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René Jacobs gehört zu den renommiertesten Dirigenten für Opern aus der Zeit zwischen Monteverdi und Mozart - Werke, die er sowohl an den zentralen Opernhäusern in Europa realisiert als auch auf dem CD-Markt in Referenzeinspielungen präsentiert. Der gebürtige Belgier begann seine Karriere als Sänger im Fach Altus, bis er die Seiten wechselte und nunmehr als Dirigent Erfolge feiert. Gleichsam ein Hauptakteur der Alte-Musik-Bewegung, hat Jacobs das Musikleben seiner Zeit, insbesondere die Wiederentdeckung der Barockoper für die moderne Bühne, entscheidend mitgestaltet. In diesem Buch gibt er in…mehr

Produktbeschreibung
René Jacobs gehört zu den renommiertesten Dirigenten für Opern aus der Zeit zwischen Monteverdi und Mozart - Werke, die er sowohl an den zentralen Opernhäusern in Europa realisiert als auch auf dem CD-Markt in Referenzeinspielungen präsentiert. Der gebürtige Belgier begann seine Karriere als Sänger im Fach Altus, bis er die Seiten wechselte und nunmehr als Dirigent Erfolge feiert. Gleichsam ein Hauptakteur der Alte-Musik-Bewegung, hat Jacobs das Musikleben seiner Zeit, insbesondere die Wiederentdeckung der Barockoper für die moderne Bühne, entscheidend mitgestaltet. In diesem Buch gibt er in der lebendigen Form des Gesprächs mit der Opern- und Barockexpertin Silke Leopold erstmals Auskunft über seine Arbeit als Dirigent und Sänger sowie über alle Fragen rund um Aufführungspraxis und Interpretation. Mit einer Einführung in die jeweilige Thematik von Silke Leopold.
Autorenporträt
Silke Leopold, geboren 1948, Studium der Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft, Germanistik und Romanistik in Hamburg und Rom; Promotion 1975; nach Forschungsaufenthalt in Rom als Mitarbeiterin von Carl Dahlhaus bis 1991 an der Technischen Universität Berlin tätig; von 1991 - 96 Ordinaria an der Musikhochschule Detmold, seit 1996 an der Universität Heidelberg; zahlreiche Veröffentlichungen, vor allem zur Musik des 17. und 18. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2014

Verwunderung im Schwalbennest

Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach liegt in mehr als vierzig Aufnahmen vor. Fragt sich: Wer braucht diese neue Lesart von René Jacobs? Antwort: Jeder! Denn er erzählt uns etwas Unerhörtes.

Erstaunlich weite Landschaften der sogenannten Alten Musik sind bis heute immer noch terra incognita. Die Musiker schnüren ihr Marschgepäck zusammen, ihre Instrumente, ihr Wissen, ihre Überzeugungen. Und begeben sich gruppenweise auf Expedition, mit ungewissem Ausgang. Immer wieder stoßen sie dabei auf total unbekannte, geniale Barockopern, die wiederentdeckt und ausgegraben werden müssen, auch auf Kantaten, Sonaten, Concerti. Etliche Pioniergruppen sind freilich irgendwann unterwegs stecken geblieben, bei einem der Biwaks der letzten sechzig Jahre - denn so alt, das muss man sich immer wieder klarmachen, ist die Alte-Musik-Bewegung mindestens, setzt man als Stunde null den Tag an, als Karajans junger, zorniger Cellist Nikolaus Harnoncourt beschloss, dem musikalischen Juste Milieu zum Trotz ein eigenes Ensemble zu gründen, darin nur noch in tiefer Stimmung, auf Darmsaiten, mit Naturhörnern und Barockbögen gespielt werden sollte: den Concentus Musicus Wien.

Zu den Steckengebliebenen, die sich ihrerseits irgendwann wiederfanden in einem neuen Juste Milieu, ihr Standardrepertoire, "ihren" Bach oder Händel oder Telemann pflegend, korrekt mit Betonung auf der Eins gespielt und mit den üblichen, klangrednerisch-rhetorischen Floskeln, gehören, zum Beispiel, das Ensemble La Petite Bande und sein Begründer, der famose Gambist Sigiswald Kuijken, der demnächst seinen siebzigsten Geburtstag feiern wird. Aber auch viele andere, dann und wann, und in schwacher Stunde sogar Papst Harnoncourt selbst. Zu denjenigen, denen das nie passieren könnte, einfach, weil sie frühzeitig gegen Wiederholung immunisiert wurden, rechnet Kuijkens Weggefährte aus den Sechzigern: René Jacobs.

