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Zum 200. Geburtstag Honore de Balzacs am 20. Mai 1999: die Sammlung seiner Liebesbriefe an die Gräfin Hanska, mit der Balzac lange Jahre eine leidenschaftliche amour lointain verband. Doch gerade die Verehrung aus der Ferne erlaubt es ihm, sich auf literarische Vorhaben zu konzentrieren. In den Briefen aber läßt er die Geliebte an seinem Leben teilhaben, und so spricht er viel von sich und seiner Arbeit. Die vorliegende Auswahl gibt Einblick in die bei aller Glut kalkulierte Liebe Balzacs zu Gräfin Hanska.

Produktbeschreibung
Zum 200. Geburtstag Honore de Balzacs am 20. Mai 1999: die Sammlung seiner Liebesbriefe an die Gräfin Hanska, mit der Balzac lange Jahre eine leidenschaftliche amour lointain verband. Doch gerade die Verehrung aus der Ferne erlaubt es ihm, sich auf literarische Vorhaben zu konzentrieren. In den Briefen aber läßt er die Geliebte an seinem Leben teilhaben, und so spricht er viel von sich und seiner Arbeit. Die vorliegende Auswahl gibt Einblick in die bei aller Glut kalkulierte Liebe Balzacs zu Gräfin Hanska.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.1996

Kennt sich nicht und liebt sich doch
Die Briefe von Honoré de Balzac an Eveline Hanska · Von Ralf Konersmann

Ende September 1833, vermutlich an einem Sonntagnachmittag, sind sich Eveline Hanska und Honoré de Balzac am Neuenburger See erstmals begegnet. Die äußeren Bedingungen hätten günstiger nicht sein können: Ein aufstrebender Schriftsteller, dessen Romane und Erzählungen ("Das Chagrinleder", ,Physiologie einer Ehe") seinen Namen bereits in die entlegensten Winkel Europas getragen haben, trifft eine schöne und gebildete Frau aus polnischem Adelsgeschlecht, die mit einem respektablen, aber auch ein wenig langweiligen Großgrundbesitzer verheiratet ist.

An dieser Verbindung blieb ein literarischer Zug jederzeit bemerkbar. Romanhaft war bereits die Huldigung, mit der Eveline Hanska Monate zuvor in der Maske ,der Fremden" an den Pariser Autor herangetreten war. ,Ihre Seele, Monsieur, umspannt Jahrhunderte, Ihre philosophische Natur scheint von langem und durch die Zeit vollkommen gewordenem Forschen herzurühren; indes sind Sie noch jung, hat man mir versichert: ich würde Sie gern kennenlernen, obgleich ich meine, daß es unnötig ist." Solche Komplimente, dazu die hoffmanneske Maskerade der Verfasserin, konnten ihre Wirkung nicht verfehlen. Verabredungsgemäß reagierte Balzac mit einer Zeitungsannonce, und schon bald erging er sich Monat für Monat in seitenlangen Betrachtungen, in leidenschaftlichen Schwüren und wortreichen Geständnissen. Nur drei Briefe Eveline Hanskas haben sich erhalten. Alle übrigen - es müssen etliche Dutzend gewesen sein - vernichtete Balzac widerstrebend, doch gehorsam, auf ihre Bitte hin. So wissen wir fast alles, was über diese Liaison zu wissen ist, von ihm und aus seiner Sicht.

Von Einseitigkeit kann dennoch keine Rede sein. Offenkundig ging Balzac auf Themen und Motive ein, die sie ihm vorgegeben hatte, vor allem auf das Motiv der amour lointain, der Fernenliebe. Unverhüllt zeigte es sich schon in jener Bemerkung Evelines, daß ein Treffen zwar zu wünschen, doch keineswegs erforderlich sei. Damit war der Gedanke der Entsagung geboren, der Balzac zur ständigen Herausforderung wird. Als er das gestalterische Potential dieser Bedingung erst einmal erkannt hat, nimmt er die Rolle des heimlichen, an der Aussicht auf Erfüllung zweifelnden und doch nur um so leidenschaftlicheren Verehrers begeistert an. ,Ich liebe Sie", mit diesen Worten greift er schon ein halbes Jahr vor der Begegnung das Thema auf, ,obgleich ich Sie nicht kenne." Und: ,Ich liebe Sie bereits zu sehr, ohne Sie gesehen zu haben."

Sich lieben, ohne sich zu kennen - diese überraschende und doch, bedenkt man den Starkult unserer Tage, vielleicht bloß in der Pointierung erstaunliche Formel erweist sich als probat. Sie wird die Verbindung bald zwei Jahrzehnte tragen. Daß, wie er einmal schreibt, ihre ,Körper" in Neuchâtel ,wie unsere Seelen einen Bund geschlossen" haben, ändert an der Übereinkunft wenig, um nicht zu sagen: es ändert gar nichts. Bezeichnenderweise hinterläßt das Ereignis in den Briefen keine bleibende Spur, und nach wenigen Wochen dominiert erneut das gemessene ,Sie".

