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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Roten Faden
Tomer Gardis babylonischer Roman „Broken German“
Es geht um vertauschte Identitäten und Verkleidungen. Um Wahrheit und Lüge. Deutsche und Juden. Richtige und falsche Sprache. Aber wann ist sie überhaupt richtig? Die Sprache ist das Haus des Menschen, kann ja sein. Aber wer legt den Bauplan für dieses Haus fest? Und ist ein windschiefes Haus weniger wert als korrektes Fachwerk, ist gebrochenes Deutsch automatisch schlechteres Deutsch? Als der Erzähler Radili seiner Freundin irgendwann den Anfang eines Manuskripts zu lesen gibt, sagt sie, sein Deutsch werde ja immer besser. Sie meint es nicht als Lob, sondern als Kritik. Er zitiert ihren Kommentar in seinem ganz eigenen Deutsch: „Mit jeder Kapitel zerstört du so deine eigene Prosa. Verlierst Deine gebrochene Schatz.“
Ein Schatz. In der Tat. Ein einmaliges Buch. Migrantenromane gibt es mittlerweile viele. Postmoderne Geschichten, in denen mit Genres gespielt wird und Babuschka-artig Geschichten aus Geschichten hervorgehen, erst recht. Und auch die deutsch-jüdische Geschichte wurde in der Literatur eingehend behandelt. Dem in Israel geborenen Autor Tomer Gardi ist mit seinem kleinen Roman aber etwas ganz Eigenes gelungen. Er hat einen Roman in der deutschen Sprache geschrieben, die er als Autodidakt nach wenigen Jahren in Berlin eben so spricht. Als Gardi im Frühjahr in Klagenfurt aus dem Manuskript vorlas, stieß er bei der Jury auf bedenkliche Minen, das waren ja gar kein grammatikalisch korrekten Sätze, die der da vortrug, kann man das dann überhaupt als Literatur werten wie die anderen Texte?
Im Grunde kommt der ganze Roman anfangs durch diese Frage ins Laufen, ach was, rennen müssen Radili und seine Freunde Amadou und Mehmet, um ihr Leben, weil Radili es gewagt hat, einigen Skins zu sagen, er spreche mit seinen migrantischen Freunden deutsch. „Was WIR reden, ist Deutsch“, schrie der Skin, „was ihr da redet ist kein Deutsch.“ Nach der anschließenden Verfolgungsjagd durchs nächtliche Berlin legt Radili sich ein Messer zu, das er von da an immer bei sich trägt. Bis es ihm eines Tages am Flughafen bei einer Sicherheitskontrolle abgenommen wird.
Jahre später erzählt Radili in einer Berliner WG von diesem Erlebnis und erfindet im Überschwang des Erzählens einen anderen, spannenderen Schluss: Er habe, sagt er, das Messer nach der Verfolgungsjagd im Park vergraben. Die WG-Bewohner sind begeistert, sie wollen ihn dabei filmen, wie er sein Messer ausgräbt, das wird ein hochpolitisches Filmprojekt, symbolische Bilder, Spurensuche, au ja, und den Film nennen sie „Broken German“. Radili hat nun den Schlamassel, der Leser seinen Spaß – wie soll der arme Schwindler ein Messer ausgraben, das es nicht mehr gibt – und seine Warnung, denn was ist zu halten von einem Erzähler, der gleich zu Beginn zugibt, dass er sich die Wahrheit um einer besseren Pointe willen jederzeit zurechtbiegen wird? Der sich mit seinen Freunden aus aller Herren Länder regelmäßig in der „Bar zum Roten Faden“ trifft, wo sie „auf babylonisch“ miteinander reden und er ihnen eine großartige Geschichte nach der anderen auftischt? Und der sich gegen den Vorwurf der Lüge zur Wehr setzt mit dem Argument: „Realismus schreiben nur Menschen mit einem festen Wohnsitz und einer festen Aufenthaltserlaubnis!“
Tomer Gardi würde diesen Satz seines Erzählers sofort unterschreiben, ja er bildet eine Art Kern seiner wilden Poetik. Im wirklichen Leben setzt sich Gardi, der Literatur- und Erziehungswissenschaften studiert hat, für eine israelisch-jüdische Initiative ein, die an die Vertreibung der Palästinenser erinnern will. In „Stein, Papier (dt., 2013)“, seinem ersten Buch, das auch ins Deutsche übersetzt wurde, unternahm er eine historisch-archäologische Spurensuche: Er hatte herausgefunden, dass das Museum in dem Kibbuz, in dem er 1974 geboren wurde, aus den Steinen eines palästinensischen Dorfes erbaut wurde, das 1948 dem Erdboden gleich gemacht worden war. In dem Museum ging es um die Geschichte der Gegend, die umliegende Natur, den Sumpf, der trockengelegt wurde. Die Araber, die vertrieben worden waren, ihr Dorf, aus dessen Häusern das Gebäude errichtet worden war, werden in dem Museum aber mit keiner Silbe erwähnt. Gardi suchte daraufhin nach Spuren ihres Lebens; sein Buch, eine Mischung aus Reportage, Essay und Roman, ist selbst eine Art Museum für diesen verdrängten Teil der israelischen Geschichte.
Auch „Broken German“ stellt immer neu die Frage nach der Wahrheit und der Objektivität von Geschichtsschreibungen, doch kommt das Buch im Gewand einer Farce daher. Schon Radilis Ankunft in Deutschland ist eine Verkleidungsposse. Als er mit seiner Mutter am Flughafen landet, ist ihr Gepäck weg. Sie nehmen kurzerhand zwei andere Koffer und ziehen sich im Hotel die fremde Kleidung an. In ihrem grotesken Aufzug vertreiben sie Krähen vor dem Fenster. Man kann das als Parabel auf die Schwierigkeiten des Neuanfangs sehen, was ist noch übrig von der alten Identität in der neuen Fremde? Gardi und Radili aber würden einem in der „Bar zum Roten Faden“ herzlich auf die Schulter klopfen, wenn man so schwerfällig allegorisch daherkäme und sofort die nächste Geschichte auftischen, ausgehend von der Frage, ob ein jüdischer Besucher im jüdischen Museum automatisch Teil der Ausstellung wird. Und man liest das, lachend, gerührt, und hat längst vergessen, dass Gardi die Artikel wild durcheinanderwirft oder die Zeiten falsch konjugiert, schließlich macht doch das nicht die Qualität eines Textes aus. Aus „Broken German“ schaut einen die deutsche Sprache neu an, fremd und wunderschön, wie ein Lied, „und unsere Wörter fliessen und füllen, und die Wörter leben. Aufleben. Beleben.“ So lauten die letzten Worte und es ist jammerschade, dass da schon wieder Schluss ist, eines Abends, mitten im „Roten Faden“.
ALEX RÜHLE
Die Geschichte kommt nicht ins
Laufen, sie kommt ins Rennen
Tomer Gardi:
Broken German. Roman. Literaturverlag Droschl,
Graz – Wien 2016.
144 Seiten, 19 Euro.
E-Book 14,99 Euro.
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