Jacobs sucht, seit er Musik macht, nach dem Neuen im Alten. Was immer er anpackt, verändert sich. Dabei geht auch er in letzter Zeit nicht mehr so oft auf Expedition ins Unbekannte, Jacobs grast neuerdings lieber in den bevölkerten Gefilden der Höhenkammliteratur, widmet sich Mozarts Meister-Opern, Bachs Passionen. Um dann aber in diesem scheinbar Vertrauten doch wieder etwas Neues zu entdecken.

Zuletzt dirigierte Jacobs am Theater an der Wien, von Kritik und Publikum unisono bejubelt, Mozarts "Idomeneo". 2010 hatte er am gleichen Ort eine übersprudelnd sinnliche "Finta Giardiniera" herausgebracht, mit verrückten symphonischen Farben in einer erweiterten Bläserfassung, die sich ein unbekannter Mozart-Bearbeiter aus Prag, in verehrungsvoller Fortschreibung Mozarts, fünf Jahre nach dessen Tod hatte einfallen lassen. Als sorgfältig im Studio nachproduzierte Platteneinspielung kam diese Novität im letzten Sommer heraus, mit dem Freiburger Barockorchester und etlichen der jacobsschen Lieblingssänger, darunter Michael Nagy, Sunhae Im und Marie-Claude Chappuis (harmonia mundi HMC 902126.28). Letztere beiden gehören auch zum Cast der jetzt von Jacobs vorgelegten Neueinspielung der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach.

Wie viele Tonkonserven von diesem Wunderwerk gibt es bereits? Achtundvierzig sind zur Zeit lieferbar. Und sind nicht viele gute, sogar maßstäbliche Aufnahmen darunter, etwa der Meilenstein, den Nikolaus Harnoncourt 1970 setzte, als Erster, der Bachs Passionen puristisch mit Originalinstrumenten aufführte, in Kenntnis der rhetorischen Klangrede? Und ist denn also diese opulent besetzte Neueinspielung von René Jacobs unbedingt nötig?

Die Antwort lautet: ja. Man glaubt es nicht, bevor man es nicht gehört und erlebt hat: Auch in diesem Fall ist es René Jacobs wiederum gelungen, etwas Neues zu entdecken und erstmals hörbar zu machen. Er führt die "Passio D.N.J.C. Secundum Matthaeum" BWV 244 von Johann Sebastian als Raummusik vor, so, wie sie komponiert wurde, und interpretiert sie als ein dramatisches Gedicht, mit verteilten Rollen.

Schon seit den Zeiten Felix Mendelssohns ist der besondere Reiz, den die Doppelchörigkeit der Matthäus-Passion aufwirft, hinlänglich bekannt. Gerade dies warf zugleich auch Probleme auf. Mindestens in Stereo muss man das Werk hören können, und nicht zuletzt, um der Überwältigungsästhetik des massig daherkommenden Eingangschors zu entgehen, haben sich in jüngster Zeit einige Dirigenten, etwa Joshua Rifkin, darauf verlegt, selbst die Chöre solistisch zu besetzen. Nun aber fand der Musikwissenschaftler Konrad Küster heraus, dass die Doppelchörigkeit von Bach konzipiert worden war für die Raumkonstellation, die sich am Uraufführungsort, der Thomaskirche zu Leipzig, bis 1740 anbot. Bis zu diesem Zeitpunkt existierte nämlich eine zweite Orgel, hoch oben auf der "Schwalbennest"-Empore, über dem Eingang zum Kirchenraum. Erst, als diese Orgel abgebaut worden war, im Jahr 1742, für eine Wiederaufführung des Werkes, schrieb Bach die Continuo-Besetzung für den zweiten Chor der Matthäus-Passion um, von Orgel auf Cembalo.

Daraus lässt sich schließen: Auch Chor II stand bei besagter zweiter Orgel im "Schwalbennest". Das bedeutet erstens, dass Chor II kleiner besetzt war, als Chor I, und es bedeutet zweitens, dass bei der Uraufführung der Matthäus-Passion das gesamte Kirchenschiff, achtundzwanzig Meter lang, zwischen Chor I und Chor II gelegen haben muss, die Hörergemeinde von vorn und hinten einschließend. Auch die den Chören jeweils zugeordneten Solisten agierten weit voneinander entfernt. Bach unternahm also mit der Matthäus-Passion ein von der Architektur inspiriertes musikalisches Experiment, vergleichbar dem der Mehrchörigkeit, zu dem die Markusdom-Emporen die venezianischen Komponisten inspiriert hatten. An welcher Orgel aber saß Bach? Wie konnte eine Aufführung des Werkes unter diesen extremen Bedingungen, ohne Sichtkontakt, mit vermutlich heftigen Hall- und Schallverzögerungen überhaupt funktionieren? Man müsste es einfach mal ausprobieren!

