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Geschichte muss erzählt werden. Wo dies nicht geschieht, wird sie zur stummen Last für den Menschen, und er verliert seine Orientierung in der Zeit. Das gilt ganz besonders für die Zeitgeschichte, deren Einflüsse die Gegenwart unmittelbar prägen. Seit 50 Jahren trägt die Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte zum großen "Epos Zeitgeschichte" bei, analytisch, deskriptiv, dokumentarisch. Im Jubiläumsband Nr. 100 nähern sich Historiker den großen Erzählungen von Schriftstellern. Zehn bemerkenswerte Romane werden als Spiegel ihrer Zeit gelesen. Der Brückenschlag zwischen…mehr

Produktbeschreibung
Geschichte muss erzählt werden. Wo dies nicht geschieht, wird sie zur stummen Last für den Menschen, und er verliert seine Orientierung in der Zeit. Das gilt ganz besonders für die Zeitgeschichte, deren Einflüsse die Gegenwart unmittelbar prägen. Seit 50 Jahren trägt die Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte zum großen "Epos Zeitgeschichte" bei, analytisch, deskriptiv, dokumentarisch. Im Jubiläumsband Nr. 100 nähern sich Historiker den großen Erzählungen von Schriftstellern. Zehn bemerkenswerte Romane werden als Spiegel ihrer Zeit gelesen. Der Brückenschlag zwischen Geschichtsschreibung und fiktionaler Literatur zeigt, wie die beiden unterschiedlichen Genres bei der Deutung der jüngsten Vergangenheit oft Hand in Hand gehen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Jürgen Zarusky ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin. Redakteur der Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Redakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Lehrbeauftragter an der Katholischen Universität Eichstätt.

Johannes Hürter, geboren 1963, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Außerdem ist er Dozent an der Universität der Bundeswehr München-Neubiberg und Privatdozent an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Verlässliche Nörgler
Leidenschaft und Kritik: Was Romane Zeithistorikern verraten
In seiner Monographie „Die Adenauer-Ära“ (1991) stellt Kurt Sontheimer zunächst die „Repräsentanten der Ära“ vor. Es sind, nicht weiter überraschend, Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, und Kurt Schumacher, der glücklose, aber charismatische Oppositionsführer. Und noch einen vierten nennt Sontheimer, den Abgeordneten Keetenheuve. Den hat es zwar nie gegeben, „doch repräsentiert er jene die ganze Adenauer-Ära durchziehende kritische Strömung, die der Entwicklung der Bundesrepublik unter Adenauers Führung misstrauisch und enttäuscht gegenüberstand“.
Der Abgeordnete Felix Keetenheuve ist die Hauptfigur in Wolfgang Koeppens Roman „Das Treibhaus“ (1953), der noch immer als der bedeutendste politische Roman der fünfziger Jahre gilt. Literatur und Politik fliehen sich naturgemäß und sind doch auf seltsame Weise voneinander fasziniert. Der Politikwissenschaftler Sontheimer war besonders dafür begabt, Literatur und Politik zusammenzusehen, hatte er sich doch in Gestalt von Thomas Mann bereits mit den Intellektuellen und ihrem Verhältnis zur Politik beschäftigt und ein bis heute grundlegendes Werk über „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“ (1962) verfasst. Das Buch entstand, während Sontheimer Mitarbeiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte war, doch konnte sich dieses Institut, wie Sontheimer in der Taschenbuchausgabe süffisant anmerkte, „nicht entschließen, das Werk in seine Schriftenreihe aufzunehmen, weil einigen seiner Mitarbeiter die kritische Auseinandersetzung mit den antidemokratischen Ideen der bürgerlich-nationalen Rechten anscheinend zu pointiert ausgefallen war“.
Diese Forschungsstelle, vor nunmehr sechzig Jahren als „Deutsches Institut für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit“ gegründet, galt nicht zuletzt wegen der von Sontheimer erwähnten Mitarbeiter noch geraume Zeit als „Institut zur Förderung des Nationalsozialismus“. Das liegt lange genug zurück, dass es in einem Sonderheft der beim Institut herausgegebenen Vierteljahrshefte zur Zeitgeschichte nachgearbeitet werden könnte. Diese verdienstvolle Zeitschrift wird durch eine Schriftenreihe flankiert, in der seit 1960 längere Studien zu zeitgeschichtlichen Themen erschienen sind, darunter, um ein willkürliches Beispiel herauszugreifen, Sven Kellers Buch „Günzburg und der Fall Mengele“.
