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Niemand hat je die Herrschaft der Mütter hinterfragt. Sie sind schließlich liebevoll und wollen immer nur das Beste. Aber es gibt nicht nur liebevolle und sorgende Mütter, sondern auch viele, die ihre Macht missbrauchen, damit ihre Kinder abhängig bleiben. Wie gefährlich ein Machtmissbrauch solcher »Muttis« ist, zeigt der Arzt und Psychoanalytiker Torsten Milsch am »Mutti-Syndrom« von Kontrollzwang, Unterdrückung und Bevormundung in Familie und Gesellschaft. Bestimmte Mütter, die »Muttis«, entscheiden alternativlos alleine, was falsch und was richtig für ihre Familie ist. Sie kontrollieren…mehr

Produktbeschreibung
Niemand hat je die Herrschaft der Mütter hinterfragt. Sie sind schließlich liebevoll und wollen immer nur das Beste. Aber es gibt nicht nur liebevolle und sorgende Mütter, sondern auch viele, die ihre Macht missbrauchen, damit ihre Kinder abhängig bleiben. Wie gefährlich ein Machtmissbrauch solcher »Muttis« ist, zeigt der Arzt und Psychoanalytiker Torsten Milsch am »Mutti-Syndrom« von Kontrollzwang, Unterdrückung und Bevormundung in Familie und Gesellschaft. Bestimmte Mütter, die »Muttis«, entscheiden alternativlos alleine, was falsch und was richtig für ihre Familie ist. Sie kontrollieren Tagesablauf, Freizeit und Kontakte, sie dulden keine abweichende Meinung. Mutti-Kinder lernen so schon früh, dass sie nur gemocht werden, wenn sie immer brav sind. Das macht sie abhängig von der Zuwendung von außen, eigene Gefühle verdrängen sie und werden unglückliche und unselbstständige Mutti-Männer und Mutti-Frauen. Sie leben abhängig machende »Mutti-Muster« in ihren Familien und Firmen sowie in »Mutti-Systemen« wie Medien, Parteien und Religionen. Torsten Milsch weist aus 30-jähriger Erfahrung als Arzt und Psychoanalytiker den Weg aus Machtmissbrauch und Pseudo-Liebe: Beziehungsbildung mit Aufklärung, Empathie und Dialog für Freiheit und Verantwortung in Familie, Beruf und Gesellschaft.
Autorenporträt
Torsten Milsch, geboren 1945, machte eine Lehre zum Matrosen, bevor er sein Studium der Humanmedizin begann. Heute ist er Psychoanalytiker und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Der "Beziehungsdoc" führt eine Privatpraxis, engagiert sich in der Mediation, hält Vorträge und Seminare und bildet als Balint-Gruppenleiter selbst Ärzte aus. Torsten Milsch ist Vater zweier Kinder und lebt in Neuss bei Düsseldorf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2014

Wie viel Bestie steckt in Mutti?

Der Arzt und Psychoanalytiker Torsten Milsch hat sich die letzte Bastion des Absolutismus vorgenommen. Er analysiert die manipulativen Techniken autoritärer Mütter, die in den Debatten um die Macht der Geschlechter fast nie zur Sprache kommen

Die Macht kann gar nicht milde genug aussehen, schrieb Jean Paul, dessen Geburtstag sich letztes Jahr zum 250. Mal jährte. Es ist ein weiser Satz, aber er ist nicht ganz korrekt. Denn selbst die brutalsten Diktaturen verstehen sich ja oft vorzüglich darauf, mit ihren geputzten Prachtstraßen, gesunden Sportlern und fröhlichen Mädchen nach außen hin perfekte Harmonie zu demonstrieren. Und noch undurchsichtiger wird es, wenn es um das Thema des Psychoanalytikers Torsten Milsch geht: Mütter und ihre Herrschaftsmethoden im familiären Alltag. Kann es Gewalt sein, wenn eine Mutter traurig ist, weil ihre Tochter länger ins Ausland geht? Kann man von Mobbing sprechen, wenn sie das Kuscheltier ihres Sohnes wäscht? Oder gar von heuchlerischem Egoismus, wenn sie darauf achtet, dass ihr Kind in Mathe keine Fünf bekommt?

Auf den ersten Blick klingt das absurd. Und wenn ein Autor die Erziehungsmethoden dieser Mütter dann auch noch als Terror, Absolutismus oder totalitäres System bezeichnet, dann ist man erst mal geneigt, ihn als böswillig, frauenfeindlich oder bestenfalls verrückt zu bezeichnen. Beim Stichwort "autoritäre Eltern" denkt man schließlich zuerst an harte, gut sichtbare Tatbestände: an brüllende Väter, drakonische Strafen und körperliche Gewalt. In Milschs Buch "Mutti ist die Bestie" kommen solche direkten Formen der Gewalt kaum vor. Aber die subtilen autoritären Erziehungstechniken, die er analysiert, sind nicht weniger brutal.

