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Ikonische Prägnanz gründet in der Ökonomie des Entzugs. Ihre Kunst offenbart sich in dem, was sie nicht zeigt. Ikonische Prägnanz bezeichnet die Verdichtung von Zeit- und Handlungsmomenten im Bild. Der Begriff verbindet gestaltphilosophische Überlegungen zur »symbolischen Prägnanz« (Cassirer) mit ikonologischen Untersuchungen des »prägnantesten Augenblicks« (Lessing). In sechs pointierten Essays, deren Analysekriterien die programmatische Einleitung entwickelt, wird dieses nicht unumstrittene Konzept in der Deutung vormoderner Bildwerke erprobt. Ihre Sujets reflektieren unterschiedliche…mehr

Produktbeschreibung
Ikonische Prägnanz gründet in der Ökonomie des Entzugs. Ihre Kunst offenbart sich in dem, was sie nicht zeigt. Ikonische Prägnanz bezeichnet die Verdichtung von Zeit- und Handlungsmomenten im Bild. Der Begriff verbindet gestaltphilosophische Überlegungen zur »symbolischen Prägnanz« (Cassirer) mit ikonologischen Untersuchungen des »prägnantesten Augenblicks« (Lessing). In sechs pointierten Essays, deren Analysekriterien die programmatische Einleitung entwickelt, wird dieses nicht unumstrittene Konzept in der Deutung vormoderner Bildwerke erprobt. Ihre Sujets reflektieren unterschiedliche Zeitverhältnisse: die Entzeitlichung von Präsenz, die Darstellung zeitlicher Allgegenwart, das Verschwinden des Augenblicks in der Zeit, den Zusammenfall von historischer Zeit, Betrachtungszeit und Bildzeit.
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Autorenporträt
Dirk Westerkamp ist seit 2010 Professor für Theoretische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass sich das vom Autor angewandte Interpretations-Konzept der ikonischen Prägnanz auch bei der abstrakten Malerei bewährt, erkennt der rezensierende Münchner Germanist Friedrich Vollhardt am Ende von Dirk Westerkamps Buch. Zuvor hatte der Autor ihm dreistufig, mittels phänomenologischer und kunsttheoretischer Terminologie, Rembrandt und Jan Lievens auseinandergesetzt, frühchristliche Kunst, dann weiter Hegels Raffael-Deutung. Überraschende Fragen stellen sich dem Rezensenten während der Lektüre. Die ein oder andere Wiederholung im locker gefügten Band kann er verkraften.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Warum kennen wir keinen lachenden Christus?
Es müssen nicht immer Emotion und Kognition sein: Dirk Westerkamp denkt über prägnante Bilderzählungen nach

Ein Gedenktag naht. Im April 1766 erschien Gotthold Ephraim Lessings kunsttheoretische Hauptschrift "Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie", eine der meistzitierten Abhandlungen aus der voridealistischen Periode der Ästhetik. Die epochale Bedeutung des Werkes haben bereits die Zeitgenossen erkannt. In seinen autobiographischen Aufzeichnungen berichtet Goethe über die Begeisterung, die Lessings Grenzziehung zwischen den Künsten auslöste, mit der "alle bisherige anleitende und urteilende Kritik" beseitigt schien: "wir hielten uns von allem Übel erlöst". Lessing war es gelungen, die Kunstbetrachtung von lästigen Konventionen zu befreien und neue Grundlagen zu schaffen.

Dass die Schrift heute - zweihundertfünfzig Jahre nach der ersten Drucklegung - noch immer Anlass zu Fragen gibt und interessante Einsichten verspricht, zeigt das Buch von Dirk Westerkamp: Mit dem Begriff der ikonischen Prägnanz versucht der Autor Bildwerke zu entschlüsseln, "in denen ein aus Gestaltqualitäten komponiertes Ganzes die Totalität eines bestimmten Handlungs- und Sinnzusammenhangs auf den jeweils anschaulichen und evidenten Moment verknappt, durch den ein Optimum an Bedeutung ... präsentisch durchscheinen kann".

Um diesen Vorgang zu analysieren, bedient sich Westerkamp eines dreistufigen Modells (Bildträger, Bildobjekt, Bildsujet), verwendet die von der Phänomenologie und Gestalttheorie eingeführte Terminologie und variiert den von Ernst Cassirer bezogenen Begriff der "symbolischen Prägnanz". Doch die Beschreibung der ästhetischen Einstellung enthält noch weitere Elemente, die aus älterem kunsttheoretischen Erbe stammen; ausgearbeitet wurden sie vor allem von Lessing und Hegel. Westerkamp diskutiert über Kunst nicht im Feld der heute beliebten Ansätze zwischen Kognition und Emotion, sondern demonstriert den an Theorie Interessierten die Anschlussfähigkeit der Klassiker.

Wenn vom "evidenten Moment" gesprochen wird, dann ist damit jener im Laokoon als "prägnant" bezeichnete Augenblick gemeint, den ein Künstler in der bildlichen Darstellung zu treffen hat, um das Vorhergehende und Folgende eines Geschehens begreiflich zu machen. Dieser Moment markiert die Grenze zwischen entgegengesetzten Verläufen, er scheint der Zeit enthoben zu sein.

