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Schon zu Beginn der achtziger Jahre zeichnet Peter Sloterdijk jene Gestalt, die sein Werk und sein Wirken in der Öffentlichkeit am treffendsten charakterisiert: den Denker auf der Bühne. Der Anspruch, den er damit verbindet, besteht darin, die theoretische Grundeinstellung der aufklärerischen Philosophie zu überwinden und ihr zu einem neuen reflexiv-praktischen Grundverständnis zu verhelfen. Sein Anliegen ist es, ein neues Verständnis der Welt und die daraus resultierende Umgestaltung der Verhältnisse durch Dialoge mit der Öffentlichkeit plausibel zu machen und zu befördern. Dies gelingt ihm…mehr

Produktbeschreibung
Schon zu Beginn der achtziger Jahre zeichnet Peter Sloterdijk jene Gestalt, die sein Werk und sein Wirken in der Öffentlichkeit am treffendsten charakterisiert: den Denker auf der Bühne. Der Anspruch, den er damit verbindet, besteht darin, die theoretische Grundeinstellung der aufklärerischen Philosophie zu überwinden und ihr zu einem neuen reflexiv-praktischen Grundverständnis zu verhelfen. Sein Anliegen ist es, ein neues Verständnis der Welt und die daraus resultierende Umgestaltung der Verhältnisse durch Dialoge mit der Öffentlichkeit plausibel zu machen und zu befördern. Dies gelingt ihm auf unnachahmliche Weise in zahlreichen gleichsam klugen und unterhaltsamen Gesprächen. Aus diesem Grund bilden die hier versammelten mehr als fünfzig Interviews aus fast dreißig Jahren den Kern des Sloterdijkschen Agierens. Seine Dialoge in und mit der Öffentlichkeit handeln vom Doping und der doxa, von Gott und der Welt, vom Design und dem Dogma. Hier ist nachzulesen, wie Peter Sloterdijk die philosophische Tradition und deren neueste Strömungen beurteilt, welche Diagnosen er dem Zeitgeist stellt, wie alltägliche Phänomene durch eine überraschende Perspektivierung einen völlig neuen Sinn erhalten. Für alle Leser, die Peter Sloterdijk kennen oder kennenlernen wollen, bieten diese Dialoge eine ebenso aufschlußreiche wie überraschende und zugleich amüsante Lektüre der geistigen und politischen Ereignisse der letzten drei Jahrzehnte.
Autorenporträt
Sloterdijk, PeterPeter Sloterdijk wurde am 26. Juni 1947 als Sohn einer Deutschen und eines Niederländers geboren. Von 1968 bis 1974 studierte er in München und an der Universität Hamburg Philosophie, Geschichte und Germanistik. 1971 erstellte Sloterdijk seine Magisterarbeit mit dem Titel Strukturalismus als poetische Hermeneutik. In den Jahren 1972/73 folgten ein Essay über Michel Foucaults strukturale Theorie der Geschichte sowie eine Studie mit dem Titel Die Ökonomie der Sprachspiele. Zur Kritik der linguistischen Gegenstandskonstitution. Im Jahre 1976 wurde Peter Sloterdijk von Professor Klaus Briegleb zum Thema Literatur und Organisation von Lebenserfahrung. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte der Autobiographie der Weimarer Republik 1918-1933 promoviert. Zwischen 1978 und 1980 hielt sich Sloterdijk im Ashram von Bhagwan Shree Rajneesh (später Osho) im indischen Pune auf. Seit den 1980er Jahren arbeitet Sloterdijk als freier Schriftsteller. Das 1983 im Suhrkamp Verlag publ

izierte Buch Kritik der zynischen Vernunft zählt zu den meistverkauften philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts. 1987 legte er seinen ersten Roman Der Zauberbaum vor. Sloterdijk ist emeritierter Professor für Philosophie und Ästhetik der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und war in Nachfolge von Heinrich Klotz von 2001 bis 2015 deren Rektor.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit großem Vergnügen hat Rezensent Jens Bisky diesen Band mit Interviews mit Peter Sloterdijk aus den Jahren 1993 bis 2012 gelesen. In den Gesprächen sieht er zentrale Denk-Motive des Philosophen deutlich werden: die Abneigung gegen Sorgenagitation, den Willen zur Aufhellung und Aufheiterung, das Selbstverständis als Übender, die Leidenschaft des Denkens. Die Texte ermöglichen für ihn zudem, Sloterdijks Technik des Umformulierens und Perspektivwechselns genauer zu beobachten. Die Lektüre des Bandes findet Bisky meistens sehr unterhaltsam und geistreich, nur wo es um die Texte "Regeln für den Menschenpark" (1999) und "Die Revolution der gebenden Hand" (2009) geht, wird es seines Erachtens gelegentlich langatmig.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2013

