen neuen Menschen schafft. Wie das aussehen mag, deutet eine kleine Passage am Beginn des Romans an – auf der Terrasse des Crillon. „Ravelstein war in ausgezeichneter Stimmung. Dennoch hielten wir unsere Stimmen gedämpft – weil Nikki noch schlief, Abes Gefährte. In den USA hatte er immer bis vier Uhr morgens Kungfu-Filme aus seiner Heimat Singapur angeschaut. Auch hier war er meistens die Nacht über auf. Der Zimmerkellner hatte die Türflügel zusammengeschoben, so das Nikkis seidiger Schlaf nicht gestört werden konnte . . . Anfang dreißig hatte der hübsche Nikki immer noch etwas Jungenhaftes. ”
FRITZ GÖTTLER
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2000

Jedermanns Feind
Saul Bellows neuer Roman über seinen Freund Allan Bloom

NEW YORK, im Mai.

Natürlich verstehen die meisten Menschen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Leben und der Kunst, und diese nur von jenem leiht, was ihren Zwecken dient. Dennoch soll es vorgekommen sein, dass ein Minenarbeiter in einem Kino in Alaska auf die Leinwand zustürmte und mit seiner Schaufel den Bösewicht des Films zu erschlagen suchte. Vor allem in Amerika, wo der größte Erfindungsreichtum dem Realen gilt, ist die literarische wie die filmische Imagination eine fast verdächtige Form, die, auch wenn sie als solche erkannt wird, immer und zuerst auf ihre faktische Genauigkeit zu prüfen ist.

So etwa schrieb Saul Bellow im Jahr 1962 in seinem Essay "Facts That Put Fancy to Flight". Fast vierzig Jahre später steht Saul Bellow mit seinem neuen Buch "Ravelstein" selbst im Mittelpunkt einer Kontroverse um Fakten und Fiktion und ist genau jenen Fragen ausgesetzt, über die er sich damals mokierte. Das ist, als Detailaussage über die Entwicklung der amerikanischen Kultur, ein niederschmetternder Befund.

Bereits Wochen, bevor "Ravelstein" (Viking, 233 S., 24,95 Dollar) in diesen Tagen in die Buchhandlungen kam, war über den Inhalt des Romans alles Wesentliche bekannt: "Ravelstein" ist ein nur sehr dünn bemäntelter Schlüsselroman über den rechtskonservativen Philosophen und Gesellschaftskritiker Allan Bloom. Saul Bellow war ein enger Freund und Kollege von Bloom an der Universität in Chicago, wo dieser (wie in der gesamten akademischen Welt und über sie hinaus) "mächtige, unversöhnliche Feinde" hatte, "die ihn keinen Deut kümmerten". Allan Bloom wurde erst gegen Ende seines Lebens berühmt, 1987 nämlich, als er das Buch "The Closing of the American Mind" veröffentlichte, das zur Überraschung aller - des Autors, des Verlags und auch Bellows, der das Buch angeregt hatte - sofort ein Bestseller wurde und Bloom zum Millionär machte.

Tratsch als Sozialgeschichte.

"The Closing of the American Mind" ist ein Rundumschlag gegen den Verfall des liberalen Bildungssystems und des klassischen Kanons. Das Buch wurde die Bibel der Reaktionäre, wiewohl Bloom sich selbst, fest verwurzelt in den Denktraditionen von Platon, Machiavelli, Rousseau und Nietzsche, keineswegs für einen strengen Konservativen hielt, sondern für einen radikalen Demokraten. Die Politik der Identitäten, der rassischen, feministischen, homosexuellen Subkulturen, war ihm ein Greuel, und so hatte er Feinde in allen Lagern, als er 1992 starb.

Allan Bloom war homosexuell, aber er schwieg über seine sexuellen Vorlieben ebenso wie über seine HIV-Infektion. Seine offizielle Todesursache war Leberversagen, doch es gehört eine gute Portion Naivität oder Bigotterie dazu, diesen damals üblichen Vernebelungsbegriff für Aids für bare Münze zu nehmen. Saul Bellows Titelheld Ravelstein also ist ebenfalls homosexuell, lebt mit einem jungen Protegé zusammen, und er stirbt an Aids. Ist dies das unziemliche outing eines Verstorbenen, ist es die Wahrheit, der ein Autor verpflichtet ist, wenn er über reale Personen schreibt, oder ist es das Schicksal einer fiktiven Figur, die einer einst lebenden nachgebildet, mit dieser aber nicht identisch ist? Saul Bellow hat in einigen Interviews bedauert, dass die Kritiker in seinem Buch vor allem der Spur der Fakten folgten, die ihn gar nicht so sehr interessiere. In anderen hat er seine eigenen Zweifel geäußert, ob er "eine Grenze überschritten" habe, und damit die Sache noch etwas komplizierter gemacht.