Westerkamp prüft diese Annahme an zwei um 1640 entstandenen Gemälden von Rembrandt und Jan Lievens, die beide das Opfer Abrahams zum Gegenstand haben, wobei die Situationen vor und nach der verhinderten Tat ganz unterschiedlich geschildert werden. Der Wahl "jenes einzigen Augenblicks" hat Lessing höchste Bedeutung beigemessen, da er sich für die gesamte kreative und imaginative Tätigkeit als bestimmend erweist: "Dasjenige aber nur allein ist fruchtbar", heißt es im Laokoon, "was der Einbildungskraft freies Spiel lässt." Die Wortwahl ist verblüffend, scheint sie doch auf Formulierungen vorauszuweisen, wie sie Kant am Ende der Einleitung zur "Kritik der Urteilskraft" gebraucht und im Rahmen seiner Lehre von der ästhetischen Idee genauer bestimmt. Doch überwiegen die Differenzen, da Lessing wahrnehmungspsychologisch argumentiert. Seine Untersuchung führt, wie Westerkamp bemerkt, nur an die "Schwelle zur Transzendentalphilosophie und zum Deutschen Idealismus" dadurch, dass er eine wichtige Tendenz neuzeitlicher Kunst erkennt: "Sie lässt die Gesetze antiker Schönheit hinter sich, um sich denen des Erhabenen zu unterwerfen."

Auch Hegel gehörte zu den Laokoon-Lesern. Er folgt Lessing in der Unterscheidung von Malerei und Poesie, übersetzt jedoch dessen rezeptionsästhetische Einsichten in das System einer Gehaltsästhetik, in der "Form und Inhalt" in eine produktive Spannung treten. Wenn in der Kunst die Idee oder das Nichtgegenwärtige an dem einzelnen Werk erscheinen oder "durchscheinen" soll, dann wird bei Hegel die Vermittlung zwischen idealem Gehalt und formaler Gestaltung zum entscheidenden Problem; es kehrt wieder in der zitierten Trias von Sujet (Idee), Träger (sinnliches Material) und Objekt (Erscheinung), die Westerkamp seiner Theorie zugrunde legt. Was Bildprägnanz ausmacht, wie sich diese freilegen lässt und wo sie ihre Grenzen erreicht, wird exemplarisch an Hegels Deutung des letzten Gemäldes von Raffael, der "Transfiguration" (1516/20), vorgeführt. Diese Betrachtung steht am Ende des ersten von insgesamt sechs Kapiteln, in denen große Bilderzählungen der abendländischen Kultur neben weniger bekannten Zeugnissen interpretiert werden.

Der Schwerpunkt liegt auf der frühchristlichen Kunst und ihren Kontexten, vor allem der patristischen Theologie und neuplatonischen Philosophie. Hier stellen sich überraschende Fragen, etwa die, warum uns keine Bilder eines lachenden oder lächelnden Christus überliefert sind; dieses Motiv findet sich erstmals 2004 in Mel Gibsons Film "The Passion of the Christ". Der Versuch einer Antwort führt zu den spätantiken Häresien und ihrer Abwehr, bei der im vierten Jahrhundert die Entscheidung zugunsten des Erhabenen der Passion gefallen ist, womit "Konsequenzen aus einem gleichermaßen bildästhetischen wie christologischen Problem" gezogen wurden.

Man folgt dem Autor gerne bei seiner detektivischen Spurensuche, auch wenn auf diesen Streifzügen in die Ideengeschichte die methodische Generallinie bisweilen verlorenzugehen scheint. Da einige Textabschnitte bereits vorab gedruckt wurden, sind die Kapitel in ihrer Anordnung nur locker miteinander verbunden. Gelegentlich kommt es daher zu merkwürdigen Reprisen, wenn etwa Rembrandts Feder- und Tuschzeichnung "Das Gastmahl in Emmaus" (1640/41) zunächst unter dem Titel "Präsenz des Entscheinens" ausgelegt und später noch einmal (mit fast wörtlichen Wiederholungen) in einem Kapitel besprochen wird, das die Überschrift "Gloriole der Absenz" trägt. Am Ende dieses Abschnitts wird ein Bogen vom Apsismosaik aus dem Katharinenkloster auf dem Sinai (560 n. Chr.) bis zu Kasimir Malewitschs Schwarzem Quadrat (1915) geschlagen, das sich in die Ikonentradition einreihen lässt. Mit der "Quadratur des ikonischen Nichts" versuchte der Künstler nicht nur die ostkirchliche Bildtradition, sondern auch die Grenzen der Medialität zu überschreiten. Man sieht: Das Konzept der ikonischen Prägnanz bewährt sich auch bei der ungegenständlichen Malerei der Moderne.

FRIEDRICH VOLLHARDT.

Dirk Westerkamp: "Ikonische Prägnanz".

Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2015. 187 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

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