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Mè mou haptou - Noli me tangere - Rühr mich nicht an: Berühre mich nicht. In der Szene aus dem Johannesevangelium ist dies der Satz, den der auferstandene Christus an Maria Magdalena richtet, um gleich darauf wieder zu verschwinden. In dieser Dramaturgie des Augenblicks zwischen Tod und Wiederauferstehung, Präsenz und Absenz, Glaube und Unglaube erkennt Jean-Luc Nancy ein Schlüsselmoment der biblischen Erzählung, aber auch des Berührens schlechthin.
Entlang der bildlichen Darstellungen der Szene von Rembrandt, Dürer, Tizian und Pontormo analysiert Nancy das Spiel der Hände, die Arabesken
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Produktbeschreibung
Mè mou haptou - Noli me tangere - Rühr mich nicht an: Berühre mich nicht. In der Szene aus dem Johannesevangelium ist dies der Satz, den der auferstandene Christus an Maria Magdalena richtet, um gleich darauf wieder zu verschwinden. In dieser Dramaturgie des Augenblicks zwischen Tod und Wiederauferstehung, Präsenz und Absenz, Glaube und Unglaube erkennt Jean-Luc Nancy ein Schlüsselmoment der biblischen Erzählung, aber auch des Berührens schlechthin.

Entlang der bildlichen Darstellungen der Szene von Rembrandt, Dürer, Tizian und Pontormo analysiert Nancy das Spiel der Hände, die Arabesken der Finger und die damit verbundenen Paradoxien des Bedeutens und des Sinns und reflektiert zugleich über das Wesen des Bildes selbst, denn auch das Gemälde verlangt Distanz, untersagt jedes Berühren.

Der titelgebende Essay ist ein weiterer Beitrag zu Nancys großem Projekt einer "Dekonstruktion des Christentums" und kann als eine Fortschreibung der in "Corpus" begonnenen Bewegung eines "Entschreibens des Körpers" gelesen werden.
Autorenporträt
Nancy, Jean-Luc
Jean-Luc Nancy zählt zu den bedeutendsten Philosophen der Gegenwart. Er lehrte bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Université Marc Bloch in Straßburg und hatte Gastprofessuren in Berkeley, Irvine, San Diego und Berlin inne. Sein vielfältiges Werk umfasst Arbeiten zur Ontologie der Gemeinschaft, Studien zur Metamorphose des Sinns und zu den Künsten, Abhandlungen zur Bildtheorie, aber auch zu politischen und religiösen Aspekten im Kontext aktueller Entwicklungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2009

Im Raum der Kunst berührt sich, was geschieden bleibt
Jean-Luc Nancy denkt über Bildfindungen des "Noli me tangere" nach und zeigt sich dabei als rhetorisch exzellent geschulter Prediger

Warum in Gottes Namen kommt eine der Erzählungen von der Auferstehung Christi in der Bibel ausgerechnet in dem Gleichnis daher, das Maria Magdalena auf einen Gärtner treffen lässt? Weil, so Jean-Luc Nancy, ein Gleichnis der einzig angemessene Modus für die Offenbarung des christlichen Mysteriums ist: Es verweigert demjenigen, der nicht sieht oder nicht sehen will, seine Bedeutung. Es "spricht nur zu dem, der es bereits verstanden hat", denn es erzählt die gleiche Wahrheit noch einmal, nur ein wenig anders. Es allein ist in der Lage, vom Leben Christi so zu berichten, wie es war: eine sukzessive sich enthüllende Darlegung von Wahrheit, in der Zeichen und Bedeutung in eins fallen. Christus ist diese Wahrheit, er inkorporiert sie. Das Gleichnis von der Auferstehung lässt vor dem Auge des Sehenden einen Sinn erscheinen, der sich in der Wiederholung verschiebt, weil sich in ihm ein Verschwinden vollzieht.

Nancy erscheint die berühmte Szene des "Noli me tangere" als geradezu prototypisch für die unaufhaltsame Dynamik der Verschiebung und des Sich-Entziehens, die den tiefsten semantischen Kern der Auferstehung als einer unendlichen Verlängerung des Todes ausmacht. In der Noli-me-tangere-Szene spricht Jesus, "um mitzuteilen, dass er da ist und dass er gleich gehen wird. Er spricht, um dem anderen zu sagen, dass er nicht dort ist, wo man ihn wähnt, dass er bereits anderswo ist, aber dennoch sehr wohl gegenwärtig: hier, doch nicht hier selbst." Die Auferstehung wie das Mysterium christlichen Glaubens überhaupt besteht für Nancy in einer ganzen Reihe solcher nicht auflösbarer Paradoxa, die etwa vom Gläubigen fordern, gleichzeitig dem Imperativ "Nehmet hin und esset. Dies ist mein Leib" wie dem Verbot "Rühr mich nicht an" zu folgen.

