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Wolfgang Spier gilt als einer, der das Heitere ernst nimmt. Auch mit 83 Jahren steht er noch unermüdlich Abend für Abend auf der Bühne und begeistert sein Publikum - als Darsteller und als Regisseur. Selbst das Verlesen des Berliner Telefonbuchs hätte bei ihm noch Unterhaltungswert. Dem Fernsehpublikum ist er mit seiner TV-Quizshow "Wer dreimal lügt" im Gedächtnis geblieben, seine markante Stimme lieh er als Synchronsprecher und in Hörspielproduktionen zahlreichen Figuren. Dabei hatte er es nicht immer leicht. Als Halbjude durfte er während der Nazi-Zeit keinen künstlerischen Beruf ergreifen…mehr

Produktbeschreibung
Wolfgang Spier gilt als einer, der das Heitere ernst nimmt. Auch mit 83 Jahren steht er noch unermüdlich Abend für Abend auf der Bühne und begeistert sein Publikum - als Darsteller und als Regisseur. Selbst das Verlesen des Berliner Telefonbuchs hätte bei ihm noch Unterhaltungswert. Dem Fernsehpublikum ist er mit seiner TV-Quizshow "Wer dreimal lügt" im Gedächtnis geblieben, seine markante Stimme lieh er als Synchronsprecher und in Hörspielproduktionen zahlreichen Figuren. Dabei hatte er es nicht immer leicht. Als Halbjude durfte er während der Nazi-Zeit keinen künstlerischen Beruf ergreifen und überstand die "1000 Jahre" als einfacher Bankangestellter. Heute ist er glücklich in vierter Ehe verheiratet und denkt noch lange nicht ans Kürzertreten. In seiner Autobiografie erzählt Wolfgang Spier erstmals Geschichten aus seinem bewegten und facettenreichen Leben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2006

Nestor des deutschen Boulevards
Wolfgang Spier gastiert in der "Komödie"

Einen Shakespeare-Narren würde er gern mal spielen. "Vielleicht zum 90. Geburtstag", lacht Wolfgang Spier. Im vergangenen September ist er 85 geworden, zwei Tage später feierte er sein 60. Bühnenjubiläum. An sein Debüt erinnert er sich noch genau: "Am 29. September 1945 war's, in den Kammerspielen Charlottenburg. Da bin ich einfach auf die Bühne gesprungen." Einfach, das heißt: ohne reguläre Schauspiel-Ausbildung. Seine Sprecherzieherin war im Bombenhagel der Alliierten gestorben, und nach dem Tod seiner zweiten Schauspiellehrerin beschloß der Eleve, die überlebenden Bühnenpädagoginnen zu schonen. "Götter auf Urlaub" hieß sein erstes Stück, aber zum Boulevard kehrte Spier erst Jahre später zurück.

Heute gilt er als Nestor, ja als König des deutschen Boulevards. Das Frankfurter Publikum hat ihm einen königlichen Empfang bereitet, als er nach zwei früheren Inszenierungen zum ersten Mal selber in der "Komödie" auftrat. Am Wochenende sollen die Zuschauer vor Begeisterung sogar getrampelt und gejohlt haben. "Das Frankfurter Publikum ist das beste, das wir je hatten mit diesem Stück", freut sich der Schauspieler, der die Komödie "Vermischte Gefühle" schon vor Jahren inszeniert hat und sie mit Maria Sebaldt in verschiedenen Städten zeigte. Das ist der Inszenierung nicht anzumerken. Wie er sie frisch erhält? "Jeder Abend ist anders und immer wieder neu, weil das Publikum ein anderes ist." Eigentlich gibt der Schauspieler hier ein Heimspiel. In Frankfurt ist er 1920 als Sproß einer alten jüdischen Familie geboren.

Als er neun Jahre alt war, zog sein Vater, ein Psychologe, mit der Familie nach Berlin. Als evangelisch getaufter "Halbjude" mußte der Filius zwar keinen Judenstern tragen, durfte aber nach dem Abitur nicht Medizin studieren und wurde als Wirtschaftswissenschaftler nach drei Trimestern zwangsexmatrikuliert. Dafür fand er sich plötzlich in einem Generalstab der Wehrmacht wieder, weil der General ein disqualifizierendes Häkchen im Wehrstammblatt übersehen hatte. Spier meldete sich also selbst "wehrunwürdig" und rettete sein Leben vor dem Einsatz an der Ostfront. Bei einer Privatbank schlüpfte er für den Rest des Krieges als Angestellter unter.

