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Neue, unbekannte Einblicke in Konrad Adenauers Politik in der Endphase als Kanzler und CDU-Parteivorsitzender gibt das erst 2015 entdeckte Tagebuch des Sohnes Paul Adenauer. Nach Mauerbau und Bundestagwahl 1961 tobt ein heftiger Streit um Adenauers vierte Kanzlerwahl. Der Monsignore beobachtet den Vater zu Hause in Rhöndorf; er beschreibt das Ringen mit Erhard als Nachfolger im Kanzleramt und CDU-Parteivorsitz und wird zum Zeitzeugen wie zum Chronisten des Machtzerfalls. Zermürbt vom Zwist mit der FDP, schließt Konrad Adenauer die SPD als Koalitionspartner ins Auge und geht mit der eigenen…mehr

Produktbeschreibung
Neue, unbekannte Einblicke in Konrad Adenauers Politik in der Endphase als Kanzler und CDU-Parteivorsitzender gibt das erst 2015 entdeckte Tagebuch des Sohnes Paul Adenauer. Nach Mauerbau und Bundestagwahl 1961 tobt ein heftiger Streit um Adenauers vierte Kanzlerwahl. Der Monsignore beobachtet den Vater zu Hause in Rhöndorf; er beschreibt das Ringen mit Erhard als Nachfolger im Kanzleramt und CDU-Parteivorsitz und wird zum Zeitzeugen wie zum Chronisten des Machtzerfalls. Zermürbt vom Zwist mit der FDP, schließt Konrad Adenauer die SPD als Koalitionspartner ins Auge und geht mit der eigenen Partei hart ins Gericht. Wahlen lassen seinen Kampfgeist immer wieder aufflackern. In den Krisen des europäischen Einigungsprozesses hält er Kurs, in dem Verhältnis der Regierung Erhard zu de Gaulle und dem transatlantischen Streit um die mögliche Mitsprache der Bundesrepublik Deutschland beim Einsatz von Atomwaffen sieht er deutsche Interessen gefährdet. Aber auch der gesellschaftliche Wandel und das materialistische Denken treiben ihn um. Adenauers große Sorge gilt dem politischen Erbe, der freiheitlich-parlamentarischen Demokratie und der Einbindung in das westliche Bündnis, das der Gründungskanzler Deutschland hinterlassen will.
Autorenporträt
Hanns Jürgen Küsters, geboren 1952, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn und Leiter des Referats Zeitgeschichte am Archiv für Christlich-Demokratische Politik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2017

Politiker und Medien ohne Verhältnis zum Staat!
Konrad Adenauer aus allernächster Nähe: Tagebuch seines Sohnes Paul aus den Jahren 1961 bis 1966

Neues über Konrad Adenauer, pünktlich zum 50. Todestag des Gründungskanzlers der Bundesrepublik Deutschland am 19. April. Monsignore Paul Adenauer, der zu jener Zeit das Katholische Zentralinstitut für Ehe- und Familienfragen in Köln leitete und im elterlichen Haus in Rhöndorf wohnte, führte als Begleiter und Berater seines Vaters vom 29. September 1961 (kurz nach der Bundestagswahl, bei der die Union die absolute Mehrheit verloren hatte) bis zum 24. Februar 1963 sowie vom 19. Oktober 1963 (wenige Tage nach dem Ende der Kanzlerschaft) bis zum 4. Dezember 1966 sporadisch Tagebuch.

Unmittelbar Erlebtes und Gehörtes hielt er anfangs handschriftlich, ab Frühjahr 1962 auf einem Diktiergerät fest; später erfolgte per Schreibmaschine die Texterfassung. Die Tonbänder sind jedoch nicht im Nachlass von Paul Adenauer (1923-2007) überliefert. Bearbeiter Hanns Jürgen Küsters findet es zu Recht erstaunlich, dass eine Reihe von Vorgängen ausgespart blieben, unter anderem die letzten Monate vor dem Rücktritt als Kanzler am 15. Oktober 1963. Noch viel erstaunlicher ist, dass das Tagebuch erst 2015 auftauchte und von einem Kanzler-Enkel erworben werden konnte, der es zur Bearbeitung zur Verfügung stellte.