René Jacobs hatte allerdings, um die bachsche Raumkonzeption zu simulieren, für seine Aufnahme in den Berliner Teldex Studios die heutige Technik zur Seite, insbesondere den peniblen Aufnahmeleiter Martin Sauer. Jacobs steht in einem Gestrüpp von Mikrofonen, umringt von den Musikern, er dirigiert mitunter von einem Schlag auf den anderen in entgegengesetzte Richtung, wie der Film "Rediscovering The Saint Matthew Passion", der der Edition als DVD beiliegt, dokumentiert. Sarah Blum führt darin den komplexen Proben- und Aufnahmeprozess eindrücklich vor. Chor II (und Solisten II) treten auch nicht in üblicher Stereophonie, als rechter oder linker Partner von Chor I (und Solisten II) in Erscheinung, vielmehr entrückt, entfernt, leicht verhallt. Entsprechend elaboriert sollte nun freilich auch die Abspielstation sein. Hört man diese neue räumliche Matthäus-Passion unterwegs im Auto oder mit Kopfhörern oder gar in der Küche auf einem uralten Gettoblaster, dann kann sie flach und matschig klingen.

Noch viel interessanter ist allerdings, was Küster aus der bachschen Raumkonzeption für die Faktur und Aussage der Matthäus-Passion geschlussfolgert hat. Er stellt fest: Chor I und die Solisten I auf der großen Orgelempore befassen sich narrativ mit dem Passionsgeschehen: Sie erzählen die Evangelisten-Geschichte. Chor II und die Solisten II auf der kleinen Orgelempore vis à vis betrachten das aus der Distanz, von weitem, sie reflektieren es, stellen es in Frage, sie wundern sich. Küster schreibt: "Nähe oder Ferne zum Geschehen äußerte sich also in Relation zum Textvortrag des Evangeliums: Im Unterschied zwischen dem Musizieren von hinten (Hauptempore) und von vorn (Schwalbennest)." Das ist ähnlich einer Interaktion auf dem Theater, nur, dass das Publikum nicht stumm bleibt und seinen inneren Monolog für sich behält, sondern aktiv dem Drama und seinen Darstellern entgegenargumentiert. Was ganz entschieden der Musizierweise von René Jacobs entgegenkommt, der sich seit je begeistert hat für dramatisch-sinnliche Erzählweisen, mit flexiblen Tempi, starken Farben und einer wechselhaften, ausdrucksorientierten Dynamik.

Jacobs ist ein Musiker, der seine Intentionen so präzis und zugleich lustvoll, so witzig, offen und ehrlich vermitteln kann, dass man, wenn man ihm live zuhört, einen Geistesblitz nach dem anderen miterlebt. In den Gesprächen mit Silke Leopold, die kürzlich als Buch herauskamen, findet sich dieser besondere Esprit wunderbar eingefangen. Dieses Buch ist zugleich eine Fundgrube, aus der viel zu lernen ist, nicht nur über Jacobs, seinen Werdegang und seine Lebensarbeit, sondern auch über unseren eignen Umgang mit der Musik der Vergangenheit.

Bei all dem Licht, dies sei der Vollständigkeit halber noch bemerkt, gibt es bei der jacobschen Neuaufnahme der Matthäus-Passion auch ein paar Schattenseiten. Nicht alle seine Lieblingssänger sind in der Intonation so sattelfest und im Ausdruck so präsent wie der junge, helle Bass Johannes Weisser, der die Partie des Christus singt, oder wie Werner Güra, der herrliche, inbrünstige Tenor-Evangelist. Zumal von Bernarda Fink, der die "Erbarme Dich"-Arie anvertraut ist, und auch von der Altistin Marie-Claude Chappuis wünschte man sich etwas weniger Gefühl, dafür mehr Klarheit. Doch der in drei Partien aufgeteilte RIAS Kammerchor, der auch Solisten stellt, ist unübertrefflich. Die doppelchörig aufgestellte Akademie für Alte Musik steht ihm darin nicht nach. Und die Kinder vom Staats- und Domchor Berlin, einstudiert von Kai-Uwe Jirka? Eine Wonne.

ELEONORE BÜNING.

Ich will Musik neu erzählen. René Jacobs im Gespräch mit Silke Leopold.

Bärenreiter-Verlag, Kassel 2013. 223 S., geb., 24,95 [Euro].

Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion BWV 244. Werner Güra, Johannes Weisser, Sunhae Im, Christina Roterberg, Bernarda Fink, Marie-Claude Chappuis, Topi Lehtipuu, Fabio Trümpy, Konstantin Wolff, Arttu Kataja, RIAS Kammerchor, Staats- und Domchor Berlin, Akademie für Alte Musik, René Jacobs.

2 SACDs & 1 DVD harmonia mundi HMC 802 156.58

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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