Produktdetails
  • Goldmann Taschenbücher
  • Verlag: Goldmann
  • Gewicht: 105g
  • ISBN-13: 9783442088515
  • Artikelnr.: 23996247
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2011

Reden beim Kochen
Lawrence Durrells Sommernachtsphilosophien

Die Messer schärfen, das Gemüse sorgsam waschen und in Streifen schneiden, Gewürze, Nüsse und Rosinen beigeben und dann alles miteinander dünsten: Zwei Männer stehen in der Küche eines südfranzösischen Landhauses und bereiten sich ein Mahl. Was sie kochen, ist strikt vegetarisch und verbindet auf geheimnisvolle Weise die chinesischen und indischen Nahrungstraditionen ihrer Herkunft mit Produkten aus der ortstypischen Küche Frankreichs. Solcherlei Verbindungen sind zugleich das Thema ausgedehnter nächtlicher Gespräche, die sie in der Landhausküche führen, philosophische Betrachtungen über das Leben, die Liebe, das Altern, Sterben und den Glauben. Fast scheint es, als veranstalteten sie das gemeinsame Essen einzig zu dem Zweck, miteinander ins Gespräch zu kommen - denn wo ließe sich besser über Grundsätzliches reden als beim Kochen? - und sich mit der leiblichen Verköstigung sinnliche Anregung für geistige Beschäftigung zu geben.

Das ist die zentrale Szene in Lawrence Durrells 1980 erstmals erschienenem "Das Lächeln des Tao", einem essayistischen Bericht über seine Begegnung mit dem chinesisch-kanadischen Autor und taoistischen Gelehrten Jolan Chang (1917 bis 2002), der ihn in den siebziger Jahren, als Chang gerade an seiner klassischen Unterweisung in altchinesischer Liebeskunst schrieb, in Durrells französischem Domizil besuchte. "Das Tao der Liebe", das bald zu einem Kultbuch der sexuellen Revolution wurde und insbesondere deren exotisch-esoterische Spielart anregte, wird hier also auf seltsam anrührende Weise in die Küchengespräche zweier alternder Männer eingebunden, die sich von der Vergeistigung ihrer orgiastischen Erfahrung Langlebigkeit, ja Unsterblichkeit erhoffen. Alles Körperliche wollen sie nicht länger notwendig als naturhafte Verfallsprozesse sehen, sondern als Chance begreifen lernen, sich durch klugen Lebenswandel immer wieder zu verjüngen: "die Umwandlung körperlicher Liebe in eine Freude, die der Berührung entsprang, die liebevoll umsorgte, statt in Besitz zu nehmen".

Der britisch-kosmopolitische Autor Lawrence Durrell (1912 bis 1990), der nie in England heimisch wurde und sein äußerst wandlungsreiches Leben zwischen Indien, Griechenland, Ägypten, Argentinien und Frankreich führte, verbindet die Aufzeichnung dieser Sommernachtsphilosophien von Chang mit etlichen weiteren Reminiszenzen: an den einbrechenden Winter; an das tibetanische Neujahrsfest, das er mit Lamas im französischen Exil in einem abgelegenen Kloster feiert; an ausgedehnte Autofahrten durch das verschneite oder überschwemmte Land; an seine erotischen Begegnungen mit einer geheimnisvollen Unbekannten, die er Vega nennt und mit der er auf den Spuren Nietzsches und Lou Andreas-Salomés spontan nach Orta in Italien reist; an die Landschaften Petrarcas, an Laura und an vieles mehr. Wer sich fragt, wie das alles zusammenhängt, wird die Antwort nur dadurch finden, dass man der assoziativen Traumlogik einer nur halb bewussten Spur autobiographischer Erinnerungen folgt: "Wie seltsam, dass diese augenscheinlich disparaten Ereignisse in meinem Geist allesamt durch eine zerbrechliche Kette von Resonanzen zusammengehalten wurden", bekennt der Autor freimütig.

Für seine Leser allerdings wird alles Disparate durch seine resonanzenreiche Prosa auf wundersame Weise zusammengehalten - zumal in der feinsinnigen Neuübersetzung durch Nicolaus Bornhorn - und zum Schwingen gebracht. Wenn das Tao, wie wir lesen, den Versuch darstellt, eine so umfassende Erfahrung, dass sie den Begriffen sich entzieht, dennoch in die Grenzen unserer Sprache einzuholen, dann ist auch dieses Büchlein davon inspiriert. Der "Nachhall" jedenfalls, den Durrell dem Buch Changs bescheinigt, klingt auch hier.

TOBIAS DÖRING

Lawrence Durrell: "Das Lächeln des Tao".

Aus dem Englischen von Nicolaus Bornhorn. Achilla Presse Verlagsbuchhandlung, Butjadingen 2011. 106 S., geb., 18,- [Euro].

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