Der auferstandene Leib Christi darf nicht berührt werden, und er kann nicht berüht werden, weil er sich zurückzieht, sich in die Vertikale entzieht. Wer ihn dennoch festhalten wollte, würde hiermit signalisieren, dass er nichts verstanden hat. Im "Noli me tangere" präsentiert sich Christus als Fortgehender, als im Stadium einer ultimativen Übergänglichkeit Befindlicher. Darum verkennt Maria Magdalena ihn und meint, es sei der Gärtner: Er tritt als eigentlich schon Abwesender auf; er ist derselbe Bekannte, der jetzt schon nicht mehr der Selbe ist.

Im Mittelteil seines geistreichen Essays, der sich streckenweise wie ein Paralleltext zu Glenn Mosts wunderbarem Buch über den Ungläubigen Thomas liest, thematisiert Nancy ein darstellerisches Problem: Wie soll man diese "subtilste Szene" der Uneigentlichkeit malen? Vielleicht wie Rembrandt, der den "unmöglichen Kontakt von Tag und Nacht" zur Metapher für die Unmöglichkeit der Begegnung zwischen Maria Magdalena und dem Auferstandenen werden lässt, zur Chiffre für ihre "Tangente ohne Kontakt", ihre "intimitätslose Nähe"? Oder wie Pontormo und Bronzino, die die kategoriale Distanz und Verweigerung des Berührtwerdens zeigen, indem sie ihre Protagonisten in der figura serpentinata als sich schlangenhaft Windende geben?

Auch hier wird ein Paradox ins Bild gesetzt: Nur im fiktiven künstlerischen Raum berühren sich die Farbflächen durch die Überschneidung der Figuren, nicht im dreidimensional zu denkenden Ereignisraum des Bildes. Dieser malerische Kunstgriff auf der zweidimensionalen Leinwand führt dem Betrachter die faktische Unmöglichkeit der Berührung zwischen einem verherrlichten und einem sinnlichen Körper vor Augen, indem er sich als Kunstgriff decouvriert. Damit aber wird die Malerei selbst zu einem Gleichnis ihres Bildthemas "Auferstehung", indem sie "die Anwesenheit einer Abwesenheit als Abwesenheit intensiv", im Sinne von: für den Betrachter sinnlich erfahrbar, macht.

Erst als Christus sie mit ihrem Namen anspricht, vollzieht sich die Konversion der Maria Magdalena zur Wahrheit. Und die einzig mögliche Antwort auf eine sich entziehende Wahrheit ist, ihr nachzufolgen, mit ihr aufzubrechen, um sie den Zurückgebliebenen zu verkünden. Maria Magdalena ist von dieser Wahrheit, der sie sich als Liebende genähert hat, berührt und zugleich abgestoßen, denn Christus hält sie mit deutlichen Worten auf Distanz: "Noli: Möchte nicht, denk nicht daran. Du hältst nichts, du kannst nichts halten noch festhalten, und dies ist, was du lieben und wissen musst. Eben dies ist ein Wissen aus Liebe. Liebe, was dir entkommt, liebe den, der fortgeht. Liebe, dass er fortgeht." In diesem sprachlichen Duktus, von Christoph Dittrich meisterhaft ins Deutsche übertragen, präsentiert sich einer der letzten Maître-Penseurs der Postmoderne als rhetorisch überaus geschulter Prediger. Er kostet die Worte in ihrer ganzen Sinnenfülle aus und gewährt dem, der Augen hat zu lesen und Ohren hat zu hören, in seinem Text eine geistvolle Offenbarung über Kunst und Glauben.

CHRISTINE TAUBER

Jean-Luc Nancy: "Noli me tangere". Aus dem Französischen von Christoph Dittrich. diaphanes Verlag, Berlin 2009. 80 S., br., Abb., 12,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine geduldige und zu allen Subtilitäten und Paradoxien bereite Untersuchung der "Noli me tangere"-Szene der Bibel erkennt die Rezensentin Christine Tauber im jüngsten Buch von Jean-Luc Nancy, den sie respektvoll als "einen der letzten Maître-Penseurs der Postmoderne" tituliert. Um das Berührungsverbot, das Christus gegenüber Maria Magdalena ausspricht geht es, dieses deutet Nancy in seiner ganzen Widersprüchlichkeit aus in seiner "Übersetzung" von Christi Wort: "Liebe, was dir entkommt, liebe den, der fortgeht. Liebe, dass er fortgeht." Beeindruckt zeigt sich die Rezensentin auch von Nancys Lektüren der Darstellungen der "Noli me tangere"-Szene in Meisterwerken der Malerei. Er öffne einem die Augen dafür, wie Künstler wie Rembrandt, Pontormo und Bronzino das Zugleich von Anwesenheit und Abwesenheit raffiniert ins Bild zu setzen verstanden. Kurzum: Dieser Band bietet dem Aufgeschlossenen eine "geistvolle Offenbarung über Kunst und Glauben".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Wie kaum ein anderer Philosoph übereignet Nancy sein Denken den Bildern, denkt er mit ihnen und durch sie." Michael Mayer, artnet