Dem Tagebuch vorangestellt ist ein profunder Essay über Paul Adenauer. Ihm half der Glaube, die Zeit des "Dritten Reiches" durchzustehen und mit der politischen Verfolgung sowie vorübergehenden Verhaftung seiner Eltern fertig zu werden. Das durch Kriegsdienst (Sanitäter) unterbrochene Theologiestudium setzte er 1945 fort. Große Sorgen machte er sich um seine kranke Mutter Gussie, die 1948 im Alter von 52 Jahren starb. 1951 wurde Paul zum Priester geweiht; 1953 ließ er sich beurlauben für ein Zweitstudium in Volkswirtschaftslehre. Vor der Bundestagswahl 1957 trat er in die CDU ein, zwei Jahre später schloss er seine Dissertation "Probleme der mittelständischen Investitionsfinanzierung in der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung amerikanischer Erfahrungen" ab. Noch vor Abschluss des Promotionsverfahrens setzte er seine pastorale Tätigkeit in Unkel fort. 1960 verlieh ihm Papst Johannes XXIII. in Rom den Titel Monsignore.

Die große Stärke der Tagebuch-Publikation liegt in der Vermittlung des Atmosphärischen: Ein alter Herr klammert sich an die Macht, merkt allmählich, dass er nicht mehr ernst genommen wird in seiner eigenen Partei, nimmt sich selbst für alles und jedes zum Maßstab, verachtet seinen Nachfolger Ludwig Erhard und noch mehr Gerhard Schröder, den von ihm selbst 1961 berufenen Außenminister. Der am 7. November 1961 wiedergewählte Regierungschef glaubt, dass der Koalitionspartner FDP und Schröder seine Außenpolitik sabotieren würden.

Mitte Juni 1962 meint Paul, "dass Vater einen deutsch-französischen Pakt wünscht". Am 1. Juli geht es um die Frage: "Verdirbt Politik den Charakter? Vater meint ja, denn ein derartiger Kampf fordere in den Menschen gerade die schlechten Eigenschaften heraus, und um sich zu verteidigen, sei man sehr versucht, auch nach minderwertigen Mitteln zu greifen." Eine Woche später, bei der Rückkehr aus Frankreich, ist Adenauer begeistert vom Staatspräsidenten: "Es sei beiden ganz klar geworden, de Gaulle erst richtig nach der Unterhaltung mit Vater, wie bedeutungsvoll es sei, die beiden Völker immer mehr ineinander wachsen zu lassen, sodass weder eine deutsche nationalistische Richtung einen Anschluss nach Osten ernsthaft planen könne, noch eine französische Regierung oder Partei Veranlassung haben könne, gegenüber Deutschland im Osten Sicherheit zu suchen." Anfang September findet de Gaulles Triumphzug durch Deutschland statt, mit Visite in Rhöndorf: Vater und Sohn Adenauer genehmigen sich eine Flasche Sekt auf den außenpolitischen Erfolg. Im November folgt die "Spiegel"-Affäre, mit der Kabinettsumbildung und einer Fraktionssitzung, auf der dann der Kanzler "gemein behandelt" worden sei durch unbotmäßiges Gelächter vieler Abgeordneter.

Ende Dezember bewegt ihn "ganz die Sorge, was aus dieser Demokratie werden soll, da nicht ein Minimum an Staatsbewusstsein die Repräsentanten des Staates, besonders auch in der Fraktion, erfülle, und vor allem die Macher der öffentlichen Meinung zu diesem Staat kein Verhältnis hätten. In der Fraktion muss sehr viel Faulheit herrschen, sehr viel Mittelmäßigkeit, keine Führung, kurzum ein bestürzendes Bild." Im Februar 1963 - nach Abschluss des deutsch-französischen Vertrages - wird das Ende der Kanzlerschaft auf Oktober terminiert: "Immer tiefer frisst sich dies Bewusstsein der Ohnmacht in Dingen seiner Verantwortung in ihn hinein", beobachtet Paul. Die letzten Monate der Kanzlerschaft sind nicht dokumentiert. Erst am 19. Oktober 1963 setzen die Aufzeichnungen wieder ein, als es "eine stark liberal durchsetzte Bundesregierung" unter Ludwig Erhard gibt, aber weiterhin den Parteivorsitzenden Adenauer als Gegengewicht. Dieser nimmt die Arbeit an den Memoiren auf: "Et jitt kei größer Leid, als wat der Minsch sich selvs andät." Im November 1964 trägt er sich mit dem Gedanken einer "Gegenwehr" zur viel zu schlaffen Bundesregierung: "Ob er nicht häufiger durch Interviews in der ,Bild'-Zeitung mit ihrer Viereinhalb- bis Fünf-Millionen-Auflage eine gewisse öffentliche Meinung zugunsten der CDU entwickeln solle, die auch die unteren und mittleren Schichten eines Parteivolkes selber wieder zum Angriff auf die SPD verführen solle"? Paul und seine Geschwister sowie Memoiren-Mitarbeiterin Anneliese Poppinga bestärken ihn darin.