Zum Fünfzigjährigen dieser Reihe erscheint jetzt unter dem Titel „Epos Zeitgeschichte“ Band 100. Es ist der Versuch, zehn etwas willkürlich ausgewählte Romane des 20. Jahrhunderts auf ihren Informationswert für die Zeitgeschichte abzuklopfen beziehungsweise (denn so leicht verzichtet der Wissenschaftler nicht auf sein sprachliches Wehrgehänge) sollte „nicht nach der Fiktionalität geschichtswissenschaftlicher Narrative, sondern nach dem historischen Kern fiktionaler Erzählungen gefragt werden“. Zehn Zeithistoriker und zehn Romane: das ist eine blendende Idee, die in gewisser Weise Sontheimer rehabilitiert. Bei den Texten ist, soweit sich das Forscher überhaupt erlauben, echte Leidenschaft für ihr Thema zu erkennen. Für die einen ergab sich die Wahl des Romans aus der Urlaubslektüre, bei anderen passte das Umfeld in das Thema ihrer wissenschaftlichen Arbeit.
Was besonders auffällt: eine ganz unwissenschaftliche Neigung zu apodiktischen Urteilen. Offenbar beneiden die Historiker die Kollegen Germanisten um ihr vermeintliches Kunstrichtertum und nutzen die schöne Gelegenheit, auch einmal deutlich zu werden. Wolfgang Koeppen ist deshalb „fast vergessen“, dem britischen Lyriker W. H. Auden, geht es nicht besser. Graham Greene ist „doch etwas überschätzt“, während John Le Carré „schwer zu überschätzen“ sei.
Auch an Fußtritten gegen ungenannte Kollegen und Konkurrenten fehlt es nicht. Dafür kommt es zu den üblichen Nachlässigkeiten, die der Philologe zu rügen hat: Horst Möller hält Brechts frühes Stück „Im Dickicht der Städte“ für einen Roman, Robert Ludlum heißt plötzlich Richard und der James-Bond-Autor Ian Fleming wird zum John umgetauft.
Im Ganzen bietet der Band eine lehrreiche Lektüre, zumal er die Höhe der zeithistorischen Forschung bezieht. Heinrich Manns „Untertan“ wird als möglicher Beleg für die These vom deutschen Sonderweg untersucht, es wird an Jewgenj Samjatins (hier trifft es zu) leider in Vergessenheit geratene Dystopie „Wir“ als Bild der frühen Sowjetunion erinnert, die „Brücke über die Drina“ von Ivo Andric wird als Vorgeschichte der jugoslawischen Bürgerkriege gelesen. Hans-Peter Schwarz betrachtet die Thriller von Daniel Silvas als Kommentar zum Nahost-Konflikt. Jürgen Zarusky hat eine gründliche Untersuchung des „Vorlesers“ gewagt, dem in den Neunzigern eine ähnliche Entlastungsfunktion zukommt wie vierzig Jahre vorher dem „Fragebogen“ Ernst von Salomons.
Zwar gibt der Roman Bernhard Schlinks vor, sich mit der Liebesgeschichte zwischen der ehemaligen KZ-Wärterin Hanna und einem 15-jährigen Schüler mit der deutschen Schuld zu befassen, doch weiche das Erschrecken schnell einer „Betäubung“, die „in einer moralischen Immunitätserklärung für die Täterin Hanna Schmitz mündet“. Es ist eine deutsche Geschichte: Alle menschliche Verbrechen sühnet reine Menschlichkeit.