Als seine Klassenkameraden aus der Gefangenschaft zurückkehrten, hatte er bereits vier Jahre Lehrzeit bei Karlheinz Stroux in Wiesbaden hinter sich. Schon 1945 hatte Spier heimlich Vorlesungen bei den Berliner Theaterwissenschaftlern gehört. Auf den Bühnen der Reichshauptstadt bewunderte er Horst Caspar und Paul Wegener, aber werden wollte er wie Victor de Kowa: ein Bonvivant. "Es war die Zeit, als ein Werner Krauss noch den Lear und Charleys Tante an zwei aufeinanderfolgenden Abenden spielen konnte, ohne sich bei der Kritik unmöglich zu machen", erinnert sich Spier. Ein bißchen lag das Theater auch in der Familie: Mutter Spier war eine Cousine des Bühnenautors Curt Goetz, und Schwester Ruth hatte sich zur Schauspielerin ausbilden lassen.

Die junge Schauspielerin Waltraud Schmahl, die bald Spiers erste Ehefrau wurde, nahm ihren damaligen Freund zu Stroux mit. Gemeinsam sprachen sie Louise und Wurm aus "Kabale und Liebe" vor. Aber der Meister brauchte einen Assistenten. So kam Spier zur Regie. Von Stroux hat er alles gelernt, vor allem Werktreue. "Ich bin ein Strouxianer", bekennt er noch heute stolz. 1950 ging er nach Berlin zurück und gründete dort mit Kollegen wie Horst Buchholz, Martin Benrath und Wolfgang Neuss den Theaterclub im British Centre. Seit damals kennt er Maria Sebaldt. "Wir waren ein echtes Kollektiv. Jeder bekam 15 Mark pro Abend." Den Berliner Regiepreis bekam er auch. Als Spiegelberg in den "Räubern" begann Spier seine Berliner Karriere, die er nur noch einmal für zwei Jahre bei Stroux am Düsseldorfer Schauspielhaus unterbrach.

Der Rest ist schon jetzt Legende. 1957 entschied sich der Schauspieler und Regisseur für den freien Markt. Mehr als 300 Inszenierungen hat Spier in Berlin, München, Hamburg, Köln, Frankfurt, Essen und Düsseldorf einstudiert, darunter alle Boulevard-Autoren, aber auch Komödien von Shakespeare, Anouilh, Ionesco und Pinter. Von 1970 bis 1972 war er künstlerischer Leiter der Kleinen Komödie München. Danach sind ihm die beiden Berliner Boulevard-Bühnen am Kurfürstendamm zur künstlerischen Heimat geworden. Jetzt fühlt er sich als "Heimatvertriebener", sollte der Investmentfonds der Deutschen Bank die "Komödie" und das "Theater am Kurfürstendamm" schließen, um dort ein Einkaufszentrum zu bauen. Doch Spier gibt die Hoffnung nicht auf: Er hat schon von Kompromißgesprächen im Roten Rathaus gehört.

Vielleicht ließe sich ja wenigstens ein Theater erhalten. "Alles andere wäre für Berlin eine Schande", sagt Spier, der das Bundesverdienstkreuz erhalten hat, weil er mit seinen Inszenierungen am Kurfürstendamm dem Ruf der Stadt gedient hat. Um die Zukunft des Boulevards im Berliner Westen fürchtet er, um das Boulevard-Theater ist ihm nicht bange: "Das stirbt nicht, es ändert sich nur." Dabei denkt er vor allem an Alan Ayckbourne, der in seinen Stücken die reale Situation immer wieder aufbreche. Spier liebt Stücke, in denen es ernst wird. "Das Tralala der Pointen hat dem Boulevard den schlechten Ruf eingetragen", sagt er. "Komik entsteht nur aus der absoluten Ernsthaftigkeit. Wenn die Situation stimmt, können die Sätze noch so banal sein. Der Gag muß aus der Situation kommen." Genau so hat er die Berliner vor kurzem mit Ayckbournes "Sugar Daddy" an der Seite von Ralf Wolter beschenkt.

Spier hat mit vielen berühmten Kollegen auf der Bühne gestanden: in "Sonny Boys" erst mit Harald Juhnke, dann mit Michael Degen. Dieses Jahr wird er gemeinsam mit Wolter bestreiten. Nach der Aufführungsserie in Frankfurt und dem Urlaub werden die beiden in Köln "Eine gute Partie" von Stefan Vögel spielen, bevor sie mit "Sugar Daddy" in Hamburg gastieren und auf Tournee gehen. "Der tägliche Adrenalinstoß auf der Bühne und das Feedback aus dem Publikum halten mich fit", sagt Spier, der nach vier Hüftoperationen und vier Ehefrauen keineswegs an den Ruhestand denkt. "Am wichtigsten ist es, wenn man sich im Alter gefordert fühlt", lautet sein Rezept für theatermüde Kollegen. "Erst wenn ich merke, daß das Publikum Mitleid mit mir bekommt, dann höre ich auf."

CLAUDIA SCHÜLKE

Mehr über Spier enthält seine Autobiographie "Dabei fällt mir ein . . . Lebensgeschichten". "Vermischte Gefühle" läuft noch bis 19. März in der "Komödie".

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