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"Der Becher geht so lange zum Bronnen bis er Brecht" war in der Weimarer Republik eine Formel für drei ihrer repräsentativen Jungdichter. Der Erfolgs- und Skandal-Avantgardist Arnolt Bronnen (1895-1959), nach dem sich Berthold Brecht zum Bertolt umbenannte, ist aus dem Literatur-Kanon verdrängt worden: Um 1930 ist er Intimus von Goebbels, teilt seine Frau mit ihm, übersteht aber dann als "Asphaltliterat" und "Halbjude" das Dritte Reich nur mit Schwierigkeiten. Im antifaschistischen Widerstand im Salzkammergut und bei der Wehrmacht zum Kommunismus bekehrt, wird er nach dem Krieg von allen, auch…mehr

Produktbeschreibung
"Der Becher geht so lange zum Bronnen bis er Brecht" war in der Weimarer Republik eine Formel für drei ihrer repräsentativen Jungdichter. Der Erfolgs- und Skandal-Avantgardist Arnolt Bronnen (1895-1959), nach dem sich Berthold Brecht zum Bertolt umbenannte, ist aus dem Literatur-Kanon verdrängt worden: Um 1930 ist er Intimus von Goebbels, teilt seine Frau mit ihm, übersteht aber dann als "Asphaltliterat" und "Halbjude" das Dritte Reich nur mit Schwierigkeiten. Im antifaschistischen Widerstand im Salzkammergut und bei der Wehrmacht zum Kommunismus bekehrt, wird er nach dem Krieg von allen, auch von seinen Parteigenossen, als Dichter kaltgestellt. Aspetsbergers Bronnen-Biographie würdigt das Werk und relativiert die erstarrte politisch-moralische Verurteilung: Bronnens Selbstentwürfe werden in Beziehung zu zeitgenössischen Rollenbildern, zur politischen Entwicklung u.a. gesetzt und mit einer Fülle von zeitgeschichtlichen Materialien analysiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.1995

Lernen von Brecht und Goebbels
Mensch und Medium: Eine Biographie zu Arnolt Bronnen

In Arnolt Bronnens Schauspiel "Ostpolzug" steht im letzten Bild ein anderer, moderner Alexander auf dem Gipfel des Mount Everest. Er hat den Osten nicht im Geist des Mythos bezwungen, sondern mit dem Auto; kein König, sondern ein gewesener Kellner und Kriegsteilnehmer, jetzt aber Führer einer Expedition. Kisten mit Lebensmitteln hatte er unterwegs ins Tal werfen müssen. Nun ist er am Ziel und träumt davon, seine Notizblätter als Presseerklärungen in die Welt zu schießen. "Er feuert eine Rakete ab, die sekundenlang die Bühne in strahlendes rotes Licht taucht." Dieses Schlußbild gibt die kürzeste Formel für den Faschismus: Verschleißwirtschaft nach dem Vorbild des Krieges, Rekrutierung neuer Eliten aus Schichten, die den bürgerlichen Ehrbegriffen fernstanden, gesteigerte technische Mobilität - sie münden in eine grandiose Propagandaveranstaltung.

1926, als das Stück entstand, hatte Bronnen sich schon von Brecht gelöst, dem Freund und Vorbild seiner früheren Jahre. Zynisch, meckernd und grimassierend waren die beiden in die deutsche Bühne eingebrochen, ein böses Paar wie Beavis und Butthead. Ihre Entwicklungen trennten sich, weil Brecht ein Dichter war, mit allem, was an Tradition in diesem Wort nachhallt, während Bronnen von der Kunstverachtung der Avantgarde den direkten Weg in die kulturindustriellen Apparate einschlug. Bald wurden aus den Provokationen reißerische Effekte. Sein Handwerk lernte Bronnen bei der Ufa, später ging er zum Rundfunk. Parallel dazu verlief seine Wandlung zum ultrarechten Elégant und Goebbels-Freund, und wo immer in den folgenden Jahren Wirklichkeit zu inszenieren war, ob im Literaturskandal oder im nationalistischen Hörspiel, da war Bronnen dabei. 1935 wurde er zum "Reichsfernsehdramaturgen" ernannt.