Mit erkennbarem Vergnügen erzählt Horst Möller, ehe er sich „Bauern, Bonzen und Bomben“ zuwendet, das Leben des Autors Hans Fallada, doch für die Realien im Hintergrund dieses Romans aus der Endphase der Weimarer Republik scheint er sich weniger zu interessieren. Die wirtschaftlichen und sozialen Zustände in Schleswig-Holstein, die den Aufstieg der Nationalsozialisten ermöglichten, werden in eine kollegiale Fußnote verwiesen. Dass Falladas Freund Ernst von Salomon und vor allem dessen Bruder die bei Fallada geschilderten Bauernunruhen sogar noch angestachelt hat, seinen Freunden Ernst Rowohlt (als Verleger) und Hans Fallada (als Autor) damit also aufs Wunderbarste zugearbeitet hat, hätte sich ruhig erwähnen lassen. Das um so mehr, als Hermann Graml Salomons „Fragebogen“ (1951) einen brillanten und übrigens fußnotenfreien Essay widmet.
In Koeppens „Treibhaus“, nur zwei Jahre nach Salomon herausgekommen, erscheint eine andere Gegenwart in die Literatur. Koeppen rechtfertigt die Vergangenheit nicht, um sie endlich abzutun, sondern konstatiert, dass sie gar nicht vergangen ist. In der Frage der Wiederbewaffnung nimmt Keetenheuve eine pazifistische Position ein, mit der er sich selbst in der SPD nur Feinde macht. Udo Wengst nimmt seinen Aufsatz zum Anlass, die zeitgenössische Kritik an der Wiederbewaffnung mit dem Mehrwert von fünf Jahrzehnten prosperierender Bundesrepublik zu tadeln.
Das „Treibhaus“ biete allenfalls ein „Zerrbild“, und Koeppens Kritik an der Restauration sei „überzogen“. Das mag sogar sein, ist aber ein Triumph, der Jahrzehnte später billig zu haben ist. Dass Koeppen Schriftsteller und nicht Leitartikler war, scheint der Kritiker zu übersehen. Er sei, schrieb Koeppen bei der Arbeit an seinen Verleger Henry Goverts, „wohl noch recht begierig auf Informationen“, betont aber, dass er „einen Roman und keine Reportage schreibe“.
Der Bonn-Flaneur Koeppen notiert deshalb Impressionen wie „Schirme wie Fliegenpilze/rot mit weissen Punkten“. Aber Wengst meint es grundsätzlich: In seinem Resümee klagt er, dass „die Mehrzahl der deutschen Schriftsteller, aber auch nicht wenige Zeithistoriker (...) noch Jahre und Jahrzehnte später den westdeutschen Staat und seine Staats- und Gesellschaftsform stets mit nörgelnder Kritik begleitet haben“. Gut, dass mal einer in aller Deutlichkeit ausgesprochen hat, was für ungebärdige Brüder die Dichter und ihre Gesellen sind.
WILLI WINKLER
JOHANNES HÜRTER/JÜRGEN ZARUSKY (Hrsg.): Epos Zeitgeschichte. Romane des 20. Jahrhunderts in zeithistorischer Sicht. Oldenbourg Verlag, München 2010. 200 Seiten, 17,80 Euro.
Schlinks „Vorleser“ bot in den
Neunzigern viel Entlastung
wie einst „Der Fragebogen“
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Idee der Zeitschrift zur Zeitgeschichte, zehn Historiker je einen Roman auf seinen zeitgeschichtlichen Gehalt untersuchen zu lassen, beklatscht Willi Winkler schon mal als "blendenden" Einfall. In seine Kritik des Hefts mischt sich dann aber doch der spöttische Ton des "Philologen" gegenüber den zu lesenden literarischen Urteilen, und er vermeint hier einen gewissen Neid der Historiker auf das "Kunstrichtertum der Germanisten" zu bemerken. Insgesamt aber gesteht er ohne weiteres zu, dass sich der Band auf der Höhe der zeithistorischen Forschung bewegt und gewinnbringende Lektüre darstellt. Warum Horst Möller sich in seinem Beitrag zu Hans Falladas "Bauern, Bonzen und Bomben" allerdings vor allem an die Biografie des Autors hält, statt sich intensiv mit den politischen Hintergründen der Weimarer Republik zu befassen, die den Kontext dieses Romans darstellen, ist für Winkler unverständlich. Belustigung hat Udo Wengsts Aufsatz zu Wolfgang Koeppens Roman "Das Treibhaus" ausgelöst, wenn dieser dem Autor wie den Schriftstellern seiner Zeit insgesamt eine "nörgelnde Kritik" an den westdeutschen Verhältnissen vorwirft.

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