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Warum bloß bleibt Hans Castorp in Thomas Manns Zauberberg sieben Jahren im Sanatorium, obwohl er selbst keine Tuberkulose hat? Natürlich geht es um die Liebe. Und um die Liebe dreht sich auch alles in Die Besessenen. Elif Batuman erzählt von ihrer großen Bewunderung für die klassischen russischen Autoren und tut dies auf eine so kluge und berührende Weise, dass man bald selbst von Begeisterung sprüht. Dabei liest sie niemals, ohne nicht gleichzeitig mit einem Auge auf ihr Leben und die Menschen um sie herum zu schielen. Wie Don Quixote zieht sie aus, um in der Welt etwas über die Literatur zu…mehr

Produktbeschreibung
Warum bloß bleibt Hans Castorp in Thomas Manns Zauberberg sieben Jahren im Sanatorium, obwohl er selbst keine Tuberkulose hat? Natürlich geht es um die Liebe. Und um die Liebe dreht sich auch alles in Die Besessenen. Elif Batuman erzählt von ihrer großen Bewunderung für die klassischen russischen Autoren und tut dies auf eine so kluge und berührende Weise, dass man bald selbst von
Begeisterung sprüht. Dabei liest sie niemals, ohne nicht gleichzeitig mit einem Auge auf ihr Leben und die Menschen um sie herum zu schielen. Wie Don Quixote zieht sie aus, um in der Welt etwas über die Literatur zu erfahren und in den Büchern etwas über die Welt.
Batuman schreibt dabei mit so viel schillernder Raffinesse, dass am Ende keine Literaturwissenschaft entsteht, sondern Literatur.
Autorenporträt
Batuman, Elif
Elif Batuman , 1977 in New York City geboren, wuchs in New Jersey auf und lebt inzwischen zur Zeit in Istanbul. Sie schreibt regelmäßig für »The New Yorker«, »The New York Times«, »Harpers Magazine« und »n+1« über Literatur und ihre Nebenwirkungen. »Die Besessenen« ist ihr erstes Buch, mit dem sie in den USA und inzwischen auch in Europa zur Kultfigur wurde.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2011

Schon alles gelesen?
Schlau und gut gelaunt: Elif Batuman führt vor, wie
sich Literatur und Leben trotz allem versöhnen lassen
Um es gleich zu sagen: Es ist keine Selbstverständlichkeit, heute ein Buch über die Klassiker der russischen Literatur zu lesen, also über Tolstoi, Dostojewski, Puschkin, Babel und all die anderen. Und das ist auch vollkommen in Ordnung so. Lassen Sie sich nichts erzählen. Ihr schlechtes Gewissen wird Sie jetzt zwar fragen: „,Krieg und Frieden‘ ist eines der großartigsten Bücher, das je geschrieben wurde, warum hast du es immer noch nicht gelesen?“ Aber trauen Sie ihm ebenso wenig über den Weg wie dem kulturellen Elitismus, den Sie auf den Seiten dieser Literaturbeilage vermuten.
Warum nicht? Ganz einfach: Wir sind vielleicht noch dieselben Menschen wie damals, aber wir haben andere Probleme. Und deswegen drängen sich andere Bücher auf. Also zum Beispiel Bücher, die nicht von der Zeit zwischen 1805 und 1812 aus der Sicht russischer Adeliger erzählen. Ein Literaturwissenschaftler wird Ihnen möglicherweise anderes erzählen, das sollte Sie aber nicht weiter verunsichern: Er muss das tun, sonst hätte er seinen Beruf verfehlt. Neue Bücher sind ihm naturgemäß schon allein deshalb eine Qual, weil er ja immer noch nicht alle alten gelesen hat. Einerseits.