Milsch erzählt von Fällen wie dem des kleinen Lukas, der endlich Spaß am Kindergarten hat und nicht mehr weint, wenn seine Mutter weg ist. Nach dem ersten glücklichen Tag rennt er begeistert zu ihr und zeigt ihr, was er mit seinen neuen Freunden gebastelt hat. Die Mutter erwidert seine Freude jedoch nicht, sondern fragt nur mit bedrückter Miene, ob er sie denn gar nicht vermisst habe. Milschs Kommentar: "In diesen wenigen Sekunden lernt Lukas, dass es nicht angebracht ist, sich auf den Kindergarten zu freuen, weil seine Mutti Morgen für Morgen ein Opfer bringt, indem sie ihn dort abgibt ... Er spürt, dass seine Mutti von ihm Tränen erwartet." Der Einwand, dass es diese Mutter doch sicherlich nur gut meine und allein aus Liebe handle, zählt hier genauso wenig wie bei sicherheitsbedürftigen Vätern, die ihre Töchter ohrfeigen, wenn sie nicht pünktlich nach Hause kommen.

Während sich die meisten Gender-Autoren in diesen Tagen über Probleme wie Pädophilie (von Männern), Sexismus (gegen Frauen) oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (ebenfalls vor allem für Frauen) schreiben, knöpft sich Milsch die Mütter vor, bei denen man sonst gerne davon ausgeht, dass sie schon von Natur aus alles richtig machen werden. Dass Milschs Feindbild der "Mutti" dabei nicht nur für Frauen, sondern für alle autoritären Eltern steht, Männer ausdrücklich eingeschlossen, macht das Thema noch interessanter. Denn so liefert das Buch gleichzeitig einen Vorgeschmack auf die wachsende Herrschaft der sogenannten neuen Väter, dieser weich wirkenden, angeblich völlig harmlosen potentiellen Glucken.

In einem anderen Beispiel mobbt eine Mutter ihren Sohn, der es gewagt hat, sich über ihr Essen zu beschweren. Plötzlich sieht er, wie sein Lieblingskuscheltier in der Waschmaschine herumgeschleudert wird, obwohl ausgemacht war, dass die Mutti es nicht mehr so oft anfassen soll. So erzeugt sie durch wiederholte kleine Grenzüberschreitungen, deren Absicht sie nie zugeben würde, tatsächlich eine Art Terror und zwingt ihren Sohn, seine Kritik in Zukunft für sich zu behalten. Autoritäre Regierungen, die kritischen Journalisten die korrupte Steuerpolizei vorbeischicken, anstatt sich inhaltlich zu wehren, handeln nach dem gleichen Prinzip.

Der Macht des Hebels, an dem die Mutter sitzt, steckt in ihrer Liebe, auf die das Kind angewiesen ist. Wo die Mutter die einzig bedeutende emotionale Bezugsperson ist, hat sie fast schon ein Monopol über die Befindlichkeit des Kindes. So kann sie auch ohne körperliche Gewalt absoluten Druck ausüben. Bei vielen Söhnen und Töchtern funktioniert das sogar noch im Erwachsenenalter. Und auch Ehemänner, die sich durch die ausschließliche emotionale Fixierung auf ihre Frau von ihr abhängig machen, gibt es trotz des ganzen Rollenwandels immer noch sehr viele.

Verschärft tritt diese Situation gleichzeitig in sehr traditionellen und sehr modernen Familien auf: Sowohl dort, wo die Mutter als Hausfrau ständig präsent und der Vater als Versorger fern ist, als auch im modernen Alleinerziehungsmodell verlagert sich der Großteil der emotionalen Macht im Alltag auf die Mütter. Politikwissenschaftlern würde es grausen bei der Vorstellung eines Herrschers, der so willkürlich seinen Geschäften nachgehen kann. In der Fachliteratur gibt es deshalb den Begriff des "Mütter-Patriarchats", der beschreibt, dass auch in Strukturen, die äußerlich von Männern dominiert sind, die Frauen innerhalb der Familie über enorme Macht verfügen.