Es ist unter diesen Umständen kaum noch möglich, "Ravelstein" gleichsam unschuldig als Roman zu lesen. Zwar ist das Prinzip des fiktionalen Porträts realer Personen nichts Neues in Bellows Werk - "Humboldts Vermächtnis" porträtierte recht unverhohlen den Dichter Demore Schwarz, der vielen, die den Roman lasen, vollständig unbekannt gewesen sein dürfte -, und auch dass der Erzähler die Züge des Autors trägt, ist aus anderen Romanen Bellows bekannt.

Dass es bei "Ravelstein" allerdings dadurch zu Verwirrungen kommt, hat nicht allein mit dem Zustand der amerikanischen Kultur, sondern auch etwas mit dem Buch zu tun. Denn bei all der Detailtreue der Beschreibungen tatsächlicher Begebenheiten und Personen, bei einigen fast wörtlichen Übereinstimmungen zwischen dem Roman und der Trauerrede, die Saul Bellow für seinen Freund Allan Bloom hielt (veröffentlicht in "It All Adds Up", Viking 1994), fragt man sich nach einer Weile, warum Bellow mit diesem Material einen Roman und nicht ein Buch der Erinnerungen an Bloom oder auch eine handfeste Biografie geschrieben hat - die dann wahrscheinlich ähnliche Empörungen ausgelöst hätten, aber ohne Reflexion über das Verhältnis von Literatur zu ihren Gegenständen zu diskutieren gewesen wären.

Nichts war durchschnittlich in Ravelsteins Leben. Er trug Jackets für viertausend Dollar, eine Uhr für zwanzigtausend, hörte Musik aus Lautsprecherboxen für zehntausend, seine seidenen Krawatten wurden in Paris gereinigt, und er reiste erster Klasse - und das nicht erst, seit sein Bestseller dafür sorgte, dass er all dies auch bezahlen konnte. Dumpfheit und Langeweile in seiner Umgebung akzeptierte er nicht, und auch depressive Stimmungen waren für ihn inakzeptabel. Er war ein großer, glatzköpfiger Mann von erlesenem Verstand, der wie Sokrates eine ganze Schar von Schülern beeinflusst hatte, die ihm ihrerseits von ihren hohen Positionen in Washington und aller Welt Informationen zuspielten und ihn so zu einer Quelle ständig neuer Analysen - und ständig frischer Klatschgeschichten machten. "Mein Tratsch ist Sozialgeschichte", sagt Ravelstein, und es heißt, dass auch Bloom, mit Sicherheit aber Saul Bellow dies für sich in Anspruch nahmen.

Von Ravelstein und davon, wie er spricht, wie er sich kleidet, wie er isst und wie er denkt, erzählt uns Chick, ebenfalls Universitätsprofessor und Ravelsteins engster Freund. Sein Geschmack, was die Luxusgüter dieser Welt angeht, scheint ein wenig einfacher zu sein, und auch über den Tod, vor allem darüber, was nach ihm kommt, sind sich die beiden nicht einig. Obwohl Chick mindestens zehn Jahre älter ist als Ravelstein, akzeptiert er ihn als seinen Lehrer, der ihn über die Untreue seiner Ehefrau aufklärt, seine Anzüge kritisiert und ihm den Spaß am Landleben verdirbt. Umso erstaunter ist Chick, als Ravelstein ihn bittet, nach seinem Tod eine Biografie über ihn zu schreiben.

"Das ist eine Verpflichtung", sagt Ravelstein, "und schreib sie in diesem entspannten Nach-dem-Essen-Reminiszieren-Ton, nach ein paar Gläsern Wein." In weiten Teilen liest sich "Ravelstein" genauso wie eine geistreiche Plauderei zwischen zwei Intellektuellen in jenem unverwechselbaren Idiom und Sprachrhythmus der Juden aus dem Mittelwesten, ohne eigentliche Handlung außer der Freundschaft zwischen den beiden und mit all den Wiederholungen, Leerläufen und überraschenden Pointen eines solchen ununterbrochenen Gesprächs.