Nur die Pferde haben die Emanzipation geschafft
Die gesammelten Interviews des Philosophen Peter Sloterdijk zeugen von intellektueller Leidenschaft und Heiterkeit – aus Angst vor der Langeweile
Als im vergangenen Jahr Peter Sloterdijks Notizen „Zeilen und Tage“ erschienen, ist in dieser Zeitung der Verdacht geäußert worden, der sei der beste Feuilletonist des Landes (SZ vom 14. August 2012). Gut möglich. Er wäre dann ein Feuilletonist mit starken anti-journalistischen Impulsen oder doch wenigstens einer großen Skepsis gegenüber dem Bild der Welt, das durch täglichen Nachrichtenkonsum entsteht. Die „Sorgenagitation“ der heutigen Medien, glaubt er oder glaubte er doch in den irrigerweise zum Spaßjahrzehnt verklärten Neunzigern, befördere die „Zwangsvereinnahmung der Individuen zugunsten einer Totalität namens ,Wirklichkeit‘“. Aus einem „gewissen informatischen Sadismus“ heraus, werden die Menschen ständig „mit unbekömmlichen Nachrichten“ überschüttet.
  So sprach Peter Sloterdijk 1993 zur Frankfurter Rundschau. Man kann es in dem jetzt erschienenen Band „Ausgewählte Übertreibungen“ nachlesen, einer Sammlung von etwas mehr als dreißig Interviews, zusammengestellt von dem Sloterdijk-Schüler Bernhard Klein.
  Im Dezember 2011 vom Handelsblatt zur Finanzkrise befragt, beschreibt er das liebenswerte Verhalten der Deutschen: „Seit drei, vier Jahren werden sie täglich von den Klimatheoretikern und von den Steuer- und Finanzalarmisten mit Horror bedroht. Was machen Sie seit drei, vier Jahren an Weihnachten? Sie liefern Beweise dafür, daß man sie in puncto Lebensgefühl nicht mehr ins Bockshorn jagen kann. Sie brechen einen Konsumrekord nach dem anderen. Darin stecken weitreichende Informationen.“ Die ihn fragenden Journalisten, Gabor Steingart und Torsten Riecke erkennen, eine „gesellschaftliche Tendenz zur Immunisierung gegen den Alarmismus“ und werden dafür von Sloterdijk mit Verständnis belohnt: „Ihr Beruf wird auch schwerer, nicht wahr?“
  Die Abneigung gegenüber der „Sorgenagitation“ ist eng verbunden mit anderen Motiven. So deutlich werden sie selten wie in diesen Gesprächen. Da ist der Wille zur Aufheiterung, zur Aufhellung, fulminant vollzogen in der „Kritik der zynischen Vernunft“ (1983). Dazu gehört, das eigene Leben nicht als Folge von Benachteiligungen zu erzählen, sich vielmehr als einen Übenden zu erfinden. Während in öffentlichen Diskussionen meist sozialtechnologisch argumentiert wird, eröffnet Sloterdijk das Feld der Psychopolitik. Nicht die Gesellschaft ist sein Ausgangspunkt, sondern der Haushalt, in dem auch Singles nicht allein sind. Es geht also um Zorn, Stolz, Selbstachtung, Großzügigkeit, darum, auf der Bühne der Welt stets eine gute Figur zu machen. Das schönste, weil konzentrierteste Gespräch des Bandes, eine lange Unterhaltung mit dem Marbacher Archivdirektor Ulrich Raulff über Schicksal, das Fatale und Fortuna, endet mit der glücklichen, viele Motive Sloterdijks zusammenfassenden Formulierung: „Das Individuum ist eine vergebliche Leidenschaft, aber eine Leidenschaft soll es doch bleiben.“
  Diese Leidenschaft nährt sich aus der Furcht vor Langeweile, die durch Unterforderung, durch Phrasen und Bestätigungsroutinen entsteht. „Am langweiligsten schien mir seit jeher das Reden in fertigen Sätzen, wie man sie auf dem akademischen Diskursmarkt hört, um von den Preß-Spannplatten vom politischen Baumarkt zu schweigen.“