Andererseits hat die 1977 geborene, türkisch-amerikanische Essayistin und Journalistin Elif Batuman das Buch „Die Besessenen – Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern“ geschrieben. Es war in den USA im vergangenen Jahr bei Publikum und Kritik ein großer Erfolg – und ist das Ergebnis einer jahrelangen Auseinandersetzung mit den klassischen russischen Romanen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts während des Promotionsstudiums der Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Universität Stanford. Und man möchte dauernd zum Bücherregal laufen und nachsehen, ob man nicht auch noch einmal empfinden kann, was Elif Batuman bei ihrer Lektüre der alten Meister empfunden hat. Mit anderen Worten: „Die Besessenen“ ist eine sehr seltsame, sehr spezialistische und doch oft auch ganz einfach mitreißend kluge, leichtfüßige, über viele Seiten wahrscheinlich sogar einzigartige Liebeserklärung an die Literatur geworden. Und ein gutgelaunter, ironischer Bildungsreisebericht aus der Welt der amerikanischen Elite-Universitäten.
Was das Buch formal dabei ganz genau ist, kann man nicht wirklich sagen. Für eine Sammlung literaturkritischer Aufsätze ist es viel zu persönlich und verspielt-anekdotisch erzählt. Für eine literarische Autobiographie wiederum ist es theoretisch viel zu ambitioniert.
Das fängt schon ganz vorne an. Es ist in Amerika gute akademische Tradition, dass schnell klar ist, wogegen etwas geschrieben ist. Elif Batuman schreibt gegen eine Überzeugung an, die sie selbst lange geteilt hat: „Ich glaubte fest daran, dass die besten Romane ihr Material und ihre Inspiration einzig dem Leben und nicht anderen Romanen entnahmen und dass ich als aufstrebende Romanschriftstellerin mich deshalb davor hüten müsse, zu viele Romane zu lesen.“ Über manch fade Linguistik-Seminare, einen eher zufällig absolvierten Anfängerkurs in Russisch und die Lektüre von Cervantes’ „Don Quijote“ wächst jedoch die Erkenntnis, dass diese Ansicht nicht der Weisheit letzter Schluss bleiben könne: Don Quijote habe das Leben gelebt und Bücher gelesen: „Er lebte das Leben durch Bücher“, und ermöglichte dadurch ein noch besseres Buch. Die besonders an den Ostküsten-Universitäten (Batuman studierte zuerst in Harvard) weit verbreitete Kultur des „kreativen Schreibens“ und ein Workshop in einer Künstlerkolonie auf Cape Cod tun das Übrige. In dieser Kultur gelte die akademische Beschäftigung mit der Literatur als schlecht für die Entwicklung zum Schriftsteller: „Doch was genau machte sie schlecht? Und warum sollte es umgekehrt automatisch gut für einen Schriftsteller sein, in einer Scheune zu hausen und Short-Storys von Short-Story-Autoren zu lesen, die offenbar ausschließlich von schreibenden Studenten gelesen wurden?“
Als deutscher Leser war man zuletzt eher mit Diskussionen vertraut, die die umgekehrten Vorzeichen hatten. Jüngere oder sich einer frischeren, anglo-amerikanischen Erzähltradition näher wähnende Kritiker und Autoren wollten gegenüber einer übermächtigen blutleeren, verkopften und selbstreferenziellen Literatur wieder das „Leben“ ins Recht setzen als maßgebliche Instanz, an der über die Qualität und Bedeutung von Romanen entschieden werde. Die hippsten und nur an den besten Universitäten ausgebildeten jungen amerikanischen Intellektuellen und Schriftsteller der Gegenwart wie Mark Greif, Benjamin Kunkel oder Keith Gessen wollen mit ihrer Zeitschrift n+1 , zu deren Autoren auch Elif Batuman gehört, dagegen irritierenderweise das exakte Gegenteil: Als maßgebliche Instanz soll wieder das Bücherregal ins Recht gesetzt werden – und neben der Weltliteratur stehen dort die Klassiker der Kritischen Theorie. „Nun wollen wir die Welt da draußen durch die Welt hier drinnen ausdrücken“, sagte Mark Greif kürzlich der deutschen Journalistin Mara Delius.