Es ist schon merkwürdig, dass weder machthungrige Feministinnen noch vom Rollenwandel verängstigte Männer bisher in größerer Zahl auf die Idee gekommen sind, diese Machtposition der Eltern als zentrale Einfluss-Sphäre zu preisen und ausdrücklich zu verteidigen oder überhaupt erst zu erobern. Stattdessen rattern viele immer noch ihr Mantra von der "männlich dominierten Gesellschaft" herunter, als wären Eltern bei der Erziehung von Kindern programmiert wie billige Haushaltsroboter. Dabei geht es ja um nicht weniger als um die Prägung ganzer Persönlichkeiten und Identitäten. Nirgendwo sonst ist die Macht eines Menschen über einen anderen so absolut.

Wo diese Macht egozentrisch und vielleicht sogar diktatorisch ausgeübt wird, führt das dem Autor zufolge reihenweise zu bleibenden Persönlichkeitsstörungen wie Empathielosigkeit, Motivationsproblemen, mangelnder Selbständigkeit oder chronischen Schuldgefühlen. Außerdem tendierten Kinder, die autoritär erzogen wurden, dazu, sich später in Beruf und Familie ebenfalls zu unsicheren Kontrollfreaks zu entwickeln. Auch die Hikikomori, jene unselbständigen japanischen Nerds, die sich selbst als Erwachsene noch in ihren abgedunkelten Kinderzimmern verkriechen, erwähnt Milsch und erklärt sie zur Folgeerscheinung der in Japan oft besonders engen Mutter-Sohn-Beziehung.

Damit lässt sich auch zumindest ein Teil der deutschen "Krise der Männlichkeit" erklären. Wo die traditionelle Rolle des forschen, auftrumpfenden Mannes wegbricht, kommt der kleine, emotional wenig entwickelte Kern der Persönlichkeit zum Vorschein, deren Besitzer es aufgrund unklarer Erwartungen im Zweifelsfall vorzieht, in der nächsten mit Funkverbindung ausgestatteten Ecke Schutz zu suchen.

Worauf Milsch keine Antwort gibt, ist die Frage, wie denn der Autoritarismus der Mütter nun eigentlich in der Gesellschaft verteilt ist. Welche Formen der Machtausübung sind repräsentativ für die Masse? Welche nur Extremfälle? Und wie viel Bestie steckt in der deutschen Durchschnittsmutter?

Milsch stellt diese Fragen nicht einmal. Der große soziologische Überblick gehört nicht zu seinen Stärken. Klar ist aber auch, dass es sich bei dem, was er anklagt, nicht um Randerscheinungen handelt. Wer sich ein bisschen in der eigenen Umgebung umschaut, wird schnell Beispiele finden, die zu Milschs Beschreibungen passen.

Dass "Mutti ist die Bestie" ein Tabu gebrochen habe, wie der Verlag behauptet, ist übertrieben. Schließlich ist das Bild der Mutter im öffentlichen Diskurs trotz aller Hartnäckigkeit nicht mehr das von 1960. Die "Nobel-Mütter" aus Gegenden wie dem Hamburger Schanzenviertel oder dem Prenzlauer Berg in Berlin werden schon seit einer Weile durch die Feuilletons geprügelt. Wenn Milsch ärgert und provoziert, dann weniger aufgrund des Themas als aufgrund der vielen Pauschalisierungen, seines oft sehr polemischen Ausdrucks und einer Reihe von unsauberen Argumenten. Von denen wimmelt es vor allem im zweiten Teil, in dem der Autor sein Mutti-Modell auf die ganze Gesellschaft inklusive Wirtschaft und Politik überträgt und dabei vergisst, dass er seine Analogien von Diktatur und Absolutismus doch gerade von dort geborgt hat.

Dennoch, "Mutti ist die Bestie" ist ein wichtiges Buch, denn es leuchtet ein Machtfeld aus, das sonst weitgehend übersehen wird, und es schafft ein Bewusstsein für die Vielfalt der Formen subtiler mütterlicher Manipulation. Dabei hilft es auch, das Ideal der omnipräsenten, überfürsorglichen Mutter zu dekonstruieren, welches, wenn man dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung glaubt, immer noch wesentlich zur niedrigen Geburtenrate in Deutschland beiträgt. "Erst wenn wir Frauen genauso scheiße finden wie Männer, so unmoralisch, egoistisch und verantwortungslos, machen wir sie zu ganzen Menschen", schrieb Christoph Kucklick vor knapp zwei Jahren in der "Zeit". Mit Büchern wie "Mutti ist die Bestie" kommt man diesem Ziel schon sehr nah.

JONATHAN WIDDER

Torsten Milsch: "Mutti ist die Bestie. Die heimliche Diktatur vieler Mütter". Piper, 272 Seiten, 19,99 Euro

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