Ein Rückschritt war das keineswegs, eher eine Erweiterung des Repertoires. Nur scheinbar paradox, gestattete der durch die wiederhergestellte Distanz eröffnete Freiraum das großzügige Ausmalen lebhaftester Empfindungen. Balzac riskiert die kühnsten Angebote ("morgen schon zerbräche ich meine Feder, falls Sie es wollten; von morgen an würde keine Frau meine Stimme mehr hören") und versichert sie seiner lautersten Gefühle: ,Ich bin ein Kind, das ist alles, ein Kind, das leichtfertiger ist, als Sie glauben, aber rein wie ein Kind und das liebt wie ein Kind."

Das hätte auch Lucien de Rubempré so sagen können. Wie viele seiner bedeutendsten Romangestalten unterwirft sich Balzac hier selbst einem überzeitlichen Gesetz, dem Regelwerk der Minne. Er liebe, erklärt er schon Anfang 1834, ,wie man im Mittelalter liebte, mit der allergrößten Treue, und meine Liebe wird immer größer werden, ohne Makel sein, ich bin stolz auf meine Liebe." Vor allem die Schlußwendung ist beachtlich. Sie verrät die Genugtuung des Autors, der ganz und gar der einsame Arrangeur seiner Liebe ist. Daß diese Lösung schließlich 1850, im Todesjahr Balzacs, die Vermählung der beiden möglich machte, bestätigt eindrucksvoll ihre Lebensdienlichkeit. Um sie zu würdigen, muß man freilich die herkömmlichen Maßstäbe und Erwartungen fahren lassen. Mit Moralbegriffen ist hier nichts zu gewinnen. Das entscheidende Wort fällt wiederum früh, noch vor dem Zusammentreffen in Neuchâtel: Um alle seine Überzeugungen betrogen, klagt der von Verlegern und Kritik Enttäuschte, sei er fortan gezwungen, sich ,Leidenschaften" zu ,erschaffen".

Genau das hat er getan. Balzacs Verehrung für Eveline Hanska ist ,geschaffene Leidenschaft". Jeder einzelne Brief, jede Zeile ist Teil eines Werks, an dem er bis zu seinem Lebensende formt und feilt. Entschlossen manipuliert er ihren Vornamen, um sie sich zur ersten und überhaupt zur einzigen Frau zu machen. ,Éve" oder ,Eva" verbürge als Name die Weitergabe des irdischen Paradieses, versichert er; er liebe sie in sich, in ihr wolle er denken und fühlen, ja sogar: sie sei er selbst. Tatsächlich kennt Balzac in seinen Briefen nur ein Thema: das hohe Bild der ,weisen", der ,jungfräulichen" Muse. Einblicke in seinen Lebenswandel, in die Physiognomie jener Schlafrockexistenz, der er seine achtzehn Arbeitsstunden täglich mitAlkohol und Koffein abtrotzte, sind selten. Auch die Schriften dieser Jahre -,Père Goriot", ,Die verlorenen Illusionen", ,Glanz und Elend der Kurtisanen"- werden bloß beiläufig erwähnt. Eine Ausnahme bildet die Vorrede zur ,Menschlichen Komödie", auf deren Programmatik Balzac gelegentlich vorausgreift: Sein Werk werde einmal die Geschichte des menschlichen Herzens erzählen - dieses Versprechen gibt er im Oktober 1834 -, die ,,Märchen aus Tausendundeiner Nacht' des Abendlandes".

Die vorliegende Ausgabe bietet den enormen Briefschatz nur in Auszügen, und das ist schade. Gewiß, Rücksichten auf verlegerische Risiken sind bedenkenswert, zumal bei einem Kleinverlag, der sich um die Bergung literarischer Kostbarkeiten verdient gemacht hat. Dennoch ist bedauerlich, daß die Briefe nach 1843 ebenso fehlen wie ältere Einzelstücke, die als ,reichlich konfus" ausgemustert wurden. Eben deshalb hätte man sie gern gelesen! Störend auch, daß manche (sonderbarerweise nicht alle) Namen erläutert sind, auf Seitenhinweise aber verzichtet wurde. Wer sich auf treffende Aperçus und feine Bosheiten besinnt ("Victor Hugo, Lamartine und Musset geben zu dritt einen Dichter ab, denn keiner von ihnen ist vollkommen"), muß lange blättern. Bedenklich sind schließlich die Kommentierungen, die Ausflüchte und Untreue des Briefschreibers entlarven sollen. Das Resultat zeugt von aufwendigen Recherchen, aber auch von jener Pedanterie, die einst in Balzac ihren genauen Porträtisten gefunden hat. Spitzfindigkeit, schreibt er am 15. November 1838, heißt nicht Gerechtigkeit.

Honoré de Balzac: ,Briefe an die Fremde". Eine Auswahl. Herausgegeben und eingeleitet von Ulla Momm und Gerda Gensberger. Aus dem Französischen übersetzt von Gerda Gensberger. Manholt Verlag, Bremen 1996. 633 S., geb., 76,- DM.

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