Die mitunter fast etwas missionarische Emphase der „Besessenen“ ist ohne diesen Hintergrund nicht zu verstehen: „Ich begriff, dass ich die Literatur eher als Berufung sah, als Kunst, als Wissenschaft – aber nicht als Handwerk. Was hat handwerkliches Können jemals über die Welt, die menschliche Existenz oder die Suche nach Sinn ausgesagt? Vorschriften und Verbote, mehr hatte es nicht zu bieten.“ Zeitgenössische Short Storys enthielten letztlich keine Hinweise auf interessante Arbeiten aus den letzten zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren, „stattdessen kämpfen Frauen der Mittelschicht mit Kleptomanie, schwierige Kinder kommen ins Heim oder wieder heraus, es gibt Aufregungen um Stromausfälle und Naturkatastrophen, und klägliche Schreiberlinge hadern mit Gott und der Welt“. Was aber, fragt Elif Batuman, wenn man Balzacs „Verlorene Illusionen“ lesen und „statt (. . .) die eigene Version der ,Verlorenen Illusionen‘ zu leben, um irgendwann den gleichen Roman für das Amerika des 21. Jahrhunderts zu schreiben (. . .), zu Balzacs Haus und auf Madame Hanskas Güter ginge, jedes Wort läse, das er je geschrieben hat, jedes noch so kleine Detail seines Lebens zutage förderte – und dann mit dem Schreiben begänne?“
Ja, was dann? Dann muss natürlich mit einer Badezimmerwaage ermittelt werden, dass die 100 Bände der Tolstoi-Milleniumsausgabe so viel wiegen wie ein neugeborener Belugawal; dann wird akribisch der Frage nachgegangen, welchen Einfluss Isaak Babel auf den Hollywood-Klassiker „King Kong“ hatte, dessen Autor und Produzenten Merian Cooper er 1920 in Galizien im Dienst der Roten Armee verhörte; dann geht es monatelang nach Usbekistan oder zum Abendessen mit den schrulligen uralten Kindern Babels; und an den Beziehungen der Stanford-Kommilitonen und Dostojewskis „Bösen Geistern“ wird Girards Idee des mimetischen Begehrens erlebt: „Wo man hinsah, schien das Rätsel menschlichen Verhaltens und das Wesen der Liebe mit dem Russischen verbunden zu sein.“
Das Besondere daran und für europäische Augen schwer Irritierende ist, dass all dies trotz des Anspruchs Batumans nie ungelenk elitär daherkommt. Das Leben wird vielmehr mit leichter Hand mit der Kunst versöhnt, auch wenn nicht jeder der vielgelobten Witze über das Universitäts-Milieu wirklich so gut ist, wie man glauben könnte, wenn man sich auf seine Aus- und Bildung etwas einbildete. Sei’s drum.
Der letzte Satz der „Besessenen“, das muss natürlich noch verraten werden, lautet übrigens: „Könnte ich heute noch einmal von vorn beginnen, würde ich mich wieder für die Literatur entscheiden. Wenn Antworten existieren, dann werden wir sie dort finden.“ Es ist also vielleicht keine Selbstverständlichkeit, ein Buch über die russischen Klassiker zu schreiben. Lesen sollten Sie dieses aber selbstverständlich schon.
JENS-CHRISTIAN RABE
Elif Batuman
Die Besessenen. Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern
Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann. Kein & Aber, Zürich 2011. 368 Seiten, 22,90 Euro.
Als maßgebliche Instanz wollen
die Hipster das Bücherregal
wieder ins Recht setzen
„Was, wenn man jedes Wort
Balzacs läse – und dann
mit dem Schreiben begänne?“
Literatur als Berufung, als Kunst, aber nicht als Handwerk: Elif Batuman
Foto: M. Akgun
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Über die Klassiker der russischen Literatur soll die türkisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Elif Batuman geschrieben haben. Wir glauben es gern, aber was sie über diese Autoren schreibt, erfahren wir aus Jens-Christian Rabes Kritik leider nicht. Statt dessen kommen Balzac vor und "Don Quijote". So viel ist aber doch festzuhalten: Rabe mochte das Buch sehr. Es ist offenbar ein mit leichter Hand geschriebenes, sehr persönliches Lektüreprotokoll. Die Hauptthese scheint zu sein, dass Batuman die Erkenntnis aus literarischen Werken jederzeit der Erkenntnis aus dem realen Leben vorzuziehen scheint. Das findet der Rezensent ziemlich originell, und damit hat er wohl auch recht.

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