  Der Leser kann anhand der Gespräche Sloterdijks Technik der ständigen Umformulierung, der wechselnden Perspektivierung studieren. Meist ist das vergnüglich, langweilig wird es, wenn von den berühmten Streitfällen die Rede ist: vom Gezänk um die „Regeln für den Menschenpark“ (1999) und „Die Revolution der gebenden Hand“ (2009). Beide Texte hätten das Aufsehen nicht erregt, wenn sie nicht auch hätten missverstanden werden können. Als public intellectual, viel gelesener und ausgiebig befragter Philosoph – die Auswahl wurde aus etwa 300 Gesprächen getroffen! – ist man wohl auch für die Missverständnisse verantwortlich, die man provoziert. Die Thesen etwa zum Steuerstaat, den Sloterdijk in Freigiebigkeit und Großzügigkeit neu fundieren will, haben eine faszinierende Seite. Der Sozialstaat, meist mit Vorstellungen von Zwang, Knappheit und Elendsverwaltung verbunden, wird als großartige Leistung sichtbar. Zugleich aber wirkt der Impuls, den Bürger wieder als ganze Person, als Gebenden ins Spiel zu bringen, statt die Umverteilung Gesetz und Verwaltung zu überlassen, auf abenteuerliche Weise aus der Zeit gefallen. Er wolle, sagt er gegen „muffige Rezensenten“, darüber nachdenken, „wie man den Sozialstaat überbieten kann durch das großzügige Gemeinwesen“. Aber der Weg von einer nicht-pessimistischen Anthropologie, die Sloterdijk überzeugend skizziert, zu konkreten Vorschlägen, dem Werben für Stiftungen und Spenden wirkt arg holprig, Vermittlungen fehlen wie so oft in den psychopolitischen Interventionen. Die pathetische Rede von der „größten sozialpsychologischen Aufgabe der nächsten Generation“ kann das nicht verschleiern.
  Um so fruchtbarer wirken Sloterdijks religionstheoretische Überlegungen, die er nun noch einmal in einem kleine Essay präzisiert hat (Im Schatten des Sinai. Fußnote über Ursprünge und Wandlungen totaler Mitgliedschaft. Suhrkamp Verlag 2013, 64 Seiten, 6 Euro). Bleibt die Rede von der „Revolution der gebenden Hand“ beim bloßen Sollen, das einer – selbstredend schlechten– Wirklichkeit abstrakt gegenüber gestellt wird, lässt sich die Formel von der „Zivilisierung der Religionen durch Bildung“ bestens begründen und durch Philosophie – für Sloterdijk ein „Modus des Bearbeitens von Themen“ – befördern. Die Tradition, auf die er sich beruft, kann sich sehen lassen: Erasmus, Spinoza, William James, Gershom Scholem, Jan Assmann. Hier wird Sloterdijks Technik des Umformulierens produktiv: Religionen als „mentale und rituelle Übungssysteme zu begreifen“, heißt auch ihre Wahrheitsansprüche zu relativieren und ihre daraus abgeleiteten Ansprüche auf die totale Mitgliedschaft der Gläubigen. Geringschätzung der Religionen ist damit nicht verbunden, sie bleiben, was sie waren: „wichtige Manifestationen des dichterischen Wohnens von Menschen auf der Erde“.
  „Ist das“, fragte Peter Sloterdijk 1999, „nicht eine seltsame Beobachtung an der gegenwärtigen Gesellschaft: daß nur die Pferde die Emanzipation geschafft haben? Menschen sind Arbeitstiere wie eh und je geblieben, auch wenn sie unglückliche Arbeitslose sind, aber die Pferde, die heute auf deutschen Koppeln stehen, sind allesamt Lustpferde, posthistorische Pferde.“ Sie hätten das „Reich der Freiheit“ erreicht. Beobachtungen wie diese sind es, weswegen man Sloterdijk gern liest. Ihm gelingt es, ungeheuer produktiv zu sein, ohne zum Lastpferd zu werden.
JENS BISKY
Zu den Journalisten sagt er
einfühlsam: „Ihr Beruf wird auch
schwerer, nicht wahr?“
     
        
    
Peter Sloterdijk: Ausgewählte Übertreibungen. Gespräche und Interviews, 1993-2012. Herausgegeben von Bernhard Klein.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 476 Seiten, 24,95 Euro.
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»Die gesammelten Interviews des Philosophen Peter Sloterdijk zeugen von intellektueller Leidenschaft und Heiterkeit.« Jens Bisky Süddeutsche Zeitung 20130720