Mitte November 1964 ist der CDU-Chef in Paris, wird dort wie ein Staatsgast hofiert und in die Académie des sciences morales et politiques aufgenommen. An trüben Wintertagen lässt er sich in Rhöndorf "die Marseillaise vorspielen, die ihm wohltut"; die französische Nationalhymne wird eine Art Mut- und Muntermacher für den Greis. Durch die Nahost-Krise wittert er Ende Februar 1965 Morgenluft, um Erhard stürzen zu können. Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier ist aus Adenauers Sicht der Einzige, "der auch unter Umständen bereit wäre", Erhard zu ersetzen. Doch rettet der Kanzler seinen Kopf durch den einsamen Entschluss eines Botschafteraustauschs mit Israel.

Ein Paris-Besuch des polnischen Ministerpräsidenten Józef Cyrankiewicz Anfang September empört und enttäuscht Adenauer: "Kurz und gut, es scheint, als ob de Gaulle tatsächlich endgültig von uns abgeschwenkt ist und sich auf die alte polnisch-französische Allianz gegen Deutschland wirft." Und: "Meine ganzen Bemühungen sind gescheitert. Ich habe diesen Weg gehen müssen im Vertrauen auf diesen Mann. Aber ich bin wie einer von vielen anderen, die er gebraucht hat und dann beiseite gestellt hat." Schließlich kann der verhasste Erhard nach dem Wahlsieg vom 19. September auch noch die Koalition mit der FDP fortsetzen.

Während der Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag Anfang Januar 1966 findet Adenauer es "eigenartig", "dass je älter man werde, die Leute desto herzlicher seien. Manchmal käme es ihm so vor, als ob man schon ihm für seinen Tod so zujuble und die Wünsche ausbringe".

Mitte Januar denkt er darüber nach, ob ihm der 1911 geborene Georg Kliesing als Bundesvorsitzender der CDU nachfolgen könne: "Er sei keine große Leuchte in der Rede und vielleicht auch nicht so elegant wie Kiesinger, aber dafür sei er aus dem richtigen Holz. Er wohne in der Nähe" (im Siegkreis), habe "gute Beziehungen zum Ausland". Frau Poppinga ist dagegen: Kliesing sei "zu unbekannt"; wenn "die anderen alle nicht wollten", bestehe "eine günstige Gelegenheit für Erhard". Wenn dies geschehe, trete er aus der Partei aus, erwidert Adenauer: Als Erhard am 23. März zum Parteichef gewählt wird, bleibt der Rhöndorfer in der CDU.

Am 2. Juli - de Gaulle hat eben in Moskau eine Deklaration über bilaterale Entspannungsbemühungen unterzeichnet - meint Adenauer, "Charles sei tatsächlich größenwahnsinnig und habe bewusst und gewollt die Nato in dieser Weise kaputtgemacht". Unter dem Datum des 4. Dezembers 1966 findet sich eine Reaktion auf die Bildung der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger: Der neue Kanzler sei ein "Weichkäse", den er "immer noch für den relativ Besten hält, namentlich auch im Vergleich zu Gerstenmaier, seinem ursprünglichen Kandidaten, der Vater abgestoßen hat durch seine Lobeshymne auf Erhard bei dessen Abtritt. Gerstenmaier sei zu arrogant und sehe die Gewichte nicht richtig." Unter ähnlichen "Sehstörungen" leidet auch längst der Altkanzler. Sympathischer wird er dem geneigten Leser durch die von Sohn Paul überlieferten harschen Urteile nicht.

RAINER BLASIUS

Hanns Jürgen Küsters (Herausgeber): Konrad Adenauer - Der Vater, die Macht und das Erbe. Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer 1961-1966. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2017. 529 S., 29,90 [Euro].

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