Bronnen, der aus der Jugendbewegung gekommen war, hatte sich früh darauf verstanden, die Bühne als Resonanzboden für den Haß gegen die Väterwelt zu nutzen. Seine sachliche Begeisterung für die modernen technischen Medien - schon die ersten Stücke zeigen den Menschen umstellt von Telefonen und Diktiergeräten - verband sich mit einer fast hysterischen Hingabe; man findet bei ihm ein dauerndes Schwanken zwischen der höchsten Einsicht in die Machart von Propaganda und der Kollaboration mit ihr. Bronnen dürfte der erste gewesen sein, der Hitlers Abhängigkeit vom Radio erkannte; in einer glücklichen Formulierung spricht Friedbert Aspetsberger in seiner Biographie von Bronnens "zwanghafter Hellsicht".

In diesen Tagen wäre er hundert Jahre alt geworden. Seine Figuren ähneln dem Typus des Jüngerschen "Arbeiters", besitzen aber darüber hinaus Züge, die aus der Filmwelt stammen: Glamour und Sex-Appeal. Bei allem Roboterhaften im einzelnen blieb für Bronnen klar, daß der Wille zur Macht in die Betten führt. Seine besten Arbeiten, die pseudodokumentarischen Romane "O.S." und "Film und Leben Barbara La Marr", entwickeln eine männliche und eine weibliche Version der harten Modernität der zwanziger Jahre: "O.S." schildert die oberschlesischen Kämpfe der ersten Nachkriegszeit, "Barbara La Marr", in der Diktion noch sehr an Brechts "Mahagonny" erinnernd, das kurze Leben einer Hollywoodschauspielerin.

Ihren Heiraten und Scheidungen folgt der Leser so atemlos wie den militärischen Bewegungen im oberschlesischen Bandenkrieg; in beiden Fällen steht die Wahrnehmung unter Adrenalin. Hier wie dort ist die Welt unzuverlässig geworden; Beziehungen ändern beständig ihren Charakter, keine hält lang. Gemeinsam ist den Freikorpskämpfern und dem Star, daß sie den Horizont nach neuen Freund/Feind-Konstellationen absuchen müssen; sie besitzen einen übermäßigen Sinn für die taktische Seite des Handelns, weil für die Entwicklung von Strategien längst der sichere Ort fehlt.

"The blood ran riot through my veins" - dieser Satz der La Marr könnte auch für Bronnens Leben das Motto abgeben. Mit Vollgas bewegte er sich durch das zwanzigste Jahrhundert, und so wurde gegen Ende des Kriegs aus dem Faschisten ein Antifaschist, der der kommunistischen Partei beitrat und Mitte der fünfziger Jahre in die DDR übersiedelte, wo es auch manch anderen der ehemaligen Nationalbolschewisten hin verschlagen hatte. Er starb 1959 in Ost-Berlin.

Auf knapp 900 Textseiten hat Aspetsberger seine Funde zur Biographie nicht ohne gelegentliche Wiederholungen ausgebreitet. Gewiß verdient es Anerkennung, daß ein Forscher die mühevolle Arbeit in Archiven nicht gescheut hat; manches aus den Interna ist dabei zum Vorschein gekommen, etwa zu den Rivalitäten zwischen Goebbels und Rosenberg, denen Bronnens Stellung schließlich zum Opfer fiel. Aber statt von einer Biographie möchte man lieber von einer Folge psychoanalytischer Phantasien sprechen, die den Lakonismus des Titels Lügen straft und die Gattung Wälzer um ein neues Exemplar bereichert. Leider sind die Angaben nicht immer zuverlässig. Von dem kulturhistorisch erstrangigen Material zur Frühgeschichte des deutschen Fernsehens, das Aspetsberger gesichert hat, wäre zu hoffen, daß man ihm einmal in der konziserten Form des Essays wiederbegegnet. Dann könnte darüber gesprochen werden, warum am Beginn des Mediums ein Mann stehen mußte, der die Regieführung bei Brecht und bei Goebbels gelernt hatte. LORENZ JÄGER

Friedbert Aspetsberger: "arnolt bronnen". Biographie. Böhlau Verlag Wien, Köln und Weimar 1995. 936 S., 230 Abb., geb., 178,- DM.

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