Das Porträt, das "Ravelstein" uns von seiner Titelfigur mit markanten Linien und feinen Schattierungen zeichnet, enthüllt, warum Saul Bellow die Romanform gewählt haben mag. Denn Ravelstein ist, auch wenn er Allan Bloom sein sollte, eine lupenreine Bellow-Figur: ein exzentrischer Gelehrter mit einer Vorliebe für Lanvin, Basketball, Marlboros und Barockmusik, der aus seinen Vorlesungen einen Bestseller macht. "Die kulturelle Mobilität" (zwischen Hoch- und Populärkultur), so schrieb eine Kritikerin, "funktioniert bei Bellow wie die soziale Mobilität bei den Viktorianern. Sie öffnet geheime Türen und katapultiert die Juden von den Rändern in die Mitte des amerikanischen Lebens." Und solange "Ravelstein" diesen Bewegungen nachgeht, gehört der Roman zum Besten, was Bellow seit langem geschrieben hat. Im letzten Teil des Buches jedoch ist der Titelheld kaum mehr als Erinnerung präsent.

Ravelsteins Ende.

"Risiko, Grenzen, die Verdunkelung des Todes waren in jedem Augenblick gegenwärtig", heißt es einmal, und dass man "ein Wesen wie Ravelstein nicht leicht dem Tod" überlässt. Aber in der Eleganz von Bellows Prosa bleibt kein Raum für andere Gefühle als die elegischen, und so fällt, wenn Ravelstein stirbt, der Roman auseinander.

Jetzt geht es um Chick, um eine Lebensmittelvergiftung, die fast zum Tod führt, um die unsterbliche Liebe seiner jungen Frau und darum, wie er endlich beginnen kann, die Bitte seines toten Freundes zu erfüllen und jene Biografie Ravelsteins schreibt, die wir jetzt in Händen halten. Das ist erstaunlich umständlich und kraftlos erzählt. "Wenn man älter wird", sagte Bellow vor einigen Jahren, "wird man sich selbst gegenüber unpersönlicher." Das ist, wenn es um den Tod geht, literarisch nicht hilfreich, denn wenn es zum Sterben kommt, interessieren uns weniger die Ideen darüber als die Gefühle und Erfahrungen. Dass wir bereits einiges darüber wissen, verdanken wir nicht zuletzt Harold Brodkey, der es uns über sein Sterben an Aids erzählt hat. Und daran reicht Bellow nicht annähernd heran.

Allan Bloom hat nach "The Closing of the American Mind" noch ein weiteres Buch geschrieben, das allerdings erst nach seinem Tod erschien und, gleichsam autorlos, schnell wieder verschwand und längst vergriffen ist: "Love and Friendship", eine Sammlung von Gedanken zur Literatur, zu Shakespeare und Flaubert, Stendhal, Montaigne und auch zu Platons "Symposion", einem seiner Lieblingstexte über die Liebe und die alles Handeln antreibende Kraft des Eros, der auch in "Ravelstein" immer und immer wieder zitiert wird. Eine Auswahl dieser Essays wird jetzt neu aufgelegt. So könnte es "Ravelstein" zu verdanken sein, dass Allan Bloom Einzug ins Fach der gay studies hält, eine Aussicht, deren Komik nur ein Teil seiner Freunde zu schätzen wissen wird.

VERENA LUEKEN

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Martin Lüdke äußert sich in seiner ausführlichen Rezension sehr skeptisch über das jüngste Buch des amerikanischen Literaturnobelpreisträgers. Problematisch findet er zunächst, das der Roman eine kaum verbrämte Biografie eines gewissen Allan Bloom darstellt, der durch eine Streitschrift über den `Niedergang des amerikanischen Geistes` hervorgetreten ist, die hierzulande als `konservative, wenn nicht gar reaktionäre` Einschätzung der 68er Bewegung aufgefasst wurde. Gleichzeitig nutze der Autor die Lebensbeschreibung aber vor allem als `Selbstbeschreibung`, indem er der Hauptfigur nur eine `marginale Rolle` zuweise und dem Erzähler - d.h. in diesem Fall sich selbst - ein Denkmal setzte. Befremdet ist der Rezensent auch vom `Grad an Indiskretion`, die der Autor in den Enthüllungen über die Homosexualität und Aids-Erkrankung Blooms zeigt. Letztlich sei der Roman weniger eine Biografie als das `Zeugnis eines mehrfachen Triumphs` des 84-jährigen Autors, der seinen `besten Freund`, 15 Jahre jünger als er selbst, `auf der ganzen Linie besiegt hat`, nicht zuletzt durch das Überstehen einer lebensgefährlichen Fischvergiftung.

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